Merkel trägt Geldkoffer in die Welt, hat aber für die Tafel nur mahnende Worte übrig. (Logo: Tafeln Deutschland)

Die Medien erhalten die Illusion vom “reichen Deutschland” um jeden Preis aufrecht

Deutschland ist ein reiches Land, lernen wir ständig in den Medien. Dabei wird igno­riert, dass die Men­schen in Deutschland immer ärmer werden. Ich habe dazu Mel­dungen der letzten Wochen gesammelt und zusammengefasst.
In Deutschland gibt es recht ein­fache, unab­hängige Indi­ka­toren, die auf­zeigen, ob die Armut in Deutschland wächst oder nicht. Und sie wächst mit Riesenschritten.
Die Tafeln sind heute aus Deutschland nicht mehr weg­zu­denken und dort fangen frei­willige und ehren­amt­liche Helfer die Men­schen auf, die der angeb­liche Sozi­al­staat fallen gelassen hat. Im Spiegel konnte man am 7. Dezember lesen:
„Die etwa 940 Tafeln ver­zeich­neten zuletzt 1,65 Mil­lionen Kunden, dies seien zehn Prozent mehr als im ver­gan­genen Jahr, sagte der Vor­sit­zende des Bun­des­ver­bands, Jochen Brühl, der „Neuen Osna­brücker Zeitung“. Besonders groß sei die Nach­frage von älteren Men­schen. „Die Zahl der Rentner unter den Tafel­kunden ist innerhalb eines Jahres um 20 Prozent auf 430.000 gestiegen.““
Das sind scho­ckie­rende Zahlen. Men­schen, die ein Leben lang gear­beitet haben, müssen im wohl­ver­dienten Ruhe­stand (so nannte man das mal in Deutschland) zu Tafeln gehen, weil ihre Rente nach Abzug anderer Kosten nicht reicht, um Lebens­mittel zu kaufen. Aber Politik und Medien erzählen uns das Märchen vom „reichen Deutschland“. Mag ja sein, dass es der Wirt­schaft gut geht, aber was hilft das, wenn die Zahl der bet­tel­armen Men­schen immer schneller wächst?
Weiter konnte man im Spiegel lesen:
„Ver­bands­vor­sit­zender Brühl beklagte, die Gesell­schaft ver­dränge, unter welchen Bedin­gungen viele Men­schen lebten. „Ich glaube zwar nicht, dass Men­schen hier­zu­lande hungern.“ Aber gerade ältere Men­schen berich­teten, dass sie die Heizung im Winter nicht anstellten aus Sorge, die Heiz­kos­ten­ab­rechnung im Frühjahr nicht mehr bezahlen zu können.“
Ich habe über die Situation in der Ukraine – und die ist immerhin das ärmste Land Europas – schon öfter geschrieben, dass dort die Men­schen auf­grund der nied­rigen Ein­kommen im Winter ent­scheiden müssen, ob sie heizen oder essen wollen. So weit muss man offen­sichtlich nicht schauen, auch in Deutschland gilt das wohl für immer mehr Men­schen. Deutschland – ein reiches Land?
Viele Men­schen ver­stehen gar nicht, wie das kommt, dass plötzlich die Alters­armut steigt. Früher gab es doch gute Renten in Deutschland. Das Problem liegt in der Ren­ten­reform von Rot-Grün. Eine solche Reform wird nicht über Nacht umge­setzt. Die Her­ab­setzung der Renten und die Erhöhung des Ren­ten­ein­tritts­alters wurde auf 24 Jahre gestaffelt. Jedes Jahr gehen die Rentner einen Monat später in Rente und bekommen etwas weniger Rente, als die­je­nigen, die voriges Jahr in Rente gegangen sind. Das sind kleine Schritte, die die Men­schen nicht unbe­dingt bemerken. Aber dann plötzlich stellt man fest: Es gibt neu­er­dings Alters­armut, ein Phä­nomen, das man vor 20 Jahren in Deutschland prak­tisch nicht kannte.
Und die Redu­zierung der Renten geht noch bis 2030 weiter, wir sind noch nicht am Ende der Fah­nen­stange ange­kommen! Das wird noch viel schlimmer. Wie die Ren­ten­ver­si­cherung funk­tio­niert und wie sich das Problem der Alters­armut schnell beheben lassen würde, habe ich hier all­gemein ver­ständlich erklärt.
Aber es sind nicht nur die Rentner, die arm sind in Deutschland. Im Spiegel stand auch zu lesen:
„Denn Ver­bands­vor­sit­zender Brühl geht nicht davon aus, dass die derzeit dis­ku­tierten Reformen wie die Grund­rente Pro­bleme grund­sätzlich lösen werden. „Grund­rente klingt so, als werde damit die Alters­armut in Deutschland abge­schafft. Das ist natürlich Quatsch.“ Eine effektive Bekämpfung der Alters­armut beginne im Erwerbs­leben oder noch früher. „Unter unseren Kunden sind auch 500.000 Kinder und Jugend­liche. Deren Zahl über­steigt also noch die der Rentner, die unsere Angebote nutzen.““
Die Armuts­be­kämpfung ist das Problem. In Deutschland gilt immer noch: Wer aus „ein­fachen Ver­hält­nissen“ kommt, der hat viel schlechtere Chancen, später einmal besser zu leben, als die Eltern. Die soziale Her­kunft der Eltern spielt in Deutschland immer noch eine wichtige Rolle für die eigene Zukunft. Das jetzt im Detail zu ana­ly­sieren, führt hier zu weit, aber die Zahlen der Tafeln zeigen, dass da ein wei­teres Armuts­problem her­an­wächst, denn die Wahr­schein­lichkeit, dass die 500.000 Kinder, die heute auf die Tafeln ange­wiesen sind, aus der Armut her­aus­kommen, ist gering.
Und auch das Wort „Grund­rente“ konnten wir im Spiegel lesen. Der Ver­bands­vor­sit­zender der Tafeln meint, die Grund­rente würde das Problem nicht lösen. Das ist für mich ein­leuchtend, denn die Grund­rente, wie sie geplant ist, liegt ja nur unwe­sentlich über der Grund­si­cherung, also dem „Hartz 4 für Rentner“.
Aber was haben Politik und Medien für eine Show um die Grund­rente auf­ge­führt! Wirt­schafts­experten waren dagegen, weil es so teuer ist. Die CDU will eine Bedürf­tig­keits­prüfung, bei der die Finanz­ämter der Ren­ten­ver­si­cherung mit­teilen müssen, ob der Rentner auch Anspruch auf eine Grund­rente hat oder ob er nicht noch andere Ein­kom­mens­quellen hat und die Grund­rente nicht braucht. Was gut klingt, scheint erstens tech­nisch gar nicht möglich zu sein und wenn es doch irgendwie umge­setzt wird, dürfte der büro­kra­tische Aufwand dafür teurer werden, als das, was man dadurch ein­sparen würde.
Bei all dem medialen Lärm, der um die Grund­rente gemacht wurde, sind die nackten Zahlen aber unter­ge­gangen. Im Spiegel konnte man lesen:
„Die Kosten der Grund­rente dürften laut CSU-Chef Markus Söder zwi­schen einer und 1,5 Mil­li­arden Euro liegen.“
Es gab darum einen Rie­sen­streit. Medi­en­wirksam war des­wegen sogar der Fort­be­stand der Groko in Gefahr! Alles ganz dra­ma­tisch und es wurde wild über die Refi­nan­zierung dis­ku­tiert, weil man das Geld ja irgendwo her­be­kommen muss. Ich bin sicher, Sie haben das Theater in den letzten Wochen in den Medien mitbekommen.
Inter­es­san­ter­weise gab es kei­nerlei medi­en­wirksame Dis­kussion und keinen Streit in der Koalition über die Erhöhung des Mili­täretats. Das Ver­tei­di­gungs­mi­nis­terium hat still und leise für das nächste Jahr gleich 3 Mil­li­arden mehr bekommen, der Etat liegt 2020 bei über 50 Mil­li­arden und das obwohl in keinem Minis­terium das Geld so offen­sichtlich ver­schwendet wird, wie dort. Das können Sie hier mit ein­fachen Bei­spielen nach­lesen.
Bei den 3 Mil­li­arden für neue Panzer (oder was auch immer) hat niemand nach der Refi­nan­zierung gefragt, das Geld war einfach da. Aber wenn Rentner, die 40 Jahre gear­beitet haben, einen men­schen­wür­digen Ruhe­stand bekommen sollen, wird über 1 bis 1,5 Mil­li­arden bis auf´s Blut gestritten. Darüber sollten Sie bei der nächsten Wahl mal nach­denken, bevor Sie Ihr Kreuz auf dem Wahl­zettel machen.
Wenn die Lebens­wirk­lichkeit der Men­schen so stark von dem abweicht, was Medien und Politik erzählen, dann muss man sich nicht wundern, dass inzwi­schen über 50 Prozent der Deut­schen mit dem Funk­tio­nieren der Demo­kratie in Deutschland unzu­frieden sind. Das ergab eine Umfrage von Infratest Dimap im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung im August. Und vor einigen Tagen wurde in Deutschland groß berichtet, wie schlimm die Lage in Russland ist und dass so viele Russen angeblich nur weg wollen. Dass aber im letzten Jahr nur ca. 60.000 Russen ihr Land ver­lassen haben, während fast 250.000 Deutsche ihrem Land den Rücken gekehrt haben, das wurde vor­sichts­halber nicht erwähnt.
Die Legende vom „reichen Deutschland“ ist im Grunde tot. Klar, im Ver­gleich zu Afrika geht es den Deut­schen sehr gut, aber im Ver­gleich zu unseren Nachbarn? Selbst Russland hat Deutschland beim Lebens­standard ein­geholt, das war vor 20 Jahren undenkbar.
Die deut­schen Medien halten aber an der Illusion des „reichen Deutschland“ fest, während so viele Deutsche das Land ver­lassen, wie nie zuvor und während manche Rentner Angst haben, im Winter die Heizung anzumachen. 

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“