Juan Moreno, der Relotius über­führte, erzählt, was hinter den Kulissen des SPIEGEL vor sich ging (+Video)

Vor einem Jahr deckte der SPIEGEL-Autor Juan Moreno einen der größten Fäl­schungs­skandale des deut­schen Jour­na­lismus, den größten medialen Lug und Betrug seit den Hitler-Tage­bü­chern auf. Vor­gestern Abend war Moreno nun bei Maisch­berger und erzählte aus dem Näh­kästchen, wie es im SPIEGEL hinter den Kulissen tat­sächlich zuging, dass man ihm indirekt drohte, seine Anschul­di­gungen gegen den SPIEGEL-Lügner vom Dienst Claas Relotius könnten sein Kar­rie­reende bedeuten, nicht nur bei diesem Blatt, sondern über­haupt. Doch Moreno zog den Schwanz nicht ein, reiste auf eigene Kosten in die USA und recher­chierte Relotius hin­terher. Was er dabei ent­deckte und was dann geschah, erzählte er nun ganz offen.

Claas Relotius, der Mann, der im SPIEGEL jah­relang schön gemachte Märchen erzählte und als Jour­na­lismus verkaufte

Claas Relotius hat für den SPIEGEL viele große Repor­tagen geschrieben, aber leider ent­halten wohl die meisten erfundene Pas­sagen. Es tut uns leid, was pas­siert ist – und wir werden den Fall in aller Demut auf­ar­beiten.“ Dies schreiben vor einem Jahr der heutige Chef­re­dakteur des Spiegel, Steffen Klusmann, der damals kurz vor der Über­nahme dieses Postens stand, und der stell­ver­tre­tende Spiegel-Chef­re­dakteur Dirk Kurb­juweit. Relotius war „kein Reporter“, wie wir heute alle wissen und sogar der SPIEGEL inzwi­schen selbst zugibt, sondern einer, der „schön gemachte Märchen“ erzählte, wann immer es ihm gefiehl. Aber dieser junge „Mär­chen­er­zähler“ wurde mit Preisen nur so über­schüttet. Nein, nicht Erzähler‑, sondern Journalistenpreisen.

Was dahinter steckt, Stichwort ideo­lo­gische Ver­blendung, die ver­schworene Einheit, welche der Lügner und die, welche von ihm belogen werden wollen und genau diese Lügen ver­langen, ja nach ihnen dürsten, habe ich vor kurzem hier aus­führlich ana­ly­siert: Irrtum, Lüge, Ideo­logie: die drei Gestalten des irrenden und irre­füh­renden Bewusst­seins.

Der Fall Relotius stellte „einen Tief­punkt in der 70-jäh­rigen Geschichte des SPIEGEL“ dar, so Ulrich Fichtner, der Relotius mit auf­gebaut hatte und der kurz davor stand, zu einem von drei Spiegel-Chef­re­dak­teuren ernannt zu werden. Als Autor oder Co-Autor hat Claas Relotius in den letzten zehn, elf Jahren im SPIEGEL 55 Ori­gi­nal­texte ver­öf­fent­licht. Diese mussten alle über­prüft werden. Denn Relotius hatte, nachdem man ihn immer mehr in die Zange nahm und es keinen Sinn mehr hatte, alles zu leugnen und immer weiter zu lügen, zuge­geben, dass er teil­weise korrekt recher­chiert habe, teil­weise aber auch Dinge dazu­ge­dichtet und manches sogar schlicht frei erfunden hatte und zwar nicht zu wenig.

Ich hoffe, du weißt, was du tust – das wird eine Hin­richtung, ent­weder die von Relotius oder deine

Juan Moreno, der Auf­klärer, schildert in dem Gespräch mit Maisch­berger, das tief blicken lässt, wie es wohl in vielen deut­schen Blättern zugeht, nicht nur beim SPIEGEL zugeht, wie schwer es für ihn war, dass am Ende tat­sächlich der Liebling des Magazins Relotius, der in Wahrheit nichts weiter war als ein Betrüger, als Buhmann dastand und nicht er selbst. Der Lügner vom Dienst, das blasse Kar­rie­re­männlein erzählte dann natürlich sofort, dass er krank sei und dass man ihm helfen müsse. Dieses Muster kennen wir ja zur Genüge. Ob es nun ein Hon­ecker, ein mor­dender Immi­grant oder ein höchst erfolg­reicher SPIEGEL-Schrei­berling ist, heute sind diese alle noch kern­gesund und morgen, sobald sie über­führt wurden, sind sie alle schlag­artig schwer krank, so dass man diesen armen Men­schen doch helfen muss.

„Ich hoffe, du weißt, was du da tust“, soll sein Chef zu Moreno gesagt haben, der seinem betrü­ge­ri­schen Kol­legen auf die Schliche kam und es seinem Vor­ge­setzten meldete. Das werde eine Hin­richtung sein, ent­weder die von Relotius oder seine eigene. „Ich ging davon aus, es ist meine“, sagte Moreno vor­gestern Sandra Maisch­berger. Es sei „eine dicke Wand“ gewesen, gegen die er anrennen musste und er spürte, dass diese Auf­klärung beim dem angeb­lichen Auf­klä­rungs­ma­gazin schlicht nicht gewollt war, von wegen: „Sagen, was ist“, wie das SPIEGEL-Motto lautet. Man glaubte ihm nicht, ja mehr noch: Man wollte ihm nicht glauben.

„Es waren auch viele Leser, die das mochten“

Dabei war vor zwölf Monaten bereits geplant, dass Relotius Res­sort­leiter, also Vor­ge­setzter von Moreno werden sollte, sein dama­liger Chef, dem er das sagte, sollte Blatt­macher werden und der, der ihn ein­ge­stellt hatte, sollte Chef­re­dakteur werden. Das alles störte Juan Moreno mit seinen Zweifeln, Indizien und Ent­hül­lungen natürlich. Selbst als er mit einer ganzen Reihe von Fakten und Indizien aus den USA, wo er Dinge nach­re­cher­chiert hatte, nach Hamburg zurückkam und sie dem SPIEGEL vor­legte, wollte man ihm noch immer nicht glauben und den Liebling des Hauses, den Mär­chen­er­zähler, der sich als Jour­nalist ausgab und den der SPIEGEL „Jahr­hun­dert­talent“ nannte, nicht fallen lassen.

Und dann sagt Moreno etwas ganz Ent­schei­dendes, worauf ich immer und immer wieder hin­weise, Stichwort: Das Problem ist das Volk. „Es waren auch viele Leser, die das mochten“ (jeder Dro­gen­dealer weiß, was seine Kunden wollen, und liefert ihnen natürlich genau das. Dann werden sie ihn lieben, er wird reich und erfolg­reich und alle sind zufrieden. Die Ideo­logie braucht den Blender, die und die­je­nigen, die danach dürsten, geblendet zu werden. Sonst funk­tio­niert es nicht. Und wonach dürsten die Leser? Nach wohl­for­mu­lierter extremer Sim­pli­fi­zierung und Bedienung ihrer Vor­ur­teile, so dass sie mög­lichst wenig denken und vor allem ihr bis­he­riges Weltbild nicht ver­ändern müssen. Sie wollen gefüttert werden mit solchem, das ihre Welt­an­schauung exakt bestätigt, nicht mit solchem, das diese stört. Wer jenes und nicht dieses macht, dem fressen sie aus der Hand.

Der breiten Masse geht es immer primär ums gute Gefühl, nicht darum zu wissen, was ist

„Der hat in seinen Texten die Leute so ein bisschen in den Arm genommen“, sagt Moreno und erklärt es anhand des Syri­en­krieges, der unglaublich komplex und sehr schwer zu ver­stehen ist. „Und dann kommt jemand, der erklärt einem auf sieben, acht Seiten diesen Syri­en­krieg auf ganz ein­fache, sehr ein­gängige, kurz­ge­sich­ten­artige Weise.“ Und jetzt bitte genau auf die For­mu­lierung achten: „Und am Ende hat man das Gefühl , a) ich hab’s ver­standen, b) es ist nicht wahn­sinnig kom­pli­ziert und kuck mal, wie niedlich ist der kleine Junge.“ 

Hier sagt Moreno das Ent­schei­dende: Es geht der breiten Masse niemals um Wahrheit, es geht ihr niemals darum, wirklich zu wissen und zu ver­stehen, was ist, sondern es geht um das gute Gefühl. Das Gefühl, das Ganze ver­standen zu haben, und dabei darf die Erklärung nicht zu kom­pli­ziert sein, denn sonst wird es geistig anstrengend und geistige Anstrengung fühlt sich eben für die meisten nicht gut, genauer: nicht angenehm an.

Relotius schrieb nicht sach‑, sondern nach­fra­ge­ori­en­tiert, nun attes­tiert er sich selbst einen krank­haften Realitätsverlust

Dieses unan­ge­nehme Gefühl hat Relotius seinen Lesern erspart und ihnen gegeben, wonach sie dürs­teten: wohl­for­mu­lierte, ein­gängige Texte, die das Gefühl vemit­telten, man würde die Dinge ver­stehen. Relotius schrieb nicht sach‑, sondern nach­fra­ge­ori­en­tiert und das mögen die Leute. Sie wollen bedient, sie wollen, dass ihre Bedürf­nisse befriedigt werden. Ob das wahr ist, was man ihnen berichtet, ist den meisten nicht wichtig, oft sogar völlig egal. „Er hat viele latente Vor­ur­teile bedient“, sagt Juan Moreno über seinen Ex-Kol­legen. „Das heißt, er hat das geschrieben, was die Leser gerne lesen wollen und des­wegen war er auch so erfolg­reich?“, fragt Maisch­berger daher ganz treffend. Ja!

Und der Mär­chen­onkel und vom SPIEGEL und vielen anderen gefeierte Lügner und Betrüger vom Dienst gibt nun in seiner ganzen Lar­moyanz zum besten, er habe einen krank­haften Rea­li­täts­verlust, als ob er der einzige wäre in dieser Branche und in diesem Volk. Ob Relotius krank sei, wisse er nicht, sagt Moreno, er sei einfach ein noto­ri­scher Lügner, der sich niemals seiner Ver­ant­wortung gestellt hat, bis heute nicht.

Juan Moreno bei maisch­berger vom 18.12.2019

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