Demokratie bedeutet, dass das Staatsvolk an Entscheidungen, die die Allgemeinheit betreffen, beteiligt ist. Dies setzt voraus, dass das Volk sich zuvor entsprechend informieren kann, worum es genau geht, was wiederum das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Informations- und Pressefreiheit voraussetzt, soll das Ganze nicht zu einer gelenkten Farce und Scheindemokratie entarten. In diesem Meinungsbildungsprozess werden Argumente für und wider vorgetragen, müssen immer beide Seiten zu Wort kommen, denn wie sonst soll ein qualifizierter Meinungsbildungsprozess möglich sein. Was aber genau ist eine Argumentation, und was läuft bei uns seit vielen Jahren so gewaltig schief?
A. Argument und Argumentation
Eine Argumentation ist eine Verknüpfung, eine Kette von mehreren Argumenten, die einen inneren Zusammenhang aufweisen. Somit stellt sich aber die Frage: Was ist ein Argument? Das ist vielen nicht ganz klar.
Ein Argument ist etwas anderes als eine Aussage, die etwas für sich hat, die man für wahr hält. Ein Argument ist ein Beweisgrund, ein Begründungszusammenhang. Als solches besteht es immer aus mehreren Aussagen, nämlich mindestens dreien (manchmal auch mehr): aus mindestens zwei Vordersätzen (Prämissen, Gründen) und einer Schlussfolgerung (Konklusion, das zu Begründende). Das Besondere bei einem Argument ist dabei, dass hier eine Übertragung des Wahrheitswertes von den Prämissen (den Gründen) auf die Konklusion (das zu Begründende) zwingend stattfindet und zwar allein auf Grund der Form des Argumentes.
Beispiel: 1. Alle Menschen sind sterblich. 2. Angela Merkel ist ein Mensch. 3. Ergo ist Angela Merkel sterblich. Denn wenn alle Menschen sterblich sind und Merkel ein Mensch ist, dann gilt diese Eigenschaft natürlich auch für sie, andernfalls wäre ja (1) falsch.
B. Ex falso quodlibet
Wer die Wahrheit der Prämissen (der Gründe) akzeptiert, muss auch die Wahrheit der Konklusion, des zu Begründenden akzeptieren, da sich der Wahrheitswert von (1) und (2) auf (3), von den Gründen auf das zu Begründende überträgt. Wenn eine der Prämissen falsch ist, dann ist die Wahrheit der Konklusion natürlich kontingent (zufällig, möglich, aber nicht notwendig), denn aus Falschem kann man durch korrektes Schließen Beliebiges folgern (ex falso quodlibet).
Beispiel: Wenn 2 + 2 = 5, dann (durch Verdoppeln beider Seiten) 4 + 4 = 10. Aus einer falschen Prämisse, 2 +2 = 5, folgt hier durch korrektes Schließen eine falsche Konklusion 4 + 4 = 10. Der Fehler steckt aber nicht in dem Schluss (dem Verdoppeln beider Seiten), sondern schon in der Prämisse. Der Schluss selbst ist korrekt bzw. gültig. Wenn a = b, dann sicherlich auch 2a = 2b.
C. Aussagesatz und Satzäußerung
Ein Argument ist also eine Menge von Aussagen, bei der für einen Aussagesatz (die Konklusion) der Anspruch erhoben wird, dass er sich aus den anderen (den Prämissen) mit Notwendigkeit ergibt. Was ist das aber für eine Notwendigkeit?
Gemeint ist hier nicht, dass jemand diesen Aussagesatz unbedingt aussprechen muss, gar nicht anders kann, als ihn zu sagen. Die Notwendigkeit bezieht sich also nicht auf die Äußerung des Satzes, ein Ereignis an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit durch eine bestimmte Person. Dies fiele in den Bereich der Psychologie. Hier geht es um eine ganz andere Notwendigkeit, die sich nicht auf die Satzäußerung in Raum und Zeit bezieht, sondern auf die Aussage selbst, den Inhalt des Aussagesatzes, seine Proposition, wie Philosophen sagen. Beispiel: Folgende drei Sätze sind unterschiedlich, die Proposition, die Aussage selbst ist aber immer die gleiche: a) „Meine Mutter ist Jahrgang 1926.“ b) „Meine Mutter wurde 1926 geboren.“ c) „My mother was born in 1926.“
In einer Argumentation interessiert uns also der Wahrheitsgehalt von Aussagesätzen, welcher unabhängig davon ist, wer den Satz wann und wo äußerte. Dies wird gerade in politischen Diskussionen oft grob missachtet, wo darauf abgestellt wird, wer etwas gesagt hat oder wo etwas stand, also auf die Satzäußerung und nicht auf den Satzinhalt, die Aussage selbst, die Proposition, um die es eigentlich gehen sollte.
D. Argumentum ad hominem und ad personam
So sehen wir es seit Jahren und 2019 sogar noch verstärkt, dass jemand nur weil ein AfD-Politiker etwas sagte, selbst wenn völlig klar ist, dass es richtig ist, was er sagte, andere das auf keinen Fall übernehmen wollen, nur weil es ein AfD-ler gesagt hat, nach dem Motto „Wenn die das sagen, kann es nicht stimmen“ bzw. „… dann will ich nicht das Gleiche denken“. Lieber denkt man dann etwas Falsches, was nicht nur kindisch ist, es handelt sich dann jeweils um ein fehlerhaftes, oft bösartiges argumentum ad hominem, („Beweisrede zum Menschen“) ein reines Scheinargument (Rabulistik).
Schema des argumentum ad hominem
- Der AfD-ler behauptet, p wäre der Fall.
- Alle AfD-ler sind Demokratiefeinde/böse/niederträchtig…
- Ergo: p kann gar nicht wahr sein / ist abzulehnen.
Das ist natürlich kompletter Unsinn, es ist völlig egal, wer sagt, der Tag habe 24 Stunden und die Woche sieben Tage. Wer Wahrheitsgehalt ist weder von der Person, die den Satz ausspricht, noch von der Äußerung des Satzes, wann, wo und warum sie erfolgt, abhängig, aber so wird tatsächlich gerade in politischen, religiösen bzw. ideologischen Diskussionen sehr häufig verfahren. Man versucht nicht, gegen das Argument oder einfach nur eine Aussage anzugehen, sondern versucht den Gegner als Person, als Mensch, als Diskussionspartner zu diskreditieren.
Noch schlimmer beim argumentum ad personam. Auch hier richtet sich der Angriff nicht auf die Aussage oder das Argument, sondern auf die Person des Gegners, es zeigt aber überhaupt keinen Bezug mehr zum eigentlichen Streitthema. Es werden nur noch sachlich völlig irrelevante persönliche Eigenschaften attackiert. p wird gar nicht mehr genannt, es gibt also gar kein logisches Schema mehr. Beispiel: „A hat doch mal an einer Demonstration gegen X teilgenommen“, wobei das X überhaupt nichts mit dem Thema zu tun hat, zu dem A sich gerade äußerte.
E. Logisch gültige und ungültige Schlüsse
Die Argumentationstheorie (Logik) untersucht, welche Argumente absolut zwingend sind, welche fehlerhaft (Scheinargumente oder Sophismen) und welche nicht zwingend, aber doch in abgeschwächter Form hilfreich, weil wahrscheinlich oder plausibel.
Beispiel: Der folgende Schluss ist offensichtlich gültig, egal was wir für die Platzhalter einsetzen.
- Alle A sind B.
- Alle B sind C.
- Ergo: Alle A sind C.
Denn wenn alle A auch B und alle B auch C sind, dann müssen notwendigerweise auch alle A C sein. Wenn z.B. alle Menschen Säugetiere und alle Säugetiere Wirbeltiere sind, dann müssen auch alle Menschen Wirbeltiere sein. Hier wird niemand ein Gegenbeispiel für dieses Schlussprinzip finden können, weil das logisch unmöglich ist.
Konversionsfehlschluss: Ein Gegenbeispiel lässt sich aber finden bei folgendem Schluss, einem sehr beliebten Denkfehler.
- Wenn A der Fall ist, dann ist auch B der Fall.
- A ist nicht der Fall.
- Ergo ist auch B nicht der Fall.
Dies ist ein ungültiger, ein fehlerhafter Schluss. Um das zu beweisen, genügt bereits ein Gegenbeispiel. Dieses könnte wie folgt aussehen.
- Wenn es regnet, wird die Straße nass.
- Es hat nicht geregnet.
- Ergo ist die Straße nicht nass.
Gegenbeispiel: Die Straße kann trotzdem nass sein, zum Beispiel weil jemand sie mit einem Schlauch nass gespritzt hat. Der Regen ist offensichtlich eine hinreichende, aber keine notwendige Bedingung für das Nass-werden der Straße, denn es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie diese nass werden kann. Dieser Weg führt zwingend nach Rom (hinreichende Bedingung), aber viele Wege führen nach Rom, nicht nur einer (diesen Weg zu nehmen ist keine notwendige Bedingung, um nach Rom zu gelangen).
Ein richtiger Schluss wäre dagegen:
- Wann A der Fall ist, dann auch B.
- B ist nicht der Fall.
- Ergo kann auch A nicht der Fall sein.
Denn wäre A der Fall, dann gemäß (1) auch B. B ist aber gemäß (2) nicht der Fall, also kann auch A nicht der Fall sein. Konkret:
- Wenn es regnet, wird die Straße nass.
- Die Straße ist nicht nass.
- Ergo regnet es nicht.
Denn würde es regnen, so wäre nach (1) die Straße nass, sie ist es aber nach (2) nicht, also kann es nicht regnen.
F. Dialektisches Denken
Eine Argumentation besteht also aus mehreren Argumenten, die wiederum aus mehreren Aussagen bestehen, die in einem logischen Zusammenhang stehen. Und jetzt können wir präzisieren: Bei einer Argumentation fungiert die Konklusion aus Argument 1 als Prämisse in Argument 2. Dessen Konklusion ist wiederum eine der Prämissen in Argument 3 usw.
Werden unterschiedliche Argumentationen geprüft und gegeneinander abgewogen, dann kommen wir in den Bereich der Erörterung und damit in die Sphäre des dialektischen Denkens, die nur dem Menschen zugänglich ist. Aufsteigend haben wir also folgendes Schema:
Aussage – Argument – Argumentation – dialektische Erörterung.
G. Der Sinn des Argumentierens
Wozu aber argumentieren wir überhaupt? Indem wir argumentieren, versuchen wir uns selbst oder andere, die für Argumente offen sind, von der Wahrheit oder Falschheit einer Sichtweise, einer Einschätzung, einer Behauptung zu überzeugen. Beim Argumentieren und erörtern dreht sich also immer alles um die Wahrheitsfrage. Diese steht im Zentrum all dieser Bemühungen. Nur wer an der Wahrheitsfrage wirklich interessiert ist, wird daher ernsthaftes Interesse am Argumentieren und dem dialektischen Denken entfalten. Wer an der Wahrheitsfrage nicht interessiert ist, wird für Argumentationen, weniger bis gar nicht offen sein, er wird sich, egal was wie schlüssig auch immer vorgetragen wird, nicht überzeugen lassen, weil sein Geist nicht offen ist.
Dialektisches Denken ist ein wesentliches, ja das zentrale Mittel im Bereich der Wissenschaft, der Kritik, der Diskussion und des offenen, kritischen Dialoges.
H. Audiatur et altera pars
Den Grundsatz der Dialektik finden wir beispielsweise auch in unserem Rechtssystem. Vor Gericht sind immer beide Seiten zu hören. Ein Grundsatz, den wir bereits im uns prägenden römischen Recht finden: Audiatur et altera pars (lateinisch für: „Gehört werde auch der andere Teil“ bzw. „Man höre auch die andere Seite“). Dies steht für den Anspruch auf rechtliches Gehör. Der Grundsatz bedeutet, dass der Richter alle am Prozess Beteiligten zu hören hat, bevor er sein Urteil fällt.
Der erste Meister des dialektischen Denkens aber war kein Geringerer als Sokrates, für mich der wahre Vater Europas. In der griechischen Antike finden wir im 5. Jh. v. Chr. bereits den ersten Höhepunkt des dialektischen Denkens, welches das gesamte Abendland zutiefst prägte.
I. Wie ARD, Merkel und Co. uns um Jahrtausende zurückwerfen
Der Grundsatz des Audiatur et altera pars und des dialektischen Erörterns, also genau das, was das abendländische Denken zutiefst ausmacht, wird seit vielen Jahren schon immer mehr ausgehebelt. Offensichtlich ist es von den hegemonialen Herrschaftszirkeln, sprich den „etablierten Parteien“, insbesondere von der ewigen alternativlosen Kanzlerin und den ihren, vor allem aber auch den Linken (SED-Nachfolgern), den Grünen und den „Sozialdemokraten“, siehe Timmermans Auslassungen zur Diversity, zur großen Vermischung, zu der es angeblich keine Alternative gebe, nicht nur nicht mehr gewünscht, dass die andere Seite zu Wort kommt, nein dies wird vielmehr gezielt unterdrückt.
Denn die Partei, die in vielen Fragen die einzige ist, die die andere Seite vertritt, wird bewusst von nahezu allen öffentlichen Diskursen ausgeschlossen. Oft wird sie in entsprechende Sendungen gar nicht mal mehr eingeladen und wenn doch einmal, dann bekommen die verschiedenen Seiten nicht annähernd die gleiche Redezeit. Ja AfD-Vertretern wird nicht selten nicht einmal die Möglichkeit eingeräumt, ihre Argumente ungestört vorzutragen. Die ARD gibt sogar inzwischen offen zu, dass sie die AfD regelrecht bekämpft und systematisch zu benachteiligen sucht:
Das zeigt wohl, um was für einen geistigen Rückfall um Jahrtausende wir hier vor uns sehen. Doch das dürfte erst der Anfang eines wahrscheinlich in dieser extremen Form einzigartigen Regressionsprozesses sein, an dessen Ende nicht nur ein Finis Germania stehen könnte.
Jürgen Fritz — Erstveröffentlichung auf dem Blog des Autors www.juergenfritz.com
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