Der neueste Vorschlag aus der Politik ist ein weiterer Riesenschritt in die Verdummung und Kulturlosigkeit. Und er kommt aus welcher Partei? Nein, nicht die SPD, die Grünen sind‘s. Und ausgerechnet der Ministerpräsident des Musterländles Baden Württemberg, Winfried Kretschmann, prescht mit der Ansicht vor, Rechtschreibung sei nicht mehr so wichtig. Ein Grundgerüst an Rechtschreibkenntnissen genüge doch, die ganzen, digitalen, textverarbeitungsfähigen Geräte haben doch sowieso Autokorrekturprogramme.
Kretschmann war früher Lehrer für Biologie und Chemie und meint, es gebe doch „kluge Geräte“, die alle Fehler korrigieren. Ausgerechnet ein Chemielehrer müsste doch wissen, dass gerade in einer chemischen Formel ein Rechtschreibfehler zu sehr lustigen Effekten führen kann. Da können zwei Buchstaben mehr oder weniger in der Schlange schon richtig reinhauen, vielleicht sogar letal.
Aber, pfffff…! Schwund ist doch immer.
Schreiben nach Gehör? In Chemie bringt das richtig Schwung in die Sache. Wie heißt das Element? F? Oder W? Oder V? V wie Vluhr? Oder doch F wie Fluor? Da kommt Freude auf in Walt und Fluor. Oder war‘s Wanadijumm? Oder doch Vanadium? Egal, is alles gifftich.
Weil wir ja heute nur noch selten handschriftlich schreiben, sei das doch im Grunde völlig unwichtig geworden, meint Ministerpräsident Kretschmann. Wir tippseln doch sowieso alle nur noch und die Computer, Handys und Tablets werden es schon richten. (Übrigens kennt mein Autokorrekturprogramm noch nicht mal das Wort „Tablet“ und unterkringelt es rot. Ich soll gefälligst „Tablett“ schreiben.) Oder versteht das Korrekturprogramm überhaupt, wenn ich nach Heiper links suche? Warum nicht Heiper rechts? Und wer ist eigentlich Heiper?
Also, da möchte ich doch Herrn Kretschmann widersprechen (nicht zu verwechseln mit: Ich möchte Herrn Kretschmann wieder sprechen! Ob die Autokorrektur den Unterschied kennt?) So einfach ist das mit der Digitalisierung und der Rechtschreibung nicht. Ein Korrekturprogramm für falsch geschriebene E‑Mailadressen müsste z. B. noch erfunden werden.
Wir hatten einen sehr intelligenten und guten Kollegen in unserer kleinen Firma, einen so genannten „Migranten“. Wenn der auf dem Rechner irgendeine Datei abspeicherte, war die häufig nicht wieder auffindbar. Einfach, weil er den Dateinamen nach Gehör und irgendwie schrieb und sonstwo speicherte. Beispielsweise eine Recherchesammlung zum Thema „Nordamerikanische Ureinwohner“. Die ganze, gute Arbeit für die Katz. Das Konvolut an Fotos und Links war in den Tiefen des Rechners verschwunden. Monate später und damit zu spät fand ich die Datei zufällig, weil ich einen indianischen Stammesnamen in die Suchmaske gab, der ebenso zufällig in einer URL der Linksammlung enthalten war. Seine Datei hieß „Eaner“, gemeint war „Indianer“. Eine Zweite, die er „Natives“ benennen wollte, schrieb er „Netifs“. Da helfen auch kaum noch Suchwörter.
Wer schon ein Wort von Anfang an falsch eingibt, überfordert auch die automatische Korrektur. Wer — nur ein kleiner Versuch – das Wort „Waldlichtung“ schon am Anfang falsch als „Valtlichtung“ eintippt, bekommt penetrant „Baltikum“ vorgeschlagen. Oder Namen! Das ist echt unterhaltsam: Ich wollte die Originalschreibweise des Namens des ukrainischen Oligarchen „Mykola Zlochevskij“ in Skype eingeben, es wurde in „Zoohandlung“ korrigiert.
Natürlich melden sich auf Herrn Kretschmanns Vorschlag sofort pflichteifrig die Damen und Herren von der CDU, wie Frau Kultusministerin Susanne Eisenmann, und spricht von einem „deutlichen Bekenntnis zur Rechtschreibung“. Ach, ja. So, wie Herr Seehofer auch immer wieder mal knackig patriotisch tönt, wenn es darum geht, die CSU-Wähler bei der Stange zu halten und dann doch das Fähnlein in den Wind hängt. Und zwar schon so oft, dass bald die Autokorrekturprogramme bei der Eingabe „Seehof…“ schon selbständig in „Drehofer“ korrigieren.
„Rechtschreibung ist ein bedeutendes Kulturgut und eine Schlüsselqualifikation wie Lesen und Rechnen“. Gut gebrüllt, Frau Eisenmann und wirklich wahr. Aber das führt Frau Kultusministerin dann nicht weiter aus.
Also: Warum ist es denn ein Kulturgut?
Im Frühmittelalter, als in Europa das Christentum verbreitet wurde, waren fast immer die Klöster die Einrichtungen, die Philosophie und Schrift pflegten und Bibeln abschrieben, denn die Buchdruckerkunst gab‘s noch nicht. Besonders die jungen Mönche hockten in den Schreibstuben und kratzten mit ihren Gänsekielen die Texte aufs Vellum oder Pergament, oft nur bei schummrigem, flackerndem Kerzenlicht. Der Rücken, der Nacken und die Hände schmerzten, was einer auch einmal genervt an den Rand einer Bibel schrieb. Man benutzte damals nur die Fraktura-Schrift und die Bibeln waren in Latein. So genau schauten sich die müden Mönchlein die Wörter oft nicht an, und da die Fraktura oder Buchtextur irgendwie fast durchgängig wie ein Gartenzaun aussieht und man in der Reihe kaum erkennen konnte, was ist ein m oder ein u oder ein n oder i, ging das auch schon einmal durcheinander beim Abschreiben. Ergebnis war ein unleserlicher Strichwald und manche mühselig erstellte Bibel wertlos.
Aber nicht nur Bibeln. Auch Abrechnungen, Buchführungen, Dokumente, Verträge und wichtige Berichte litten unter Unleserlichkeit und Missverständlichkeiten. Bisweilen ein Desaster, insbesondere, wenn jemand sich als „Schreiber“ ausgab und teuer bezahlen ließ, es aber nicht wirklich konnte und unsinniges Zeug auf das Pergament niederschrieb.
Der Schwiegersohn Karls des Großen, Einhard, nahm sich um das Jahr 765 herum der Herkulesaufgabe an und erfand eine neue Schrift, die leserlich und eindeutig war, die karolingische Minuskel. Sie bestand ausschließlich aus Kleinbuchstaben (Minuskeln).
Das war eine echte Kulturleistung und brachte Sicherheit in den Rechtsverkehr und die historischen Aufzeichnungen. Man musste nicht mehr raten, was das überhaupt für ein Wort sein sollte. Dennoch wurden noch lange – auch deutschsprachige – Dokumente nach Gehör geschrieben und wiesen starke, dialektische Einfärbungen auf, was bisweilen zu Rechtshändeln und zu Begriffsverwirrung führte, weil für einen Fremden kaum zu verstehen. Der Gelehrte Notker von St. Gallen definierte um das Jahr 1000 herum neue Schriftzeichen für die deutsche Sprache, weil die lateinischen Buchstaben zum Beispiel keine Umlaute wie ä, ö, ü kannten. Ein englisch (mit angespitzten Lippen) gesprochenes, weiches W wurde als Doppeltes, aneinanderhängendes U geschrieben, deshalb heißt das W im Englischen heute noch „Double U“ — „Doppel‑U“. Jeder Schreiber bastelte sich bis dahin irgendetwas zusammen, um die Lautsprache wiederzugeben, was aber ein anderer Leser nicht unbedingt nachvollziehen konnte. Eine Interpunktion entwickelte sich im Hochmittelalter, um längere Sätze beim Lesen besser verstehen zu können und seitdem gibt es auch Großbuchstaben, die Majuskeln, um die Wortanfänge sichtbar zu machen und später, um im Lesefluss besser Substantive und Namen in den Zeilen zu erfassen.
Luther führte mit seiner Bibel 1522 eine erste, hochdeutsche, allgemeinverständliche Schriftsprache ein, die jeder des Lesens Kundige auch auf Anhieb verstand. Bis ins 18. Jahrhundert gab es jedoch keine allgemein verbindliche Schriftsprache. 1788 veröffentlichte Johann Christoph Adelung Orthographievorschläge, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Grundlage für den Rechtschreibunterricht in den deutschen Schulen bildeten. Im Januar 1876 tagte in Berlin auf Einladung des preußischen Kultusministers die I. Orthographische Konferenz „zur Herstellung größerer Einigung in der Deutschen Rechtschreibung“. Die Gebrüder Grimm setzten mit ihrem Deutschen Wörterbuch einen Meilenstein der deutschen Linguistik.
Über Tausend Jahre, große Anstrengungen und brillante Köpfe hat es gebraucht, um den Stand einer Hochkultur an Wort und Schrift des Deutschen zu erreichen. Dann kommt Winfried Kretschmann und findet das alles vollkommen überflüssig. Man hat doch ein Autokorrekturprogramm auf dem Handy.
Herrn Kretschmanns Argumentation gilt genauso für das Lesen (es gibt Vorleseprogramme) und das Rechnen (jedes Handy verfügt auch über einen Rechner). Das Problem ist nur, dass am Ende solche Schulabgänger überhaupt nicht mehr in der Lage sein werden, ohne diese IT-Krücken irgendetwas Anspruchsvolleres zu machen. Schon gar nicht werden sie in der Lage sein, solche Geräte zu erfinden und zu bauen. Komplizierte Berechnungen, Programmieren (wo man übrigens keinen einzigen Schreibfehler machen darf!!!) und auch das betriebswirtschaftliche Wissen und Rüstzeug, um die Technikkosten, die Produktionskosten und Vermarktung einer technischen Neuerung zu kalkulieren und erfolgreich durchzuführen, sind nicht einmal mehr im Ansatz möglich.
Das machen dann Leute aus Ländern, wo man noch richtig was lernt in der Schule. Zum Beispiel Japan, Korea, China. Oder die Kinder der gebildeten, deutschen Oberschicht, die ihre Sprösslinge auf teure Privatschulen schicken können, von wo aus sie – und nur sie! — eine Chance auf eine gut dotierte berufliche Karriere haben.
Nur noch so nebenbei zum Schluss (aus dem Oktober 2017):
Kretschmanns Waterloo: Baden-Württemberg hat als Musterländle in Sachen Bildung abgewirtschaftet – Philologen: grün-rote Pädagogik gescheitert
„Innerhalb eines Jahres attestieren zwei Bildungsstudien dem ehemaligen Musterländle in Sachen Bildung einen dramatischen Absturz – 2016 ging es um die Neuntklässler, jetzt um die Grundschüler. Ministerpräsident Kretschmann (Grüne) muss sich jetzt fragen lassen, was in den Schulen seines Bundeslandes schiefläuft. Die Philologen meinen, nun sei ‚die Katastrophe perfekt‘ – und erklären ‚die Speerspitze grün-roter Pädagogik‘ für gescheitert. (…) Nach der Studie belegten die Schüler im Fach Deutsch im Ländervergleich Platz 13 beim Regelstandard Lesen – nach dem fünften Rang im Jahr 2011. Der Anteil derer, die den Mindeststandard nicht erreichten, lag bei 13,4 Prozent. Beim Zuhören kamen die im Jahr 2016 geprüften Viertklässler nur noch auf den neunten Rang, nachdem sie zuvor Zweitplatzierte gewesen waren.
In Mathematik stürzte das Landesergebnis regelrecht ab: Nur 62 Prozent erreichten den Mindeststandard oder übertrafen ihn. Das ist ein Minus von 10 Prozentpunkten im Vergleich zu 2011.“
Aba Krätschman hat auß sein Woterluh wol nix glernt.
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