Leicht über­prüfbar: Wer hinter den Demons­tra­tionen in Moskau steckt

Die Medien melden aus dem bösen „Unter­drü­ckungs­staat“ Russland, dass Teil­nehmer der Demons­tra­tionen in Moskau zu Geld- und Gefäng­nis­strafen ver­ur­teilt wurden. Was ist dran und was wird in Deutschland nicht berichtet?
Ich habe sowohl über die Gründe der Pro­teste und die erste Demons­tration vor zwei Wochen, als auch über die Demons­tration von Samstag berichtet, die Details und Hin­ter­gründe finden Sie unter den Links.
Am Samstag wurden von den ca. 3.500 Teil­nehmern der Demons­tration 1.074 fest­ge­nommen. Wobei „fest­ge­nommen“ das falsche Wort ist, denn in Russland ist die Teil­nahme an einer nicht geneh­migten Demons­tration nur eine Ord­nungs­wid­rigkeit, also wie falsch Parken. Es wurden die Per­so­nalien auf­ge­nommen und danach durften die meisten mit einem „Buß­geld­be­scheid“ wieder nach Hause gehen. In Deutschland ist die Teil­nahme an einer von den Behörden nicht erlaubten Demons­tration eine Straftat und es drohen mehr­jährige Gefängnisstrafen.
Aller­dings gilt in Russland, dass es im Wie­der­ho­lungsfall auch bis zu 30 Tage Ord­nungshaft geben kann. Aber auch das ist keine Straftat und führt nicht zu einer Vor­strafe oder einem Eintrag im poli­zei­lichen Füh­rungs­zeugnis. Da es zu erwarten war, dass einige der Demons­tranten vom Samstag nicht zu ersten Mal an so etwas teil­ge­nommen haben, war auch zu erwarten, dass einige Ord­nungshaft bekommen würden. Und bei Wider­stand gegen die Staats­gewalt kann es auch zu Straf­ver­fahren kommen, ganz genauso, wie in Deutschland.
Aber im Spiegel klingt es natürlich dra­ma­ti­scher:
„Nach den Mas­sen­fest­nahmen bei den Pro­testen in der rus­si­schen Haupt­stadt Moskau sind mehr als 40 Demons­tranten zu Arrest­strafen ver­ur­teilt worden. Bis zum späten Mon­tag­abend seien auch zahl­reiche Orga­ni­sa­toren und Kreml­kri­tiker mit hohen Geld­strafen belegt worden, berichtete der rus­sische Radio­sender Echo Moskwy.“
Hohe Geld­strafen„, das klingt dra­ma­tisch und nach Repres­sionen. Aber was ist „hoch“? Für die Teil­nahme an einer solchen nicht geneh­migten Demons­tration sieht das Gesetz eine Geldbuße von 10.000 bis 20.000 Rubel vor, das sind aktuell ca. 140 bis 280 Euro.
Das mag man als „hohe Geld­strafe“ bezeichnen. Nur dann hätte der Spiegel sich zu den Pro­testen der Gelb­westen in Frank­reich anders äußern müssen, als er es getan hat. Frank­reich hat als Reaktion auf die Gelb­westen sein Demons­tra­ti­ons­recht massiv ver­schärft, was der Spiegel aber nicht kri­ti­siert hat.
Im Februar hat die Tages­schau über diese Ver­schär­fungen des Demons­tra­ti­ons­rechts in Frank­reich geschrieben, die Behörden
„können danach Demons­tra­ti­ons­verbote gegen Teil­nehmer aus­sprechen, „die eine besonders schwere Gefahr für die öffent­liche Ordnung“ dar­stellen. Eine rich­ter­liche Grundlage ist nicht mehr not­wendig. Wer gegen das Demons­tra­ti­ons­verbot ver­stößt, muss mit sechs Monaten Haft und einer Geld­strafe von 7500 Euro rechnen. (…) Das „Anti-Ran­da­lierer-Gesetz“ ver­bietet es Demons­tranten, sich zu ver­mummen. Wer sein Gesicht trotzdem teil­weise oder ganz ver­hüllt, ris­kiert eine Haft­strafe von einem Jahr. Außerdem drohen 15.000 Euro Geldstrafe.“
Wir fassen zusammen: In Frank­reich können die Behörden jemandem ver­bieten, zu demons­trieren. Sie nehmen also – ganz ohne rich­ter­lichen Beschluss – einem Men­schen ein Grund­recht, das Grund­recht auf Ver­samm­lungs­freiheit. Die deut­schen Medien haben das nicht kri­ti­siert. In Russland gibt es eine solche Beschneidung der Grund­rechte hin­gegen nicht. Und auch die Haft- und Geld­strafen sind in Frank­reich wesentlich höher, als in Russland. Aber Kritik an Frank­reich im Zusam­menhang mit den Gelb­westen habe ich in den deut­schen Medien nicht gelesen.
Warum wird aber Russland kri­ti­siert, wenn dort die Ein­schrän­kungen des Demons­tra­ti­ons­rechts geringer sind, als zum Bei­spiel in Frank­reich und die Strafen für Ver­stöße sogar geringer sind, als in Deutschland? Von Frank­reich gar nicht zu reden.
Übrigens ver­hängen die Gerichte in Russland auch kei­neswegs immer die Höchst­strafe, wie wir ver­stehen können, wenn wir all das wissen. Im Spiegel kann man lesen:
„Der pro­mi­nente Kreml­kri­tiker Ilja Jaschin erhielt demnach zehn Tage Arrest, ein Mit­streiter von Alexej Nawalny wird 30 Tage eingesperrt.“
Ein füh­render Orga­ni­sator der Pro­teste, Ilja Jaschin, bekam nicht etwa die mög­liche Höchst­strafe von 30 Tagen, sondern nur zehn Tage.
Aber der Spiegel und andere deutsche Medien machen in ihren Artikeln den Ein­druck, dass Russland ein Unter­drü­ckungs­staat sei, was die Fakten, wie der Ver­gleich mit Frank­reich zeigt, nicht hergeben.
Aber noch mal zurück zu der Demons­tration von Samstag. Da gibt es nämlich einige Unge­reimt­heiten. Es wurden 1.074 Men­schen zur Fest­stellung der Per­so­nalien abge­führt und – laut Spiegel – ungefähr 40 davon zu Ord­nungshaft ver­ur­teilt. Was der Spiegel ver­schweigt ist, dass von den 1.074 vor­über­gehend fest­ge­nom­menen Demons­tranten ca. 600 gar nicht aus Moskau kamen, wie die Polizei nach Fest­stellung der Per­so­nalien mit­ge­teilt hat.
Das ist merk­würdig, denn angeblich ging es ja um die Mos­kauer Kom­mu­nalwahl und warum reisen zu einer Demons­tration gegen ein regio­nales Problem so viele Men­schen aus anderen Städten oder sogar Ländern an? Es wurden auch Ukrainer dabei gefilmt, wie man auf Twitter sehen kann. Und der Ukrainer sprach ganz offen davon, dass er in Russland eine Regierung haben wolle, wie in der Ukraine nach dem Maidan. Und auf die Frage, ob er keine Angst habe, von der Polizei ver­haftet zu werden, sagte er ganz locker, das wäre ja nicht schlimm und sei normal, es hätte ja keine Folgen. Angst vor einem Unter­drü­ckungs­staat klingt anders.

Und die Polizei hat anscheinend auch das Internet beob­achtet, denn die Polizei meldete, dass unter den 3.500 Demons­tranten ca. 700 Jour­na­listen und Blogger gewesen seien, die im Vorfeld ange­kündigt hatten, über die Demons­tration berichten zu wollen.
Wir haben also unter den vor­über­gehend Fest­ge­nom­menen eine Mehrzahl von zuge­reisten Demons­tranten, die mit dem offi­zi­ellen Grund der Pro­teste nichts zu tun haben und wir haben eine Demons­tration, bei der ca. 20 Prozent der Teil­nehmer Leute sind, die darüber berichten wollten, wie man auch auf Videos sehen kann, denn die Poli­zei­ak­tionen wurden von unge­zählten in die Höhe gehal­tenen Kameras und Handys gefilmt.
Wie viele sind dann übrig, die tat­sächlich betroffene Mos­ko­witer sind, die gegen die Ent­scheidung der Wahl­kom­mission demons­triert haben?
Ein wei­teres inter­es­santes Detail ist in diesem Zusam­menhang die NGO OWD (eigentlich korrekt aus dem Rus­si­schen mit „OVD“ über­setzt), über die man auch in den deut­schen Medien einiges lesen konnte. Im Spiegel zum Bei­spiel konnte man lesen:
„Die Men­schen­rechts­or­ga­ni­sation Owd-Info zählte bis in den frühen Sonn­tag­morgen 1373 Festnahmen.“
Wer ist die OVD?
Das ist nicht etwa eine unab­hängige NGO, sondern ein vom Westen gesteu­ertes Pro­pa­ganda-Instrument. Nach ihren eigenen Angaben wird die OVD von der EU-Kom­mission, der Heinrich-Böll-Stiftung und der fran­zö­si­schen Bot­schaft in Moskau finan­ziert. Und mit Bedauern stellt die OVD auf ihrer Seite auch fest, dass das National Endowment for Demo­cracy und die Open Society Foun­dation von George Soros in Russland nicht mehr tätig sein dürfen, denn diese hätten die OVD früher unterstützt.
Damit bekommen die Demons­tra­tionen in Moskau einen sehr bit­teren Bei­geschmack. Gegen ein regio­nales Problem in Moskau demons­trieren viele ange­reiste Demons­tranten, die von dem Problem gar nicht betroffen sind und es stehen mas­senhaft Blogger und Jour­na­listen dazwi­schen, die filmen wollen.

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Das erinnert stark an die Anfänge des Maidan, wo auch sofort die Blogger von „Espresso“ und „Hro­madskoe“ bereit standen und dann wochenlang die Bilder für die west­lichen Nach­richten geliefert haben. Wie man ein Jahr später, als diese Internet-TV-Sender ihre Jah­res­be­richte ver­öf­fent­licht haben, sehen konnte, wurde zum Bei­spiel Hro­madskoe kom­plett von der US-Bot­schaft in Kiew, der nie­der­län­di­schen Bot­schaft in Kiew und von Soros´ Open Society Foun­dation in Kiew finan­ziert. Und auch das NED war im Boot, weil es erstens zu 100 Prozent vom US-Außen­mi­nis­terium finan­ziert, zu dem die US-Bot­schaften gehören, und weil es zweitens ganz offen die Open Society Foun­dation in Kiew finan­ziert hat. All dies konnte man ab 2015 in den Jah­res­be­richten der Orga­ni­sa­tionen offen lesen. Ich habe das mit allen Quellen in meinem Buch über die Ukraine-Krise 2014 aus­führlich aufgezeigt.
Und wenn nun all diese für Staats­streiche bekannten Orga­ni­sa­tionen plötzlich Ver­bin­dungen zu den Pro­testen in Moskau haben, dann gilt: „Ein Schelm, wer böses dabei denkt„.
Wenn Sie sich dafür inter­es­sieren, wie Russland auf die Fragen der inter­na­tio­nalen Politik blickt, dann sollten Sie sich die Beschreibung meines Buches ansehen, in dem ich Putin direkt und unge­kürzt in langen Zitaten zu Wort kommen lasse.

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“