Die „schwarze Null“ ist keine Leistung, eine Lüge und eine große Dummheit

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Bekanntlich halte ich die „schwarze Null“ für
  • keine echte Leistung, da sie Mario Draghi, der EZB und damit vor allem der nach wie vor unge­lösten Euro­krise zu ver­danken ist (Zins­er­sparnis!);
  • eine große Dummheit, weil sie die Erspar­nisse der Deut­schen in das Ausland treibt, wo sie deutlich schlechter angelegt sind → „Der Irrsinn der Doppel-Null“  und  → „Deutschland wirt­schafte wie die Eich­hörnchen“ ;
  • eine Lüge, weil in Wirk­lichkeit die Staats­schulden explo­dierten und die Poli­tiker Leis­tungs­ver­sprechen für die Zukunft abgaben (in Gesetze gegossen!), für die aber keine Rück­stel­lungen gebildet wurden. Würde der Staat wie ein Unter­nehmen bilan­zieren, sähe man das sofort an stei­genden Lasten. → Staats­schulden: Lasst uns von Italien lernen!

Mein Fazit: Deutschland ist eben nicht das „reiche Land“, von dem die Poli­tiker und die Medien so gern sprechen (Buchtipp: →  Das Märchen vom reichen Land). Das hat der IWF kürzlich bestätigt: → IWF: Das Märchen vom reichen Land ist ein Märchen.
Doch wie komme ich zur Aussage, dass es keine Leistung und eine Lüge ist? Hier die Berechnung:
Aus­gangs­punkt aller meiner Über­le­gungen ist der Ver­gleich zum Jahr 2008. Ein Zeitraum von zehn Jahren hat eine bessere Aus­sa­ge­kraft. Ich ver­linke die Quellen wie immer am Ende.
Beginnen wir mit den Staats­ein­nahmen. Seit 2008 hat der BUND – auf den ich mich in der Dis­kussion kon­zen­trierte –, kumu­liert immerhin 277 Mil­li­arden Euro zusätzlich Steuern ein­ge­nommen. Das ist die Summe der Ein­nahmen, die über dem Niveau von 2008 liegen:

Quelle: Bundesrechnungshof
Kurz zur Berechnung: Ich habe für jedes Jahr die Dif­ferenz zum Aus­gangsjahr 2008 genommen (Bei­spiel 2009: 227,8 – 239,2 = ‑11,4) und über alle Jahre die Summe gebildet. Erste Aussage: Der Staat hat deutlich mehr ein­ge­nommen. Das hat mit der guten Kon­junktur zu tun, liegt aber auch daran, dass die Steuer- und Abga­ben­quote nach oben gegangen ist: 
Quelle: OECD
Der Anstieg der Steu­er­quote kommt vor allem Ländern und Kom­munen zugute.

Quelle: OECD
Fakt bleibt aber, dass die Poli­tiker in den ver­gan­genen zehn Jahren 277 Mil­li­arden zusätzlich hatten. Doch was haben sie damit gemacht? Schulden getilgt, würde man denken. Doch auch hier droht eine Enttäuschung:


Quelle: Sta­tis­ti­sches Bundesamt
Ende des dritten Quartals sind die Schulden des Bundes nach Sta­tis­ti­schem Bun­desamt auf 1.226 Mil­li­arden gesunken. Die Schulden des Bundes liegen damit immerhin um 240 Mil­li­arden über dem Stand von 2008! Das liegt vor allem auch an den enormen Auf­wen­dungen im Zuge der Finanz­krise (Ban­ken­ret­tungs­fonds etc.). Aber nicht nur. Die Schulden des Bundes sinken seit 2014. Bis jetzt um rund 63 Mil­li­arden Euro. Dies ent­spricht ungefähr der Zins­er­sparnis von zwei Jahren. Dazu kommen wir aber noch.
Schauen wir uns an, wie die Politik das Geld in den letzten zehn Jahren ein­setzte. Keine Angst vor den vielen Zahlen, ich gehe im Detail darauf ein.

Quelle: Bundesrechnungshof
Halten wir fest (immer berechnet wie oben mit den Steuereinnahmen):

  • Die Gesamt­aus­gaben des Bundes stiegen in den zehn Jahren um 280 Mil­li­arden Euro.
  • Die Zins­aus­gaben des Bundes sanken um 136 Mil­li­arden Euro. Das ist wichtig, weil dieses Geld nun für andere Zwecke zur Ver­fügung stand.
  • Die Auf­wen­dungen für den Arbeits­markt sanken kumu­liert um 46 Mil­li­arden. Auch dieses Geld wurde jetzt für andere Zwecke frei.
  • In Summe hatten die Poli­tiker also eine „Ver­tei­lungs­masse“ von rund 460 Mil­li­arden Euro (!!!) in diesen zehn Jahren. Nicht schlecht.

Bevor ich darauf eingehe, wie die Politik mit dem Geld umge­gangen ist, rufen wir uns in Erin­nerung, dass diese Haus­haltslage die Folge von Son­der­fak­toren ist. Die unge­löste Euro­krise zwingt die EZB zur Politik bil­ligen Geldes. Dieses billige Geld führt zu:

  • einem Nach­fra­geboom in Deutschland, weil die Zinsen gerade für uns zu tief sind;
  • einer Sta­bi­li­sierung der Nach­frage in den anderen Euro­ländern, die deshalb wei­terhin bei uns einkaufen;
  • einem schwachen Euro im Ver­gleich zu den anderen Wäh­rungen der Welt, was unsere export­lastige Industrie massiv befeuert.

Kurz gefasst: Es kam zu einem Kon­junk­turboom und ent­spre­chenden Steu­er­ein­nahmen. Umge­kehrt sind die Zins­aus­gaben des Staates deutlich gesunken, eben­falls als Folge der EZB-Politik.
Die Situation ent­spricht jener eines Lot­terie-Gewinners. Wir haben ein­malig viel Geld zur Ver­fügung und wissen, dass diese Situation nicht ewig andauern kann. Wenn man 1.000 Euro gewinnt, gönnt man sich etwas, spart viel­leicht etwas, zahlt womöglich Schulden zurück. Was man aber auf keinen Fall macht, ist, in eine neue Wohnung zu ziehen, die 1.000 Euro pro Monat mehr kostet. Weil man weiß, dass man sich die eben nur leisten kann, wenn man wei­terhin jeden Monat 1.000 Euro im Lotto gewinnt.
Problem: Unsere Poli­tiker denken, sie könnten wei­terhin im Lotto gewinnen. Und zwar für die kom­menden Jahr­zehnte! Denn so wurden die 460 Mil­li­arden verwendet:

  • Immerhin rund 100 Mil­li­arden wurden zusätzlich an die Ren­ten­kasse über­wiesen und eine weitere Stei­gerung der Zuschüsse ist ange­sichts der jüngsten Ren­ten­be­schlüsse der Großen Koalition unver­meidbar. Schon bald dürfte fast ein Drittel des Bun­des­haus­halts für die Rente ver­wendet werden.
  • Wenig the­ma­ti­siert werden die deutlich anwach­senden Zuschüsse zur gesetz­lichen Kran­ken­ver­si­cherung. In Summe wurden hier eben­falls rund 100 Mil­li­arden Euro zusätzlich auf­ge­wendet, vor allem um soge­nannte „ver­si­che­rungs­fremde“ Leis­tungen zu finanzieren.
  • Gestiegene Leis­tungen für Familien mit kumu­liert rund 15 Mil­li­arden Euro fallen da kaum noch ins Gewicht.
  • Den größten Zuwachs weisen mit über 117 Mil­li­arden die „rest­lichen Aus­gaben“ auf. Dahinter ver­stecken sich Zuwei­sungen und Zuschüsse an Son­der­ver­mögen, die zum Bei­spiel künftige Aus­gaben in Bereichen des Kli­ma­schutzes, der Kin­der­be­treuung und der Inte­gration von Migranten decken sollen. Allein 2017 wurden für die „Auf­nahme und Inte­gration von Asyl­su­chenden und Flücht­lingen ein­schließlich der Flucht­ur­sa­chen­be­kämpfung“ 20,8 Mil­li­arden Euro ausgegeben.
  • Die ver­blei­benden Mehr­aus­gaben im Zeitraum seit 2008 ent­fallen auf Inves­ti­tionen (50 Mil­li­arden), Per­sonal (26 Mil­li­arden), den Euro­päi­schen Ret­tungs­fonds ESM (22 Mil­li­arden) und neue Aus­rüstung für die Bun­deswehr (4 Mil­li­arden). (Da wundert man sich nicht, dass nichts mehr fährt, fliegt und schwimmt …)
Die dar­ge­legten Aus­ga­ben­stei­ge­rungen sind über­wiegend keine Ein­mal­zah­lungen, sondern in Gesetz gegossene nach­haltige Ver­pflich­tungen. Während die Grund­lagen für unseren künf­tigen Wohl­stand ero­dieren – Infra­struktur, Digi­ta­li­sierung, Bildung – berau­schen die Poli­tiker sich und die Öffent­lichkeit am Märchen vom reichen Land, das sich alles leisten kann. Dass diese Illusion weiter anhält, erkennt man auch an der Tat­sache, dass zusätz­liche Kosten von 40 bis 80 Mil­li­arden Euro für den Koh­le­aus­stieg schul­ter­zu­ckend zur Kenntnis genommen werden. Auch dies fällt in die Kate­gorie „Konsum“, trägt der Aus­stieg doch nicht zur Sicherung künf­tiger Ein­kommen in Deutschland bei. (Die ZDF Sati­re­sendung heute SHOW rechnete übrigens vor, dass wir für 20 Mil­li­arden Euro jedem der im Koh­le­bergbau Tätigen eine Million über­weisen könnten. Wenn Sati­re­sen­dungen erkennen, was für einen Wahnsinn wir hier betreiben, warum können das nicht unsere Politiker?) 
Laut Trag­fä­hig­keits­be­richt zu den öffent­lichen Finanzen müssten ab sofort zwi­schen 36 Mil­li­arden und 115 Mil­li­arden Euro pro Jahr zusätzlich gespart werden, um die finan­zi­ellen Folgen der demo­gra­fi­schen Ent­wicklung, also stei­gender Gesundheits‑, Pflege- und Ren­ten­kosten bei gleich­zeitig sin­kender Zahl der Bei­trags­zahler, auf­zu­fangen. Die Politik macht bekanntlich das Gegenteil. Sie ver­spricht einer Bevöl­ke­rungs­gruppe Zah­lungen, die eine andere Bevöl­ke­rungs­gruppe (zum Teil sind es die­selben Per­sonen) finan­zieren muss. Opti­mis­tisch gerechnet ist der Netto-Wohl­stands­effekt für unser Land null. Was die einen gewinnen, ver­lieren die anderen. Fak­tisch ist der Effekt, der mit dieser Umver­teilung beschäf­tigten Büro­kratie negativ, ist die Umver­teilung doch auch mit erheb­lichen Inef­fi­zi­enzen und Kosten ver­bunden.
Eine Politik, die den Wohl­stand einer alternden Gesell­schaft sichern und so die Ver­tei­lungs­kon­flikte lösbar machen will, muss dafür sorgen, dass der zu ver­tei­lende Kuchen in Zukunft nicht schrumpft, sondern zumindest so groß bleibt, wie er ist. Richtig wäre es: 
  • künftig für höhere Ein­nahmen zu sorgen, in dem man die Pro­duk­ti­vität und damit das Ein­kommen pro Kopf der erwerbs­tä­tigen Bevöl­kerung erhöht. Dazu muss man in Bildung, Inno­vation und den Kapi­tal­stock inves­tieren. Die Poli­tiker in Berlin tun das Gegenteil.
  • die Belastung der Bei­trags­zahler ansonsten so gering wie möglich zu halten. Auch hier erfolgt das Gegenteil. Man denke an die Ener­gie­wende, die bereits zu den höchsten Strom­preisen in Europa geführt hat und nun mit dem Koh­le­aus­stieg noch teurer wird.
  • für mehr Bei­trags­zahler zu sorgen, indem man qua­li­fi­zierte Zuwan­derer anlockt, die im Schnitt min­destens so viel oder mehr ver­dienen, wie die bereits jetzt hier lebende Bevöl­kerung. Dies gelingt heute nicht.
  • für weniger Emp­fänger zu sorgen, indem man die Zuwan­derung in das Sozi­al­system kon­se­quent ver­hindert. Hier ver­folgt unsere Politik das genaue Gegenteil.
  • die Bezugs­dauer der Leis­tungen zu redu­zieren und die Bei­trags­zah­lungen zu erhöhen, indem man das Ren­ten­ein­tritts­alter erhöht. Genau das Gegenteil wurde in den letzten Jahren gemacht.

Übrigens: Das Armuts­risiko ist bei den Alten deutlich tiefer als bei den Jungen (hier die Zahlen 2008–2017). Aber sie haben halt mehr Anteil an den Wählern:

Quelle: Sta­tis­ti­sches Bundesamt

Fazit also: Es ist ein­deutig keine Leistung (Steu­er­ein­nahmen, Zins­er­sparnis, weniger Kosten für Arbeits­lo­sigkeit). Und es ist eine Lüge, weil die sauber berech­neten Schulden immer weiter gewachsen sind. 
Die Dummheit habe ich oft dis­ku­tiert und will es heute nicht wie­der­holen. Kurz gefasst führt die „schwarze Null“ zu einem Export der Erspar­nisse ins Ausland. Das ist aber keine gute Stra­tegie, legen wir doch unser Geld tra­di­tionell sehr schlecht an: Während etwa die Ame­ri­kaner auf ihren Aus­lan­d­enga­ge­ments eine nominale jähr­liche Rendite von 10,6 Prozent ein­ge­strichen haben, kam Deutschland gerade mal auf 4,9 Prozent. Auch im Ver­gleich mit euro­päi­schen Ländern hat Deutschland einen Rück­stand von 3 Pro­zent­punkten. Aus­führlich hier besprochen: → Deutschland ver­schleudert seine Erspar­nisse im Ausland
Der zweite Teil der Dummheit sind die mit den Erspar­nis­über­schüssen ein­her­ge­henden Export­über­schüsse, die ent­spre­chende Gegen­re­ak­tionen der Han­dels­partner – Donald Trump – heraufbeschwören! 

Was sollten wir statt­dessen tun?
Wir ver­folgen eine merk­würdige Politik. Alles wird dar­an­ge­setzt, die explizite Staats­schuld zu senken, während gleich­zeitig die implizite Staats­schuld immer mehr aus dem Ruder läuft. Dabei sollten wir genau das Umge­kehrte machen. Wir müssen die implizite Staats­schuld senken und die explizite erhöhen.

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Wir brauchen keine höhere Steuer für „Reiche“, wir brauchen keine Abschaffung der Abgel­tungs­steuer, keine höhere Erb­schafts­steuer und auch keine Ver­mö­gens­steuer. Wir brauchen Unter­nehmen die mehr inves­tieren – oder eben, wenn sie es nicht tun, mehr Steuern zahlen – und einen Staat, der mehr ausgibt. Und zwar für alles:
  • für eine breite Ent­lastung der Steuerzahler;
  • für eine Inves­ti­ti­ons­of­fensive in Infra­struktur von Straßen bis zu schnellem Internet;
  • für eine Bil­dungs­of­fensive, um die nächste Gene­ration fit zu machen für die Industrie 4.0;
  • für die Kor­rektur sozialer Pro­bleme, vor allem wie­derum der Ver­bes­serung der Chan­cen­gleichheit durch bessere Bildung für alle.

Das Geld dafür ist da und es ist allemal besser, es im Inland aus­zu­geben, als es im Ausland zu verlieren.
Runter mit der impli­ziten Staatsschuld
Damit würden wir das nach­haltige Wachs­tums­po­tenzial Deutsch­lands stärken und auch die implizite Staats­schuld redu­zieren und besser tragbar machen. Genügen würde es aller­dings nicht. Die Poli­tiker müssten sich an eine echte Reform machen, um die ver­deckten Staats­schulden in Form von unfi­nan­zier­baren Ver­sprechen für Renten, Pen­sionen und Gesund­heits­ver­sorgung zu redu­zieren. Deutlich höhere Ren­ten­ein­tritts­alter, geringere Ren­ten­ni­veaus, mehr Eigen­be­tei­ligung bei der Vor­sorge sind die Stichworte.
Unpo­pulär, aber ohnehin unab­dingbar, sind diese Ein­griffe. Ent­lastet der Staat die Bürger heute und legt zugleich die Grund­lagen für künf­tigen Wohl­stand, indem er inves­tiert, wäre die Chance gegeben, diese Reformen auch poli­tisch durch­zu­setzen. Heute kas­teien wir uns mit den lau­fenden Aus­gaben und laden uns untragbare Lasten für die Zukunft auf. In der Zukunft sollten wir das Gegenteil machen.

Und hier die Quellen:
OECD zu der Abgabenbelastung:
OECD Revenue Sta­tistics 2018
Bundesrechnungshof:
→ Fest­stel­lungen zur finanz­wirt­schaft­lichen Ent­wicklung des Bundes