Thü­ringen in Irland? Das­selbe Problem – aber mit demo­kra­ti­schen Spiel­regeln (+Video)

Der Name der Partei Sinn Féin (Gesprochen: Schin Fjiehn) ist iri­sches Gälisch und bedeutet „wir selbst“. Die Partei ist stark mit dem iri­schen Katho­li­zismus ver­bunden. In Nord­irland war sie auch eine Unter­stüt­zerin der IRA (Irish Repu­blican Army), die aktiv und gewaltsam, auch mit Terror, gegen die eng­lische Besatzung und für eine Wie­der­ver­ei­nigung Irlands kämpfte. Im Süden Irlands, in der Republik Irland, ist die Partei seit 1997 im Par­lament ver­treten, aller­dings damals nur mit 2,9 Prozent. Ihr Ziel ist die Wie­der­ver­ei­nigung Irlands und ihre Hymne das alte Lied „A Nation once again!“ Bei den Wahlen am Samstag schnitt sie über­ra­schend mit 24,5 Prozent ab.

 

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Bei den eta­blierten Par­teien herrschte erst einmal betre­tenes Schweigen, denn die Par­tei­vor­sit­zende May Lou McDonald sieht sich als stärkste Partei schon in der Regie­rungs­ver­ant­wortung. Bisher hatten die beiden Sys­tem­par­teien Fine Gael (Stamm der Gälen) mit 20,86% am Samstag und Fianna Fail (Sol­daten des Schicksals) mit 22,18% – die Iren haben tra­di­tionell keine Scheu vor markig-völ­ki­schen Bezeich­nungen – die Regie­rungs­zu­sam­men­setzung immer unter sich aus­ge­kungelt. Dass die „Ter­ro­risten-Unter­stützer“ nun plötzlich stärkste Partei im Lande werden, war ein Paukenschlag.

Eine Sta­tistik zur Ent­wicklung der Wahl­er­geb­nisse von Sinn Féin seit 1997 finden sie hier. 

Sinn Féin hatte wohl selber nicht mit dem Erfolg in der Höhe gerechnet, denn sie hatten zu wenige Kan­di­daten auf­ge­stellt, nur 42 – und das sind halb so viele, wie jede der beiden Sys­tem­par­teien.  Dadurch werden einige Sitze im Iri­schen Par­lament Dáil Éireann nicht besetzt werden können. Bei den letzten Europa- und Lokal­wahlen erreichte die „umstrittene Partei“ nur wenige Prozent. Um an die Regie­rungs­ver­ant­wortung zu kommen, will Frau McDonald mög­li­cher­weise mit den Linken koalieren. Viel­leicht findet deshalb die taz auf einmal die bis­herige Paria-Partei Sinn Féin gar nicht mehr so schrecklich. Da stört dann der Patrio­tismus und die enge Ver­bindung zur natio­na­lis­ti­schen IRA plötzlich nicht mehr so sehr.

Inter­essant sind die Themen, mit denen Sinn Féin die Wahl gewonnen hat: Große Zuwan­derung, dadurch Wohn­raum­knappheit und stei­gende Mieten, was eine alar­mie­rende Obdach­lo­sen­krise zur Folge hatte. Keine voll­kommen neue Pro­ble­matik für Deutschland.

Überdies werden die beiden Sys­tem­par­teien für die immer noch anhal­tenden Pro­bleme durch die Finanz­krise ver­ant­wortlich gemacht, und das Spar­pro­gramm dieser Regierung konnte nie bei den Iren punkten. Daher setzte Sinn Féin auf sozi­al­po­li­tische Themen: Den Bau von neuen, bezahl­baren Woh­nungen, ein bes­seres und preis­wer­teres Gesund­heits­system und den Erhalt der Rente mit 65 Jahren und nicht, wie von den bür­ger­lichen Par­teien geplant, mit 68 Jahren.

Aber: Sinn Féin wäre nicht sich selbst, wenn die Nationale Frage nicht auf der Agenda stünde: Ihre Haupt­for­derung, ganz Irland wieder zu einer Nation zu machen, steht ganz obenan. Innerhalb von fünf Jahren sollen die Iren mittels einer „Border Poll“ über die Wie­der­ver­ei­nigung des bri­tisch regierten Nord­ir­lands mit der Republik Irland zu einer Nation abstimmen. In Deutschland wäre das ein Ausweis von „Nazitum“, in Irland gehört Patrio­tismus zum guten Ton.

Der Guardian schreibt dazu:

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Bread and butter issues domi­nated the cam­paign, which vir­tually ignored Nor­thern Ireland and Brexit, but Sinn Féin said it wished to promote its defining issue – a united Ireland – in any future government.An exit poll found that 57% of people sup­ported Sinn Féin’s desire to hold refe­rendums on unity on both sides of the border in the next five years.

(Über­setzung: Brot- und But­ter­pro­bleme domi­nierten die Kam­pagne, die Nord­irland und den Brexit prak­tisch igno­rierte, aber Sinn Féin sagte, es wolle das bestim­mende Thema — ein ver­eintes Irland — in einer zukünf­tigen Regierung fördern. Eine Aus­gangs­um­frage ergab, dass 57% der Befragten Sinn Féins Wunsch unter­stützten, in den nächsten fünf Jahren auf beiden Seiten der Grenze Refe­renden über die Einheit abzuhalten.)

Die Sitz­ver­teilung ist nun so, dass auch die beiden Sys­tem­par­teien zusammen keine Mehrheit im Par­lament zusam­men­be­kommen. Und plötzlich sind die mar­kigen Distan­zie­rungen aller Partien aus der Wahl­kampfzeit, man werde kei­nes­falls mit dieser Abseits­partei Sinn Féin koalieren, Makulatur:

Dara Cal­leary, Fianna Fáil’s director of elec­tions, told RTE his party would talk with Sinn Féin about a pro­gramme for government. “We will see what pro­gramme they put tog­ether. We cer­tainly will engage with them, we are not going to refuse to talk to them.”

(Über­setzung: Dara Cal­leary, Fianna Fáils Wahl­lei­terin, sagte RTE, seine Partei werde mit Sinn Féin über ein Regie­rungs­pro­gramm sprechen. „Wir werden sehen, welches Pro­gramm sie zusam­men­stellen. Wir werden uns auf jeden Fall mit ihnen beschäf­tigen, wir werden uns nicht weigern, mit ihnen zu sprechen.“)

Brendan Howlin, Vor­sit­zender der Arbei­ter­partei (3 Sitze), sieht die Sache nüchtern: Jede Regie­rungs­bildung würde, wenn sie Bestand haben will, zwei der drei großen Par­teien in der Koalition brauchen. Und da sei Sinn Féin eben ein sta­biler Partner:

“Ulti­m­ately we either have to have Fianna Fáil and Fine Gael tog­ether or Sinn Féin with one of those parties. That will happen in my judgment … I think that is the only sta­bility that can be offered.” Another election would hurt Ireland, he said.

(Über­setzung: „Letzt­endlich müssen wir ent­weder Fianna Fáil und Fine Gael zusammen haben oder Sinn Féin mit einer dieser Par­teien. Das wird meines Erachtens pas­sieren… Ich denke, das ist die einzige Sta­bi­lität, die sich bietet. “Eine weitere Wahl würde Irland schaden, sagte er.)

Ein Satz und eine demo­kra­tische Haltung, die man von unseren Poli­tikern nicht erleben wird. Da werden lieber die Grund­festen der Demo­kratie geschleift und das Grund­gesetz mit Füßen getreten, als die Underdog-Partei AfD, die etwa genauso viele Stimmen auf sich ver­einen konnte, wie Sinn Féin, dem Wäh­ler­auftrag folgend an der Regie­rungs­bildung mit­wirken zu lassen.