Photo: Simone D. McCourtie / World Bank - flickr.com - CC BY-NC-ND 2.0

Frü­herer IMF-Chef­ökonom: Heli­kopter-Geld gegen Barbaren

Die NZZ inter­viewt den frü­heren Chef­ökonom des Wäh­rungs­fonds Maurice Obstfeld, der, wie nicht anders zu erwarten, die For­derung nach direkter Staats­fi­nan­zierung durch die Noten­banken bekräftigt. Täten sie es nicht, stünden „die Bar­baren vor der Tür“. Klar, bei dieser Alter­native kann man nur für die direkte Staats­fi­nan­zierung sein:

  • „(Der) Han­dels­krieg (…) ist eine Belastung für die Welt­wirt­schaft und daher auch für die USA. (…) Die ame­ri­ka­nische Wirt­schaft pro­fi­tiert momentan noch von der Steu­er­reform des Jahres 2017 und von diversen staat­lichen Aus­ga­ben­pro­grammen. Letztere kurbeln die Wirt­schaft aber nur kurz­fristig an und sind keine Quelle für per­ma­nentes Wachstum.“ – Stelter: Es ist nach­voll­ziehbar, dass Obstfeld für eine Been­digung des Han­dels­kon­fliktes ein­tritt. Ande­rer­seits ist es unrea­lis­tisch, haben wir es doch mit einer struk­tu­rellen Her­aus­for­derung zu tun.
  • „(Die amtie­rende US-) Regierung hat im Dienst eines kurz­fristig höheren Wachstums die zen­tralen Her­aus­for­de­rungen ver­nach­lässigt. Ich denke an den Kli­ma­wandel, die Infra­struktur, die Aus­bildung der Arbeiter. Keines dieser Pro­bleme wird ange­gangen. Auch nicht die Staats­ver­schuldung, das System der sozialen Sicherung oder die Kran­ken­ver­si­cherung. Trumps Wirt­schafts­po­litik beschränkt sich auf die Kürzung der Steuern, die Erhöhung der Aus­gaben und das Ankurbeln der Wirt­schaft für die nächsten Wahlen.“ – Stelter: ein Stroh­feuer oder aber der Versuch, die USA aus der Sta­gnation her­aus­zu­zwingen. Ich sprach von Reflation. Dass es nicht funk­tio­niert hat, unter­streichen die defla­tio­nären Kräfte der Eiszeit.
  • „(…) früher agierten die USA als wirt­schaft­liche Füh­rungs­kraft. Man sorgte dafür, dass andere Staaten gemeinsam und koope­rativ agierten. (…) Kommt es erneut zu einer Krise und benötigt deren Bekämpfung eine globale Koope­ration, wird es schwierig. Es braucht viel Zeit, bis Nationen ein­ander ver­trauen. Doch Ver­trauen kann rasch ero­dieren – und die Trump-Regierung leistet hierzu ganze Arbeit.“ – Stelter: Vor allem braucht es die Unter­stützung der US-Fed, wenn es darum geht, die Welt zu sta­bi­li­sieren. Wenn die US-Regierung nicht zustimmt, geht das nicht. Deshalb sind Erpres­sungs­sze­narien im Kri­senfall mehr als realistisch.
  • Zu den Pro­grammen der US-Demo­kraten für die Wahl: „Es wäre ein Fehler, auf radikal linke Pro­gramme zu setzen. Eine solche Stra­tegie wäre der sicherste Weg, um eine Wie­derwahl von Trump zu ermög­lichen. Die Her­aus­for­derung für jede Regierung besteht darin, eine Position zu finden zwi­schen kom­plett freien Märkten und staat­lichem Inter­ven­tio­nismus – wobei diese Position sowohl für Wachstum als auch für soziale Kohäsion sorgen muss.“ – Stelter: Wenn man liest, was von­seiten der Demo­kraten gefordert wird, ist es ein in der Tat wenig erfreu­liches Szenario.
  • „Ab den 1990er Jahren bis zum Aus­bruch der Finanz­krise haben sich viele Volks­wirt­schaften zu stark in die Richtung des Marktes bewegt. Sie schenkten den Neben­wir­kungen von Wachstum, Tech­no­logie und Glo­ba­li­sierung zu wenig Beachtung. (…) Etwa an die Pola­ri­sierung in der Arbei­ter­schaft und die wach­senden Ungleich­heiten bei Ein­kommen oder Ver­mögen. Aber auch an die Pola­ri­sierung zwi­schen urbanen, kos­mo­po­li­ti­schen Gegenden und länd­lichen oder klein­städ­ti­schen Räumen. Das sind wichtige Themen, und sie haben negative Folgen; denken Sie an Trump oder den Brexit. Europa blieb bisher von Schlim­merem ver­schont. Doch die Bar­baren stehen vor dem Tor. Die wirt­schafts­po­li­ti­schen Schwer­punkte müssen nun neu gesetzt werden (…).“ – Stelter: Ich denke bekanntlich auch, dass wir einen Wandel brauchen. Aber mich stört, dass er die Themen Geld­ordnung, Geld­po­litik und Ver­schuldung nicht mit einem Wort erwähnt. Doch eine saubere Analyse gehört dazu.
  • „Ich rede nicht von einer Ver­staat­li­chung der Wirt­schaft oder einer schweren Hand des Staates beim Einsatz der Res­sourcen. Das wäre frei­heits­feindlich, inef­fi­zient und frus­trierend für all jene, die auf­steigen wollen. (…) Es geht nicht nur um die Glo­ba­li­sierung, sondern generell um die moderne Wirt­schaft. Ein Teil der Bevöl­kerung – und das gilt für viele Indus­trie­länder – fühlt sich benach­teiligt. Diese Leute finden, die Wirt­schafts­po­litik sei bisher vor allem darauf aus­ge­richtet gewesen, den aus­län­di­schen Staaten oder den ein­hei­mi­schen Eliten zu Reichtum zu ver­helfen, und zwar auf ihre Kosten. Diese Ver­är­gerung macht es Dem­agogen einfach, für alle Übel das Ausland, den Handel und die Migration ver­ant­wortlich zu machen. Wobei es hier nicht nur um öko­no­mische, sondern auch kul­tu­relle Sorgen geht. Viele Men­schen sehen die nationale Iden­tität in Gefahr. Wirt­schaft­liche und kul­tu­relle Sorgen sind eng mit­ein­ander ver­flochten.“ – Stelter: Wir haben natürlich das Problem der Glo­ba­li­sie­rungs­ver­lierer in den Indus­trie­na­tionen, deren Gehälter unter Druck sind und die deshalb relativ zurück­fielen. Wandern nicht nur Arbeits­plätze ab, sondern auch Men­schen zu, um vor Ort um Res­sourcen zu streiten, ist die Grundlage für Kon­flikte gelegt.
  • „Güter aus dem Ausland sind güns­tiger geworden und stehen heute in grös­serer Zahl zur Ver­fügung. Dies hat aber auch Aus­wir­kungen auf den Arbeits­markt. Man kann sich die Glo­ba­li­sierung als eine Tech­no­logie vor­stellen, die dazu führt, dass Pro­duktion und Konsum effi­zi­enter werden. Wie jede neue Tech­no­logie ver­ändert auch die Glo­ba­li­sierung die Ver­teilung der Ein­kommen. Ent­spre­chend wichtig bleibt die soziale Mobi­lität. Zudem müssen die Leute in ihrer Arbeit wieder einen Wert erkennen und zu Selbst­achtung finden. Das sind Dinge, die wir zu wenig ernst genommen haben.“ – Stelter: Die Vor­aus­setzung dafür ist, dass man in Bildung inves­tiert. Genau dies machen wir aber nicht. Um es mit Gunnar Heinsohn zu sagen, wir haben es mit einem immer grö­ßeren Teil „Unbe­schul­barer“ zu tun.
  • „(…) ich glaube nicht, dass die Geld­po­litik kei­nerlei Munition mehr hat. (…) Grund­sätzlich steht den Noten­banken wei­terhin auch die Mög­lichkeit von Anlei­he­käufen offen, wie dies die Euro­päische Zen­tralbank ja derzeit beweist. (…) Sie wirken weniger als früher. Je stärker man sie stra­pa­ziert, desto grösser werden die Neben­wir­kungen und desto kleiner werden die posi­tiven Effekte. (…) In einer künf­tigen Krise müssen aber auch die Poli­tiker Ver­ant­wortung über­nehmen. Darüber sollten sich die Regie­rungen schon heute Gedanken machen: Wie sorgt man dafür, dass eine fis­kal­po­li­tische Sti­mu­lierung pro­duktiv wirkt, welche Bedürf­nisse will man decken, wohin soll das Geld fliessen?“ – Stelter: Und genau dies pas­siert schon vor dem Hin­ter­grund des ganzen Geschwafels von der Rolle der Noten­banken beim Kampf gegen den Klimawandel.
  • „Wenn der Staat seine Mittel pro­duktiv ein­setzt, erhöhen seine Inves­ti­tionen das Poten­zi­al­wachstum. Das ver­breitert die Steu­er­be­mes­sungs­grundlage und erleichtert die Schul­denlast. Ich denke etwa an Inves­ti­tionen in eine grüne Wirt­schaft, für eine bessere Bildung oder für ein effi­zi­en­teres Gesund­heits­wesen. Zudem haben wir sehr niedrige Zinsen. Das ver­ringert die Zin­senlast, selbst bei wach­sender Ver­schuldung. Hier kann auch die Geld­po­litik eine wichtige Rolle spielen, indem sie die Zinsen niedrig hält. Derzeit müssen wir uns über Inflation ja kaum Sorgen machen. Gefragt sind neue Ideen.“ – Stelter: Das ist doch die knappe Zusam­men­fassung dessen, was jetzt kommt. Wir haben ein gutes Ziel und können es den Bürgern so erklären. Es ist einfach eine bril­lante Ausrede für die unkon­ven­tio­nellen Maß­nahmen und es wird schwer­fallen, diese zu kritisieren.

  • „Die Idee von Heli­ko­ptergeld wirkt auf viele Leute angst­ein­flössend. Aber es würde funk­tio­nieren. Und wenn es Werk­zeuge gibt, die funk­tio­nieren, sollte man darüber nach­denken, wie sie auf sichere Weise ein­ge­setzt werden könnten. Denken Sie daran: Wenn es uns im Falle eines dra­ma­ti­schen Abschwungs nicht gelingt, Gegen­steuer zu geben, hat dies dra­ma­tische poli­tische Kon­se­quenzen. Diese Folgen wären weit gra­vie­render als unsere der­zei­tigen Bedenken zur geld­po­li­ti­schen Unab­hän­gigkeit oder zu den Grenzen des Staats­haus­halts.“ – Stelter: Und wenn dann noch jemand sagt, bto sei alarmistisch!
  • „Natürlich gibt es Neben­wir­kungen. Die ein­zelnen Noten­banken haben aber kaum Ein­fluss auf das Nied­rig­zins­umfeld. Die global sehr tiefen Real­zinsen sind ein Resultat glo­baler Fak­toren. (…) Es gibt ganz offen­sichtlich einen Über­schuss von Erspar­nissen gegen­über Inves­ti­tionen. Hinzu kommt die all­ge­gen­wärtige poli­tische Ver­un­si­cherung. Das führt zu einer höheren Nach­frage nach sicheren Ver­mö­gens­werten.“ – Stelter: Am Montag habe ich gezeigt, dass diese Argu­men­tation auf wacke­ligen Füßen steht.
  • „MMT ist eine gefähr­liche Doktrin. Kurz­fristig mag eine monetäre Finan­zierung möglich sein und eine positive Wirkung haben. Aber sie ist kein Ersatz für lang­fristige Struk­tur­re­formen. Irgendwann kommt es zur Inflation. Und unter Inflation leiden die Ein­kom­mens­schwachen und die Mit­tel­klasse am meisten. Für mich erscheint die MMT wie eine linke Version der ange­bots­ori­en­tierten Wirt­schafts­theorie. Letztere gibt eben­falls vor, man könne alles haben, was man wolle: Steuern senken und gleich­zeitig die Schulden ver­ringern. Nun heisst es bei den Ver­fechtern der MMT: Man kann Geld drucken und damit ein Gesund­heits­wesen, einen Green New Deal und vieles andere finan­zieren. Doch Res­sourcen sind begrenzt. Man kann nicht alles haben.“ – Stelter: Doch wo ist der Unter­schied zwi­schen dem noten­bank­fi­nan­zierten Green Deal und MMT? Eben. Ich denke, es geht nur darum, durch massive Infla­tio­nierung die reale Schul­denlast deutlich zu ver­ringern. Und deshalb wird es gemacht werden.

Dr. Daniel Stelter –www. think-beyondtheobvious.com