Die Krise der CDU hat sich bis nach Russland herumgesprochen und das russische Fernsehen hat darüber kurz, knapp und objektiv berichtet. Aber es hat auch eine sehr überraschende Schlussfolgerung geliefert.
Zu den Vorfällen in Thüringen habe ich mich in einem Kommentar geäußert. Mehr möchte ich selbst zu dem politischen Zirkus, der derzeit in Deutschland veranstaltet wird, nicht schreiben. Aber da es für viele interessant sein dürfte, wie man im Ausland auf die Vorgänge in Deutschland reagiert, habe ich einen Beitrag des russischen Fernsehens dazu übersetzt.
Beginn der Übersetzung:
Ein großer politischer Skandal erschüttert Deutschland. Angela Merkels Nachfolgerin will nicht mehr Bundeskanzlerin werden. Die unerwartete Entscheidung von Annegret Kramp-Karrenbauer hat in der Regierungspartei CDU eine Krise ausgelöst. Schließlich muss jetzt dringend nach einem neuen Kandidaten für die Führungsposition gesucht werden. Warum hat Merkels Schützling die Kanzlerin verlassen und können sich die Pläne der Kanzlerin, 2021 die politische Bühne zu verlassen, ändern?
Angela Merkel hat ihre Nachfolgerin verloren. Aus dem Kanzleramt heißt es, die Kanzlerin selbst habe nichts von Annegret Kramp-Karenbauers Plänen gewusst, die im Dezember 2018 durch Merkels Unterstützung CDU-Chefin wurde.
„Ich werde nicht als Kanzlerin kandidieren. Ich bleibe aber Parteivorsitzender, bis eine Entscheidung über einen neuen Kandidaten fällt. Ich werde das Amt der Verteidigungsministerin auf Wunsch von Bundeskanzlerin Angela Merkel behalten“, erklärte die Vorsitzende der CDU und Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karenbauer.
War das wirklich eine Überraschung für die Kanzlerin? Das ist zweifelhaft. Schon kurz nach der Wahl Kramp-Karenbauers zur Parteichefin gab es Stimmen, dass die ehemalige Ministerpräsidentin von der Saar nicht für die Bundesebene tauge.
Und selbst die Tatsache, dass Merkel ihr im Juli 2019 das Amt der Verteidigungsministerin angeboten hat, hat ihr kein zusätzliches politisches Gewicht gebracht. Irgendwie hatte sie kein Glück und all ihre Handlungen und Aussagen wurden von Politikern und Wählern nicht als etwas Eigenes oder Sinnvolles wahrgenommen, sondern als den immer wieder erfolglosen Versuch, nicht als „Mini-Merkel“ zu erscheinen. Endgültig abgeschossen wurde sie aber aus Thüringen. Merkel selbst ließ ihr keine Wahl.
„Dies ist ein schrecklicher Tag für die Demokratie. Ein Tag, der den Werten und Überzeugungen der CDU zuwiderläuft“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Am 5. Februar wählte der Thüringer Landtag den Ministerpräsidenten des Landes. Einen Tag lang war es Thomas Kemmerich, ein Vertreter der FDP, die die Fünf-Prozent-Hürde knapp übersprungen hatte. Skandalös wurde diese Sensation dadurch, dass seine Kandidatur zusammen mit der CDU von der rechten „Alternative für Deutschland“ unterstützt wurde. Und während lokale Christdemokraten Absprachen leugnen, ist es schwer, die Tatsache der Zusammenarbeit mit der „Alternative“ zu bestreiten, die von den Medien und den meisten Politikern als Nazis bezeichnet wird. Und ja, Kemmerich ist zurückgetreten, aber mit verdächtiger Verzögerung.
„Thomas Kemmerich hat die richtige Entscheidung getroffen, aber 24 Stunden zu spät“, sagte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak.
Ob die CDU mit der „Alternative“ zusammengearbeitet oder ob die Rechten das Verfahren der geheimen Abstimmung genutzt haben, um Merkels Partei eine Falle zu stellen, ist unklar. Wenn letzteres stimmt, hat die „Alternative“ einen brillanten Schachzug gemacht und eine weitere Regierungskrise in Deutschland provoziert. Die deutsche Sozialdemokratie, die als politische Partei ihren einstigen Einfluss fast vollständig verloren hat, glaubt, dass nun das gleiche Schicksal auf Merkels Partei wartet.
„Wir erleben das Ende der zweiten großen Volkspartei in Deutschland. Nach der SPD wird sich auch die CDU nicht retten können. Die Diskrepanzen in der Partei sind zu groß. Gleichzeitig ist die Bundesregierung zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit gelähmt. Ich vermute, dass in naher Zukunft mit Neuwahlen zu rechnen ist“, sagte Sigmar Gabriel, der 60-jährige ehemalige deutsche Vizekanzler und ehemalige deutsche Außenminister.
Vorgezogene Wahlen sind möglich, ein vorgezogener CDU-Parteitag ist unausweichlich. Kramp-Karenbauer will ihn im Sommer abhalten und die Frage nach einem neuen Parteichef klären. Es gibt mehrere Kandidaten für die freie Stelle. Der erste ist Friedrich Merz, ein Investmentbanker, Transatlantiker und Kritiker Merkels. Der zweite ist der derzeitige Ministerpräsident des größten deutschen Landes Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet. Das sind die zwei realistischen Lösungen für die Personalkrise. Aber es gibt eine andere Option, eine aus dem Bereich der Fantasie, also eine „fantastische“ Option:
Angela Merkel selbst.
Die Kanzlerin bereits angekündigt hat, nach der Wahl 2021 die große Politik zu verlassen. Aber niemand kann ihr das Recht nehmen, ihre Meinung zu ändern. Nur die Gründe dafür müssen sehr gut sein. Zum Beispiel eine Bedrohung der politischen Stabilität oder der demokratischer Werte. Und genau das ist es, was man heute in Deutschland beobachten kann.
Ende der Übersetzung
Das russische Fernsehen glaubt offensichtlich nicht an Merkels Rückkehr und auch ich halte das für ausgeschlossen. Obwohl: Sollte die CDU keine Neuwahlen wollen, wäre eine Rückkehr Merkels an die Parteispitze für ein Jahr durchaus möglich. Die CDU könnte dann in Ruhe einen Kanzlerkanditaten küren und dann könnte Merkel den CDU-Vorsitz 2021 an diesen Kandidaten übergeben.
Natürlich will Friedrich Merz das nicht, der wohl am liebsten CDU-Chef werden und auch gleich bei Neuwahlen als Kanzler antreten möchte.
Die CDU ist allerdings in einer Zwickmühle, denn einige Stimmen fordern nun Merkels Rücktritt auch als Kanzlerin, damit Parteivorsitz und Kanzlerschaft wieder in eine Hand kommen. Aber die SPD würde einen anderen Kanzler kaum unterstützen und daher würde das fast zwangsläufig zu vorgezogenen Neuwahlen führen.
Wenn die CDU keine vorgezogene Neuwahl will, wäre eine einjährige Rückkehr Merkels an die Parteispitze und eine anschließende „geordnete Übergabe“ der beiden Ämter an einen Nachfolger tatsächlich eine „elegante Lösung“.
Aber ob sich das der Partei verkaufen lässt?
Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“
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