Es ist, wie so oft: Wer die Vorgeschichte nicht kennt, der kann die aktuellen Ereignisse nicht verstehen. Die massiven Proteste in Chile haben in der Tat eine wirklich lange Vorgeschichte, die den Konsumenten der deutschen „Qualitätsmedien“ aber nicht erzählt wird. In Chile geht es keineswegs um die Politik der aktuellen Regierung oder um den aktuellen Präsidenten. Die Gründe liegen weitaus tiefer und sind auch viel älter. Die Fahrpreiserhöhungen für die chilenische U‑Bahn sind nicht der Grund der Proteste, sondern nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Daher will ich auf die Vorgeschichte eingehen.
Die Geschichte geht zurück ins Jahr 1973. Damals hatte sich General Pinochet mit massiver Unterstützung der CIA gegen den demokratisch gewählten Präsidenten an die Macht geputscht. Chile wurde unter Pinochet zu einem wirtschaftspolitischen Experminetierfeld. Er holte chilenische Wirtschaftswissenschaftler ins Land, die in Chicago studiert hatten und sich daher „Chicago Boys“ nannten. Sie krempelten Chiles Wirtschaft komplett um, indem sie auf eine marktradikale, neoliberale Politik in Reinkultur setzten. Regulierungen wurden abgeschafft und es wurde wirklich alles privatisiert. In Chile kann man also die Auswirkungen einer neoliberalen Wirtschaftspolitik besser beobachten, als überall sonst auf der Welt.
Oft sind in ärmeren, aber einigermaßen entwickelten Ländern die Lebenshaltungskosten niedriger, als in Deutschland, weil manches subventioniert wird, damit es für die Menschen zu Leben reicht. Das kann Lebensmittel betreffen, den Nahverkehr, Benzin und Heizung und so weiter. In Russland zum Beispiel reichen die minimalen Renten trotzdem mehr oder weniger zum Leben, weil die Rentner sehr viel umsonst bekommen. Jede russische Region kann dazu eigene Regeln aufstellen, aber meist ist der ÖPNV für Rentner gratis, auf Medikamente und Wohnnebenkosten gibt es große Rabatte, in manchen Regionen bekommen sie sogar einen jährlichen Urlaub in einem Kurort bezahlt. Ich habe das hier mal analysiert.
In Chile gibt es keinerlei Subventionen für den Bedarf der einfachen Menschen. Die Lebenshaltungskosten in Chile sind etwa so hoch, wie in Deutschland. Nur sind die Einkommen dort wesentlich niedriger, wie wir gleich sehen werden.
In Chile wurde vor 40 Jahren alles privatisiert, angefangen bei der Rente. Einige Staatsfonds sammeln die Beiträge ein und legen das Geld an, die staatliche Rente ist nicht einmal mehr symbolisch zu nennen. Das Ergebnis ist, dass derzeit die Renten bei 220 Euro liegen, wovon man nicht leben kann. Und selbst diese Rente bekommen nicht alle. Zwischen 30 und 40 Prozent der arbeitenden Menschen zahlen dort nicht in das Rentensystem ein. Der Beitragssatz beträgt 10 Prozent, für viele ist das nicht finanzierbar, zumal die Rente sowieso nicht reicht. Das bedeutet, dass etwa ein Drittel der Rentner keinerlei Rentenanspruch hat bzw. haben wird.
Bei der Bildung ist es noch gruseliger in Chile. Auch hier wurde alles privatisiert. Schulen finanzieren sich über die Anzahl der Schüler. Damit ist ein Konkurrenzkampf um Schüler entstanden und da private Schulen zusätzlich auch Schulgeld nehmen dürfen, ist es klar, wer Bildung vermittelt bekommt und wer nicht. Das deutsche Wikipedia schreibt dazu beschönigend:
„Negative Folge ist eine starke Polarisierung der Schulen. Solche in armen Vierteln und Gegenden sind in der Regel sehr viel schlechter als Gebührenpflichtige. Zu sehen ist das an den jährlichen Vergleichstest und Rankings und am zentralen Unizugangstest (PSU), bei dem regelmäßig ein Großteil der Unterschicht scheitert. Das selektive Bildungssystem ist also ein wichtiger Faktor bei der Aufrechterhaltung der Ungleichheit im Land.“
Das klingt unfair, aber nicht dramatisch. Dramatisch wird es erst, wenn man es in Zahlen ausdrückt: Nur sieben Prozent der Schüler bekommen eine Bildung, mit der sie zum Studium zugelassen werden können. Und das sind natürlich die Kinder reichsten Menschen des Landes, die überwiegende Mehrheit ist in der Falle aus Armut und miserabler Bildung gefangen.
Und auch im Gesundheitssystem geht es in Chile schrecklich zu, wie man in dem auf Lateinamerika spezialisierten Portal amerika21 in einer Analyse nachlesen kann:
„Wer genügend Geld bezahlen kann, kann sich in einer Klinik behandeln lassen, wer dieses Geld nicht hat, muss sich in einem öffentlichen Krankenhaus behandeln lassen. Die Unterschiede zwischen beiden Einrichtungen sind genauso erheblich wie zwischen zu bezahlenden privaten Bildungseinrichtungen und öffentlichen weiterführenden Schulen.“
Und Geld haben in Chile die Wenigsten. Die Höhe der Renten haben wir schon gesehen, daher kommen wir nun zum Durchschnittsgehalt. Das liegt in Deutschland zum Vergleich bei ca. 3.000 Euro brutto pro Monat, in Chile sind es 429 Euro. Und das bei den gleichen Lebenshaltungskosten, wie in Deutschland.
In Chile können wir also sehen, wohin eine neoliberale und marktradikale Wirtschaftspolitik führt. Die deutschen Medien sehen Chile jedoch als Vorbild für die Region, weil dort die Wirtschaft so schön wächst. Das Problem ist, dass von dem schönen Wirtschaftswachstum nichts bei den Menschen ankommt. Der Gini-Koeffizent vergleicht die Vermögensverteilung in den Ländern der Welt. Auf der weltweiten Liste steht Chile ziemlich am Ende der Liste, die Verteilung ist also extrem ungerecht.
Das zeigt sich, wenn man das Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit den Einkommen vergleicht. In Deutschland beträgt das kaufkraftbereinigte BIP ca. 52.000 Dollar pro Kopf und das durchschnittliche Jahreseinkommen liegt bei etwas über 40.000 Dollar. Und wir spüren in Deutschland schon, dass es eine Ungerechtigkeit bei Einkommen und Vermögen gibt. In Chile liegt das kaufkraftbereinigte BIP bei 25.700 Dollar pro Kopf, das Durchschnittseinkommen jedoch nur bei ca. 6.000 Dollar. Daran sieht man schon, wie ungerecht die Verteilung in Chile ist.
Was bringt den Leuten Wirtschaftswachstum, wenn sie davon nicht profitieren? Das ist das Problem in Chile, wo der Neoliberalismus seit fast 40 Jahren in Reinkultur herrscht. Die Folgen sind eine extreme Ungerechtigkeit und eine extreme Armut, denn bei dem genannten Durchschnittsgehalt von 429 Euro monatlich liegt die Armutsgrenze für eine vierköpfige Familie bei 532 Euro monatlich. In Chile leben also ganz offiziell ca. die Hälfte der Menschen unter er Armutsgrenze bzw. an der Armutsgrenze. Und es sei wiederholt: Die Lebenshaltungskosten sind so hoch, wie in Deutschland.
Diese Zahlen kann man jedoch in den Artikeln der Mainstream-Presse nicht finden, sie verklausulieren die Situation und der Leser kann nicht verstehen, wie es zu solchen Protesten in dem „wirtschaftlichen Musterland“ Chile kommen kann. So hat zum Beispiel der deutsche staatliche Auslandssender Deutsche Welle Valeska Hesse, Leiterin der Abteilung Lateinamerika der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), wie folgt zitiert:
„Chile ist das neoliberalste Land der Welt. Alle Bereiche des öffentlichen Lebens sind privatisiert: Renten, Gesundheit, Bildung.“ Doch viele Chilenen kommen offenbar kaum über die Runden – ein wichtiger Auslöser für den Protest: „Die Mittelschicht in Chile verdient im Durchschnitt etwa 700 Euro im Monat und hat Lebenshaltungskosten die vergleichbar sind mit Berlin.“
Man muss auf die Details achten. Frau Hesse hat nicht von den Durchschnittslöhnen gesprochen, sondern von der Mittelschicht, die 700 Euro im Monat verdient. Die Mittelschicht wird so definiert, dass sie zwischen 60 und 100 Prozent mehr verdient, als der Durchschnitt. Wenn wir also vom genannten Durchschnittseinkommen in Deutschland von 3.000 Euro brutto ausgehen, dann liegt die Mittelschicht in Deutschland bei 4.800 bis 6.000 Euro Monatseinkommen. In Chile sind es 700 Euro.
Wenn man die Situation in einem Land verstehen will, muss man sich das Durchschnittseinkommen anschauen und nicht, was die sogenannte Mittelschicht verdient, der es um einiges besser geht, als dem Durchschnitt. In Chile jedoch ist die Situation so, dass selbst die Mittelschicht nicht genug zum Leben hat und jeden Peso dreimal umdrehen muss.
Auch im Spiegel werden dem Leser die Probleme in Chile vorenthalten. Dort konnte man zum Beispiel lesen:
„Die Proteste hatten sich vor einer Woche an der Erhöhung der Preise für U‑Bahn-Tickets in Santiago um umgerechnet vier Euro-Cent entzündet. Sie weiteten sich rasch auf das ganze Land aus, mit Forderungen, die weit über die ursprünglich beanstandeten Fahrpreise hinausgingen. Dabei entlud sich aufgestauter Ärger unter anderem wegen niedriger Löhne und Renten, hoher Preise, hoher Studiengebühren und wegen extremer Unterschiede zwischen Armen und Reichen.“
Und der Leser fragt sich, was denn da los ist, dass die Menschen wegen vier Cent Preiserhöhung Massenproteste veranstalten. Und der Ärger entlud sich laut Spiegel „unter anderem wegen niedriger Löhne und Renten, hoher Preise, hoher Studiengebühren und wegen extremer Unterschiede zwischen Armen und Reichen„. Ich würde sagen, dass es nicht „unter anderem„, sondern ausschließlich „wegen niedriger Löhne und Renten, hoher Preise, hoher Studiengebühren und wegen extremer Unterschiede zwischen Armen und Reichen“ eskaliert ist.
In einem anderen Artikel zitiert der Spiegel einen Missionar von der Organisation JUPIC (Gerechtigkeit, Frieden und Einheit der Schöpfung) mit den Worten:
„Selbst hier bei uns gehen jeden Tag Fischer, Ärzte, Krankenschwestern und Lehrer auf die Straße. Und alle fordern was anderes, und alle fordern es jetzt sofort“
Das klingt so, als seien die Proteste irgendwie grundlos, wenn jeder was anderes, aber bitte sofort fordert. Dabei sind die Forderungen eindeutig, die Menschen wollen einen Systemwechsel. Das kann man in einem anderen Spiegel-Artikel sogar verschämt lesen. In dem Artikel ging es darum, dass der Präsident ein paar Maßnahmen beschlossen hat, um die Situation zu beruhigen:
„Nach einer Woche mit schweren Ausschreitungen, Verwüstungen und Plünderungen, aber auch vielen gewaltfreien Demonstrationen kündigte Piñera ein umfassendes Paket von Sozialmaßnahmen an, das 1,2 Milliarden Dollar kosten soll:
der Mindestlohn soll auf 350.000 Pesos (435 Euro) erhöht werden
die Renten sollen um 20 Prozent steigen
eine Stromerhöhung um knapp zehn Prozent soll storniert werden
Maßnahmen zur Reduzierung der Gesundheitskosten sollen beschlossen werden
Steuererhöhungen sowie die Senkung der Einkommen von Parlamentariern und hohen Staatsbeamten sind geplant“
Diese Ankündigungen sind jedoch nur kosmetischer Natur und ändern nichts an der Lage der Menschen, wenn nicht das System verändert wird. Der Spiegel-Artikel ist lang und erst ganz am Ende kommt verschämt das, was ich gemeint habe:
„Vielen Chilenen gehen die Reformen nicht weit genug. Sie halten sie für kosmetische Verbesserungen an einem neoliberalen Modell, das sie grundsätzlich ablehnen: An dem auf Gewinn optimierten Gesundheits- und Bildungssystem, an Unternehmen, die ohne staatliche Regulierung Preise festlegen und Leistungen einschränken, hat der Präsident bisher nicht gerüttelt.“
Woran erinnert mich das bloß? Ähnliches haben wir in den letzten 12 Monaten in Frankreich erlebt. Die Gelbwesten sind auch wegen einer Erhöhung von Preisen auf die Straße gegangen. Aber die Erhöhung der Benzinpreise war nicht der Grund, es war nur der Auslöser. Der Grund war, dass das Geld vieler Menschen wegen hoher Abgaben kaum mehr zum Leben reicht, während gleichzeitig im Zuge neoliberaler Reformen Steuern für Unternehmen und Millionäre gesenkt wurden. Obwohl die Gelbwesten immer noch demonstrieren, hört man nichts mehr von ihnen. Die Frage ist, ob es in Chile auch so einfach wird, die Proteste mit einer Mischung aus Aussitzen, kosmetischen Reformen und Polizeigewalt abzuschwächen.
In Chile waren an einem Tag schon über eine Million Menschen auf der Straße, danach konnte der Präsident nicht anders, als irgendwie zu reagieren. Eine Million Menschen in Chile, das wäre so, als wenn in Deutschland fünf Millionen auf die Straße gehen würden. Die größte Demo in Deutschland war wahrscheinlich die Demonstration gegen den Nato-Doppelbeschluss im Jahre 1982 mit 500.000 Demonstranten. Und vor dem Zusammenbruch der DDR demonstrierten ca. 300.000 Menschen bei den Montagsdemonstrationen. Man muss also ganz nüchtern konstatieren, dass die Unzufriedenheit der Chilenen ungleich größer sein muss als alles, was wir in der jüngeren deutschen Geschichte selbst erlebt haben.
Und diese Unzufriedenheit kann auch niemanden verwundern, schließlich ist Chile ein durchaus entwickeltes Land, in dem die Menschen trotzdem in bitterer Armut leben, während einige wenige es sich gut gehen lassen. Und wenn wir uns an die Bildung erinnern, dann hat das neoliberale System, das in Chile seit 40 Jahren wütet, dazu geführt, dass auch niemand mehr sich damit trösten kann, dass es den Kindern mal besser gehen wird, denn die Kinder von Normalsterblichen (also auch der Mittelschicht) haben keine Chance, es auf eine Universität zu schaffen. Ihre Armut ist vorgezeichnet.
Wir können also ganz nüchtern feststellen, dass der Neoliberalismus, wenn er in aller Konsequenz eingeführt wird, nicht zu Wohlstand und Freiheit, sondern zu Armut, Ungleichheit und Perspektivlosigkeit bei der Mehrheit der Bevölkerung führt.
Aber da das neoliberale System ja das System ist, welches uns von Politik und Medien als „alternativlos“ gepredigt wird, tun die Medien alles, um von diesen Gründen für die Proteste in Chile abzulenken. So konnte man im Spiegel auch lesen:
„Die Börse in der Hauptstadt Santiago brach am Dienstag um 4,6 Prozent ein, der Peso verlor massiv an Wert. Schon jetzt ist klar: Die Proteste werden das südamerikanische Land, das bisher als das wirtschaftlich stabilste der Region galt, um Jahre zurückwerfen.“
Wenn Menschen gegen menschenunwürdige Bedingungen in ihrem Land demonstrieren, dann sorgt sich der Spiegel um die Börse und die Wirtschaft. Aber was die Menschen davon gehabt haben, dass Chile „bisher als das wirtschaftlich stabilste der Region galt„, das fragt der Spiegel nicht.
Der Leser des Spiegel erfährt, dass die Menschen wegen vier Cent Preiserhöhung auf die Straße gehen und „alle was anderes und zwar sofort“ fordern. Und er erfährt, dass das für die Börse und die Wirtschaft ganz schlimm ist und sie „um Jahre zurückwirft„. Aber keine Details über Lebensumstände der Menschen, es fallen lediglich allgemeine Worte darüber, dass die Löhne niedrig, die Preise hoch und die Ungleichheit groß ist. Da denkt sich der Deutsche doch: „Das ist doch hier auch so, deshalb muss man doch nicht gleich randalieren“.
Außer solchen allgemein gehaltenen Formulierungen gibt es im Spiegel kein Wort über die Situation im Land und darüber, was der Neoliberalismus, den Politik und Medien auch für Deutschland propagieren, in Chile in 40 Jahren angerichtet hat.
Und natürlich musste man nicht lange warten, bis die USA, die den Neoliberalismus in die Welt tragen wollen und unter deren Einfluss Pinochet ihn in Chile eingeführt hat, den Schuldigen benennen. Und dreimal dürfen Sie raten, wer an allem Schuld ist. Natürlich die Russen!
Und das berichtet der Spiegel auch gerne ausführlich:
„Ein ranghoher Vertreter des US-Außenministers warf Russland vor, die Debatte in Chile durch Beiträge sogenannter Internet-Trolle in Onlinenetzwerken zu „verzerren“. Mit Trollen sind Internetnutzer gemeint, die bewusst Diskussionen stören und die Atmosphäre in Onlinedebatten vergiften. Der Ministeriumsvertreter sagte, die russische Kampagne ziele darauf ab, die Meinungsunterschiede in Chile zu verschärfen, Konflikte zu schüren und eine „verantwortungsvolle demokratische Debatte“ zu stören.“
Die Menschen sind aufgrund einer US-Wirtschaftspolitik verarmt und perspektivlos, aber Russland ist Schuld an den Protesten, das ist doch einleuchtend, oder? Anstatt aber darauf einzugehen und seinen Lesern etwas über unhaltbaren Zustände in Chile zu berichten, sind für den Spiegel die US-Behauptungen unbestritten:
„Nach Einschätzung der US-Behörden hat Russland 2016 auch in den USA versucht, durch die massive Verbreitung von Falschinformationen Einfluss auf die Präsidentschaftswahl zu nehmen und durch Polarisierung die Wahlen zur Präsidentschaft zu beeinflussen, die dann Donald Trump gegen Hillary Clinton gewann.“
Dass seit dem Mueller-Bericht offiziell bekannt ist, dass es die russische Wahleinmischung nicht gegeben hat, sondern ein Manöver von Clinton war, um Trump zu diskreditieren und die Wahl zu gewinnen, das erwähnt der Spiegel nicht.
So geht „Qualitätsjouranlismus“ in Deutschland: Man berichtet keine Hintergründe, hält die Leser dumm, verstärkt stattdessen Klischees wie die längst widerlegte russische Wahleinmischung und lässt den Leser glauben, dass wirtschaftsliberale Methoden Wohlstand für alle bringen. Dabei gibt es für diese Behauptung nicht ein einziges Beispiel, oder können Sie mir eines nennen?
Nachwort für alle Fachleute unter meinen Lesern: Mir ist klar, das ich bei den Zahlen stark vereinfacht habe. Um Durchschnittsgehalt und Mittelschicht zu definieren, müsste man eigentlich nach Brutto und Netto und auch nach Anzahl der Mitglieder eines Haushaltes fragen. Aber ich wollte hier keine wissenschaftliche Arbeit schreiben, mir ging es darum, das prinzipielle Problem aufzuzeigen und dazu haben mir diese etwas vereinfachten Zahlen ausgereicht. Es ist nicht kriegsentscheidend, ob das Durchschnittsgehalt in Deutschland bei 3.000 oder 3.200 liegt und ob es netto je nach Steuerklasse und Kindern im Haushalt dann 2.300 oder 1.600 Euro sind. Entscheidend war mir, die Lebenssituation und die Hintergründe aufzuzeigen, die in Chile herrschen und zu den Protesten geführt haben.
Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“
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