Das US-Dollar-Biest

Macht­beben von Dirk Mueller

John Maynard Keynes (1883–1946) erklärte einst sehr gut, wie man den Gewinner eines Schön­heits­wett­be­werbs erfolg­reich vor­her­sagen könne. Man müsse in einer Weise an die Sache her­an­gehen, „ (…..), sodass jeder Teil­nehmer nicht die­je­nigen Gesichter aus­zu­wählen hat, die er selbst am hüb­schesten findet, sondern jene, von denen er denkt, dass sie am ehesten der Vor­liebe der anderen Teil­nehmer ent­sprechen werden (….). Es handelt sich nicht darum, jene aus­zu­wählen, die nach dem eigenen Urteil wirklich die hüb­schesten sind, ja sogar nicht einmal jene, welche die durch­schnitt­liche Meinung wirklich als die hüb­schesten betrachtet. Wir haben den dritten Grad erreicht, wo wir unsere Intel­ligenz der Vor­weg­nahme dessen widmen, was die durch­schnitt­liche Meinung als das Ergebnis der durch­schnitt­lichen Meinung erwartet.“[1]

(von Thorsten Polleit)
Dies ist eine Per­spektive, die die­je­nigen in Betracht ziehen sollten, die besorgt sind, der US-Dollar stünde kurz vor dem Zusam­men­bruch, und es handele sich bei ihm um die schlimmste aller Wäh­rungen. Neueste Daten der Bank für Inter­na­tio­nalen Zah­lungs­aus­gleich (BIZ) sollten zunächst einmal auf­horchen lassen. In ihrer Drei­jah­res­um­frage 2019[2] teilt die BIZ mit, dass das täg­liche Han­dels­vo­lumen an den Devi­sen­märkten im April 2019 6,6 Bil­lionen US-Dollar pro Tag erreichte – gegenüber 5,1 Bil­lionen US-Dollar drei Jahre zuvor. Und dass der US-Dollar mit einem Anteil von 88 Prozent an allen Geschäften auf der einen Seite die wich­tigste Ein­zel­währung an den Devi­sen­märkten blieb. Zum Ver­gleich: Beim Euro lag dieser Anteil bei 32 Prozent, beim japa­ni­schen Yen bei 17 und beim chi­ne­si­schen Ren­minbi bei nur 4,3 Prozent.
Wenn es also eine Ver­än­derung gab, dann ist die Bedeutung des US-Dollars an den Devi­sen­märkten in den letzten Jahren gestiegen und nicht gesunken. Warum aber wird der US-Dollar immer beliebter? Nun, der Greenback ist die Währung der größten Volks­wirt­schaft der Welt, der unüber­trof­fenen mili­tä­ri­schen Super­macht – der Ver­ei­nigten Staaten von Amerika. Die US-Finanz­märkte sind bei weitem die größten, trans­pa­ren­testen und liqui­desten der Welt. Ob es Ihnen oder mir gefällt oder nicht: Der US-Dollar ist nach wie vor die bevor­zugte Währung für inter­na­tionale Handels- und Finanz­trans­ak­tionen. Unter den Papiergeld-Mit­be­werbern ist derzeit kein ein­ziger Kan­didat in Sicht, der den Status des US-Dollars in abseh­barer Zeit in Frage stellen könnte.
Nicht weniger wichtig ist an dieser Stelle die Tat­sache, dass der US-Dollar als „Basiswert“ zahl­reicher anderer Papier­wäh­rungen fun­giert: Der US-Dollar stellt typi­scher­weise den größten Teil der „Ver­mö­gens­werte“ dar, die die Zen­tral­banken weltweit zur Sicherung – als bilan­zielle Gegen­po­sition – ihrer eigenen Wäh­rungen halten. In den meisten Fällen halten aus­län­dische Zen­tral­banken auf US-Dollar lau­tende US-Staats­an­leihen, kurz­fristige Schuld­ver­schrei­bungen und auch Bank­ein­lagen. Mit anderen Worten: Die Wäh­rungs­be­hörden auf der ganzen Welt sind auf das Engste ver­bunden mit dem US-Dollar. Das Schicksal ihrer Wäh­rungen ist eng und im Grunde untrennbar mit dem des Greenback verbunden.
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Sollte der US-Währung etwas Schreck­liches pas­sieren, ist es sehr wahr­scheinlich, dass viele andere Wäh­rungen noch härter getroffen würden. Denn die Finanz­märkte, ins­be­sondere das inter­na­tionale Bank­ge­schäft, wurden in den letzten Jahr­zehnten zuse­hends „dol­la­ri­siert“: Banken auf der ganzen Welt haben eine struk­tu­relle Nach­frage nach US-Dollar als Refi­nan­zie­rungs­quelle; sie sind auf die Ver­füg­barkeit von US-Dollar ange­wiesen und benö­tigen jederzeit Zugang zu den US-Dollar-Kre­dit­märkten. Wie die Finanz- und Wirt­schafts­krise 2008/2009 nur zu deutlich gemacht hat, hatten die Span­nungen an den US-Dollar-Kre­dit­märkten aus­län­dische Banken min­destens genauso stark oder sogar noch stärker getroffen wie US-Banken.
Denn wenn Inves­toren das Ver­trauen in den US-Dollar ver­lieren, wird das Ver­trauen in andere Wäh­rungen, die vom Greenback abhängig sind, noch stärker schwinden. Das ist auch der Grund, warum nahezu jeder Aus­bruch von „Finanz­markt-Stress“ die Anleger dazu bringt, in den US-Dollar zu flüchten, da dieser weithin als die „sichere Hafen­währung“ ange­sehen wird: In Kri­sen­zeiten wird der US-Dollar im Ver­gleich zu anderen Wäh­rungen grund­sätzlich immer stark nach­ge­fragt. Also auch vor diesem Hin­ter­grund kann man mit Fug und Recht sagen, dass der US-Dollar aus Sicht der Mehrheit der Markt­teil­nehmer als die weltweit füh­rende Währung ange­sehen werden kann.
Welch ein Pri­vileg: Amerika gibt eine Währung heraus, die weltweit akzep­tiert wird, die sehr gefragt ist! Auf diese Weise können die Ame­ri­kaner sich pro­blemlos die Erspar­nisse des Restes der Welt leihen: Sie können weit über ihre eigenen Res­sourcen hinaus kon­su­mieren und inves­tieren. Oder, um eine andere Per­spektive ein­zu­nehmen: Men­schen auf der ganzen Welt schicken ihre Erspar­nisse gerne in die USA, anstatt sie in ihren Hei­mat­ländern zu inves­tieren. Dies ist zwei­fellos einer der Gründe, warum die USA eine negative Han­dels­bilanz „genießen“ – was bedeutet, dass die USA mehr Waren und Dienst­leis­tungen impor­tieren als expor­tieren; mit anderen Worten: die Kapi­tal­im­porte in die USA über­steigen die Kapi­tal­aus­fuhren aus den USA.
An dieser Situation wird sich in naher Zukunft wohl kaum etwas ändern. Und genau das ist auch Grund zur Besorgnis. Denn das Wäh­rungs­system der Welt ist zwei­fellos in einer schlechter Ver­fassung. Nach vielen Jahr­zehnten uner­bitt­licher Kre­dit­aus­weitung unter dem Zen­tral­ban­ken­system leiden die meisten Volks­wirt­schaften nun unter Über­schuldung. Darum haben auch die Geld­be­hörden begonnen, die Markt­zinsen zu senken. So ver­suchen sie, die nächste Krise abzu­wehren, die die Kre­dit­py­ramide zum Ein­sturz bringen könnte. Sie sorgen für eine fort­wäh­rende Abwertung ihrer Wäh­rungen – denn die Politik der Unter­stützung des unge­deckten Papier­geldes muss Hand in Hand gehen mit der Aus­weitung der Geld­menge. Und wenn die Geld­menge steigt, steigen die Preise für Waren und Dienst­leis­tungen und die Kauf­kraft des Geldes sinkt.[3]
Sollten die USA eine Politik der starken Abwertung des US-Dollars ein­leiten – etwa als Reaktion auf eine Wirt­schafts- oder Kre­dit­krise –, ist es sehr wahr­scheinlich, dass andere Wäh­rungs­räume noch stärker infla­tio­nieren werden. Zum einen befinden sich alle bedeu­tenden Wäh­rungs­räumen im Schlepptau der US-Geld­po­litik. Was Amerika macht, wird früher oder später auch anderswo gemacht. Gerade eine zunehmend infla­tionäre Geld­po­litik des US-Dollars würde von anderen Zen­tral­banken imi­tiert werden. Es wäre für sie quasi eine Steil­vorlage, ihre eigenen Wäh­rungen zu ent­werten, um den realen Wert der aus­ste­henden Schulden zu senken; und die USA würden ver­ant­wortlich gemacht für die öko­no­mische und soziale Zer­rüttung durch die Preisinflation.
Die Men­schen auf der ganzen Welt fragen den US-Dollar nicht deshalb nach, weil sie ihn für die beste Währung halten, die sie sich vor­stellen können. Für sie ist der Greenback einfach nur die beste Währung, die sie aus­wählen können. Neue Ideen wie zum Bei­spiel Face­books Libra, auch wenn sie bei vielen Men­schen rund um den Globus an Beliebtheit gewinnen sollte, deuten leider nicht darauf hin, dass der Super­status des US-Dollars bald ersetzt wird: Denn Libra, wenn sie denn auf den Markt kommt, wird nichts anderes sein als ein Korb unge­deckter Papier­wäh­rungen, dar­unter eben auch der US-Dollar. Natürlich könnte man sich eine auf­kom­mende Kryp­to­währung vor­stellen, die sich zu einer ernsten Her­aus­for­derung für die der­zeitige Dominanz des Green­backs entwickelt.
Eine solche Ver­än­derung würde jedoch Zeit in Anspruch nehmen, und, viel­leicht noch wich­tiger, einen tief­grei­fenden Wandel in den Köpfen der Men­schen vor­aus­setzen. Um den US-Dollar zu ent­thronen, müssten die Men­schen nämlich ent­schlossen einen wirklich freien Markt für Geld fordern, das heißt, sie müssen nach einem Ende der Geld­pro­duk­ti­ons­mo­nopole der Regie­rungen ver­langen. Ansonsten wird wohl die Abhän­gigkeit der Welt vom Greenback in den kom­menden Jahren nicht abnehmen, sondern ver­mutlich noch weiter zunehmen. Zwei­fellos ist der US-Dollar zu einem rie­sigen Biest geworden – einem Biest, das sich jedoch für seinen Besitzer als weniger schädlich erweisen wird ver­glichen mit dem Besitzer der anderen unge­deckten Papierwährungs-Biestern.
Natürlich wird auch der US-Dollar keine ver­läss­liche Währung sein. Auch seine Kauf­kraft wird zwei­fellos durch die Geld­po­litik der Fed her­ab­ge­setzt. Wenn Sie nach zuver­läs­sigem Geld suchen, so ist es ratsam, sich an Keynes‘ emp­foh­lener Technik zu ori­en­tiert, die hilft, den Gewinner eines Schön­heits­wett­be­werbs vor­weg­zu­nehmen. Meine Ein­schätzung: Es gibt derzeit nur einen ernst­zu­neh­menden Kon­kur­renten gegenüber dem US-Dollar – und das ist das Gold. Ludwig von Mises brachte diese Erkenntnis auf den Punkt:
Der Gold­standard ist sicherlich kein per­fekter oder idealer Standard. Es gibt keine Per­fektion in mensch­lichen Dingen. Aber niemand ist in der Lage, uns zu sagen, wie man an Stelle des Gold­stan­dards etwas Befrie­di­gen­deres setzen könnte.[4]
Die Wahrheit dieser zeit­losen Weisheit ver­dient es, immer wieder wie­derholt zu werden.
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[1] Keynes, J. M. (1936), All­ge­meine Theorie der Beschäf­tigung, des Zinses und des Geldes, S. 133.
[2] Siehe Bank für Inter­na­tio­nalen Zah­lungs­aus­gleich, Drei­jah­res­um­frage, Foreign exchange tur­nover in April 2019, 16 Sep­tember 2019 ( https://www.bis.org/statistics/rpfx19_fx.pdf ).
[3] Oder, um prä­ziser zu sein: Die Kauf­kraft des Geldes wird geringer sein, ver­glichen mit einer Situation, in der die Geld­menge unver­ändert geblieben war.
[4] Mises (1998), Human Action, S. 470.
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Thorsten Polleit, Jahrgang 1967, ist seit April 2012 Chef­volkswirt der Degussa. Er ist Hono­rar­pro­fessor für Volks­wirt­schafts­lehre an der Uni­ver­sität Bay­reuth, Adjunct Scholar am Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama, Mit­glied im For­schungs­netzwerk „Research On money In The Economy“ (ROME) und Prä­sident des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Er ist Grün­dungs­partner und volks­wirt­schaft­licher Berater eines Alter­native Investment Funds (AIF). Die private Website von Thorsten Polleit ist: www.thorsten-polleit.comHier Thorsten Polleit auf Twitter folgen.


Quelle: misesde.org