Heli­ko­ptergeld für alle – von Daniel Stelter schon vor fünf Jahren angeregt

Manchmal dauert es, bis Ideen eine breitere Auf­merk­samkeit finden. So fordert der Volkswirt einer mir bisher völlig unbe­kannten Bank im manager magazin:
manager-magazin.de: „Heli­kopter Geld für alle“, 19. Juli 2019
Da kann ich nur sagen: So neu ist die Idee nicht. Und vor allem ist er noch nicht so radikal, wie wir eigentlich sein müssten. Er plä­diert für regel­mäßige Zah­lungen von klei­neren Beträgen. Ich hin­gegen war und bin für die radikale Variante: 10.000 Euro für Jeden! So zumindest in meinem Beitrag eben­falls beim manager magazin vom 1. Sep­tember 2014. Wie die Zeit vergeht …

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Das frisch gedruckte Geld der Noten­banken kommt in der Real­wirt­schaft nicht an. Anstatt es in den Finanz­sektor zu pumpen, sollte die EZB es den Bürgern in der EU direkt über­weisen: 10.000 Euro je Kopf.

Im Jahre sechs der Finanz- und Euro-Krise und zwei Jahre nach der magi­schen Rettung des Euro durch Mario Draghis Ver­sprechen, „alles Erfor­der­liche zu tun“, ist kein Ende der Krise in Sicht. Auch wir in Deutschland, die wir uns in den letzten Jahren der freu­digen Illusion hin­geben konnten, die Krise würde uns ver­schonen, dürften ange­sichts der ent­täu­schenden Wirt­schafts­daten endlich erkennen, dass wir uns von der Misere, die uns umgibt, nicht abkoppeln können.
Die Fakten sind ein­deutig: Die Wirt­schaft in Europa sta­gniert, das Ban­ken­system ist immer noch nicht saniert. Die Schulden wachsen in den Kri­sen­ländern weiter schneller als die Wirt­schaft. In Irland liegt die Ver­schuldung von Staat, Pri­vaten und Unter­nehmen relativ zum Brut­to­in­lands­produkt (BIP) 84 Prozent über dem Stand von 2008. In Por­tugal (69 Prozent), Grie­chenland (55), Spanien (40), Frank­reich (34) und Italien (27) sieht es nur gering­fügig besser aus. Die ein­set­zende Deflation, zwangs­läufige Folge von Über­schuldung und Wirt­schafts­krise, macht es noch schwerer, den Anstieg der Schulden zu begrenzen.
Bereits im Februar habe ich an dieser Stelle erklärt, dass die Geld­po­litik in einem solchen Umfeld wir­kungslos ist. Bil­liges Geld hilft nur dann, wenn die poten­zi­ellen Schuldner noch über beleih­bares Eigentum ver­fügen und auch bereit sind, dieses Eigentum zu beleihen, weil sie attraktive Inves­ti­ti­ons­mög­lich­keiten sehen. In einem Umfeld der Rezession sehen Unter­nehmen dies nicht, und private Haus­halte werden sich eben­falls mit neuen Schulden zurück­halten, wenn Arbeits­lo­sigkeit droht und die Preis­stei­gerung gering ist.
Wenn nun aber alle sparen, also ver­suchen, bestehende Schulden abzu­tragen, fließt das „frische Geld“ der Noten­banken eben nicht in die Real­wirt­schaft sondern in die Finanz­märkte, wo es die Ver­mö­gens­preise treibt. Die ame­ri­ka­nische Notenbank Fed hat es sogar zum eigent­lichen Ziel erklärt, über diesen „Ver­mö­gens­effekt“ den Konsum anzukurbeln.
Da natur­gemäß nur jene, die über Ver­mögen ver­fügen, davon pro­fi­tieren, kommt es zu einer zunehmend ungleichen Ver­mö­gens­ver­teilung, was dann bei Öko­nomen wie Thomas Piketty und Poli­tikern aller Couleur den Ruf nach mehr Umver­teilung ver­stärkt. Die Real­wirt­schaft jeden­falls hat nichts davon.

US-Finanz­ma­nager Blackrock soll die EZB für das neue QE-Pro­gramm beraten

Dennoch zeichnet sich eine Fort­setzung der Politik ab. Nachdem die EZB ver­glichen mit den Noten­banken der USA, Eng­lands, Japans und auch der Schweiz sehr zurück­haltend mit dem direkten Aufkauf von Wert­pa­pieren – das soge­nannte „Quan­ti­tative Easing“ – war, sprechen immer mehr Anzeichen dafür, dass genau dieses nun vor der Tür steht.
So berichtet die Financial Times, dass die EZB den ame­ri­ka­ni­schen Invest­ment­ma­nager Blackrock als Berater hin­zu­ge­zogen hat, um die Details des Pro­gramms aus­zu­ar­beiten. Als Bürger mag man sich fragen, wozu die EZB und die natio­nalen Noten­banken riesige Mit­ar­bei­ter­stäbe beschäf­tigen, wenn für derart ein­fache Fra­ge­stel­lungen teurer externer Rat ein­ge­kauft wird. Tröstlich ist, dass die EZB das für die Beglei­chung erfor­der­liche Geld selbst druckt und damit einen kleinen Beitrag zur Stärkung der Nach­frage leistet.

Der wahre Grund dürften die unge­lösten Pro­bleme der euro­päi­schen Banken (rund 800 Mil­li­arden dürfen fehlen) sein und die absehbare Not­wen­digkeit, den Stresstest „weniger stressig zu gestalten“. Deshalb bieten sich Bank­an­leihen als Alter­native für Wert­pa­pier­käufe an.

Die Banken werden das Geld wei­terhin nicht in die Wirt­schaft leiten

Bereits ohne offi­zi­elles Quan­ti­tative Easing wird die EZB den Banken im Herbst im Rahmen der „tar­geted long-term financing ope­ra­tions“ fri­sches Geld zur Ver­fügung stellen. Bis zu 250 Mil­li­arden Euro werden die Banken, vor allem aus den Kri­sen­ländern, im Sep­tember und Dezember bei der EZB abrufen. Mario Draghi hält sogar ein Volumen von bis zu 850 Mil­li­arden für denkbar.
Dabei werden die Banken das Geld auch wei­terhin nicht in die Wirt­schaft leiten. Ange­sichts der bereits hohen Schulden dürfte die Kre­dit­nach­frage ver­halten bleiben und die Risiken zu hoch. Dann doch lieber weiter den „Sarkozy-Trade“: direkt in die Staats­an­leihen, was die gegen­seitige Abhän­gigkeit von Banken und Staaten weiter verstärkt.
Die Kapi­tal­märkte spe­ku­lieren bereits auf die Hilfe durch die EZB. Bank­aktien sind seit ihrem Tief vor einigen Wochen bereits deutlich gestiegen. Klares Signal, dass die Rettung der Banken durch die EZB ein­ge­preist wird. Was soll die EZB denn auch machen? Alle Banken schließen, nur weil diese eigentlich insolvent sind?
Politik wird um Restruk­tu­rierung der Schulden nicht umhin kommen
Was die eigent­lichen Ursachen der Krise – rekordhohe Schulden, ver­krustete Wirt­schafts­struk­turen, unzu­rei­chende Inves­ti­tionen und eine schrump­fende Erwerbs­be­völ­kerung angeht – sind die Maß­nahmen der EZB eher hin­derlich. Die Poli­tiker können sich noch länger um die Haus­auf­gaben drücken. Eine Restruk­tu­rierung der Schulden ist unum­gänglich, durch eine Kom­bi­nation aus Gläu­bi­ger­ver­zicht, Stundung und Zins­senkung auf euro­päi­scher Ebene.

Was sollte die EZB statt­dessen tun? Nichts zu tun ist trotz aller Kritik keine Alter­native. Sie sollte ernsthaft darüber nach­denken, den eigent­lichen Schuldnern zu helfen.

Warum das frisch gedruckte Geld nicht den Bürgern direkt geben?

Fri­sches Geld nutzt jenen am meisten, die es als Erstes bekommen. Diesen Effekt hat der irische Ökonom Richard Can­tillon bereits im Jahre 1734 beschrieben. Zurzeit pro­fi­tieren die Akteure an den Finanz­märkten und die Banken von dem Can­tillon-Effekt: Sie können früher als andere Finanz­assets nach­fragen und auf diese Weise relativ risi­kolose Erträge erwirt­schaften. Die Real­wirt­schaft pro­fi­tiert davon jeden­falls nicht, wie wir beob­achten können.
Wäre es nicht besser, statt­dessen das frische Geld den Bürgern direkt zu geben?
Über­schuldete Haus­halte in den Kri­sen­ländern könnten das Geld zur Schul­den­tilgung ver­wenden; Haus­halte ohne Schulden zu mehr Konsum. Die Wirkung für die Real­wirt­schaft wäre in jedem Fall positiv. Eine solche Über­legung ist nicht neu. Der aus­tra­lische Ökonom Steve Keen hat eine solche Idee schon vor einigen Jahren vor­ge­tragen. Jetzt fordern es der ame­ri­ka­nische Pro­fessor Mark Blyth und der Hedge­fonds­ma­nager Eric Lon­ergan in einem Beitrag für Foreign Affairs.
Ich selbst habe im Jahr 2010 angeregt, die Fed sollte statt Wert­pa­pieren einfach Häuser kaufen. Allein schon die Ankün­digung eines Min­dest­preis­ni­veaus für Immo­bilien hätte den US-Immo­bi­li­en­markt sta­bi­li­siert und damit Kon­sum­nach­frage und Wirt­schafts­wachstum. Ver­glichen mit den bisher auf­ge­wen­deten Bil­lionen für Wert­pa­pier­käufe hätte es sich zudem um einen relativ über­schau­baren Betrag gehandelt.

Über welche Beträge sprechen wir? Bei rund 330 Mil­lionen Ein­wohnern in der Euro-Zone und einem ange­nom­menen Quan­ti­tative Easing von drei Bil­lionen Euro sind das immerhin fast 10.000 Euro pro Kopf. „Undenkbar!“ werden jetzt einige rufen, andere die feh­lende „soziale Kom­po­nente“ bemängeln. Doch ist es wirklich gerechter, das Geld dem Finanz­sektor zu geben?
Das eigent­liche Risiko ist ein anderes: der Bevöl­kerung würde klar, dass in unserem Geld­system Geld wahrlich „aus dem Nichts“ geschaffen werden kann. Das Ver­trauen könnte schwinden und die Rufe nach einer Reform der Geld­ordnung lauter werden. Hierin liegt aber auch die ent­schei­dende Chance wie die Dis­kussion in der Schweiz über die Ein­führung von Vollgeld ein­drücklich unterstreicht.


Dr. Daniel Stelter – www.think-beyondtheobvious.com