Das Bild könnte symbolischer nicht sein. Im blauen Business-Anzug und der Kamera zugewandt sitzt Claudia Kemfert in einer abgewrackten, rostigen Schaltwarte eines stillgelegten Kraftwerks. Soll wohl heißen, der Abriss der Energiewirtschaft ist noch nicht abgeschlossen, die schöne neue Welt der „erneuerbaren Energie“ noch nicht erreicht. Diese Bildkombination ist merkwürdig. Aber das ist das ganze Interview mit n‑tv ja auch. Stellenweise fühlte ich mich an Arnold Schwarzenegger in „True Lies“ erinnert. Arnie, sediert, gefesselt und mit einer Art Wahrheitsserum vollgepumpt, fordert seine Frau (Jamie Lee Curtis) auf, ihm eine Frage zu stellen, bei der er für gewöhnlich lügen würde. „Werden wir sterben?“ ist ihre Frage. „Jepp“ seine Antwort. Auch Claudia Kemfert muss von dem Zeug genascht haben, denn auf die durchaus existenzielle Frage „Seit 2003 exportiert Deutschland mehr Strom, als es importiert. Könnte sich das in den nächsten Jahren ändern?“ antwortet sie:
„Deutschland kann zum Netto-Stromimporteur werden, wenn man die Energiewende hin zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien voranbringt.“
Das war ein mehr als klares „Jepp“, bedeutet die Antwort doch, dass man sich in den Planungskreisen der Energiewende voll und ganz darauf eingestellt hat, dass Deutschland sich energetisch nicht mehr wird selbst versorgen können, wenn die Energiewende erst bei „Vollversorgung” mit Erneuerbaren angekommen ist. „Welche Vollversorgung, wenn man Nettoimporteur von Strom ist?”, müsste die nächste Frage lauten. Die kommt leider nicht und bleibt daher unbeantwortet. Claudia Kemfert stellt dieses Paradox jedoch als erstrebenswertes Ziel dar*, an dem wir alle kräftig mitarbeiten sollen. Und in der Tat bringt uns jedes installierte Windrad, jede niedergekämpfte Bürgerinitiative und jedes abgeschaltete konventionelle Kraftwerk diesem „Endziel“ Energieabhängigkeit näher.
Die Frage, von welcher Art der Strom ist, der Deutschland momentan zum Stromexporteur macht, stellt n‑tv leider nicht. Denn leider können wir immer nur Strom „exportieren“, wenn er uns gerade zu den Ohren herausläuft, nicht dann, wenn unsere Nachbarn ihn brauchen – ein Umstand, den man kaum Export, sondern eher Verklappung nennen kann. Andererseits soll der Strom, der uns zum Importeur macht, immer dann bereitstehen, wenn es bei uns mit Sonne und Wind wieder mal eng wird. Klar, dass der dann nicht aus Sonne und Wind kommen kann. Gut, dass Frankreich und Polen als unsere größten Nachbarn Kernkraft und Kohle haben, uns zu versorgen.
Mir ist auch überhaupt nicht klar, was an dem Zustand „Nettostromimporteur“ erstrebenswert sein soll, dass Claudia Kemfert ihn in einen hoffnungsvollen Konjunktiv kleidet. Ist ihr dieser Satz vielleicht versehentlich entschlüpft? Ein freudscher Versprecher womöglich? Aber das Interview ist voll von Wendungen, die überhaupt nicht zur Agenda der Energiewende und ihrer Herolde passen. Energieimport als Planziel? Seltsam. Auch Sätze wie „das Problem ist zu viel Planwirtschaft und zu wenig Marktwirtschaft“ klingen merkwürdig aus dem Mund der zentralen Figur einer staatlich verordneten Zwangsmaßnahme. Seit Jahren redet Kemfert staatlicher Lenkung und Subventionsverschleuderung das Wort, von Marktwirtschaft war da keine Spur, höchstens von deren Simulation. Dabei sind Subventionen nicht einmal in einer liberalen Wirtschaftsordnung gänzlich ausgeschlossen. Doch müssen sie eben zielgenau, zeitlich begrenzt und so getätigt werden, dass der betroffene Markt nach Beendigung der Subvention gesund auf eigenen Füßen steht.
Das Gegenteil ist bei sämtlichen Projekten der Energiewende der Fall: sobald staatliche Subvention unterbleibt, bricht die jeweilige Branche wie ein Kartenhaus zusammen. Weltweit verzeichnet die Autoindustrie massive Absatzeinbrüche, wenn die Förderungen ausbleiben. In China schließen reihenweise Fabriken für E‑Autos, der Absatz bricht ein (dass er in Europa noch steigt, liegt an den – sie ahnen es – Subventionen).
Die deutsche Solarindustrie war dem Weltmarkt nicht gewachsen und brach völlig zusammen und die Windbranche jammert nur deshalb über neue Abstandsregeln, weil sie so zu verdecken versucht, dass bereits die neuen Marktregeln von 2017 (Bau neuer Anlagen nur noch mit Ausschreibung auf gedeckelte Einspeisevergütungen) die meisten ihrer Projekte finanziell ins Wanken brachten. Erneuerbare Energie zu Marktpreisen? Warum, wenn’s auch anders geht? Subventionen? Warum nicht, wenn’s anders nicht geht. Das einzig erneuerbare an den Erneuerbaren war bisher das Fördergeld der Steuerzahler. Und denen geht immer schneller die Puste aus. Unter Marktwirtschaft versteht Kemfert also etwas ganz anderes als etwa Ludwig von Mises, der dem jahrelangen Subventionsfeuerwerk und den deutschen Träumen von der energetischen Unschuld sicherlich nichts Positives abgewinnen könnte.
Belohnung statt Subvention
Hat Claudia Kemfert womöglich eine Kehrtwende vollzogen? Der Begriff „Subvention“ kommt schließlich im ganzen Interview nicht vor. Doch freuen wir uns nicht zu früh. Denn liest man weiter, stolpert man stattdessen über Worte, die aus demselben Koben stammen: „…sollte eine Belohnung für die Herstellung von Wasserstoff oder Power to Gas gezahlt werden“. Belohnung! Verwendet wird hier nicht der betriebswirtschaftlich klare Begriff „Preis“, sondern „Belohnung“ – ein hochherrschaftliches Wort, dass sich nicht auf Recht, sondern auf Gnade bezieht. Preise werden verhandelt, Belohnungen werden gewährt. Nichts passt besser zur aktuellen Phase des Niedergangs der Energiewende als das Wort „Belohnung“, dass in Synonymen wie Kaufprämien, Abwrackprämien, Klimadividende, Förderung oder Investitionsbeihilfen steckt.
Wir haben gelernt, dass man für eine Energiewende deutschen Kalibers potente Nachbarn braucht, die den Mist nicht mitmachen, sondern klaglos Energie für das moralische Lämpchen liefern, dass in den Köpfen übergeschnappter deutscher Weltretter glimmt. Gleichzeitig fordert die aufgeladene Moral, dass die Nachbarn nun aber bitte selber in die Gänge kommen sollen, nachhaltig werden und auf das böse Atom und die schmutzige Kohle verzichten müssen.
Ob das „Modell Nachbarschaftshilfe“ übertragbar ist? Frankreich hilft Deutschland aus der energetischen Patsche, Spanien dann Frankreich, Portugal später Spaniern…nur die Portugiesen haben Pech. Die können dann nur noch den Atlantik um Hilfe bitten. Das war natürlich ein Witz, ein Kettenwitz sozusagen. Denn wie soll Frankreich seine Energie auf Grün drehen, wenn es dann uns nicht mehr vor dem Blackout retten kann, weil es selbst zum Nettostromimporteur Kemfertscher Definition werden muss, um die Energiewende zum Erfolg werden zu lassen?
Wäre es nicht viel bequemer für die Moral, als leuchtendes dekarbonisiertes Vorbild klammheimlich am energetischen Tropf der Nachbarn zu hängen und diese gleichzeitig tagtäglich ob ihrer unmoralischen Energiegewinnung zu schelten? Ich meine, Hambi und AKW Phillipsburg sind deutsche Adressen. Aber irgendwo müssen die Aktivisten ja hin, wenn in Deutschland der energetische Endsieg erfochten ist. Ich möchte zu gern erleben, wie ein französischer Kraftwerksbetreiber vor die Kameras tritt und beteuert, man würde das dieses und jenes Kraftwerk ja sofort abschalten, aber dann würden in Deutschland die Lichter ausgehen. Flixbus muss dann Sonderfahrten ab Berlin und Stuttgart anbieten und aus unseren Nachbarländern kämen lange vergessene Berichte über den „hässlichen Deutschen“, der mit heraushängender Moral erziehungsresistente Nachbarn maßregelt.
Am Ende bekommt Claudia Kemfert dann doch noch die Kurve, lässt die Flaute „Marktwirtschaft“ hinter sich und segelt wieder sicher in den Gewässern des linken Aktionismus: „Eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien ist technisch möglich und volkswirtschaftlich lohnend. Ob wir es schaffen oder nicht, hängt einzig und allein an einer Stellschraube: dem politischen Willen.“
Nun wissen wir es, nur der politische Wille zählt, und der kann bekanntlich viel bewirken in Deutschland. Mich persönlich macht diese Beschwörung des politischen Willens ein wenig beklommen. Ein politischer Wille hat uns ja schon bis nach Stalingrad gebracht. Aber ob nun Rote Armee, Wetter oder Physik, irgendwas steht dem deutschen Größenwahn am Ende immer im Weg.
* Da es sich um ein Interview handelte, wird der Wortlaut für gewöhnlich vom Interviewpartner freigegeben. Ich halte es daher für eher unwahrscheinlich, dass Claudia Kemfert sich hier versprochen hat. Ihr Murmelverstand funktioniert wohl nach dem Prinzip „morgen ist alles anders als heute, heute ist alles schlechter als morgen“ und da Atom-Kohle-Deutschland heute „Stromexporteur“ ist, muss es nach erfolgreicher Energiewende eben Importeur sein.
Quelle: unbesorgt.de
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