Bis 1,7 Mil­lionen Men­schen pro­tes­tierten am Don­nerstag im Frank­reich gegen die Regierung

In den deut­schen Medien habe ich in diesem Jahr noch nichts über die Situation in Frank­reich gehört, wo seit dem 5. Dezember ein Gene­ral­streik gegen die Ren­ten­reform das Land lähmt.

Da ich dazu keine eigenen Erkennt­nisse habe, habe ich einen Bericht der rus­si­schen Nach­rich­ten­agentur TASS über­setzt, der über die lan­des­weiten Groß­de­mons­tra­tionen vom Don­nerstag berichtet hat.

Beginn der Übersetzung: 

Die Teil­nehmer der Pro­teste gegen die Ren­ten­reform in Frank­reich sind am Don­nerstag erneut in den Städten auf die Straße gegangen, um ihre Ent­schlos­senheit zu bestä­tigen, den am 5. Dezember begon­nenen Gene­ral­streik fort­zu­setzen. Nach Angaben des fran­zö­si­schen Innen­mi­nis­te­riums nahmen lan­desweit 452.000 Men­schen an Pro­testen teil, 56.000 davon in Paris.

Unter­dessen nannte Frank­reichs größte Gewerk­schaft, der All­ge­meine Gewerk­schaftsbund (CGT), andere Zahlen. Nach Angaben seiner Ver­treter kamen bei den Demons­tra­tionen in Frank­reich min­destens 1,7 Mil­lionen Men­schen zusammen.

„Es ist eine his­to­rische Zahl. Die Zahl der Demons­tranten war sogar höher als am ersten Tag des Streiks (das waren 1,5 Mil­lionen Men­schen, Anm. TASS),“ erklärte CGT in einer Erklärung. Die Gewerk­schaft rief ihre Anhänger auf, die Mobi­li­sierung am 10. Januar und dann am 11. Januar fort­zu­setzen. „Der Samstag wird eine Gele­genheit bieten, unsere Bewegung zu erweitern und alle zu holen, die uns unter­stützen“, meint die Gewerkschaft.

Ins­gesamt fanden nach Angaben der Gewerk­schaft am Don­nerstag mehr als 200 Demons­tra­tionen und ins­gesamt min­destens 400 ver­schiedene Aktionen in Frank­reich statt. Aus diesem Grund fiel der ÖPNV weit­gehend aus. An diesem Tag wurde der Rekord des Streiks der Eisen­bahner aus dem Jahr 1986 gebrochen, der bisher als der längste galt.

Demons­tration in Paris

In Paris begann eine Pro­zession von Demons­tranten vom Place de la Repu­blique zum Sankt Augus­tiner Platz im 8. Arron­dis­sement der Stadt. Rund 5.500 Poli­zisten waren in der fran­zö­si­schen Haupt­stadt im Einsatz. Aus der Kolonne fried­licher Demons­tranten schlugen Anar­chisten zu und zer­störten Fenster von Büros und warfen Steine und Molo­tow­cock­tails auf die Gendarmen.

Die Situation hat sich in der Nähe des Sankt Augus­tiner Platzes, nicht weit vom Elysee-Palast, ver­schärft. Aggressive Demons­tranten begannen, Fla­schen und Steine auf die Polizei zu werfen. Die Polizei musste Trä­nengas ein­setzen, um die Hoo­ligans zu zer­streuen. Die Kon­fron­tation zwi­schen Poli­zisten und Demons­tranten dauerte etwa eine Stunde.

Das Ergebnis der Pariser Demons­tra­tionen wurde in der Prä­fektur der Polizei zusam­men­ge­fasst. Nach Angaben der Agentur wurden bei den Zusam­men­stößen 20 Demons­tranten und 16 Poli­zisten ver­letzt. Die Prä­fektur teilte auf Twitter mit, die Gesamtzahl der fest­ge­nom­menen Demons­tranten liege bei 27. „Polizei, Gen­darmen und Feu­er­wehr­leute wurden den ganzen Tag über mobi­li­siert, um die öffent­liche Ordnung zu gewähr­leisten“, so die Präfektur.

Pro­teste in fran­zö­si­schen Regionen

Nach Angaben der Gewerk­schaften fanden an diesem Tag in 90 Städten Demons­tra­tionen gegen die Ren­ten­reform statt. Dar­unter die Bor­deaux, Lyon, Mar­seille, Rouen.

In Nantes eska­lierte der Protest, der friedlich begann, schnell zu Zusam­men­stößen. Eine Gruppe radi­kaler Demons­tranten begann, die Polizei mit Tüten mit gelber Farbe zu bewerfen. Die Polizei setzte Trä­nengas ein, um die Erstürmung des ört­lichen Prä­fek­tur­ge­bäudes zu ver­hindern, wo Ran­da­lierer begannen, regie­rungs­feind­liche Parolen an die Wände zu malen.

Auf den Straßen von Bor­deaux war die Lage an diesem Tag ange­spannt. Dort nahmen nach Angaben der Prä­fektur des Depar­te­ments Gironde etwa 10.000 Men­schen an der Pro­zession teil. Eine Gruppe aggres­siver Demons­tranten ging zum Bahnhof St. Jean, um zu ver­suchen, ihn zu blo­ckieren. Die Polizei konnte die Demons­tranten nur kurze Zeit später mit Trä­nengas vertreiben.

Außerdem haben die Ener­gie­ge­werk­schaften in Bor­deaux aus Protest den Strom in der Stadt für zwei Stunden abge­schaltet. Das Management des Strom­netz­be­treibers Enedis ver­ur­teilte die Aktion und kün­digte an, in naher Zukunft eine Beschwerde einzureichen.

Weit ent­fernt von einer Einigung

Fran­zö­si­schen Ana­lysten zufolge hat der neue Pro­testtag gezeigt, dass sich Regierung und Gewerk­schaften dem Streit um die Ren­ten­reform nicht näher gekommen sind. Der Gene­ral­se­kretär des Natio­nalen Gewerk­schafts­ver­bandes, des Fran­zö­si­schen Demo­kra­ti­schen Gewerk­schafts­bundes (CFDT), Laurent Berge, erklärte, dass die Gewerk­schaften und die fran­zö­sische Regierung trotz der lau­fenden Ver­hand­lungen noch weit von einer Einigung ent­fernt seien. „Wir sind noch weit von einer Einigung ent­fernt“, sagte er am Don­nerstag. Berge erklärte, die Gewerk­schaften hätten nicht die Absicht, der Anhebung des Ren­ten­alters in voller Höhe zuzustimmen.

Philippe Mar­tinez, Vor­sit­zender des All­ge­meinen Gewerk­schafts­bundes, der an der Pariser Kund­gebung teilnahm, sagte, er bezweifle „die Bereit­schaft der Regierung, sich an offenen Dis­kus­sionen über die Reformen zu betei­ligen“. Er betonte, die Gewerk­schaft sei „mit der aktu­ellen Situation nicht zufrieden“ und bereit, den Streik fortzusetzen.

Wie der fran­zö­sische Pre­mier­mi­nister Edouard Philippe am Don­ners­tag­abend im Matignon-Palast mit­teilte, will er am Freitag einen Ausweg aus dem aktu­ellen Kon­flikt finden und die Chefs der größten Gewerk­schaften des Landes in seiner Residenz emp­fangen. Es wird erwartet, dass der Pre­mier­mi­nister mit jedem von ihnen ein 45-minü­tiges Treffen abhält.

All­ge­meine Mobilisierung

Auf Initiative der Gewerk­schaften begann am 5. Dezember eine Reihe von Streiks. An den Demons­tra­tionen nahmen Ärzte, Lehrer, Anwälte, Feu­er­wehr­leute und Ver­treter vieler anderer Berufe teil, die sich gegen die Reform des Ren­ten­systems aus­sprechen. Die über­wie­gende Mehrheit der Demons­tranten sind Mit­glieder der Eisen­bah­ner­ge­werk­schaft (SNCF) und der Pariser Ver­kehrs­be­hörde (RATP).

Zu den Haupt­gründen für ihre Unzu­frie­denheit gehört die Ent­scheidung der Regierung, die ver­schie­denen Ren­ten­systeme für Dut­zende von Berufs­gruppen abzu­schaffen, sowie die Absicht, das Ren­ten­alter für alle auf 64 Jahre anzu­heben. Die Gewerk­schaften haben erklärt, sie beab­sich­tigen zu streiken, bis die fran­zö­sische Regierung die Reform in ihrer jet­zigen Form aufgibt.

Der lang­wierige Streik schädigt ins­be­sondere den Ein­zel­handel, das Hotel­ge­werbe und das Gast­stät­ten­ge­werbe. Die Ver­luste in diesen Bereichen werden auf min­destens 20–30% des üblichen Umsatzes für diese Saison geschätzt. Experten zufolge wird die chao­tische Ver­kehrs­si­tuation auch den Win­ter­schluss­verkauf, der am Mittwoch in Frank­reich begann, treffen.

Ende der Übersetzung


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru

Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“