Fast auf den Tag 31 Jahre ist es her, dass der Spiegel titelte: „Wie absurd — Hamburger Richter müssen in Kürze entscheiden, ob Nordsee-Robben gegen den Bonner Verkehrsminister Jürgen Warnke klagen dürfen. Naturschützer erwarten einen Prozess von rechtshistorischer Bedeutung.“
Damals stand die Entscheidung darüber an, ob eine 200 Seiten dicke Klage gegen die „Einbringung von Abfallstoffen auf hoher See“ einer Koalition durch acht große Umweltverbände rechtlich überhaupt zulässig sei. Verklagt wurde Bundesverkehrsminister Jürgen Warnke, weil das ihm unterstehende Deutsche Hydrographische Institut verschiedenen Chemie- und Entsorgungsfirmen seit Jahren erlaubt hatte, giftige Substanzen aller Art, wie Titandioxid, Dünnsäure und PCB-haltige Abfälle in der Deutschen Bucht zu entsorgen (darunter die „Westdeutsche Abfallbeseitigungsgesellschaft mbH“ in Duisburg, die „Bayer AG“ in Leverkusen, die „Kronos Titan“ im niedersächsischen Nordenham und die „Deutsche Solvay-Werke GmbH“ im nordrhein-westfälischen Rheinberg). Dadurch war der Bestand an Seehunden in den deutschen und niederländischen Gewässern auf 20% kollabiert. Die Verbandsanwälte betrachteten es als einen Missstand, dass nach bisheriger Rechtslage weder sie noch die Naturschutzverbände noch die Seehunde klagebefugt seien und es überdies im Entsorgungsgebiet auf hoher See keine klagebefugten, menschlichen Anwohner gebe. Daher müsse das Gericht den die Allgemeinheit stellvertretenden Verbänden dennoch eine Klagebefugnis erteilen, da sonst keinerlei gerichtliche Entscheidung in dieser Sache möglich sei. Ein immenser Schaden für Natur, Tierwelt und Menschen aber sicher. Da es um das Überleben einer ganzen Tierart gehe, sei im Übrigen auch die Lebensgrundlage des Menschen im Allgemeinen gefährdet.
Das Gesetz betrachtet die Natur jedoch nicht als eine zur Klageführung fähige Persönlichkeit, sondern als eine Sache. Genauso, wie die Seehunde und andere Tiere, auch Pflanzen eine „herrenlose Sache“ sind. Und so kommentiert der Spiegel seinerzeit süffisant:
„Als ‚wild lebende Tiere‘ seien die Seehunde ‚nicht der Rechtsordnung der Bundesrepbulik Deutschland unterworfen‘, weil sie im ‚Küstenmeer oder außerhalb der Hoheitsgrenze‘ leben. Die Umwelt-Advokaten beantragten, Verbände und Stiftungen als ‚Prozesspfleger‘ für die sprach- und staatenlosen Flossenfüßler weit draußen im verseuchten Meer zu bestellen. ‚Es dürfte Schwierigkeiten bereiten‘, erkannten die Rechtsvertreter, ‚eine schriftliche Vollmacht vorzulegen‘.“
Die Klage wurde erwartungsgemäß als unzulässig abgewiesen.
Damit war aber das Thema nicht vom Tisch. Mittlerweile gibt es unterschiedliche Möglichkeiten für Verbände, Klage zu erheben, insbesondere im Umweltrecht. Aber immer noch ist es nur möglich – auch für Verbände – zu klagen, wenn der „Individualrechtsschutz“ greift. D. h., nur jemand, der geltend machen kann, dass er durch eine Maßnahme, wie einen staatlichen Verwaltungsakt, in seinen eigenen Rechten verletzt wird, kann Klage erheben. Das „subjektive Recht“ ist der Schutz, der dem Individuum vom Rechtssystem zur Verteidigung seiner berechtigten Interessen gegen die Macht des öffentlichen Rechtes gegeben hat.
Ein Umweltschutzverband kann daher von klageberechtigten Individuen ermächtigt werden, als Stellvertreter für alle zu agieren. Es müssen aber berechtigte Kläger vorhanden sein. Deshalb suchen Umweltverbände, die zum Beispiel Zug- oder Stromtrassen verhindern wollen, Bürger, die in dem Areal ein Grundstück besitzen. Finden sie niemanden, erwerben sie manchmal selbst ein „Sperrgrundstück“, (in Süddeutschland auch gern „Schikanierzwickel“). Das führt allerdings nicht immer zum Erfolg:
„Wenn in Deutschland ein Sperrgrundstück bspw. von einem Naturschutzverband nicht direkt zur Nutzung gekauft, sondern nur um die Verfahrensbeteiligung in einem Planungsverfahren zu erzwingen, kann dieser Kauf als rechtsmissbräuchlich beurteilt werden und damit die Klagebefugnis für eine Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss entfallen.“
Verbände, vor allem Naturschutz und Umweltschutzverbände, die eine behördliche, förmliche Anerkennung besitzen, können gegen behördliche Entscheidungen Rechtsmittel (Widerspruch, Klage) einlegen. Dabei müssen sie sich auf das jeweilige Landes-Naturschutzgesetz berufen. Das Verbandsklagerecht ist im Bundesnaturschutzgesetz verbindlich geregelt, entspricht aber denselben Regeln, wie für Einzelpersonen.
So sinnvoll dieses Verbandsklagerecht auch ist, es kann missbraucht werden — und wird es auch, wie Menschen es immer machen, wenn sie die Möglichkeit haben.
Aktuelle Beispiele finden sich viele. Ständig werden Infrastrukturprojekte behindert oder unmöglich gemacht. Oft zu Recht und im Sinne des Naturschutzes und der Umwelt, wie in Thüringen der Protest gegen die Windparks, die zusätzlich noch zu Autobahn‑, Stromtrassen und ICE-Trassen die Landschaft zerstören und riesige Umweltschäden anrichten.
Andererseits gibt es aber auch die DUH (Deutsche Umwelthilfe), die mit selbst unter Fachmedizinern umstrittenen, angeblichen höheren Todesraten durch Diesel-Feinstaub die Innenstädte für Diesel, aber eigentlich für alle Verbrennungsmotor-Fahrzeuge, dicht machen wollen. Interessanterweise hat das die Politik nie besonders interessiert, bis die DUH tatsächlich verantwortlichen Politikern drohte, sie in Beugehaft nehmen zu wollen. Plötzlich gehen in der Politikerriege die Köpfe ruckartig hoch und man beginnt, über eine Reform der Verbandsklagen nachzudenken.
Die DUH ist als klageberechtigter Verband registriert und darf Verstöße gegen den Umweltschutz gerichtlich bekämpfen, sie kann sogar gegen Verbraucherschutz-Verstöße juristisch vorgehen, was sie auch ausgiebig tut und sich so den Ruf eines Abmahnvereins zugezogen hat. Im Falle eines solchen Verhaltens hat der Verband schlechte Karten, denn Prozesse und Abmahnungen dürfen nicht der Geschäftszweck des Verbandes sein. Außerdem sind nur Verbände klageberechtigt, die weniger als fünf Prozent ihrer Gelder von Unternehmen bekommen, die DUH bestreitet ihren Finanzbedarf aber zu 23% aus Unternehmenszuwendungen.
Es ist auch bekannt, dass bei der Sabotage von Infrastrukturprojekten so ziemlich alle Tricks angewendet werden. Man kann Baumaßnahmen wunderbar verhindern, indem man (vorher platzierten) Kot irgendwelcher bedrohter Tierarten feststellt und dokumentiert, die sich just auf diesem Grundstück aufhalten. Es hat schon Fälle gegeben, wo wegen eines einzigen Tieres ein wichtiges Bauvorhaben gestoppt wurde. Dann hat der Fuchs das kostbare Tierchen gefressen.
Andererseits sind solche Verbandsklagen ein scharfes Schwert in der Hand der Bürger, um sich gegen Willkür und unsinnige, ja schädliche Pläne – meist auf Betreiben von Konzernen — zu wehren, wie die Windparks mitten in intakten Wäldern und geschützten Naturräumen Mecklenburg-Vorpommerns und Thüringens.
Nun nimmt aber die Politik das dreiste Verhalten der DUH zum Anlass, die Axt an diese Möglichkeit der Bürger zur Selbstverteidigung zu legen. Das Handelsblatt berichtet:
Der FDP-Fraktionsvize Michael Theurer fordert indes eine „kritische Evaluation“ des Verbandsklagerechts – auch wegen klagefreudiger Verbände wie der Deutschen Umwelthilfe (DUH). „Die Abmahn- und Klageindustrie muss auf ein vernünftiges Maß geschrumpft werden“, sagte Theurer.
Die Unternehmen fordern daher vehement Sicherheit und planungsrechtliche Änderungen, um schneller durch die Planverfahren zu kommen um eine Überalterung der Infrastruktur zu vermeiden und dadurch Wettbewerbsnachteile zu erleiden. Einheitliche und digitale Verfahren müssten her und klare und vertretbare Regelungen im Umwelt- und Naturschutz.
Nordrhein-Westfalen preschte schon vor. Im Dezember 2018 meldete top agrar online:
„Nach Auswertung der Praxiserfahrungen der Behörden mit dem Verbandsklagerecht in Nordrhein-Westfalen kommt das Agrarministerium zu dem Schluss, dass sich die Erwartungen an das Klagerecht nicht erfüllt haben. Das Gesetz verursache nur unnötige Bürokratie. Der Landtag hat das Klagerecht daher am Mittwoch abgeschafft.“
Doch grau ist alle Theorie und bunt des Lebens Vielfalt. Wenn ein Wust an detaillierten Vorschriften entworfen und ausgehandelt wird, werden sich Industrie, Politik, Naturschutzverbände und Juristen jahrelang streiten. Das verzögert alles noch mehr als es jetzt schon der Fall ist. Und wir sollten uns nichts vormachen: Am allerersten werden die Rechte des Bürgers, sich gegen Wahnsinnsprojekte zu wehren, dem Krieg zum Opfer fallen. Man kann sowieso nicht mit Richtlinien erfassen, was der Realität so alles einfällt. Wenn Unternehmen, Politiker, Ökonomen, Naturschützer und Bürger sich vernünftig zusammensetzen und eine Lösung finden würden, wäre das die beste Möglichkeit. Wenn auch, in Anbetracht der menschlichen Natur, eine unwahrscheinliche.
Eigentlich sollte es Sache von vernünftigen Richtern sein, in einem solchen Fall ein gerechtes Urteil zu fällen. Aber auch das ist kaum zu erwarten.
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