Spahn on tour – woran unser Gesund­heits­wesen wirklich krankt

Aller­orten fast nur Flick­schus­terei, vor allem in der Pflege. Liegt’s am Geld? Mangelt es an Fach­kräften, oder wie kam dieser Mangel zustande?
(von Albrecht Künstle)
Nach sechs Wochen Kli­nik­auf­enthalt und den Nach­richten der letzten Wochen, dass der Pfle­ge­be­reich in Deutschland vor dem Kollaps steht, sei mir gestattet, mich auch zu diesem Problem zu Wort zu melden. Weil ich 14 Jahre meines Berufs­lebens auch mit den Abläufen in Kran­ken­häusern und Sozi­al­sta­tionen der Caritas befasst war, kann ich mir ein Urteil auch auf diesem Gebiet erlauben.

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Ja wir haben – anders als einen aktu­ellen Kli­ma­not­stand – einen sehr aktu­ellen Pfle­ge­not­stand. Dafür werden ver­schiedene Ursachen ins Feld geführt und teil­weise frag­würdige Lösungswege dis­ku­tiert. Bis hin zu kon­tra­pro­duk­tiven Schein­lö­sungen – was nicht ver­wundert, weil erfolg­reiche The­rapien ohne tref­fende Dia­gnose selten sind. Das gilt nicht nur medi­zi­nisch. Ob das Ansinnen des Gesund­heits­mi­nisters, Pfle­ge­per­sonal Fernost und Mit­tel­amerika zu holen, die Lösung ist? Nun zu den ein­zelnen Bereichen:
Geld(mangel?): Die Kran­ken­haus­fi­nan­zierung erfolgt von zwei Seiten. Die Länder und große Kom­munen sind für den Bau und Unterhalt (Inves­ti­ti­ons­kosten) zuständig. Für den Kran­ken­haus­be­trieb, die Per­so­nal­kosten sind es die Kran­ken­kassen. Schlimm, dass Länder ihren Finan­zie­rungs­ver­pflich­tungen nicht aus­rei­chend nach­kommen, jeden­falls nicht für Erhal­tungs­in­ves­ti­tionen. Aber eine kos­tenlose Gesund­heits­ver­sorgung für Zuwan­derer finan­zieren. In Berlin erfolgt diese sogar mit anony­mi­sierten Kran­ken­ver­si­che­rungs­kärtchen – „sexy“ wie Berlin so ist.
Die Bezahlung des Per­sonals hängt einmal von der Stärke der Gewerk­schaft Ver.di ab  sowie von den Pfle­ge­satz­ver­hand­lungen mit den Kran­ken­kassen. Bei beidem liegt es im Argen. Ver.di ist zwar überall dabei, wo es etwas zu demons­trieren gibt, sei es gegen eine unliebsame Partei, für die unbe­grenzte Zuwan­derung von Leuten aus aller Welt, oder wenn sie Kli­ma­streiks unter­stützt. Aber als Gewerk­schaft im eigent­lichen Sinne versagt Ver.di. Das gilt für die eigent­liche Ver­gütung des Pfle­ge­per­sonals, erst recht aber für die Höhe der Zuschläge für belas­tende Arbeits­zeiten. Die Zuschläge für Spät- und Nacht­arbeit, Schicht­wechsel, Sonn- und Fei­er­tags­zu­schläge ver­dienen den Namen nicht. Für das mise­rable Extrageld für solche Arbeits­zeiten würden die Beschäf­tigten der Industrie nicht einmal den Zünd­schlüssel umdrehen, um zur Arbeit zu fahren.
Die Pfle­ge­satz­ver­hand­lungen mit oder durch die Kran­ken­kassen mit den Dienst­leistern im Gesund­heits­wesen sind eben­falls ein Sarg­nagel. Obwohl die Arbeit­neh­mer­seite pari­tä­tisch in den Organen der Kran­ken­kassen ver­treten ist, führen sie diese Ver­hand­lungen rigo­roser als ein­ge­fleischte Unter­neh­mens­ver­treter bei Tarif­ver­hand­lungen. Und engen damit gleich­zeitig ihren tarif­lichen Ver­hand­lungs­spielraum ein. Schi­zo­phren kann man dazu sagen. Ohne die Präsenz der Gewerk­schafter in den Sozi­al­ver­si­che­rungs­or­ganen wäre es auch nicht schlechter.
Auch die Alters­ver­sorgung der Beschäf­tigten biete keinen Anreiz mehr, in den öffent­lichen Dienst all­gemein und die Pflege zu gehen. Die frühere Gesamt­ver­sorgung wurde 2001 abge­schafft und durch ein kapi­tal­ge­decktes Punk­te­system ersetzt, das mate­riell 20 Prozent schlechter ist. Inzwi­schen noch schlechter, da die Aus­fi­nan­zierung der Alters­ver­sorgung im Zuge der Null­zins­po­litik der EZB zu wei­teren Ein­schrän­kungen hin­sichtlich der Höhe der Betriebs­renten führt.
Feh­lende Aner­kennung der Gesund­heits­berufe. Die man­gelnde Wert­schätzung dieser Tätig­keiten schlägt sich nicht nur in der Bezahlung nieder. Doch die Politik wäscht ihre Hände in Unschuld und ver­weist auf die Tarif­au­to­nomie. Und die Min­dest­löhne schaffen auch keine wirk­liche Abhilfe. Lang­jährig Beschäf­tigte beklagen darüber hinaus, dass sich viele Pati­en­tinnen und Pati­enten immer mehr auf­führen, als würde das Pfle­ge­per­sonal bessere Arbeits­be­din­gungen haben als sie selbst haben oder sie hatten.
Arbeits­zeiten in der Pflege. Aus meiner Sicht sind die Dienst­pläne der Kran­ken­häuser und Sozi­al­sta­tionen die Haupt­ur­sache für den Per­so­nal­mangel. Ich kann mir ein Urteil erlauben, weil ich ursprünglich aus einem Unter­nehmen mit Schicht­ar­beit­arbeit komme. Auch im Con­ti­schicht­be­trieb rund um die Uhr wissen die Beschäf­tigten der Industrie, ob und wann sie an bestimmten Tagen in 3, 6 oder 9 Monaten ein­ge­teilt sind. Ent­spre­chend können sie ein Fami­li­en­leben führen, das noch etwas mit „Leben“ zu tun hat. Solche regel­mä­ßigen Schicht­pläne sind möglich, indem normale Aus­falltage, wie durch­schnitt­liche Krank­heitstage, Fort­bildung, Kurz­ur­laubstage, tarif­liche Frei­stel­lungstage usw. für die Per­so­nal­be­darfs- und Ein­satz­planung berück­sichtigt werden. Werden für den rei­bungs­losen Betriebs­auflauf 1.000 Arbeits­kräfte benötigt, werden z.B. 1.200 vor­ge­halten. Die 200 eben­falls fest Beschäf­tigten springen dann ein, wenn nächste Woche welche krank werden oder über­nächste Woche Urlaub wollen.
In einer „Gesund­heits­fabrik“ gibt es keinen Betriebs­urlaub, weshalb der volle Urlaub ange­setzt werden müsste. Für alle nor­malen Aus­falltage wären ca. acht Wochen anzu­setzen. 52,35 Jah­res­wochen minus diese 8 Wochen sind gegenüber den ver­blei­benden 44,35 Wochen 18 Prozent. Die Beschäf­tig­ten­stunden müsste deshalb 18 Prozent höher sein, als der theo­re­tische Stun­den­bedarf gemäß der Min­dest­be­setzung der ver­schie­denen Abtei­lungen und Sta­tionen. Aber ein so struk­tu­riertes Per­so­nal­wesen scheint bei Per­so­nal­chefs und Pfle­ge­dienst­lei­tungen unbe­kannt zu sein. Und das funk­tio­niert dann so: Fällt jemand aus und man ist schon an der Per­so­nal­be­set­zungs­grenze, dann wird jemand aus der Freizeit ange­rufen, er möge doch das Loch stopfen. Doch mit dem unplan­mä­ßigen Per­so­nal­einsatz aus der Freizeit heraus wird ein neues Loch auf­ge­rissen. Wer solche Dienst­pläne anschaut kann kei­nerlei Regel­mä­ßigkeit erkennen; es sind keine Dienst­pläne sondern Fli­cken­tep­piche. „Uns fehlt das Geld für bessere Dienst­pläne“, wird ent­gegen gehalten. So eine Stuss, als ob die aus der Freizeit geholten Leute umsonst einspringen.
Eine solch frei­händige Per­so­nal­ein­satz­praxis schafft viel Unmut. Der Anteil von Ledigen, Allein­er­zie­henden und Geschie­denen ist nir­gends so hoch wie im Pfle­ge­be­reich. Die Beschäf­tigten sind eher mit ihren „Arbeit­gebern“ und den Pati­enten „ver­hei­ratet“ als mit den Lebens­partnern. Das machen auf Dauer nur wenige mit. Einige halten das nicht aus, und kehren so dem Pfle­ge­dienst den Rücken. Oder sie sind aus­ge­powert und werden zu früh Erwerbs­min­de­rungs­rentner/innen. Oder sie werden zu „Flücht­lingen“ der anderen Art: Ich komme aus Süd­baden und weiß deshalb, was sich jeden Morgen auf dem Frei­burger Bahnhof abspielt. Die Hälfte der mor­gend­lichen ICEs nach Basel sind gefüllt mit Pfle­ge­per­sonal. In der Schweiz ver­dienen sie nicht nur besser, sie haben gere­geltere Arbeits­zeiten, und eine höhere Wertschätzung.
Was tun die Kran­ken­häuser? In Baden-Würt­temberg wurde wegen der gefähr­lichen Unter­be­setzung z.B. auf Inten­siv­sta­tionen ein Per­so­nal­schlüssel von 3,5/2,5 Pati­enten (tags/nachts) je Fach­kraft ver­ordnet. Und weil selbst dieser Schlüssel nicht immer erfüllt werden kann und heftige Strafen drohen, legen Kli­niken OP-Betten still, was gleich­zeitig weniger OP-Mög­lich­keiten bedeutet. Wenn aber so teure Bereiche „gesund­ge­schrumpft“ (?) werden, steigen die Abschrei­bungen der Inves­ti­tionen je Fall. Ein Teufelskreislauf.
Und was tut unser Gesund­heits­mi­nister? Jetzt tingelt er durch die Welt und will Pfle­ge­kräfte aus dem Ausland holen. Als ob das die Lösung wäre. Dass es keine ist, zeigen die schon beschäf­tigten Pfle­ge­kräfte aus dem Ausland. Diese ver­sorgten bisher unsereins, weil unsere Schulabgänger/innen lieber eine brotlose Kunst stu­dieren wollen, statt in Berufe zu gehen die gebraucht werden. Doch eines scheinen unsere Regie­rungen aus­zu­blenden: Wer Arbeits­kräfte ruft, holt weitere Nach­frage nach Dienst­leis­tungen wie Gesund­heits­ver­sorgung ins Land.
Nachdem ich mich in der Klinik umsah, als ich wieder etwas beweglich war, sah ich, wie viele bärtige Männer und Kopf­tuch­frauen als Pati­enten die Klinik und andere Kran­ken­häuser füllen. Die Bevöl­ke­rungs­zu­nahme um zwei­einhalb Mil­lionen in nur fünf Jahren hin­ter­lässt ihrer Spuren auch im Gesund­heits­be­reich. Besonders auf­fallend in der Gynä­ko­logien der Häuser, in denen die Zuwan­derer-Frauen über die Hälfte des Per­so­nal­be­darfs der nötigen Geburts­hilfe aus­machen. Es ist jetzt all­gemein so, dass die ost­eu­ro­päi­schen Pfle­ge­rinnen für die Ver­sorgung der süd­län­di­schen Mütter und Pati­enten kaum noch aus­reichen. Für die Pflege sind sich die Edel-Aus­länder aus dem Süden zu schade, sie geben als Berufs­wunsch Arzt an, drunter geht nichts.
Fazit: Der Ruf auch nach Fach­kräften im Gefolge von Merkels Lockruf von 2015 war viel­leicht gut gemeint. Doch ihre Zuwan­de­rungs-„Revo­lution frisst (nun) ihre eigenen Kinder (frei nach Wolfgang Leonhard). Denn laut Bun­desamt für Migration Bun­desamt für Migration BAMF  http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/BerichtsreihenMigrationIntegration/Wanderungsmonitoring/wanderungsmonitoring-jahresbericht-2018.html;jsessionid=DEC7DB08A654EACD9EFA0E62843E5C12.1_cid294?nn=2080452 hatten im Jahr 2018 bereits 1.229.203Erwerbs­mi­granten“ einen ent­spre­chenden Auf­ent­halts­titel – alleine aus Dritt­staaten ohne EU. Davon ent­fielen 33,6 Prozent auf Neu­be­wil­li­gungen, also 413.000 für Nicht-EU-Aus­länder in einem Jahr. Meine Frage lautet, „Sag mir, wo sind sie geblieben?“, diese Erwerbsmigranten.
Aus Goethes Zau­ber­lehrling: „Walle, walle manche Strecke, dass zum Zwecke Wasser fließe und mit reichem, vollem Schwalle zu dem Bade sich ergieße.“ Das erfolgte im Gedicht Schlag auf Schlag.Und sie laufen! Nass und nässer, wird’s im Saal und auf den Stufen. Welch ent­setz­liches Gewässer! Herr und Meister! Hör mich rufen! – Ach, da kommt der Meister! Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los.“ Es lohnt, sich jenes Gedicht wieder einmal in Erin­nerung zu rufen https://www.textlog.de/18471.html .
Ja, denn die Zau­ber­lehr­linge scheinen nicht aus­zu­sterben. Die Neu-Zau­berer glauben, dass sie nur Pfleg­per­sonal und andere Fach­kräfte rufen, die selbst und ihre Ange­hö­rigen nicht auch krank werden. Die 2,5 Mio. zusätz­lichen Ein­wohner bedürfen aber der Gesund­heits­ver­sorgung. Und wenn aus diesen selbst nicht genügend Fach­kräfte rekru­tiert werden können, wei­terer zu impor­tie­render Fach­kräfte, die weitere Ein­wohner nach sich ziehen – ein „Rat­ten­schwanz“ (umgangs­sprachlich „eine große Anzahl unent­wirrbar mit­ein­ander ver­quickter unan­ge­nehmer Dinge“, aus einem Wörterbuch)