Ich wurde vor einigen Monaten von einem Leser gefragt, wie in Russland über Greta Thunberg berichtet wird. Darüber habe ich einen Artikel geschrieben, der zu den meistgelesenen Artikeln meiner Seite gehört, obwohl (oder weil?) die Antwort damals schlicht lautete: Gar nicht.
Und das galt bis heute. Um so überraschter war ich, als ich heute im russischen Fernsehen einen Bericht über Greta gesehen habe. Natürlich habe ich ihn sofort übersetzt.
Beginn der Übersetzung:
„Willkommen in New York“. Der Willkommensgruß kam immerhin vom UN-Generalsekretär auf Twitter, und er galt keinem großen und einflussreichen Politiker, sondern einer 16-jährigen Schülerin aus Schweden.
Wer die Nachrichten verfolgt, hat wahrscheinlich schon erraten, worum es geht: Um die berühmte Greta Thunberg, eine selbsternannte Klima-Aktivistin, die es geschafft hat, sich den Ruf des vielleicht wichtigsten Phänomens unserer Tage zu erarbeiten. Immerhin hat ihre Arbeit dazu geführt, dass europäische Schüler massenhaft gegen die Klimakrise demonstrieren. Viele Zeitungen nennen sie „Mensch des Jahres“ und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie auch die nächste Friedensnobelpreisträgerin wird.
Sie ist in den USA angekommen, um an der Weltklima-Tagung der UNO teilzunehmen. Was soll man dazu sagen? Starke Leistung für eine Jugendliche.
Auf der anderen Seite sind nicht alle begeistert, es gibt auch Skeptiker. Die Berichterstattung ist viel zu allmächtig für ein so junges Mädchen. Ob das übertrieben ist und wer hinter Greta steht, hat sich meine Kollegin Varvara Nevskaja angeschaut.
Verletzlichkeit und Furchtlosigkeit sind die Eigenschaften, die bei dem Mädchen im richtigen Verhältnis zueinander stehen. Sie sieht wesentlich jünger aus als 16 Jahre, und sie hat keine Angst, nicht nur der weltweiten Öffentlichkeit entgegenzutreten, sondern auch der Natur selbst.
(Ein kurzes Video von Greta auf dem Segelboot wird eingespielt, auf dem Greta bei sichtlich schlechtem Wetter mitteilt, dass sie schon mehr als 3.000 Meilen zurückgelegt hat.)
Aus dem britischen Plymouth ins amerikanische New York über einen feindlichen Atlantik mit Stürmen und Unwettern. Insgesamt 3.316 Meilen hat sie in zwei Wochen auf einer kleinen Yacht zurückgelegt. Anders konnte sie es nicht machen, denn Greta Thunberg steigt in kein Flugzeug, weil die ja das Klima beeinflussen und CO2 ausstoßen. Und das ist schon nicht mehr ihr Wunsch, sondern die Notwendigkeit, ihrem Bild zu entsprechen.
Ihre ersten Worte in New York galten Donald Trump, der nicht an die weltweite Klimakrise glaubt: „Ein 16-jähriges Mädchen muss nicht den Atlantik überqueren, um eine offensichtliche Tatsache zu beweisen. Wenn sich jetzt nicht viele Menschen zusammentun, kann alles mögliche passieren.“
Sie spricht immer kurz und bündig, macht kleine Pausen zwischen den Worten, gerade so, als wären ihr die Gedanken eben erst gekommen und sie versucht, sie in Worte zu fassen. Jeder professionelle Politiker muss sie um jede ihrer Reden beneiden.
Greta Thunberg ist mehr als nur eine Aktivistin. Für die Anhänger einer grünen Welt ohne CO2 ist sie schon eine Ikone.
Dazu meint der Politologe und stellvertretende Chefredakteur des Fernsehsenders „Zargorod“: „Diese Mischung aus Kindlichkeit, einer gewissen Unschuld und einer Behinderung passt perfekt zu der Ikone einer solchen Bewegung, denn die kann man nur schwer kritisieren. Und der hysterische Pathos gepaart mit der Emotionslosigkeit des Mädchens ist natürlich sehr beeindruckend für viele Menschen, die sich für das Klimathema interessieren.“
Und von solchen Menschen gibt es immer mehr. Große Firmen müssen inzwischen nicht mehr die Frage beantworten, was sie produzieren, sondern wie es sich auf die Umwelt auswirkt. Diese Fragen stellt Greta selbst immer häufiger. Hier ist sie auf der Titelseite eines großen Männermagazins zu sehen, in einem strengen, schwarzen Jacket mit der Aufschrift „Könnt Ihr mich hören?“
Man hört sie nicht nur, es wird auch mit ihr gesprochen. Der Einfluss der Schwedin ist riesig, warum sollte man das nicht für Lobbyisten-Spielchen nutzen? Schließlich geht es ja auch um viel Geld.
Der Politologe Pavel Schiplin meint dazu: „Das nennt man Umwelt-Schutzgelderpressung. Da kann eine Umweltorganisation eine Firma zwingen, entweder zu spenden oder einen künstlichen Skandal über die Schädlichkeit ihrer Tätigkeit zu erleben. Das sind Räubermethoden.“
Die politischen Ziele, für die sie genutzt wird, können verschieden sein. Die linken Parteien singen Oden über das Mädchen, die rechten Parteien bezeichnen sie nicht als Phänomen, sondern als kommerzielles Projekt. Die skandinavische Presse berichtet über ihre Verbindungen zu Igmar Retzhog, einem bekannten PR-Manager. Der hat mehr als einmal öffentlich gesagt, dass er sie bei ihren Schulstreiks gefördert hat und dass er sie zum Gesicht seines Projektes „We don´t have time“ machen will. Das ist ein soziales Netzwerk, bei dem die User die ökologischen Auswirkungen von Firmen bewerten und natürlich auf deren Firmenpolitik Einfluss nehmen können.
Greta hat das Projekt zwar verlassen, aber laut Retzhog ist die Zusammenarbeit nicht beendet. Einen wirklichen Einfluss auf Umwelt oder Klima hat ihre gemeinsame Arbeit aber bisher nicht gezeigt.
Dr. Pavel Feldmann, stellvertretender Direktor des Instituts für Forschung und Prognosen sagt dazu: „Außer öffentlichen Verkündungen, die von den Massenmedien verbreitet werden, hat das Mädchen noch nichts Greifbares geleistet. Das Problem ist, dass der künstliche Hype um das Mädchen ein oder zwei Jahre dauern wird, danach wird die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf andere Themen gelenkt.“
So war es auch mit Malala Yousafzai. Die pakistanische Menschenrechtlerin hat einen Blog über das Leben unter den Taliban geführt, den die BBC aufgegriffen hat. Sie trat für Frauenrechte ein und dafür, dass Mädchen eine Ausbildung bekommen können. 2012 wurde sie von Radikalen angegriffen, 2014 bekam sie den Friedensnobelpreis und 2019 hat die Welt sie längst vergessen.
Malala und Greta machen eine wichtige Arbeit. Sie versuchen kindlich, vielleicht naiv, die Aufmerksamkeit der gleichgültigen Welt auf so einfache und gleichzeitig so schwierige Probleme zu lenken. Die Frage ist jedoch, ob die Menschen in ihrer Umgebung auch so naiv sind.
Ende der Übersetzung
Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“