Vera Lengsfeld: Zer­setzung à la Stasi im Handelsblatt

Das Han­dels­blatt galt bislang als eine der wenigen ver­blie­benen Zei­tungen, von der man noch objektive Bei­träge erwartete. Umso über­raschter waren viele Leser von einem Text des Jour­na­listen Jakob Blume über den neuen Degussa-Chef Markus Krall. „Pro­vo­kateur mit Kalkül“ liest sich, als hätte die Richt­linie 1–76 der Staats­si­cherheit Pate gestanden. In diesem Dokument sind die Methoden fest­ge­schrieben, wie Sta­si­mit­ar­beiter mit „feindlich-nega­tiven Ele­menten“ umzu­gehen haben, ins­be­sondere, wie man sie unschädlich macht.

Eines der wir­kungs­vollsten Mittel dafür war die „Zer­setzung“ der Ziel­person. Unter Punkt 2.6. wird das näher beschrieben:
„Bewährte Formen der Zer­setzung sind sys­te­ma­tische Dis­kre­di­tierung des öffent­lichen Rufs, des Ansehens der Person und des Pres­tiges auf Grundlage mit­ein­ander ver­bun­dener wahrer, über­prüf­barer und dis­kre­di­tie­render sowie unwahrer, glaub­hafter, nicht wider­leg­barer und damit eben­falls dis­kre­di­tie­render Angaben.“

NEU!!! Hier bestellen!

Nehmen wir uns dar­aufhin Blumes Text vor.
Nach einem Abschnitt über Autoren von soge­nannten „Crash-Büchern“ und all­ge­meinen Zitaten von Akteuren der Edel­me­tall­branche, die eher von Extrem­sze­narien sprechen wollen und Angst­ma­cherei ablehnen, erweckt Blume mit dem nächsten Satz den Ein­druck, das Zitierte hätte sich auf Markus Krall bezogen:
„Der Degussa-Chef muss jedoch nicht nur mit Gegenwind aus der Branche umgehen. Er muss nach Han­dels­blatt­in­for­ma­tionen auch hoch­ka­rätige interne Abgänge verkraften.“
Dass zwei Top­ma­nager nach Kralls Amts­an­tritt aus­ge­schieden sind, ist wahr und nach­prüfbar. Nicht nach­prüfbar ist der erweckte Ein­druck, diese Abgänge wären zu Kralls Schaden erfolgt, denn weder Krall, mit dem Blume wohl gesprochen haben muss, noch die beiden Abgänger haben sich offen­sichtlich zu der Per­so­nalie geäußert.

Krall wollte laut Blume keine Zitate frei­ge­geben, denn er ahnte wohl, worum es Blume ging und hatte ver­ständ­li­cher­weise keine Lust, an seiner geplanten Demontage mitzuwirken.

Dann kommt es knüp­peldick. Mit dem aus jeg­lichem Zusam­menhang geris­senen Zitat, dass Krall die Nied­rig­zins­po­litik der EZB als „aus dem Maschi­nenraum des Völ­ker­selbst­mordes“ bezeichnet haben soll, greift Blume tief in die Zer­set­zungs­kiste. Die For­mu­lierung wäre besonders für einen Degussa-Chef heikel. Rechtlich habe das 2010 gegründete Unter­nehmen zwar nichts mit der 1873 gegrün­deten „Deut­schen Gold- und Sil­ber­schei­de­an­stalt“ zu tun, die längst in anderen Unter­nehmen auf­ge­gangen ist, aber sie trage diesen Namen. Und der Name sei belastend. Schließlich hätte sich die nicht mehr exis­tie­rende alte Degussa mit der Lie­ferung von Zyklon B am Völ­kermord gegen die Juden beteiligt und das Zahngold der Opfer eingeschmolzen.
Das sind nach­prüfbare Tat­sachen, die aber nichts mit der heu­tigen Degussa und noch weniger mit Krall zu tun haben.

Per­fider kann man den Holo­caust kaum instru­men­ta­li­sieren – und das, um einen Mann zur Strecke zu bringen, die Stasi hätte gesagt, zu zersetzen.
Dann erzeugt Blume den Ein­druck, seine aben­teu­er­liche Kon­struktion wäre Mehr­heits­meinung, auf der Edel­me­tall­messe hätten die Äuße­rungen von Krall in der Branche „vor diesem his­to­ri­schen Hin­ter­grund“ für Kopf­schütteln gesorgt. Der Manager einer Schei­de­an­stalt hätte gefunden: „Das war alles andere als hilf­reich“ Blume nennt keinen Namen, und wenn es Kopf­schütteln gegeben haben sollte, dann eher über Blume als über Krall. Jeden­falls zeigen die Twit­ter­kom­mentare dieses Meinungsbild.

Um das Maß der Zer­setzung voll­zu­machen, ver­sucht Blume auch noch, Kralls Chef von Finck junior anzu­prangern. Laut Welt sei der in der Ver­gan­genheit als För­derer von rechts­kon­ser­va­tiven und liber­tären Initia­tiven und Thinktanks auf­ge­treten. Das Blume so etwas offen­sichtlich für ver­werflich hält, zeigt sein man­gelndes Demo­kra­tie­ver­ständnis, denn in einer Demo­kratie gibt es eine demo­kra­tische Rechte, wie es eine demo­kra­tische Linke gibt.

Das Han­dels­blatt stieß auf wenig Zustimmung für diese Art von Denun­zia­ti­ons­jour­na­lismus. Es scheint auch etliche Abon­nenten ver­loren zu haben. Das ist die wohl­ver­diente Quittung. Blume hat mit seinem Stück nicht Krall, sondern sich selbst und vor allem dem Han­dels­blatt geschadet. Es bleibt abzu­warten, ob beide aus dieser Pleite lernen.


Vera Lengsfeld — Erst­ver­öf­fent­li­chung auf dem Blog der Autorin www.vera-lengsfeld.de