Will Putin nach 2024 an der Macht bleiben? Das sagte er selbst in den letzten Tagen dazu

Nachdem Putin vor knapp zwei Wochen die Ver­fas­sungs­än­de­rungen ange­kündigt hat, hat er sich auch schon drei Mal öffentlich dazu geäußert, ob was er nach Ablauf seiner Amtszeit vor hat. Obwohl die deut­schen Medien heftig dazu spe­ku­lieren, wurde darüber nicht berichtet. 

Die von Putin ange­kün­digten Ver­fas­sungs­än­de­rungen wurden von den deut­schen Medien als „Putins Ope­ration Macht­erhalt“ bezeichnet und es wurde wild darüber spe­ku­liert, wie Putin nach Ablauf seiner Amtszeit 2024 angeblich an der Macht bleiben will. Zu spe­ku­lieren ist legitim, nur wäre es doch ange­bracht, dann auch darüber zu berichten, wenn Putin sich selbst dazu äußert. Und genau das hat er in den letzten 10 Tagen gleich drei Mal getan.

In allen drei Fällen geschah das bei Dis­kus­sions- und Fra­ge­runden mit rus­si­schen Bürgern, wovon Putin in den letzten zwei Wochen einige abge­halten hat. Putin stellt sich dem oft, denn er hört den Men­schen gerne zu, auch wenn darüber im Westen nie berichtet wird. Dabei ent­stehen manchmal kri­tische Dis­kus­sionen mit den Men­schen und manch eine Frage der Men­schen war der Grund für neue Gesetze. Ent­gegen der Dar­stel­lungen im Westen ist die rus­sische Zivil­ge­sell­schaft sehr aktiv und wenn Putin von Ver­tretern von NGOs hört, wo in der Praxis der Schuh drückt, nimmt er manche Anregung auf.

Daher war es wenig über­ra­schend, dass er nach der Ankün­digung der Ver­fas­sungs­än­de­rungen in kurzer Zeit mehrere der­ar­tiger Termine hatte und jede dieser Dis­kus­sionen dauerte min­destens anderthalb Stunden. Putin wollte wissen, wie seine Idee der Ver­fas­sungs­än­de­rungen und die neuen Sozi­al­pro­gramme von den Men­schen auf­ge­nommen werden. Und so ver­wundert es nicht, dass er jedes Mal auch dazu befragt wurde, was denn nach Ablauf seiner Amtszeit wird.

Ich werde hier über die drei Fragen und Putins Ant­worten berichten. Sie geben keine end­gültige Antwort auf die Frage, was 2024 pas­sieren wird, aber jeder kann sich so zumindest ein Bild davon machen, was Putin gesagt hat und was das bedeuten kann. Da es Treffen mit Ver­tretern völlig unter­schied­licher Orga­ni­sa­tionen und auch Gene­ra­tionen waren, ist es auch inter­essant, was jeweils genau gefragt wurde.

Die erste Frage wurde Putin am 18. Januar in St. Petersburg bei einem Treffen mit Vete­ranen des Zweiten Welt­kriegs gestellt. Die Vete­ranen sind 90 Jahre und älter, ent­spre­chend lang­atmig war die Frage des Mannes. Daher berichte nur über den Teil der Frage, die Putins Amtszeit betrifft und auch nur über Putins Antwort dazu, denn die Frage berührte auch viele andere Bereiche.

Der Mann fragte Putin, der nun die Ver­fassung so ändern will, dass man nur noch zwei Amts­zeiten Prä­sident sein kann und es danach keine Mög­lichkeit mehr gibt, eine dritte Amtszeit anzu­treten, ob er nicht das Gegenteil tun könne: Die Beschrän­kungen der Amts­zeiten ganz aufheben.

Darauf ant­wortete Putin:

„Was die Anzahl der Amts­zeiten des Prä­si­denten betrifft, so ver­stehe ich, was Sie meinen. Viele Men­schen sorgen sich um die Sta­bi­lität in der Gesell­schaft, um die Sta­bi­lität im Staat – sowohl die äußere Sta­bi­lität, als auch die innere Sta­bi­lität – und das ver­stehe ich sehr gut.
Ich halte es jedoch für sehr gefährlich, in die Mitte der 80er Jahre zurück­zu­kehren, als die Staats­ober­häupter einer nach dem anderen bis zum Ende ihrer Tage an der Macht geblieben sind, ohne die not­wen­digen Bedin­gungen die Übergabe der Macht zu schaffen.
Vielen Dank für Ihre Frage, aber ich denke, es ist besser, wenn wir in Zukunft Situa­tionen, wie Mitte der 80er Jahre, vermeiden.
Ich danke Ihnen sehr, denn es ist natürlich schön so eine Bitte zu hören, denn sie ist ja auch eine Bewertung meiner Arbeit. Viel­leicht klappt nicht immer alles so, wie wir es wollen, aber die Leute, die mit mir zusam­men­ar­beiten, und ich tun alles, um das Beste für das Land und für unsere Bürger, für unsere Men­schen zu erreichen.“

Man kann gerade die Rentner ver­stehen, dass ihnen unwohl ist bei dem Gedanken an eine Zeit nach Putin. Sie leben lange genug, um erlebt zu haben, wie Russland in den 1980er Jahren langsam ver­armte, wie es in den 1990er Jahren voll­ständig in Armut, Chaos und Gesetz­lo­sigkeit ver­sunken ist und wie Russland in den letzten 20 Jahren unter Putin zu einem nie gekannten Wohl­stand gekommen ist, den sie nicht wieder ver­lieren wollen.

Das zweite Mal wurde Putin am 22. Januar bei einer Fra­ge­stunde mit Ver­tretern von NGOs aus dem sozialen Bereich nach dem Thema gefragt. Dieses Mal ging es um die Frage, ob Russland nicht von der Prä­si­di­al­de­mo­kratie zu einer par­la­men­ta­ri­schen Demo­kratie werden solle. Putins Antwort war inter­essant, weil er dabei erklärt hat, warum ein Land wie Russland seiner Meinung nach nur mit einem Prä­si­denten funk­tio­nieren kann, der eine große Macht­fülle auf sich vereint, wie es ja auch in den USA oder in Frank­reich der Fall ist.

Putin sagte dazu:

„Theo­re­tisch ist das möglich. Ist das ziel­führend oder nicht? Dazu hat jeder seine eigene Meinung. Ich glaube das nicht. Und ich werde Ihnen sagen, warum.
Damit eine par­la­men­ta­rische Republik effektiv funk­tio­niert, ist es not­wendig, dass die poli­ti­schen Struk­turen über eine lange Zeit gewachsen sind. In Europa gibt es Par­teien, die seit Jahr­hun­derten exis­tieren. Aber in unserem Land sind Par­teien in der Regel mit einer bestimmten Person ver­bunden. Das auf­fäl­ligste Bei­spiel in unserem Land ist Wla­dimir Schi­ri­nowski. Solange es Schi­ri­novski, gibt es die LDPR, wenn es keinen Schi­ri­novski mehr gibt… Die Idee der Partei selbst ist gut, aber ob die Partei ohne ihren Vor­sit­zenden so weiter funk­tio­nieren kann, ist schwer zu sagen. Aber wir sollten besser nicht experimentieren.
Es gibt noch eine andere Über­legung. Die par­la­men­ta­rische Regie­rungsform, die in Europa weit ver­breitet ist, hat heute große Probleme.
In einigen Ländern können sie trotz einer solchen poli­ti­schen Tra­dition sta­biler poli­ti­scher Par­teien sechs Monate lang keine Regierung bilden. Sie schaffen es nicht. Können Sie sich vor­stellen, was pas­siert, wenn Russland sechs Monate lang ohne Regierung wäre? Das wäre eine Kata­strophe! Glauben Sie mir, das ist unmöglich. Das wäre ein kolos­saler Schaden für den Staat.
Damit sie um jeden Preis eine Regierung bilden können, einigen sie sich auf Koali­tionen unter Par­teien, die völlig ent­ge­gen­ge­setzte Ziele haben. Alle haben das Wohl der Men­schen als Ziel, aber jede Partei hat völlig andere Ideen, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Ein Bei­spiel: Die einen wollen alle Arten von Ener­gie­trägern nutzen, ein­schließlich der Atom­energie und andere sagen, dass sie keine Atom­energie wollen. Und dann schließen die sich einer Koalition zusammen. Wie sollen sie die natio­nalen Her­aus­for­de­rungen wirksam angehen? Das ist nur ein offen­sicht­liches Bei­spiel. Es gibt noch viele andere.
In der Praxis sagen die west­lichen die Experten selbst, ich lese manchmal, was sie schreiben, dass der Par­la­men­ta­rismus bekann­ter­maßen in einer Krise steckt. Und sie denken darüber nach, wie sie ihn neu beleben können, wie sie ihm eine neue Qua­lität geben können, wie sie dieses System effek­tiver gestalten können.
Ich denke, dass für Russland mit seinem rie­sigen Ter­ri­torium, mit seinen vielen Reli­gionen und Kon­fes­sionen, mit seinen vielen Völkern, die im Land leben – wir können sie nicht einmal zählen, die einen sagen, es sind 160, andere sagen, es sind 190 – wei­terhin eine starke, prä­si­diale Macht brauchen.“

Und am gleichen Tag traf sich Putin noch mit Stu­denten und dabei ent­stand mit einer Stu­dentin fol­gender Dialog:

Fomina: Guten Tag, Wla­dimir Wla­di­mi­ro­witsch! Mein Name ist Anna Fomina, ich bin Stu­dentin des Mos­kauer Staat­lichen Instituts für Inter­na­tionale Beziehungen.

Anfang dieses Jahres bemerkten meine Kom­mo­li­tonen und ich, dass, wenn wir unser Studium beenden, wir das Jahr 2024 haben werden, das heißt, dann beginnen wir zu arbeiten, gründen Familien und finden unseren Platz im Leben.

Wla­dimir Putin: Sie müssen nicht so lange warten, das können Sie auch jetzt schon.

Fomina: Das stimmt, aber es ist noch ein wenig früh für eine Familie.
Aber diese wich­tigen Dinge werden in die Zeit des Wandels fallen, da Sie dann Ihre Amtszeit als Prä­sident beenden werden. Nor­ma­ler­weise sind Zeiten des Wandels ein Grund zur Sorge, denn was in den 1990er Jahren war… Wenn ich meinen Eltern glaube, dann war es damals gefährlich, auf die Straße zu gehen. (
Anm. d. Übers.: Das ist keine Über­treibung, wie ich noch aus eigener Erfahrung weiß)
In anderen Ländern wurden für Zeiten des Wandels spe­zielle Gremien geschaffen, wie zum Bei­spiel in Sin­gapur oder Kasachstan, um die Staates zu sta­bi­li­sieren. Viel­leicht wird es etwas Ähn­liches in Russland geben? Danke.

Wla­dimir Putin:Wie zum Bei­spiel Sin­gapur. Wer wurde da ernannt … Wie hieß er noch?

Fomina:Lee Kuan Yew, der Minister-Mentor. (Anm. d. Übers.: Lee Kuan Yew war von 1959 bis 1990 Pre­mier­mi­nister von Sin­gapur und hat das Land aus einem Dritte-Welt-Land in den Wohl­stand geführt. Danach wurde für ihn der Posten des Minister-Mentor geschaffen und er gehörte der Regierung bis 2011 als eine Art graue Eminenz an, was für Sin­gapur dazu geführt hat, dass das Land auch nach dem Macht­wechsel seine Position sta­bi­li­sieren und dau­erhaft sichern konnte.)

Wla­dimir Putin:Er war der Mentor des Pre­mier­mi­nisters, ja. Aber er war der Vater, es war eine direkte Nachfolge.
Er war ein her­aus­ra­gender Mann, Lee Kuan Yew war einfach her­aus­ragend, das ist wahr. Und er war 30 Jahre an der Macht, soweit ich mich erinnere. Er hat im Grunde das Land erschaffen, das stimmt.
Etwas Ähn­liches wie in Russland zu schaffen… Sie möchten, dass ich der Mentor bin, nicht wahr?

Fomina: Zum Bei­spiel.

Wla­dimir Putin: Wir haben heute darüber gesprochen. Ich war in der Region Lipezk, wo ein junger Mann über die Mög­lichkeit sprach, in Russland eine par­la­men­ta­rische Regie­rungsform ein­zu­führen. Das ist möglich und die Partei, die die Par­la­ments­wahlen gewinnt, bildet eine Regierung und die Anzahl der Amts­zeiten ist nicht begrenzt. Aber das ist für Russland unge­eignet. Wir haben keine poli­ti­schen Par­teien, die seit mehr als hundert Jahren exis­tieren, wie in euro­päi­schen Ländern, aber das ist eine Vor­aus­setzung, damit es funk­tio­niert. Aber auch dort gibt es Pro­bleme, sechs Monate können sie manchmal keine Regierung bilden.
Nehmen wir Belgien – Sie stu­dieren Inter­na­tionale Bezie­hungen und sollten das wissen – ich weiß jetzt nicht einmal, ob sie da jetzt eine Regierung haben, aber sie konnten dort Monate lang keine Regierung bilden. In anderen Ländern wird die Regierung von Par­teien gebildet, die sehr unter­schied­liche Ideen haben, wie die natio­nalen Ziele zu erreichen sind. Und wie schwer es ist, so zu arbeiten, ist eine gute Frage, wissen Sie?
Daher sollte unser Land zual­lererst natürlich eine starke Prä­si­di­al­re­publik sein. Dann haben wir auch noch so viele Ethnien und Völker mit unter­schied­lichen Lebens­weisen, es ist meiner Meinung nach fast unmöglich, all das im Rahmen einer par­la­men­ta­ri­schen Republik zu inte­grieren. Aber was Sie vor­schlagen, würde die Insti­tution der Prä­si­dent­schaft unter­graben. Ich denke, dass das für ein Land wie Russland nicht hin­nehmbar ist.
Unter­schied­liche Länder haben unter­schied­liche Situa­tionen, eine unter­schied­liche Geschichte, unter­schied­liche Kul­turen. Wenn es eine Insti­tution über dem Prä­si­denten geben würde, würde das eine Spaltung der Macht bedeuten, das wäre eine absolut kata­stro­phale Situation für ein Land wie Russland.

Wir sehen also, dass Putin ganz offen­sichtlich nicht mit dem Gedanken spielt, durch Tricks nach 2024 Prä­sident zu bleiben. Das hat er 2008 nicht getan und auch jetzt schließt er es aus. Man kann von Putin halten, was man will, aber neben dem Wohl­stand, den er Russland gebracht hat, basiert seine poli­tische Auto­rität in Russland darauf, dass er den Men­schen gegenüber immer sein Wort gehalten und seine Stand­punkte nicht spontan und sprunghaft geändert hat. Ver­läss­lichkeit und Sta­bi­lität sind es, die ihn beliebt machen. Daher kann man diesen Aus­sagen glauben, denn wenn er später sein Wort brechen würde, wäre das ein irrepa­rabler Schaden für seine Autorität.

Auch eine Rückkehr in das Amt des Pre­mier­mi­nisters, wie 2008, scheint aus­ge­schlossen. Putin wäre dann über 70, es ist wenig rea­lis­tisch, dass er sich das antun und dass das im Volk gut ankommen würde. Zumal es den poli­ti­schen Aufbau Russ­lands durch­ein­an­der­bringen würde.

Heute bestimmt der Prä­sident direkt die Außen­po­litik und die Regierung unter dem Minis­ter­prä­si­denten ist für Wirt­schaft, Innen- und Sozi­al­po­litik zuständig, wo sie die Anwei­sungen des Prä­si­denten umsetzt. Würde Putin auf den Posten den Posten des Minis­ter­prä­si­denten wechseln, würde er dieses gel­tende Macht­gefüge erschüttern, was Russland desta­bi­li­sieren könnte. Sta­bi­lität ist aber eine von Putins obersten Prioritäten.

Aber das ist nur meine Ein­schätzung, das kann jeder auch anders sehen.

Auch der Lösung, über die die deut­schen Medien immer wieder spe­ku­lieren, Putin könnte sich durch die Ver­fas­sungs­än­de­rungen die Mög­lichkeit schaffen, als graue Eminenz weiter zu regieren, hat er auf die Frage von Anna Fomina eine Absage erteilt.

Wichtig ist auch, dass Putin ein Mann ist, der die Geschichte sehr gut kennt. Die Lehren der Geschichte sind für ihn eine wichtige Richt­schnur bei seinen Ent­schei­dungen. Und seine Antwort auf die Frage des Vete­ranen war ein­deutig: Die Variante, auf Lebenszeit im Amt zu bleiben, hat er mit dem Hinweis auf die schlechten Erfah­rungen der 1980er ausgeschlossen.

Wenn man all das zusammen nimmt, dann scheint es für mich, dass Putin nun tat­sächlich mit den Ver­fas­sungs­än­de­rungen die Macht­übergabe ein­leitet, damit sie in vier Jahren rei­bungslos funk­tio­niert. Man wird in den nächsten Jahren seine Per­so­nal­ent­schei­dungen sehr genau beob­achten müssen, wenn man ver­stehen möchte, wen er sich als Wunsch­kan­di­daten für die eigene Nach­folge aus­suchen könnte.

Ich vermute tat­sächlich, dass Putin nach 2024 die Macht abgibt. Das wird seine Gegner freuen und seinen Anhängern schlaflose Nächte bereiten.


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru

Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“