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Wir sind Rechts­staat – sind wir Rechtsstaat?

Betrachten wir mal fol­gendes als „Regel der Ver­nunft“ im Mar­keting: Man gibt nicht hun­dert­tau­sende Euro für eine Kam­pagne aus, wenn das beworbene „Gut“ so alter­na­tivlos ist wie die Luft zum Atmen. Haben Sie jemals davon gehört, dass das Land­wirt­schafts­mi­nis­terium für die Ver­wendung von Erde für den Ackerbau wirbt? Oder ein Was­serwerk uns darum bittet, es beim Duschen doch mal mit Wasser zu ver­suchen? Oder dass eine Kfz-Zulas­sungs­stelle mit „Zieh Dir da mal Eine“-Plakaten auf ihre War­te­nummern hin­weist? Auf solche Ideen kann eigentlich nur kommen, wer beden­kenlos das Geld anderer Leute aus­geben kann, weil man es für einen nach­wach­senden Roh­stoff hält. So auch unsere geliebte Bun­des­re­gierung. Das Bun­des­mi­nis­terium für Justiz macht mit seiner Image­kam­pagne „Wir sind Rechts­staat“ nämlich genau das. Auf der Homepage des BMJV wird die Kam­pagne wie folgt angeteasert:
Mit einer bun­des­weiten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kam­pagne wollen wir den Rechts­staat sicht­barer und ver­ständ­licher machen und das Ver­trauen in den Rechts­staat stärken. Wir zeigen die Bedeutung, Vor­teile und Errun­gen­schaften des demo­kra­ti­schen Rechts­staats für den Einzelnen.“
Sichtbar machen kann man nur, was unsichtbar und Stärke hat nötig, was schwach ist. Nun ist unser Rechts­staat und die Gewal­ten­teilung zumindest theo­re­tisch eine feine Sache, prak­tisch funk­tio­niert sie leider nur man­gelhaft, wie erst neulich auch der EuGH fest­stellen musste. Aber egal wie funk­tional oder dys­funk­tional unser Rechts­staat auch sein mag. Die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kam­pagne zu seiner „Sicht­ba­rer­ma­chung“ stellt – sicher ohne dass ihre Macher sich dessen bewusst sind – den Status Quo in Frage. Scheinbar sieht das BMJV in unserem Land Kräfte am Werk, die gerade nicht auf Rechts­staat und Gewal­ten­teilung setzen, weshalb man ums sie werben und ihnen erklären muss, worin die Vorzüge liegen. Aber Vorzüge im Ver­gleich wozu?
Alter­native zum Rechtsstaat?
Haben die Bürger dieses Landes die Mög­lichkeit, den Rechts­staat abzu­lehnen? Gibt es alter­native Angebote? Oder alter­native Nach­frage? Hat der Rechts­staat nicht eigentlich Ver­fas­sungsrang und jede Kraft, die ver­sucht, ihn abzu­schaffen oder zu schwächen, ist ein Auftrag für Ver­fas­sungs­schutz und Justiz? Falls dies so ist, an wen mag sich die Kam­pagne wohl richten? An alle, die im „besten Deutschland leben, dass es je gab“ doch sicher nicht. Wozu etwas selbst­ver­ständ­liches sicht­barer machen, wenn es so toll funk­tio­niert, ohne dass es „sicht­barer“ sein müsste.
Viel­leicht richtet sich die Aktion an jene, denen auf­ge­fallen ist, dass dem Staat das ihm zuge­spro­chene Gewalt­mo­nopol all­mählich aus den Händen gleitet, auf dass die Opfer dieses Ver­sagens ihr Leid besser annehmen? Ent­schuldigt man viel­leicht kul­tu­relle Rabatte bei der Bewertung einer Straftat und dem Strafmaß damit, dass die „Sicht­barkeit” des Rechts­staates eben von Fall zu Fall unter­schiedlich sein kann? Mög­li­cher­weise soll es ja auch eine Auf­mun­terung sein für die Poli­zisten, denen die undankbare Aufgabe zufällt, gel­tendes Recht immer häu­figer mit Macht und zah­len­mä­ßiger Über­le­genheit durch­zu­setzen, weil immer mehr Men­schen die Grenzen dieser Macht aus­testen? Wenn Grenzen nach außen fehlen, werden sie offenbar nach innen umso leichter überschritten.
Ein Rechts­staat funk­tio­niert nur durch Ein­sicht, nicht durch Zwang
Ein Merkmal des Rechts­staates und einer funk­tio­nie­renden Demo­kratie ist es, dass sich die über­wie­gende Mehrheit der Bürger frei­willig, aus Ein­sicht und ohne Zwang an die auf­ge­stellten Regeln hält. Je geringer diese Ein­sicht, umso mehr nähert man sich einem Poli­zei­staat oder einer über­las­teten, inef­fi­zi­enten Justiz. Wenn die Kam­pagne etwa auf die Frage „Warum dauern manche Gerichts­ver­fahren so lange?“ ant­wortet, „Kom­ple­xität, Per­so­nal­mangel, Beweis­auf­nahmen und Gut­achten“ zögen Ver­fahren in die Länge, lässt man die tie­feren Ursachen völlig aus dem Blick. Zwar leidet die Justiz tat­sächlich unter Per­so­nal­mangel, doch liegt das vor allem daran, dass Art und Anzahl der Fälle durch eine Vielzahl bisher fast unbe­kannter Delikte geradezu durch die Decke gingen oder manche Poli­tiker mit ihrer Anzei­ge­freu­digkeit ganze Heer­scharen von Ermittlern beschäf­tigen können. Und natürlich dürfen wir den allen ins Stammbuch geschriebene „Kampf gegen rechts” nicht ver­gessen, der neu­er­dings aus jedem Bürger einen Bür­ger­er­mittler und Bür­ger­richter macht.
Aber mit der Unab­hän­gigkeit der Justiz ist es nicht weit her, wenn deren Urteile von der Legis­lative unter­wandert und von der Exe­kutive nicht durch­ge­setzt werden. Ich erinnere nur an den Fall „Miri“ in Bremen, wo ein rechts­kräftig Abge­scho­bener nach seiner ille­galen Wie­der­ein­reise erst erneut Behörden und Gerichte beschäf­tigte und nun zum zweiten Mal mit dem Pri­vatjet abge­schoben wird. Wie­viele Luxus-Abschie­bungen man wohl für den Preis einer Rechts­staat-Image-Kam­pagne durch­führen kann? Oder man denke an die poli­tische Ent­scheidung, will­kür­liche „Kon­tin­gente“ von Migranten per Ukas und damit unter Umgehung rechts­staat­licher Ver­fahren ins Land zu holen, dort ihre man­gelnde Asyl­be­rech­tigung fest­zu­stellen und sie dann dennoch so gut wie nie wieder abschieben zu können.
Fried­liches Miteinander?
Die Gewal­ten­teilung sorge, so die Macher der Image-Pfle­ge­serie, „seit Jahr­zehnten für eine Macht­ba­lance, für ein fried­liches Mit­ein­ander“ und „schütze die Men­schen vor staat­licher Willkür“. Nur dass der Staat diese Willkür gegenüber dem Bürger heute nicht mal selbst ausüben muss, sondern an NGO’s aus­lagert, die ganz in seinem Sinne handeln. Egal ob Die­sel­fahr­verbote, Netz-Zensur oder Kli­ma­not­stände – die Gerichte nickten regel­mäßig Maß­nahmen im Namen der „All­ge­meinheit“ ab, was man überall nur nicht in Deutschland wahl­weise als staat­liche Willkür oder Ohn­macht bezeichnen würde.
Auf mich wirkt die staatlich bestellte Kam­pagne „Wir sind Rechts­staat”, als solle der Ein­druck erweckt werden, die Regierung sei es, die dem Volk den Rechts­staat „schenkt“. Dabei gehört er ihm schon immer, wird aber schlampig ver­waltet. Wie sonst käme aus­ge­rechnet das Jus­tiz­mi­nis­terium auf die Idee, die teure Wer­be­trommel für den Rechts­staat zu rühren, anstatt ihn einfach wirksam durch­zu­setzen? Wozu also Geld in diese sinnlose Kam­pagne stecken? Ange­sichts dieser Ver­schwendung kommt es einem vor, als säße man wartend auf den Fluren eines Amts­ge­richts, dem zwar Richter, Staats­an­wälte und Ange­stellte fehlen, wo der Putz von der Decke rieselt und vor­bei­has­tende Bedienstete Dis­ketten in den Händen haben, den War­tenden aber Sekt und Häppchen mit der Auf­for­derung gereicht werden, bei Tri­p­ad­visor eine gute Bewertung abzugeben.

Handelt es sich hier etwa um eine besonders subtile Art des Humors oder wird hier Online simu­liert, was Offline längst auf Knirsch und Ver­schleiß gefahren wird? Und was sollen uns Motive wie die knut­schenden Bre­schnew und Hon­ecker unter dem Slogan „Wir sind Einigkeit und Recht und Freiheit“ wohl sagen? Dieses Motiv würdigt nicht einen wich­tigen his­to­ri­schen Jah­restag dieses Jahres: 30 Jahre Mau­erfall“, wie es auf der Web­seite der Kam­pagne heißt, sondern gibt ihn der Lächer­lichkeit preis. Da hilft es auch nicht, das dieses Bild im Mau­er­museum zu finden ist. Die Kol­la­bo­ration und der Aus­tausch von Kör­per­flüs­sig­keiten zweier Dik­ta­toren hat im Kontext „Rechts­staat” schlicht nichts verloren.
Hatte das Jus­tiz­mi­nis­terium ganz andere Ziel­gruppen im Sinn?
Es kann natürlich sein, dass ich das alles völlig falsch ver­stehe. Viel­leicht ist die Ziel­gruppe der Image­kam­pagne ja gar nicht der Bürger, der sich geräuschlos und meist instinktiv an die Regeln des Rechts­staates hält, wodurch er das System über­haupt erst ermög­licht, weil er selbst dessen Durch­setzung nicht bedarf, weil er gerade nicht ständig und mit Nach­druck an die Regeln erinnert werden muss. Viel­leicht soll die Kam­pagne aber auch Poli­tiker wie den Ber­liner Grünen Dirk Beh­rendt zur Ordnung rufen? Der ist nämlich Jus­tiz­se­nator in aus­ge­rechnet jenem Bun­desland, in dem die Justiz im denkbar grau­en­haf­testen Zustand ist – was man am Krank­heits­stand von teil­weise über 40% gut ablesen kann. Aus­ge­rechnet Beh­rendt beschei­nigte nun dem Bun­desland Hessen, dass es dort mit dem Rechts­staat „nicht weit her“ sei. Ruft da jemand „Haltet den Dieb, er hat mein Messer im Rücken.“? Eigen­artig, oder?
Bleiben noch zwei weitere mög­liche Adres­saten. Einer­seits jene „Kreise“, die unsere Justiz eher als Mit­be­werber bei der Rechts­findung und die Polizei als eine Gewalt aus­übende Partei unter vielen betrachten – eine Partei, die sich besser „raus­halten“ solle. Jene Kreise, die Dinge „unter sich“ regeln, die Scharia für „mit dem Grund­gesetz kom­pa­tibel“ halten und der Polizei und den Gerichten nur zu gern „Arbeit abnehmen“ würden, oder aber mit der Selbst­er­mäch­tigung nach der Art eines „anar­chis­ti­schen Mani­fests“ nicht über, sondern anstelle gel­tenden Rechts schalten und walten wollen, wie es ihnen beliebt.