Und täglich grüßt der Über­wa­chungs­staat: Nutzer Sozialer Netz­werke sollen zukünftig mit ihrem Klar­namen erscheinen

Die Herren Poli­tiker zünden die nächste Stufe der „Hassrede“-Jagd. Sie wün­schen sich, dass jeder, der unliebsame Kritik äußert oder Ansichten öffentlich ver­breitet, die nicht erwünscht sind, auch wirklich erwischt und abge­straft wird.

Herr SPD-Innen­mi­nister Boris Pis­torius möchte den sozialen Netz­werken eine Ver­pflichtung auf­er­legen, ihre Nutzer auch zu iden­ti­fi­zieren. Das sei ja schließlich auch so bei Prepaid-Han­dy­karten. Nur so könne man die Ver­fasser von straf­baren Kom­men­taren und anderen Ein­trägen auch wirklich zwei­felsfrei ermitteln. Andere wollen noch weiter gehen und erzwingen, dass man über­haupt nur noch unter Klar­namen im Netz posten kann.

Doch da gibt es sogar unter Poli­tikern Bedenken. Frau Bun­des­jus­tiz­mi­nis­terin Christine Lam­brecht, eben­falls SPD, hat Ver­ständnis, dass die Leute das viel­leicht doch nicht wollen: „Häufig gibt es gute Gründe, warum jemand anonym bleiben möchte, zum Bei­spiel um sich vor Dis­kri­mi­nierung oder Angriffen zu schützen. Dies gilt für Leser­briefe in Zei­tungen genauso wie für Posts im Internet. Um Hass und Hetze im Internet zu bekämpfen, gibt es andere Wege als eine Klar­na­men­pflicht, die alle User treffen würde“, meint sie.

Ja, da hat die Dame mal einen Schritt wei­ter­ge­dacht. Ins­be­sondere, wenn man ein abso­lutes Reiz­thema auch nur in einer Weise kom­men­tiert, die nicht exakt der vor­ge­schrie­benen, einzig zuläs­sigen Haltung zu diesem Thema ent­spricht (und da gibt es mitt­ler­weile einige!), kann das üble Folgen haben. Von unan­ge­nehmen Dis­kus­sionen bis hin zu schweren Zer­würf­nissen im Familien- und Freun­des­kreis. Wer halb­wüchsige Spröss­linge hat, die fana­tische Greta-Jünger sind, muss sich jeden abweich­le­ri­schen Kom­mentar ver­kneifen, wenn er nicht Zoff für Wochen in der Familie haben will. Außer man heißt Peter Müller oder Anna Meier und kann sich auf Namens­gleichheit herausreden.

Im schlimmsten Fall kann es auch zum unge­be­tenen Besuch von allzu über­zeugten Pla­ne­ten­rettern kommen, die einem im güns­tigsten Fall Farb­beutel an die Hauswand werfen – oder im ungüns­tigsten Fall diverse Straf­pa­ra­graphen gegen das Grund­recht auf Leben und kör­per­liche Unver­sehrtheit abarbeiten.

Das beein­druckt Herrn Bun­des­tags­prä­si­denten Wolfgang Schäuble (CDU) aber nicht, obwohl er selbst ja böse Erfahrung mit so jemandem gemacht hat. In der „Bild am Sonntag“ meinte er, dass ihm nicht gefalle, was in sozialen Netz­werken so geschehe. Das wirft schon ein bezeich­nendes Licht auf die Haltung unserer Poli­tiker, dass sie es für einen aus­rei­chenden Grund halten, wenn ihnen „etwas nicht gefällt“, gleich Gesetze und Rege­lungen zu erlassen, die den Bürger in seinen Frei­heiten massiv beschränken. Auto­kraten wie diese dachten wir mit den ersten freien Wahlen hinter uns gelassen zu haben.

Besonders hübsch ist die Erklärung, die er dazu liefert: In der Anony­mität „machen Men­schen Dinge, die sie nicht machen würden, wenn sie wüssten, dass sie jemand dabei sieht. Dann würden sie sich nämlich schämen. Anony­mität ist immer die Ver­su­chung zur Hemmungslosigkeit.“

Herr Schäuble ist nicht dumm, er weiß, dass das eine nicht unbe­dingt das andere bedingt. Natürlich werden schlechte Taten oft – aber nicht immer! — gern im Ver­bor­genen begangen (wie auch sehr private: Liebe machen und kör­per­liche Vor­gänge anderer Art). Aber nicht zwangs­läufig will man sich mit der Anony­mität vor berech­tigter Ver­folgung schützen, sondern oft auch genau vor der Rache der „Bösen“. Die über 50 Per­sonen zäh­lende Liste der unter selt­samen Umständen gestor­benen Zeugen gegen die Clintons beweist das. Die Geschwister Scholl konnten nur dadurch ihre gerechte Sache wenigstens eine Weile durch­führen, dass sie anonym blieben. Kaum waren sie erkannt, waren sie ver­loren. Auch Whist­le­b­lower, Regime­gegner, Kron­zeugen und Ermittler brauchen Anonymität.

Abge­sehen davon ist es schon lange möglich, jemanden, der sich im Netz bewegt, über seine per­sön­liche IP-Adresse (die nämlich immer erfasst wird und nach­voll­zogen werden kann) zu iden­ti­fi­zieren. Das war eine Zeit lang Thema, als es um illegale Down­loads von Filmen oder Spielen ging. Da war blitz­schnell der unbe­rech­tigte Nutzer gefunden. Wenn es also nur um echte Straf­barkeit oder Ille­ga­lität ginge, wäre es sowieso leicht möglich, den Täter zu fassen. Das weiß auch Herr Bun­des­tags­prä­sident Schäuble. Es geht also offen­sichtlich gar nicht darum, echte Delikte zu ahnden, sondern ganz klar um Ein­schüch­terung und Beschneidung der Freiheit. Angst soll sich breit machen, alle sollen dreimal über­legen, ob sie über­haupt etwas posten sollten. Wenn der cho­le­rische Chef und Anti­al­ko­ho­liker mit­be­kommt, dass man etwas zu aus­ge­lassen gefeiert hat, könnte man seinen Job ver­lieren. Der Klar­namen-Zwang ist der erste Schritt zu den chi­ne­si­schen Sozi­al­punkten und lücken­loser Gän­gelung, Ein­schüch­terung und Überwachung.

Sollte das schon oft gefor­derte Verbot der Anony­mität diesmal – oder auch irgendwann dem­nächst – Wirk­lichkeit werden, wird Fol­gendes pas­sieren: Der „normale Bürger“ wird ängstlich ver­stummen im Netz. Die „Poli­tisch Kor­rekten“ werden – wie damals – umso dreister und breit­spu­riger tönen. Man wird wieder flüstern müssen und sich umgucken, wenn man etwas Nicht-Strom­li­ni­en­för­miges sagt.

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Aber die­je­nigen, die sich aus­kennen, wie zum Bei­spiel Kri­mi­nelle oder Pädo­phile, haben ja längst Mög­lich­keiten gefunden, gut abge­schottete Netz­werke auf­zu­bauen, in die die Ermittler kaum hin­ein­kommen und die schwer zu finden sind. Das geht.

Wer sich also nicht ein­schüchtern lassen will, wird auf anderen Wegen, auf Sozialen Netz­werken außerhalb der EU ihre Posts schreiben und auch Wege finden, uner­kannt darauf zuzu­greifen und den Protest auf erprobten Wegen ver­breiten. Erst einmal per VPN, wenn das  unter­bunden wird, dann eben anders. Daraus wird eine echte Wider­stands­be­wegung ent­stehen. Unter­drü­ckung erzeugt Gegendruck.

Selbst in China machen die Men­schen das. Nicht einmal da kann die Regierung das unter­binden, obwohl China schon auf dem besten Weg in ein rie­siges Freiluft-Umer­zie­hungs­lager ist und uns darin um einige Jahre voraus. Wie es scheint, kommen wir auch noch dahin.

https://www.tagesspiegel.de/themen/digitalisierung-ki/anonym-oder-mit-klarnamen-das-netz-will-dich-wirklich/9554598.html

https://berlinergazette.de/klarname-anonymitaet-debatte/

https://netzpolitik.org/2016/mehrheit-der-jungen-menschen-ist-gegen-klarnamenpflicht/

https://www.gq-magazin.de/auto-technik/article/brauchen-wir-eine-klarnamenpflicht-in-sozialen-netzwerken

https://www.zdf.de/nachrichten/heute/soziale-netzwerken-weber-fuer-pflicht-zu-klarnamen-100.html

https://www.rnd.de/politik/schauble-will-klarnamenpflicht-fur-user-auf-sozialen-medien-XP6DJXBVDJHOHMD624XF5OHJ3E.html

https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/soziale-netzwerke-sollen-identitaet-von-nutzern-kennen-16580090.html