In Russland blickt man ungläubig auf das, was im Westen bei den Themen im Westen vor sich geht. Immer wieder berichtet das russische Fernsehen über die Blüten, die westliche Debatten dabei treiben. Egal, ob beim Thema Gender, beim Thema Me-Too-Debatte, beim Thema Gleichstellung oder beim Thema Sprachverbote durch Political Correctness. All das gibt es in Russland nicht und nach solchen Berichten sprechen mich immer wieder Freunde völlig ungläubig an und fragen, ob diese Dinge im Westen tatsächlich so stattfinden, wie es in Russland berichtet wird. Was soll man nach diesem Bericht des russischen Fernsehens auf solche Fragen antworten?
Ich habe den Bericht des russischen Fernsehens übersetzt.
Beginn der Übersetzung:
Zu den Nachrichten aus der Welt der Kultur. Kultur ist ein Spiegelbild der Veränderung, von zivilisatorischen Verschiebungen.
In diesen Tagen finden die ältesten Filmfestspiele der Welt statt, das Venezianische Kinofestival. Wie kein anderes spiegelt es die Veränderungen kultureller Prioritäten wider. Gegründet wurde es vom faschistischen Diktator Mussolini und überlebte verschiedenste Zeiten. Zunächst wurden die Filme in Venedig mit dem Mussolini-Pokal ausgezeichnet und die besten Schauspieler und Schauspielerinnen wurden mit der Großen Goldmedaille der Nationalen Faschistischen Vereinigung für Unterhaltung ausgezeichnet. Jetzt haben sich die Zeiten geändert und der Hauptpreis ist der Goldene Löwe. Aber vor kurzem tauchte auch ein bunter Löwe auf. Es wird für die besten Leistungen bei der Förderung der LGBT-Gemeinschaft und der Queeren Kultur verliehen.
Der rote Teppich des Festivals sah jedoch recht traditionell aus. Frauen waren Frauen und Männer waren Männer. Das ist etwas Neues in unserer Zeit.
Filmstars und Models kamen so zahlreich nach Venedig, dass einige sogar hinter vorgehaltener Hand flüsterten, dass nun das italienische Venedig und nicht das französische Cannes das Zentrum des europäischen Films und das wichtigste Festival Europas wird.
Allerdings fehlte auf dem roten Teppich der große Regisseur und Gewinner aller möglichen weltweiten Filmpreise, Roman Polanski. Sein Film „J’accuse“ über den Fall Dreyfus fiel im Wettbewerb durch und Polanski selbst war beim Festival eine Persona non grata, denn vor 42 Jahren verführte er im Haus des Schauspielers Jack Nicholson ein 13-jähriges Model. Polanski hat sich schon vor langer Zeit schuldig bekannt, alles bereut und einen Deal mit dem Staatsanwalt gemacht, aber die Mode der letzten Zeit scheint ihn zu einem lebenslang Geächteten zu machen. Der jüdische Junge Polanski, der von den Deutschen im Krakauer Ghetto eingesperrt wurde, der von den Nazis als Zielscheibe für Erschießungen benutzt wurde, fühlt sich heute, mit 86 Jahren, wieder als Zielscheibe.
Unterdessen reiht die amerikanische Presse am Vorabend des Prozesses wegen Belästigung und Vergewaltigung gegen einen anderen Multi-Oscar-Produzenten – Harvey Weinstein – eine weitere Dame in die Reihe seiner Anklägerinnen ein. Es ist bereits jedem klar, dass die Verfahren gegen ihn eines nach dem anderen wie Kartenhäuser zusammenstürzen, aber um die Anschuldigungen zu unterstützen und offensichtlich um Druck auf das Gericht auszuüben, wurde nun der Film „Being Harvey Weinstein“ veröffentlicht. Übrigens läuft er auch und in Russland. Die Schöpferin ist Ursula MacFarlane, eine mittelmäßige britische Regisseurin.
Als Ursula die Aussagen von Weinsteins angeblichen „Opfern“ sammelte, auch von denen, deren Anschuldigungen vor Gericht als unbegründet zurückgewiesen worden sind, legte Ursula eine Spur aus Brotkrumen, indem sie leere Hotelzimmer filmte und das Ergebnis nun als die Wahrheit verkauft. Die Tatsache, dass es sich um einen Dokumentarfilm ohne Dokumente handelt, wirkt sogar irgendwie lustig. Zumindest gemäß einer Kritik aus der russischen Zeitung „Kommersant“: „Die Vereinigten Staaten haben die sowjetischen Erfahrungen von Propaganda-Kampagnen übernommen, wenn die Behörden Parasiten oder Chaoten den Krieg erklären und die Behörden dann selbst den Plan durch Parasitentum und Chaos übererfüllen.“
Jetzt übererfüllen die US-Medien, sowohl Printmedien, als auch andere, den Plan bei der Bekämpfung der Männer. Was jetzt offen geschieht, hat vor zwanzig Jahren die russische Kunstgruppe „AES+F“ prophezeit. Übrigens findet gerade eine Ausstellung ihrer Werke im St. Petersburger Museum „Manege“ statt. Hier sehen wir eine Auswahl: Männer werden gerädert, gefoltert und gekreuzigt. Interessant anzuschauen, nicht wahr? Das schwache Geschlecht ist heutzutage gar nicht mehr so schwach.
In Amerika ist es jetzt in Mode, mit Stars so zu verfahren. Und das Fließband muss ständig neue Opfer liefern. Der berühmte spanische Tenor Placido Domingo, der seit den 80er Jahren an der Oper von Los Angeles gearbeitet hatte, kam da gerade recht. Im August haben Placido Domingo acht Sängerinnen und eine Tänzerin im Chor Belästigung in den vergangenen 40 Jahren vorgeworfen. Nur eine der Anklägerinnen nannte ihren Namen, der Rest ist noch anonym. Und keine will Anzeige erstatten oder vor Gericht ziehen, aber Domingos Konzerte im Rahmen der amerikanischen Tournee wurden – ganz in sowjetischer Manier – bereits in San Francisco und Philadelphia abgesagt. Allerdings wurde diese Mode in Europa noch nicht ganz übernommen. Immerhin bekam Domingo nach einem Auftritt in Salzburg kürzlich zehn Minuten Standing Ovations. Und als Domingo zum ersten Mal auf die Bühne kam, begrüßte ihn das österreichische Publikum auch mit Standing Ovations. Vorher haben schon die Opern von Madrid, Valencia und andere Theater in Europa Unterstützung für Domingo bekundet.
Obwohl, die Beziehungen zwischen den Geschlechtern sind auch in der Alten Welt ein heißes Eisen. So wird das Filmfestival von Venedig wegen der geringen Anzahl von Regisseurinnen kritisiert. Und tatsächlich gibt es im Wettbewerbsprogramm nur zwei davon. Eine, Haifa al-Mansour, ist aus Saudi-Arabien. Aber es sind trotzdem nur zwei. Moderner sind da die Filmfestspiele von Cannes, die sich in diesem Frühjahr verpflichtet haben, bei der Gleichstellung der Geschlechter viel weiter zu gehen. Von nun an wird es die gleiche Anzahl von Frauen und Männern unter den Regisseurinnen und in den Jurys geben.
Und jetzt findet sich der gleiche Trend bereits in den Naturwissenschaften. Programmiererinnen haben am Vorabend einer internationalen IT-Konferenz in der deutschen Stadt Dresden aufgeschrien. Immerhin stellte sich heraus, dass bei der für Anfang Oktober geplanten Konferenz nur 39 von 250 Bewerber angenommen wurden, alles Männer. Als sich herausstellte, dass alle Männer auch noch weiß waren, brach ein wilder Skandal aus: Unter den Rednern war keine einzige Frau und wo waren eigentlich „Farbige“? Als sich keine Minderheiten unter den Teilnehmern fanden, wurde der Druck auf die Organisatoren so groß, dass die IT-Konferenz in Dresden einfach abgesagt wurde.
Hier lernen wir, wie Kultur die Wissenschaft beeinflussen kann. Sogar die Naturwissenschaft. Was soll man da noch über andere Felder sagen…
Ende der Übersetzung
Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.