Die Deut­schen als „Meer­schweinchen“ – Spahn will Gesund­heits­daten von Mil­lionen unge­fragt für For­schung nutzen

Gesund­heits­mi­nister Jens Spahn (CDU) betrachtet die Gesund­heits­daten der Bürger anscheinend als sein Eigentum, mit dem er einfach ver­fahren kann, wie er will. Er hat ja bereits einige Vor­haben und Ver­laut­ba­rungen in die Welt gesetzt, die er mit wilden Beteue­rungen wieder zurück­ziehen musste. Das lässt bei manchem unschöne Ver­mu­tungen auf­kommen, was uns erwarten würde, wenn Herr Spahn, wie beab­sichtigt, als Kanz­ler­kan­didat auf­ge­stellt und auch noch gewählt würde.
Sein neu­ester Kracher ist der Plan, eine gigan­tische Datenbank auf­zu­bauen, in der sämt­liche medi­zi­nische Daten samt und sonders aller 73 Mil­lionen gesetzlich Ver­si­cherten ein­ge­speist und diese Daten – ohne die Ein­wil­ligung der Betrof­fenen – zu For­schungs­zwecken frei­ge­geben werden. Der Ver­si­cherte kann nach jet­zigem Kennt­nis­stand keinen Wider­spruch dagegen einlegen.

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Mehr als „Bedenken“ dagegen, ob der Ein­griff in die Per­sön­lich­keits­rechte der Ver­si­cherten denn ver­hält­nis­mäßig sei, hat der Bun­desrat bisher nicht geäußert. Immerhin fordert er eine Über­prüfung. Dabei ist unbe­stritten, dass Gesund­heits­daten die sen­si­belsten Daten sind, die es über­haupt gibt – mit denen aber hier unter mini­malen Sicher­heits­vor­keh­rungen groß­zügig her­um­ge­worfen wird. Hin­gegen muss jeder kleine Haus­frauen-Strick­verein und jede Orts­feu­erwehr emp­find­liche Strafen fürchten, wenn auf seiner Inter­net­seite irgendein harm­loses Bildchen oder eine Tele­fon­nummer eines Mit­glieds ver­öf­fent­licht wird.
Dieser Daten-Wei­ter­lei­tungs-Passus im „Digitale-Ver­sor­gungs-Gesetz“ wurde anfangs nicht recht beachtet. Das Kabinett winkte Spahns Pläne durch, wie schon viel Halb­gares und Schäd­liches einfach durch­ge­wunken wurde und die Nach­teile und Schäden sich dann im Nach­hinein zeigten.
Nun ist also beab­sichtigt, dass eine weitere Digi­ta­li­sierung statt­findet. Nicht nur beim Daten­sammeln. Herr Minister Spahn ist auch Fan von Gesund­heits-Apps. Ärzte werden also ihren Pati­enten ab Januar 2020 nicht nur Medi­ka­mente und The­rapien ver­schreiben, sondern es können bei­spiels­weise die Mahl­zeiten und Medi­ka­menten-Ein­nah­me­mengen besser „moni­to­riert“ werden. Diese Apps müssen nur eine recht simple Qua­litäts- und Sicher­heits­über­prüfung pas­sieren, dann haben die Kran­ken­kassen diese Apps zu bezahlen. Die Ärz­te­schaft soll sich gefäl­ligst an Video-Sprech­stunden gewöhnen, statt die Pati­enten ein­zu­be­stellen. Dass man als Medi­ziner das Befinden eines Pati­enten wesentlich besser beur­teilen und erfassen kann, wenn er anwesend ist (blass oder gut durch­blutet, leichter Schweiß auf der Haut, Kör­per­haltung, Aug­ap­fel­farbe, warme oder kalte Hände, Gewicht, Haar­struktur und Qua­lität — ist es rau und glanzlos usw.?) …unin­ter­essant. Haupt­sache zackzack, fäddich.
Auch Apo­theken und Kli­niken haben sich im neuen, digi­talen Wind zu segeln. Es gibt eine vor­ge­gebene Frist, innerhalb derer sie sich mit der medi­zi­ni­schen Tele­matik-Infra­struktur ver­traut machen können, Danach hagelt es Strafen. Ärzte und Apo­theker, die nicht mit­spielen, müssen ab März 2020 2,5% Hono­rarein­bußen ein­stecken, Kran­ken­häuser müssen die Digi­ta­li­sierung bis März 2021 abge­schlossen haben. Heb­ammen, Phy­sio­the­ra­peuten, Pflege- und Reha­bi­li­ta­ti­ons­ein­rich­tungen können sich frei­willig der Digi­tal­ver­netzung anschließen.
Wun­derbar, Herr Minister Spahn. Wir haben einen dra­ma­ti­schen Ärz­te­mangel in Deutschland. Viele Arzt­praxen sind mit Medi­zinern im Ren­ten­alter oder kurz davor besetzt. Einmal kurz darüber nach­ge­dacht, was das bedeutet? Nein? Ganz einfach: Ein großer Teil davon wird einfach mit einem herz­haften „Leck mich doch …“ seine Praxis dicht machen und in den Ruhe­stand gehen. Oder er nimmt nur noch Pri­vat­pa­ti­enten und erspart sich so, auf seinen alten Tag nochmal den E‑Health-Kram neu zu lernen und sich mit der digi­talen Arzt­praxis und einer Ver­dop­pelung der zeit­rau­benden Büro­kratie anzu­freunden. Nicht genug damit, Minister Spahn blökt auch noch die Parole dazu heraus: „Den digi­talen Wandel gestalten, nicht erleiden!“ Und das alles für „eine bessere Ver­sorgung durch Digi­ta­li­sierung und Innovation“.
Ganz, ganz groß­artig. So wird die Ärz­te­dichte, grade in der Ver­sor­gungs­wüste auf dem Land, nochmal wirksam redu­ziert. Minister Spahn beklagt, dass bisher nur 64.000 der 176.000 prak­ti­zie­renden Ärzte (inkl. Zahn­ärzte) den Anschluss ans digitale Netz gemacht haben. Bis Ende des Jahres sollen es etwa 110.000 sein.
Ein wei­terer Schwer­punkt des Gesetzes sind kon­krete Vor­gaben für die elek­tro­nische Pati­en­tenakte. Dass sie von den Kassen bis Anfang 2021 flä­chen­de­ckend ange­boten werden muss, hat Spahn bereits gesetzlich vor­ge­geben. Nun soll es auch die Gewähr geben, dass die digitale Akte benutzt und von den Ärzten gefüllt wird. Die Pati­enten erhalten einen Anspruch darauf, auch nach Behand­lungen im Kran­kenhaus. Und sie bekommen die Mög­lichkeit, deutlich mehr darin spei­chern zu lassen als bisher: ihren Impfpass bei­spiels­weise, ihren Mut­terpass, das gelbe Heft für Kin­der­un­ter­su­chungen oder ihr Bonusheft für Zahnbehandlungen.
Das Feld dafür, dass wirklich alles, was mit den Pati­enten im Gesund­heits­system irgendwie gemacht wird, lückenlos digital in Daten­banken hin­terlegt wird, ist also schon gut bestellt. Das Gesetz dazu soll schon in der kom­menden Woche im Bun­destag beschlossen werden. Wir dürfen davon aus­gehen, dass es auch beschlossen wird.
So, wie es jetzt aus­sieht, werden die ganzen Daten dann – ohne Ein­ver­ständnis und Mög­lichkeit zum Wider­spruch – an „die For­schung“ wei­ter­ge­reicht werden.
Laut Geset­zes­entwurf sind die Kran­ken­kassen auch ver­pflichtet, kom­plett alle Behand­lungs­daten aller gesetzlich Ver­si­cherten an den Spit­zen­verband der Kassen melden. Das wird dann „der For­schung“ zur Ver­fügung gestellt.
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Hier muss man loben, dass die Grünen sich ener­gisch dagegen stemmen:
“Es ist hoch bedenklich, dass Spahn im Schweins­galopp, prak­tisch ohne gesell­schaft­liche Dis­kussion, die kom­pletten Gesund­heits­daten der gesetzlich Ver­si­cherten für die For­schung zugänglich machen möchte”, wird die Grünen-Gesund­heits­expertin Maria Klein-Schmeink zitiert. Es sei an keiner Stelle inten­siver dis­ku­tiert worden, ob Daten­schutz und Daten­si­cherheit hin­rei­chend gewähr­leistet seien. Zudem gebe es keine ein­deu­tigen gesetz­lichen Vor­gaben zur Pseud­ony­mi­sierung der Daten. Klein-Schmeink bemän­gelte dem Bericht zufolge, es fehlten Lösch­fristen und Wider­spruchs­mög­lich­keiten der Ver­si­cherten. Das solle erst in einer Rechts­ver­ordnung des Gesund­heits­mi­nis­te­riums fest­gelegt werden: “Damit ent­zieht Spahn dem Bun­destag als Gesetz­geber wichtige Ent­schei­dungs- und Einflussmöglichkeiten.” 
Bis zum Spit­zen­verband der Gesetz­lichen Kran­ken­kassen bleiben die Gesund­heits­daten nämlich mit den Klar­namen der Pati­enten ver­bunden. Erst der Spit­zen­verband pseud­ony­mi­siert die Namen, eine Ver­schlüs­selung gibt es jedoch nicht. Von da aus werden die Daten an ein neues For­schungs-Daten­zentrum wei­ter­ge­geben, wo Behörden, diverse For­schungs­ein­rich­tungen und Uni­kli­niken darauf zugreifen können. Die Frage, die sich hier sofort stellt, heißt: Haben auch die For­schungs­ab­tei­lungen der Pharma-Branche Zugriff darauf? Die Antwort heißt: Das steht nicht drin, ist aber auch nicht aus­ge­schlossen, also ja. Bekann­ter­maßen verfügt Herr Minister Spahn über exzel­lente Ver­bin­dungen zur Phar­ma­in­dustrie.
Jens Spahn hatte sich schon vor mehr als zwei Jahren für den Posten des Gesund­heits­mi­nisters ins Ram­pen­licht geschoben, dezent von Big Pharma gefördert. Kein Wunder, er ist ihr Mann: Im Jahr 2006 gründete Jens Spahn zusammen mit einem Freund und Pharma-Lob­by­isten Max Müller und seinem Jugend­freund und Leiter seines Abge­ord­ne­ten­büros, Markus Jasper, eine GbR, welche wie­derum einer Firma namens „Politas“ gehörte. Der Vorteil einer GbR ist, dass weder Angaben über die Geschäfts­tä­tig­keiten noch über die Gesell­schafter gemacht werden müssen. Daher war lediglich Jasper als Eigen­tümer dieser GbR ein­ge­tragen. Jens Spahn tauchte nicht auf, da er nur eine Min­der­heits­be­tei­ligung von 25% inne­hatte. Die Neben­ver­dienste aus dieser Lob­by­arbeit machte Spahn auch nie öffentlich. Diese Bera­tungs­agentur bot Kunden aus dem Pharma- und Gesund­heits­sektor Bera­tungs­leis­tungen an. Dabei warb Politas aus­drücklich mit einem guten Draht in den Bun­destag, der wahr­scheinlich Jens Spahn heißt: „Ganz gleich, ob es um eine Anhörung, ein Hin­ter­grund­ge­spräch oder um eine Ple­nar­de­batte geht: Wir sind für Sie dabei.“
Die internetz-Zeitung wird deut­licher: „Das Geschäfts­modell des Abge­ord­neten Spahn ist so klug wie anrüchig: Als Poli­tiker ent­wi­ckelte er die neu­esten Gesetze und Reformen im Gesund­heits­be­reich, während sein Kom­pagnon Müller die Kunden aus der Gesund­heits­branche in Echtzeit hätte infor­mieren und beraten können. Ein­fluss und Insi­der­kennt­nisse sind bares Geld für die Großkonzerne.“