Bericht­erstattung oder Pro­pa­ganda? Über gute und böse Randalierer

Dass die Medien in Deutschland nicht objektive Bericht­erstattung, sondern Mei­nungs­mache betreiben, konnte man in diesen Tagen an einem wei­teren Bei­spiel sehen. Man muss nur die Bericht­erstattung über die Pro­teste in Hongkong und Frank­reich vergleichen.
In Hongkong eska­liert die Gewalt. Die „Demons­tranten“ sind inzwi­schen ganz ein­deutig radikale Kra­wall­macher. Und das kann man auch durchaus in den deut­schen Medien lesen. Die Kunst ist jedoch, diese Dinge so zu for­mu­lieren, dass die Ran­da­lierer trotzdem irgendwie sym­pa­thisch erscheinen. Diese Dis­krepanz wird besonders beim Ver­gleich der Medi­en­be­richte über den Jah­restag der Gelb­westen-Pro­teste und die Situation in Hongkong deutlich.
Die Ran­da­lierer in Hongkong haben vor einige Tagen eine Uni­ver­sität besetzt. Dass in Hongkong auf­grund der Randale manchmal tagelang die U‑Bahn nicht fährt, daran hat man sich schon fast gewöhnt. Die Uni­ver­si­täts­be­setzung war eine neue Eska­la­ti­ons­stufe. Die Demons­tranten haben sich dort ver­bar­ri­ka­diert und mit Molotow-Cock­tails, Pflas­ter­steinen und sogar Pfeil und Bogen bewaffnet. Und sie haben mit dem Arsenal die Poli­zisten angegriffen.
Wie würde wohl berichtet werden, wenn das in Deutschland pas­siert wäre? Wenn Demons­tranten in einer deut­schen Stadt eine ganze Uni besetzen und ver­wüsten und die anrü­ckende Polizei mit Pfeilen beschießen und mit Molotow-Cock­tails bewerfen würden? Ob die Medien auch so viel Ver­ständnis zeigen würden?
Uns wird berichtet, die Polizei in Hongkong sei brutal. Das liest man in jedem Artikel zu dem Thema. Aber es waren die Demons­tranten, die einen Mann getötet haben. Der 70-jährige wollte Steine von einer Straße räumen, als Demons­tranten ihm etwas, ver­mutlich ein Pflas­ter­stein, an den Kopf geworfen haben. Der Mann fiel um und war tot.

Aber der Spiegel berichtete seinen Lesern das nicht. Er berichtete zwar, dass es einen Toten gegeben hat, aber nicht, wer ihn getötet hat. Dafür gab es wieder das Wort „Poli­zei­gewalt“ und viel Ver­ständnis für die Demons­tranten. Der Spiegel hat also nicht offen gelogen, aber der Leser bekommt aus dem Gesamt­kontext den Ein­druck, die böse Polizei sei Schuld. Und das klingt dann so:
„Am Rande der seit Monaten tobenden Anti-Regie­rungs­pro­teste in Hongkong hat es einen wei­teren Toten gegeben. Laut Mit­teilung der Behörden am Don­ners­tag­abend erlag ein 70-jäh­riger Mann seinen schweren Ver­let­zungen. Wie lokale Medien zuvor berichtet hatten, war der Mann am Mittwoch in einer Aus­ein­an­der­setzung zwi­schen Anti-Regie­rungs­de­mons­tranten und Anwohnern von einem Pflas­ter­stein am Kopf getroffen worden.“
Kein Wort über die Umstände und wer den Mann getötet hat, dabei gibt es ja sogar ein Video (siehe oben) von dem Vorfall. Dafür schreibt der Spiegel danach folgendes:
„Am Montag hatte ein Polizist einem jungen Demons­tranten in den Bauch geschossen. Sein Zustand hatte sich im Laufe der Woche gebessert. Eben­falls am Montag zündete ein radi­kaler Demons­trant einen Sym­pa­thi­santen der Regierung an. Sein Zustand ist kri­tisch. Gleiches gilt für einen 15-Jäh­rigen, der laut Berichten von einem Trä­nengas-Kanister am Kopf getroffen worden war.“
Der Spiegel lenkt also sofort vom Thema ab und aus dem Zusam­menhang glaubt der Leser, die Polizei sei verantwortlich.
Auch bei den im Spiegel erwähnten Vor­fällen wären übrigens die Videos hilf­reich, um sich ein Bild zu machen. Die gibt es nämlich und auf dem Video ist zu sehen, dass der Polizist mit einem Demons­tranten ringt und andere den Poli­zisten bedrängen. Der Polizist zieht seine Pistole, der Demons­trant will den Poli­zisten trotzdem angreifen. Aber auch diese Hin­ter­gründe soll der Spiegel-Leser nicht wissen. Der muss nur erfahren, dass die böse Polizei auf einen Demons­tranten geschossen hat. (Hier das Video, aber nur für Men­schen mit starken Nerven)
Über­haupt sind Videos aus Hongkong ver­störend. Hier eine Auswahl: Mehrere männ­liche Demons­tranten ver­prügeln eine zier­liche Frau mit Stöcken, bis sie blut­über­strömt am Boden sitzt, aber sie prügeln weiter. Demons­tranten über­gießen einen Mann, der offen­sichtlich anderer Meinung ist, mit brenn­barer Flüs­sigkeit und zünden ihn an. Demons­tranten greifen einen Kran­ken­wagen und die Sani­täter an.
Von all diesen Dingen – und das sind nur will­kür­liche Bei­spiele – erfährt der Spiegel-Leser kein Wort. Statt­dessen liest er in dem Artikel noch:
„Die Demons­tranten fordern freie Wahlen, eine unab­hängige Unter­su­chung von Poli­zei­bru­ta­lität sowie Straf­freiheit für die bereits weit mehr als 4000 Festgenommenen.“
Bei der Gele­genheit erfindet der Spiegel auch gleich ein neues Wort: „Poli­zei­gewalt“ ist inzwi­schen zu wenig, jetzt muss es schon „Poli­zei­bru­ta­lität“ heißen. Dass die Polizei allen Grund hat, hart vor­zu­gehen, erfährt der Spiegel-Leser nicht.
Erinnern Sie sich an die G20 in Hamburg? Hongkong durchlebt der­artige (oder sogar schlimmere) Zustände nun seit Monaten. Ich glaube kaum, dass die deutsche Polizei sich so etwas so lange tatenlos anschauen würde. Würde ich in einer Stadt wohnen, wo der­artige Zustände Alltag geworden sind, würde ich ein här­teres Vor­gehen der Polizei fordern. Protest in allen Ehren, aber Randale, Anzünden von Men­schen und Lahm­legen des Öffent­lichen Nah­ver­kehrs, den man braucht, um zu Arbeit zu kommen – da hört es für mich auf. Das darf natürlich jeder anders sehen, es ist nur meine Meinung.

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Und dann haben die Demons­tranten eine Uni­ver­sität besetzt und sich bewaffnet. Der Spiegel hat einen der Bogen­schützen inter­viewt, der kein Problem damit hatte, Pfeile auf Poli­zisten zu schießen:
Charlie: Ja, es ist schon gefährlich. Wenn du zum Bei­spiel nicht gut zielst und jemanden triffst, der kein Polizist ist… Es gibt schon ein Risiko.
SPIEGEL: Aber einen Poli­zisten zu treffen, halten Sie für okay?
Charlie: Ja. Zu diesem Zeit­punkt ist das gerecht­fertigt. Die Polizei schießt inzwi­schen ja auch mit scharfer Munition auf uns.
SPIEGEL: Würden Sie es in Kauf nehmen, einen Poli­zisten zu töten? Denn das ist eine poten­ziell töd­liche Waffe.
Charlie: Nein, ich will denen nur drohen, damit sie sich unseren Bar­ri­kaden nicht nähern. Keiner will die umbringen. Wir wollen ihnen nur signa­li­sieren: keinen Schritt weiter.
SPIEGEL: Wer einen Pfeil schießt, kann jemanden töten.
Charlie: Aber die Pfeile sind nicht wirklich spitz. Damit kann man nie­manden töten, schauen Sie hier, so spitz ist der gar nicht.

Damit der Spiegel-Leser trotzdem Ver­ständnis für solche Ran­da­lierer auf­bringt, folgte dann ein Artikel mit der Über­schrift „Mas­sen­protest in Hongkong – Polizei droht Demons­tranten mit töd­licher Gewalt“ Dort konnte man lesen:
„Seit Monaten demons­trieren Zehn­tau­sende Men­schen in Hongkong gegen die Regierung – nun zeichnet sich ab, dass es in der chi­ne­si­schen Son­der­ver­wal­tungszone zu einer wei­teren Eska­lation kommen könnte. Die Polizei drohte mit dem Einsatz töd­licher Gewalt gegen Aufständische.“
Und schon ist die Polizei wieder böse und nicht etwa die Demons­tranten, die die Polizei mit Molotow-Cock­tails und Pfeilen beschießen. Das kommt erst später im Artikel und wird nun als Zitat der Polizei in dem Artikel gezeigt:
„Wenn sie mit solchen gefähr­lichen Aktionen fort­fahren, haben wir keine andere Wahl als ein Min­destmaß an Gewalt anzu­wenden, dar­unter scharfe Munition, um zurück­zu­schießen“, sagte Poli­zei­sprecher Louis Lau in einem auf Facebook ver­öf­fent­lichten Video: „Ich warne die Auf­rührer davor, Brand­bomben, Pfeile, Autos oder andere töd­liche Waffen für Angriffe auf Poli­zei­beamte zu nutzen.“
Aber da der Spiegel-Leser ja in den letzten Monaten gelernt hat, wie brutal die Polizei ist, schenkt er Zitaten der Polizei nur wenig Glauben. Dabei hat die Polizei in meinen Augen gar keine andere Wahl, als auf Demons­tranten zu schießen, die sie mit Molotow-Cock­tails und Pfeilen beschießen. Darf sich die Polizei nicht wehren?
Und übrigens waren die Pfeile gar nicht so stumpf und unge­fährlich, wie Charlie uns erzählen durfte.
In einem anderen Artikel hat der Spiegel dann berichtet:
„Am Sonntag setzten die Sicher­heits­kräfte Trä­nengas, Gum­mi­ge­schosse und einen Was­ser­werfer ein. Radikale Demons­tranten schossen mit Pfeil und Bogen und warfen Molo­tow­cock­tails auf die Beamten. Ein für Medi­en­arbeit zustän­diger Polizist wurde dabei von einem Pfeil getroffen.“
Das ist ein kleiner Trick aus der Pro­pa­ganda-Trick­kiste der Medien, auf den ich immer wieder hin­weise: Man ver­tauscht die Chro­no­logie, um beim Leser einen fal­schen Ein­druck zu erwecken. Schließlich haben die Demons­tranten zuerst die Uni besetzt sich bewaffnet und die Polizei mit Molotow-Cock­tails und Pfeilen ange­griffen. Erst danach hat die Polizei Trä­nengas, Was­ser­werfer und Gum­mi­ge­schosse ein­ge­setzt. Im Spiegel steht es aber anders herum, sodass der Leser den Ein­druck bekommt, die armen Demons­tranten müssten sich gegen die brutale Polizei wehren und bei Notwehr sind Pfeile und Molotow-Cock­tails ja irgendwie auch okay. Und übrigens: Trotz der Warnung, über die der Spiegel groß berichtet hat, wurde keine scharfe Munition eingesetzt.
Bei der Räumung der Uni hat die Polizei 600 Demons­tranten fest­ge­nommen. Was man in Deutschland in diesem Zusam­menhang nicht hört ist, dass 200 von ihnen Min­der­jährige waren. Die Polizei hat die Min­der­jäh­rigen nach Fest­stellung der Per­so­nalien gehen lassen, den 400 voll­jäh­rigen Ver­haf­teten drohen aller­dings Strafverfahren.
Wenn es hin­gegen um die Gelb­westen geht, sieht die Bericht­erstattung ganz anders aus: Da wird der Krawall der Demons­tranten vom Spiegel in den Vor­der­grund gestellt. So konnte man im Spiegel über die Pro­teste am Jah­restag der Gelb­westen lesen:
„Zum ersten Jah­restag der soge­nannten Gelb­wes­ten­pro­teste ist es in Paris wieder zu mas­siven Aus­schrei­tungen gekommen. Im Süden der fran­zö­si­schen Haupt­stadt gingen am Samstag Fahr­zeuge und Absper­rungen in Flammen auf, Schau­fenster wurden ein­ge­schlagen und Bar­ri­kaden errichtet. Poli­zei­prä­sident Didier Lal­lement sprach von „sys­te­ma­ti­schen Angriffen auf Sicher­heits­kräfte und Feu­er­wehr­leute“. Ein Großteil der Ran­da­lierer war ver­mummt, nur wenige trugen eine gelbe Warn­weste, das Erken­nungs­zeichen der Gelbwesten.“
Der Unter­schied springt ins Auge. Während die Ran­da­lierer in Hongkong laut Spiegel „für Demo­kratie und gegen Poli­zei­bru­ta­lität“ demons­trieren, beginnt der Artikel über die Ran­da­lierer der Gelb­westen (ja, beim Jah­restag scheint es tat­sächlich viel Randale gegeben zu haben) mit For­mu­lie­rungen über „soge­nannte“ Gelb­wes­ten­pro­teste und mit dem Fokus auf den „mas­siven Aus­schrei­tungen„. Von den mas­siven Aus­schrei­tungen in Hongkong liest man hin­gegen selten im Spiegel und wenn, dann eher ganz am Ende des Artikels.
Es ist wirklich fas­zi­nierend, wie die Medien mit so ein­fachen Tricks, wie dem Ver­drehen der Chro­no­logie oder wer­tenden For­mu­lie­rungen für die einen Ran­da­lierer Sym­pathie erzeugen wollen und andere Ran­da­lierer in ein schlechtes Licht stellen. Wer will da bestreiten, dass die deut­schen Medien, die alle in diese Kerbe schlagen, eine poli­tische Agenda ver­folgen und eben nicht objektive Bericht­erstattung betreiben?
Das Wort „Qua­li­täts­jour­na­lismus“ hat durchaus Sinn, denn die „Qua­lität“ der Pro­pa­ganda ist sehr hoch, nur mit Jour­na­lismus hat das nichts zu tun. 

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“