Wie in Russland über Thü­ringen und die Krise der CDU berichtet wird

Das poli­tische Chaos in Deutschland nach den Ereig­nissen in Thü­ringen und nach AKK´s Rück­tritt waren auch Thema in der Sendung „Nach­richten der Woche“ des rus­si­schen Fern­sehens am Sonntag.

Der Blick von außen auf die deutsche Politik ist immer inter­essant. Der Blick von außen ist oft neu­traler, weniger vor­ein­ge­nommen. Und der Deutschland-Kor­re­spondent des rus­si­schen Fern­sehens hat mit seiner tro­ckenen Art, die Dinge zu ana­ly­sieren, den Finger auf die Wunde des poli­ti­schen Systems in Deutschland gelegt.

Daher habe ich den Bericht des rus­si­schen Fern­sehens über­setzt, der manche Dinge deut­licher beim Namen nennt, als es die deut­schen Medien tun.

Beginn der Übersetzung:

Deutschland ist nur einen Schritt von einer tiefen poli­ti­schen Krise ent­fernt. Die Vor­sit­zende der CDU, Annegret Kramp-Kar­ren­bauer, die nach der Bun­des­tagswahl 2021 Kanz­lerin werden sollte, kün­digte an, nicht mehr für das Kanz­leramt zu kan­di­dieren und sobald ein Nach­folger gefunden sei, werde sie aus dem Amt der Par­tei­vor­sit­zenden aus­scheiden. Ein schwerer Schlag, denn Angela Merkel hat alles getan, damit sie Nach­fol­gerin werden kann.

Kramp-Kar­ren­bauers Rück­tritt wurde von einem Skandal in Thü­ringen ein­ge­leitet. Das Par­lament wählte den Minis­ter­prä­si­denten des Bun­des­landes. Im dritten Anlauf wurde der Vor­sit­zende der kleinen FDP, Thomas Kem­merich, gewählt. Er blieb nur 24 Stunden im Amt und trat dann zurück. Und das alles, weil Kanz­lerin Merkel, die sich ent­schieden hatte, in die Kom­mu­nal­wahlen ein­zu­greifen, ihre Unzu­frie­denheit mit dem Abstim­mungs­er­gebnis erklärt hatte. Fakt ist, dass Kem­merich dank der Stimmen der nicht zu System gehö­renden Partei „Alter­native für Deutschland“ Minis­ter­prä­sident wurde. Wie schrecklich!

Doch der eigent­liche Schreck ist für Merkel und die deut­schen Eliten ein anderer. In Europa, in vielen Ländern, ob in Italien, Frank­reich oder Spanien, befindet sich das alte Par­tei­en­system in einer Krise und die alten Eliten sind ratlos. Das­selbe gilt für Deutschland.

Aus den tra­di­tio­nellen Par­teien ist die Luft raus und egal in welcher Kon­stel­lation, sie können keine Regie­rungen mehr bilden. Auch wenn es bisher nur regionale Regie­rungen betrifft, aber ohne die kol­lektiv Ver­hassten, die als „Faschisten“ bezeichnet werden, geht nichts mehr.

Natürlich ist die AfD keine faschis­tische Partei. Dennoch fordert der Chef der AfD in Thü­ringen, Björn Höcke, die Deut­schen auf, sich nicht mehr von morgens bis abends für den Aus­bruch des Zweiten Welt­kriegs zu ent­schul­digen und sagt, Denk­mäler für Holo­caust-Opfer seien unnötig, weil sie die Deut­schen beschämen.

Aus Deutschland berichtet unser Korrespondent.

Die Nach­richt des Rück­tritts von Annegret Kramp-Karen­bauer, abge­kürzt AKK, traf die Führung der Partei am 10. Februar unver­mittelt. Nach dieser Nach­richt herrschte – jemand hat die Zeit gemessen – für 45 Sekunden Stille.

Merkel kam ver­spätet. Als die Kanz­lerin eintraf, ging Kramp-Karen­bauer mit ihr in den Flur und ver­kündete ihre Ent­scheidung von unter vier Augen, so dass niemand Merkels Reaktion sehen konnte. Aber es heißt, es war eine unan­ge­nehme Über­ra­schung. Dann gab es die Pres­se­kon­ferenz. Die Kern­aussage war: Ich kann es nicht.

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Das kam für die deutsche Presse kaum über­ra­schend. Dass die Mini-Merkel, wie AKK genannt wurde, viel­leicht eine Regio­nal­po­li­ti­kerin ist, aber für die Bun­des­ebene nicht taugt, hörte man schon ein oder zwei Monate nach ihrer Wahl zur Par­tei­vor­sit­zenden, die sie auto­ma­tisch zur Kanz­ler­kan­di­datin machen sollte.

Im Juli letzten Jahres ver­suchte die Kanz­lerin, ihrer Nach­fol­gerin mit der Ernennung zur Ver­tei­di­gungs­mi­nis­terin Kraft zu geben, aber auch das half auch nichts. Kramp-Karen­bauer fehlte jedes Cha­risma, um in Merkels Schatten zu glänzen. Und ihre eigene Partei nahm sie nicht wirklich als unab­hängige Figur, sondern bes­ten­falls als Erb­prin­zessin unter der all­mäch­tigen Regentin wahr. Die Leere dieser Figur zeigte sich end­gültig in Thü­ringen. Im Herzen Deutsch­lands, wie dieses Land genannt wird, schei­terte sie am 5. Februar.

Nach den Herbst­wahlen konnte Thü­ringen, wo die Anti­poden geführt haben, also die Kom­mu­nisten der Links­partei und nationale Radikale und Euro­skep­tiker von der „Alter­native für Deutschland“, konnte der Landtag keine Regierung bilden. Koali­tionen konnten nicht gebildet werden. Einige zogen sogar Par­al­lelen zu der Patt­si­tuation nach den Wahlen in der Wei­marer Republik 1933, die die NSDAP an die Macht gebracht haben. Und vor zwei Wochen endete eine geheime Abstimmung in einer Sen­sation: Zum Minis­ter­prä­si­denten von Thü­ringen wurde der Liberale Thomas Kem­merich gewählt, ein Ver­treter der FDP, die die Fünf-Prozent-Hürde nur knapp über­sprungen hatte.

Merkels Christ­de­mo­kraten, also Kramp-Karen­bauer, und – wie sich her­aus­stellte – die gesamte Fraktion der „Alter­na­tiven für Deutschland“ stimmten für ihn. Das deutsche Estab­lishment will diese Partei igno­rieren und es weigert sich,die Gründe für ihre wach­sende Popu­la­rität, die besonders im Osten des Landes spürbar ist, zu ana­ly­sieren. Das sind Nazis, mehr ist dazu nicht zu sagen. Der Chef der „Alter­native“ in Thü­ringen – Bjorn Höcke – wird all­gemein als die lebendige Ver­kör­perung von Hitler und Goebbels in einer Person ange­sehen. Eine Zusam­men­arbeit ist daher unmöglich. Und dann das.

Der gewählte Minis­ter­prä­sident Kem­merich ver­suchte, den Vorfall als Pro­vo­kation der „Alter­native“ dar­zu­stellen. Seine Frau wurde ange­spuckt und seine Kinder müssen unter Poli­zei­schutz zur Schule gehen. Und das alles nur, weil er die Wahl annahm und erst nach 24 Stunden zurücktrat. Der Ver­dacht einer Absprach mit der AfD betrifft nur die dortige CDU, aber das reichte AKK, die längst über­fällige Ent­scheidung zu treffen. Das Letzte, was ihr bleibt, ist, mög­lichst im Sommer einen Par­teitag abzu­halten, auf dem die Macht in der Partei und die damit ver­bun­denen Per­spek­tiven auf einen anderen Kan­di­daten über­tragen werden sollen. Es gibt Leute, die die Macht gerne in die Hand nehmen wollen und es gibt die, die über­redet werden wollen.

Zu den ersten gehören Friedrich Merz und Jens Span. Merz ist ein ehe­ma­liger Invest­ment­banker, die Hoffnung der Wirt­schaft auf ihn groß. Ein Mann der Wall Street. Ein Kri­tiker Merkels, der sie nicht bis zum Herbst 2021 auf ihrem Stuhl lassen will. Er hat die inner­par­tei­liche Wahl gegen Kramp-Karen­bauer ver­loren, grub sich ein und begann auf den Schützling der Kanz­lerin zu schießen. Jetzt schaut er aus seinem Graben heraus und bereitet sich auf den Angriff vor.

Spahn möchte auch. Er ist Gesund­heits­mi­nister. Ein Mann mit Füh­rungs­an­spruch. Er hofft, sich auf die jungen Mit­glieder der CDU stützen zu können, aber er passt nicht wirklich zur Partei. Er ist ver­hei­ratet, aber er hat keine Ehefrau, er hat einen Ehemann. Das könnte für die Kon­ser­vative Partei zu viel sein.

Ein wei­terer Kan­didat ist Armin Laschet, Minis­ter­prä­sident von Nord­rhein-West­falen, dem größten Bun­desland. Ein Prak­tiker, ein Mann mit Auto­rität und sehr nüchtern. Er hat viel zu ver­lieren. Besser Düs­seldorf in der Hand als Berlin auf dem Dach. Es ist diese Über­legung, die ihn daran hindert, sich zu ent­scheiden, obwohl seine Chancen, die Partei zu führen, sehr hoch sind.

Schließlich gibt es theo­re­tisch Merkel selbst, die erklärt hat, nach der Bun­des­tagswahl aus der Politik aus­scheiden zu wollen. Über ihren Sprecher ließ die Kanz­lerin mit­teilen, an ihren Plänen habe sich nichts geändert. Bisher.

Die Situation könnte sich ändern, aber die Aus­wir­kungen von Merkels Rückkehr als CDU-Chefin dürften eher negativ auf das Image der Par­tei­führung sein, nicht nur bei den Wählern, sondern auch bei der eigenen Basis, wie sich in Thü­ringen gezeigt hat. Die Partner in der Bun­des­re­gierung, die noch vor einem Jahr­zehnt mächtige Volks­partei SPD, sind völlig demo­ra­li­siert und kämpfen ums Über­leben, weil Merkel ihnen in den Jahren der Zusam­men­arbeit das ganze Blut aus­ge­saugt hat. Ein pro­mi­nenter Sozi­al­de­mokrat, der ehe­malige Vize­kanzler Gabriel, hat das­selbe Schicksal nun auch der CDU vor­aus­gesagt. Und das Uner­freu­lichste ist, dass niemand weiß, wie man den Abstieg auf­halten kann. Der Zer­falls­prozess des gemä­ßigten, zen­tris­ti­schen poli­ti­schen Kerns, die Umver­teilung des Ein­flusses zugunsten radi­kaler Kräfte, wurde unumkehrbar.

Die Wahlen in Thü­ringen haben gezeigt, was droht: die Lähmung der Regierung. Und die lässt sich auf zwei nicht so gute Weisen über­winden: Ent­weder wird es in Deutschland normal, Min­der­heits­re­gie­rungen mit der Lebens­er­wartung einer Katze auf der Autobahn zu bilden, oder man wirft alle Prin­zipien über Bord und arbeitet mit Links- oder Rechts­ra­di­kalen zusammen. Die Geschichte kennt Fälle, in denen eine solche Zusam­men­arbeit mit der unge­teilten Macht für die Radi­kalen geendet hat.

Ende der Übersetzung


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru

Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“