Wie das rus­sische Fern­sehen über die Wahlen in Ost­deutschland und den Höhenflug der AfD berichtet

Die rus­sische Sendung „Nach­richten der Woche“ hat sich am Sonntag mit den Wahlen in Sachsen und Bran­denburg und der poli­ti­schen Lage in Deutschland beschäftigt.
Da ich es immer inter­essant finde, wie der Blick von außen auf den deut­schen Polit-Zirkus aus­sieht, habe ich den Beitrag des rus­si­schen Fern­sehens über­setzt. Zumal ich finde, dass der rus­sische Deutschland-Kor­re­spondent oft sehr tref­fende Ana­lysen und Kom­mentare zur Politik in Deutschland und der EU liefert.
Beginn der Übersetzung:
In der deut­schen Politik gibt es Pro­zesse, wenn auch nicht so dra­ma­tische wie in Groß­bri­tannien, die aber auch die Lage, die Situation im Land und auf dem gesamten Kon­tinent radikal zu ver­ändern können. Jetzt gilt die ganze Auf­merk­samkeit den Land­tags­wahlen in Ost­deutschland, in den Ländern Sachsen und Bran­denburg. Am 1. Sep­tember wurden dort die Regio­nal­par­la­mente gewählt. Das wich­tigste Ergebnis ist der zweite Platz der „Alter­native für Deutschland“, der äußerst rechten poli­ti­schen Partei der Euro­skep­tiker, die sich gegen die Migra­ti­ons­po­litik von Angela Merkel wendet. Aber hört Berlin die Stimme des Volkes im Osten es Landes?
Andreas Kalbitz ist kein großer, aber ein ath­le­tisch aus­se­hender Mann mitt­leren Alters und ehe­ma­liger Fall­schirm­jäger der Bun­deswehr. Man sollte nicht denken, dass so ein Mann einen Body­guard braucht, um in Potsdam spa­zieren zu gehen, aber es ist so. Die liberale Presse Deutsch­lands bezeichnet Kalbitz als Poli­tiker mit rechts­extremen Ansichten. Im Land Bran­denburg belegte die Partei Alter­native für Deutschland bei den Wahlen mit mehr als 23 Prozent den zweiten Platz.
„Wir sind nicht auf den Osten beschränkt, wir sagen nicht: Wir ´finden den Osten so gut, dass wir ihn ein­zäunen wollen, während das Ruhr­gebiet unter der Isla­mi­sierung leidet. Das ist nicht unser Ansatz. Die „Alter­native für Deutschland“ steht für die Einheit unseres Landes, wir wollen uns an der Bun­des­po­litik betei­ligen. Wir wollen kein Stück Kuchen. Wir wollen die Bäckerei“ sagte Kalbitz.
Bei den par­allel statt­fin­denden Wahlen in Sachsen erzielte die „Alter­native“ ein noch beein­dru­cken­deres Ergebnis: fast 28 Prozent. In den letzten vier Jahren hat sich die Popu­la­rität der Partei ver­drei­facht. Ja, in Sachsen und Bran­denburg behalten die Regie­rungs­par­teien die Macht und sie sind unendlich glücklich darüber, aber das ist die Freude eines zum Tode Ver­ur­teilten, dessen Urteil im letzten Moment auf Arbeits­lager geändert wurde. Wie man weiter regieren kann, ist unklar: Die „Alter­native“ hat ihnen mit den schmerz­lichen Themen der Migra­ti­ons­krise, die gerade ihren vierten Geburtstag feiert, und der schlechten sozialen und wirt­schaft­lichen Lage im Osten im Ver­gleich zum Westen, rie­sigen Schaden zugefügt.
„Wir Deut­schen geben pro Jahr zwi­schen 50 und 100 Mil­li­arden Euro für die illegale Migration aus. Das Geld kann nicht mehr für soziale Pro­jekte im Land ver­wendet werden. Wir haben 750.000 ältere Men­schen, die unterhalb der Armuts­grenze leben, sie sind gezwungen, zu arbeiten, weil ihre mise­rable Rente für nichts aus­reicht. 2,5 Mil­lionen Kinder in Deutschland leben in bit­terer Armut. Inzwi­schen werden 33 Prozent der Arbeits­lo­sen­un­ter­stützung an Migranten gezahlt, die Zahl steigt weiter an. Die tra­di­tio­nellen Par­teien, von der Linken bis zu Merkels CDU, geben unseren Staat, unser Sozi­al­system, zur Plün­derung frei“ sagte Bjorn Höcke, Frak­ti­onschef der AfD in Thüringen.
Gleich­zeitig berichten die Nach­richten, dass die deutsche Wirt­schaft kurz vor einer Rezession steht. Die Aus­sichten sind nicht gut, um das Wort „schlecht“ zu ver­meiden. Und es gibt Berichte von schreck­lichen Dingen anderer Art, wie etwa, dass am Bahnhof in Frankfurt ein Flüchtling aus Eritrea eine Frau mit einem Kind vor einen Zug gestoßen hat. Der Junge starb. Oder wie ein Ein­wan­derer aus Syrien vor den Augen seiner Tochter mit einer Machete einen Mann köpfte. Gleich­zeitig berichten die Medien in unfehl­baren Kom­men­taren, die Deut­schen wären der Grund für die Kri­mi­na­lität in Deutschland. Die Leute ver­gleichen diese Mel­dungen, spucken ihren Fern­seher an und geben ihre Stimme der „Alter­native“.
Die Ent­fremdung der Regierung in Deutschland von der großen Masse der Bevöl­kerung ist offen­sichtlich. Wenn man sich anschaut, was in Ost­deutschland pas­siert ist, sieht man dort kolossale Pro­bleme. Infra­struk­tur­pro­jekte müssen durch­ge­führt werden, die Men­schen müssen das Gefühl haben, dass die Regierung etwas tut, um die Arbeits­lo­sigkeit zu über­winden. Aber dort werden Koh­le­ab­bau­ge­biete geschlossen, eine Industrie ist fast nicht existent, es gibt genug Pro­bleme, die gelöst werden müssen. Aber worüber reden die füh­renden Par­teien in den letzten Tagen?
Das bedeutet, dass die „Alter­native“ die einzige Kraft ist, die die Pro­test­wähler anzieht. Ihre füh­renden Poli­tiker sagen, dass sie für die Sorgen der Mit­tel­schicht steht. Aber es ist auch wahr, dass ihre Wähler in ihrer Mehrheit aus der Unter­schicht kommen und im Osten ist sie die belieb­teste poli­tische Kraft unter den Wählern im Alter von 18 bis 25 Jahren.
In den letzten vier Jahren ist die AfD zu einer Arbeiter- und Bau­ern­partei geworden. Erfolge hat sie auf dem Lande. Dies ist ein Dorf hundert Kilo­meter von Berlin ent­fernt. Es gibt eine Kirche, aber es gibt keinen Laden, keine Schule, kein Kran­kenhaus, kein Han­dynetz oder mobiles Internet. Von den 600 Wählern stimmten hier mehr als 300 für „Alter­native“.
Das Dorf sieht hübsch aus. Es lebt vom Koh­le­ta­gebau, hier wird Braun­kohle abgebaut, die in einem nahe gele­genen Kraftwerk ver­brannt wird. Aber das Kraftwerk wird wegen der Ener­gie­wende geschlossen. Dann gibt es Arbeits­lo­sengeld, es sei denn, es gibt eine andere Regierung.
„Man ver­sucht der Bevöl­kerung zu erklären, dass, wenn Deutschland seine Koh­le­kraft­werken stilllegt, das Welt­klima gerettet werden kann. Das ist absolute Dummheit. Ein Indus­trieland wie Deutschland sollte nicht unter Kli­ma­wahnsinn und Hys­terie leiden“ sagte Andreas Kalbitz.
Für die fünf ost­deut­schen Länder war die Land­wirt­schaft eine wichtige Ein­kom­mens­quelle. „War“, weil nach Russ­lands Reaktion auf west­liche Sank­tionen die auf den rus­si­schen Markt aus­ge­richtete Pro­duktion ihren Markt ver­loren hat und darum ein­ge­brochen ist. Die Men­schen fliehen, die Bevöl­ke­rungszahl im Osten ist auf den Stand von 1905 gefallen. Ein Poli­tiker, der den Wählern hier mit etwas anti-rus­si­schem kommt, läuft Gefahr, Prügel zu beziehen. Daher sagen die ost­deut­schen Lan­des­führer, unab­hängig von ihrer Par­tei­zu­ge­hö­rigkeit, offen und ohne Angst vor der Presse oder Merkel, dass die Sank­tionen auf­ge­hoben werden sollten. Aber nur die „Alter­na­tiven“ haben es in ihrem Programm.
„Viele im Osten sind mit der Sank­ti­ons­po­litik gegen Russland nicht ein­ver­standen. Hier glauben viele Bürger, dass die Bun­des­re­gierung einen Kurs ver­folgt, von dem nur die Ame­ri­kaner pro­fi­tieren, aber nicht Deutschland. Hier ist das Bild von Russland positiv, wir wollen freund­schaft­liche Bezie­hungen zu Moskau, das ist einer der Punkte unseres Par­tei­pro­gramms. Wir brauchen eine neue außen­po­li­tische Aus­richtung“ sagte Bjorn Höcke.
Bjorn Höcke ist die Nummer eins auf der Lan­des­liste der „Alter­na­tiven“ in Thü­ringen, einem wei­teren Teil der ehe­ma­ligen DDR. Er wird als Vor­sit­zender des rechts­extremen Flügels der Partei bezeichnet. Die deut­schen Medien malen ein mons­tröses Bild von ihm, aber wie die Praxis zeigt, schlägt das nicht an. Höcke wird mit seinen Par­tei­ge­nossen Ende Oktober den Landtag im Sturm nehmen.
Hier bestellen!

Thü­ringen ist das Herz Deutsch­lands. Die Stadt Eisenach ist das geo­gra­fische Zentrum des Landes. Seine Haupt­at­traktion ist die Wartburg. Dieser Ort ist bereits vor drei­einhalb Jahren in einem unserer Berichte auf­ge­taucht, als sich auf dem Höhe­punkt der Migra­ti­ons­krise die Ost­deut­schen und die West­deut­schen plötzlich wieder wie zwei sehr unter­schied­liche Völker zu fühlen begannen. Jetzt ist es kein Gefühl mehr, sondern eine Tat­sache, die durch die Wahl­er­geb­nisse bestätigt wird.
Auf Schloss Wartburg beschäf­tigte sich der Ideologe der Kir­chen­re­for­mation, Martin Luther, mit der dama­ligen Reli­gi­ons­lehre der neuen Klasse, der Bürger. 500 Jahre später könnte Thü­ringen erneut Schau­platz eines wei­teren Zusam­men­bruchs werden, diesmal von CDU und SPD, poli­ti­schen Par­teien, die für tra­di­tio­nelle bür­ger­liche Werte stehen. So wie es in Bran­denburg und Sachsen bereits geschehen ist, wo viele Wähler nach dem Prinzip „Egal, für wen wir stimmen, Haupt­sache nicht die Alt­par­teien“ gehandelt haben.
„Ein Christ­de­mokrat, der seit 30 Jahren Wahlen in seinem Wahl­kreis gewinnt, hat mir von seinen großen Pro­blemen erzählt. Die AfD hat einen Mann in seinem Wahl­kreis auf­ge­stellt, der Autos auf Tank­stelle betankt und ihnen die Scheiben wäscht, aber weil der Kan­didat der „Alter­native“ in dem Wahl­kreis ist, werden die Leute für ihn stimmen und der Christ­de­mokrat ver­liert die Wahl“ sagte Alex­ander Rahr.
Obwohl die letzten Land­tags­wahlen für die Regie­rungs­par­teien viel schlimmer hätten enden können, hat sich ihre Lage trotzdem nicht ver­bessert. Merkel hat sich zurück­ge­zogen und sagte kein Wort zum Wahl­er­gebnis, was eine Flut von Kritik pro­vo­ziert hat. Die ganze Regierung steht in Frage, die Sozi­al­de­mo­kraten können sie jederzeit ver­lassen, zum Bei­spiel nach der Wahl in Thü­ringen oder nach dem Par­teitag im Dezember.
Die Wähler laufen von Deutsch­lands ältester Partei zur Linken oder den Grünen über, die im Westen zu genau so einem neuen Anzie­hungs­punkt für Unzu­friedene werden, wie die „Alter­native“ es im Osten ist. Die AfD hat aber auch Pro­bleme mit ihren vielen Flügeln: gemä­ßigte Trans­at­lan­tiker, stramme Eurasier, Rechts­extreme und einfach nur bür­gerlich-kon­ser­vative. Die Partei muss noch über ihr poli­ti­sches Profil ent­scheiden. Aber das kommt später, jetzt nimmt die „Alter­native“ Landtage im Sturm und es scheint nicht so, als hätte der poli­tische Main­stream – obwohl das jetzt ein recht ver­wa­schener Begriff ist – Ideen, wie er die AfD stoppen kann.
Die Folge davon ist die Pola­ri­sierung der Gesell­schaft: Die Zen­tristen – Christ­de­mo­kraten und Sozi­al­de­mo­kraten – können den Status der Volks­par­teien ver­lieren, dieser Ehren­platz wird nun von der „Alter­native“ und den Grünen“ bean­sprucht. Zwi­schen denen aller­dings ist nur Kampf und kein Dialog unmöglich. Alles ist ganz logisch: Das Ende der Ära des Libe­ra­lismus zeichnet sich in der dra­ma­tischsten Form in einem der libe­ralsten Länder der Welt ab.

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“