Anti­ka­pi­ta­lismus: Trendy, aber ein Irrweg

Es ist schwer zu über­sehen, der Kapi­ta­lismus hat einen schlechten Ruf.

(von Alex­ander Hammond)

Ende November 2019 demons­trierten Tau­sende von Kapi­ta­lismus-Gegnern in Haupt­städten auf der ganzen Welt gegen ihn. Diese selbst­er­nannten „Anti-Establishment“-Demonstranten, die am jähr­lichen Million Mask March teil­nahmen, trugen vom Film „V wie Ven­detta“ inspi­riert Guy Fawkes-Masken (die über­wiegend in China her­ge­stellt werden) und ver­suchten, ihrer Unzu­frie­denheit mit dem kapi­ta­lis­ti­schen System und dessen unfairen Ergeb­nissen, die es angeblich schafft, Aus­druck zu verleihen.

Große anti­ka­pi­ta­lis­tische Pro­teste, wie wir sie in dieser Nacht gesehen haben, sind natürlich nichts Unge­wöhn­liches. Im August setzte die fran­zö­sische Polizei Was­ser­werfer und Trä­nengas in der fran­zö­si­schen Küs­ten­stadt Bayonne ein, um eine Demons­tration mit tau­senden Kapi­ta­lis­mus­gegnern auf­zu­lösen, die gegen den G7-Gipfel in einem nahe gele­genen Feri­enort protestierten.

Aber nicht nur bei Pro­testen tritt die Ver­achtung für den Kapi­ta­lismus zum Vor­schein. In jeder Zeitung lassen sich Schlag­zeilen finden wie „Der Kapi­ta­lismus steckt in der Krise“, „Kapi­ta­lismus versagt“ oder zuletzt „Kapi­ta­lismus ist tot“. Letz­teres ist ein aktu­elles Zitat von Marc Benioff, Sales­force-CEO, der sein Mil­li­ar­den­ver­mögen gerade dank des kapi­ta­lis­ti­schen Systems erwirt­schaften konnte.

Öffent­liche Sicht auf den Sozialismus

Die Folgen des bestän­digen Beschusses des Kapi­ta­lismus in den Medien und auf den Straßen hat eine kürzlich durch­ge­führte YouGov-Umfrage offen gelegt: Die Hälfte aller Mil­len­nials und Ange­hörige der Gene­ration Z haben eine ableh­nende Haltung gegenüber dem Kapi­ta­lismus. Die gleiche Umfrage ergab auch, dass mehr als 70 Prozent der Mil­len­nials [in den USA, Anm. d. Ü.] eher für einen sozia­lis­ti­schen Prä­si­dent­schafts­kan­di­daten stimmen würden.

Es ist einfach hip, Sozialist zu sein und die angeb­lichen Übel des Kapi­ta­lismus anzu­prangern. Aber hält diese andau­ernde Ver­ur­teilung des Kapi­ta­lismus einer Über­prüfung stand?

Jedes Jahr ver­öf­fent­licht das Fraser Institute, ein kana­di­scher Think Tank, seinen EFW-Bericht (Eco­nomic Freedom of the World), um her­aus­zu­finden, welche Länder die frei­esten (d.h. kapi­ta­lis­tischsten) Volks­wirt­schaften haben. Der EFW-Bericht stuft den Frei­heitsgrad von 162 Volks­wirt­schaften anhand von 43 Kenn­ziffern in den wich­tigsten Poli­tik­be­reichen ein: Staats­quote, Rechts­system und Eigen­tums­rechte, sta­biles Geld, inter­na­tio­naler Frei­handel und Regulierungsgrad.

Die Idee hinter dem EFW-Bericht ist, dass – wenn sich ermitteln lässt, welche Länder die kapi­ta­lis­tischsten Volks­wirt­schaften haben – sich diese Infor­ma­tionen ver­wenden lassen, um her­aus­zu­finden, ob in kapi­ta­lis­ti­scheren Ländern bessere Lebens­be­din­gungen für die Bürger herr­schen als in sozia­lis­ti­scheren (oder zumindest weniger kapi­ta­lis­ti­schen) Ländern. Um den Zusam­menhang zwi­schen wirt­schaft­licher Freiheit und mensch­lichem Wohl­ergehen zu unter­suchen, unter­teilt das EFW die 162 Volks­wirt­schaften auf der Grundlage ihres Frei­heits­grades in vier Teile. Und die Ergeb­nisse sind beeindruckend.

Das Durch­schnitts­ein­kommen in den Ländern im kapi­ta­lis­tischsten Viertel ist real erstaun­liche sechsmal höher als das Durch­schnitts­ein­kommen in den am wenigsten kapi­ta­lis­ti­schen Volks­wirt­schaften (36.770 US-Dollar gegenüber 6.140 US-Dollar). Für die Ärmsten einer Gesell­schaft ver­größert sich diese Kluft um ein Viel­faches. Die untersten 10 Prozent der Arbeits­ein­kommen in den kapi­ta­lis­tischsten Ländern liegen im Durch­schnitt sie­benmal höher als die nied­rigsten 10 Prozent in den am wenigsten freien Volkswirtschaften.

Außerdem leben mehr als 27 Prozent der Men­schen in den sozia­lis­tischsten Volks­wirt­schaften in extremer Armut (wie von der Weltbank mit einem Ein­kommen von weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag fest­gelegt), während nur 1,8 Prozent der Men­schen in den frei­esten Volks­wirt­schaften in extremer Armut leben. Diese Zahl ist immer noch zu hoch (die optimale Zahl ist Null), aber weitaus besser als das Niveau, das in den am wenigsten freien Ländern vorherrscht.

Ver­gleich kapi­ta­lis­ti­scher und sozia­lis­ti­scher Volkswirtschaften

Abge­sehen von wirt­schaft­lichen Maß­zahlen leben Men­schen in den kapi­ta­lis­tischsten Ländern auch im Durch­schnitt 14 Jahre länger, haben eine sechsmal nied­rigere Kin­der­sterb­lichkeit, genießen größere poli­tische und bür­ger­liche Frei­heiten und mehr Gleichheit zwi­schen den Geschlechtern und in dem Maße, in dem man solche Dinge messen kann, sind sie glück­licher – im Ver­gleich zu den am wenigsten kapi­ta­lis­ti­schen Volkswirtschaften.

Als Bei­spiel eignet sich Hongkong, das laut EFW-Bericht die freieste Volks­wirt­schaft der Welt ist. 1941 besuchte die Jour­na­listin und Rei­se­schrift­stel­lerin Martha Gellhorn mit ihrem Ehemann Ernest Hem­mingway den Stadt­staat und hielt fest:

Das wahre Hongkong … war die grau­samste Armut, schlimmer als jede andere, die ich zuvor gesehen hatte. Schlimmer noch wegen eines Hauches von Ewigkeit. Das Leben hier war immer so gewesen und würde es immer sein.

Doch nur wenige Jahre nach Gell­horns Besuch bedeutete die japa­nische Kapi­tu­lation im Jahr 1945 die Rückkehr der Briten auf die Insel und damit einen weit­ge­henden laissez-faire-Ansatz  für die Wirt­schaft der Stadt.

Eines ist offen­sichtlich, die Zahlen sprechen klar gegen die Anti­ka­pi­ta­listen. 1950 ver­diente der Durch­schnitts­bürger in Hongkong nur 36 Prozent des Durch­schnitts­bürgers in Groß­bri­tannien. Aber als Hongkong die wirt­schaft­liche Freiheit übernahm (nach Angaben des EFW hatte Hongkong seit 1970 jedes Jahr die kapi­ta­lis­tischste Wirt­schaft mit nur einer Aus­nahme), wurde es wesentlich reicher. Heute ist das Pro-Kopf-BIP in Hongkong um 68 Prozent höher als in Groß­bri­tannien. Wie Marian Tupy, Her­aus­geber von HumanProgress.org, fest­stellt, „ist die Armut, die Gellhorn beklagt hat, ver­schwunden – dank der wirt­schaft­lichen Freiheit.“

Es lassen sich noch viel größere Abstände fest­stellen, wenn man ein weit­gehend kapi­ta­lis­ti­sches Land einem ansonsten ähn­lichen sozia­lis­ti­schen Land gegen­über­stellt: Chile gegen Vene­zuela, West- gegen Ost­deutschland, Süd- gegen Nord­korea, Taiwan gegen das mao­is­tische China, Costa Rica gegen Kuba und so weiter. (Ja, ich weiß: Nichts davon war „echter“ Sozia­lismus. Aber es ist immer echter Sozia­lismus, bis er es nicht mehr ist.)

Die Übel des Kapi­ta­lismus auf Pla­katen oder in Zei­tungs­schlag­zeilen anzu­prangern, ist ein Trend, bei dem es kaum Anzeichen dafür gibt, dass er bald abflaut, aber wenn man solche unbe­grün­deten Behaup­tungen sieht, sollte man sich erinnern: Die Zahlen sprechen klar gegen die Antikapitalisten.

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Aus dem Eng­li­schen über­setzt von Arno Stöcker. Der Ori­gi­nal­beitrag mit dem Titel Anti-Capi­talism: Trendy but Wrong ist am 30.11.2019 auf der website der Foun­dation of Eco­nomic Edu­cation erschienen.

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Alex­ander C. R. Hammond ist For­scher an einem Washington D.C. Think Tank und Senior Fellow von African Liberty. Dar­über­hinaus enga­giert er sich bei Young Voices und schreibt regel­mäßig zu den Themen Wirt­schaft­liche Freiheit, zur Ent­wicklung Afrikas und über Glo­ba­li­sierung. Ham­monds Werke wurden in mehrere Sprachen über­setzt und erschienen in Reason, The National Interest, Washington Examiner, CapX, El Cato, FEE, Newsweek USA und dem HumanProgress.org Blog.


Quelle: misesde.org