Assad im Interview im rus­si­schen Fern­sehen: “Über Europa zu reden, ist sinnlos”

Der syrische Prä­sident Assad hat dem rus­si­schen Fern­sehen ein Interview gegeben. Da in Deutschland über das, was Assad sagt, prak­tisch nichts bekannt ist, habe ich die Kern­aus­sagen übersetzt.

In dem ein­stün­digen Interview des rus­si­schen Fern­sehens wurde Assad unter anderem gefragt, wie sich das Ver­hältnis Syriens zu den ara­bi­schen und euro­päi­schen Ländern ver­ändert hat und ob es Ver­bes­se­rungen gibt. Nach dem Ver­hältnis zu den USA hat der Jour­nalist aus­drücklich nicht gefragt, denn, wie er sagte, „ist da leider alles auch so offen­sichtlich“. Assads Antwort war inter­essant. Er sagte:

„Viele ara­bische Staaten haben ihr Ver­hältnis zu Syrien belassen, wie es war. Aber nicht offi­ziell. Sie stehen unter großem Druck. Der Druck des Westens, vor allem der USA, auf die Länder, war sehr groß. Vor allem auf die Länder des Per­si­schen Golfs. Von ihnen wurde gefordert, sich von Syrien fern­zu­halten, keine Bot­schaften in Syrien zu eröffnen. 
Was Europa angeht, so ist die Lage ganz anders. Schon vor dem Beginn des Krieges gab es Europa in der inter­na­tio­nalen Politik gar nicht mehr. Europa gibt es poli­tisch seit 2003 nicht mehr, seit dem Überfall der USA auf den Irak. Europa hat kom­plett vor den USA kapi­tu­liert. Sie sind zu reinen Erfül­lungs­ge­hilfen der USA geworden. Über Europa zu reden ist sinnlos. Darüber zu reden, ob sie bei uns Bot­schaften eröffnen oder nicht, ist sinnlos. 
Wir haben uns mit offi­zi­ellen Ver­tretern der meisten euro­päi­schen Geheim­diensten getroffen und kon­struktiv mit ihnen gesprochen. Sie können nichts ändern. Manche haben uns ganz offen gesagt: „Wir können nichts ändern. Unsere Poli­tiker können ihre Politik nicht unab­hängig von der euro­päi­schen Politik machen und die euro­päische Politik ist abhängig von der amerikanischen.“ 
Sie sind auf einen Baum geklettert und kommen nicht mehr her­unter. Wegen dieser Tat­sache ver­schwenden wir keine Zeit mit Gesprächen über Europa. Der Herr und Meister sind die Ame­ri­kaner. Wir können über die Ame­ri­kaner reden und das bedeutet, dass wir auto­ma­tisch über die Europäer reden.
Um Ihre Frage zu beant­worten: Ja, es gibt Ver­än­de­rungen. Die liegen darin, dass der Krieg nicht das Ziel erreicht hat, das diese Länder und einige Kolo­ni­al­mächte erreichen wollten. Syrien hat einen hohen Preis bezahlt, das war die Sta­bi­lität. Und nun bezahlt Europa seinen Preis, das sind die Flücht­linge. Das ist ein rie­siges Problem. Und sie werden in der nächsten Zeit nichts ändern können, davon bin ich überzeugt.“

Über das Ver­hältnis zu Türkei sagte Assad:

„Wir sehen die Türken als Bru­dervolk. Ich frage das tür­kische Volk: Welches Problem habt Ihr mit Syrien? Was ist das für ein Problem, für das tür­kische Bürger sterben sollen? Welche feind­lichen, großen oder kleinen, Aktionen hat Syrien während des Krieges oder vor dem Krieg gegen die Türkei unter­nommen? Es gab und gibt keine. Es gibt syrisch-tür­kische Ehen und Familien. Syrien und die Türkei haben gemeinsame Inter­essen. Es gibt viele eth­nische Syrer in der Türkei und viele eth­nische Türken in Syrien. Diese gegen­seitige Durch­dringung der Kul­turen ist his­to­risch bedingt. Es ist daher unlo­gisch, dass es ernst­hafte Mei­nungs­ver­schie­den­heiten zwi­schen ihnen und uns gibt.“

Über Erdogans Vor­gehen und seine Beweg­gründe sagte Assad:

„Aus mili­tä­ri­scher Sicht ist Idlib jetzt die erste Prio­rität. Es ist offen­sichtlich, dass Erdogan auf Geheiß der Ame­ri­kaner natürlich seine ganzen Kräfte auf­ge­boten hat. Daran besteht kein Zweifel, denn nach der Befreiung von Idlib wird unser Ziel darin bestehen, die öst­lichen Regionen zu befreien. Ich habe wie­derholt gesagt, dass Idlib aus mili­tä­ri­scher Sicht ein nur ein Weg­punkt ist. Sie geben ihr Bestes, um die Befreiung zu ver­hindern, damit wir uns nicht nach Osten wenden können. Aber par­allel dazu und um keinen Krieg im Osten führen zu müssen, stehen wir in Kontakt mit den Men­schen, die dort leben. Die ame­ri­ka­nische Besatzung ver­ur­sacht bei ihnen Abneigung, Wut und Groll.“

Über seine eigenen Ziele im Ver­hältnis zur Türkei sagte Assad:

„Unser gemein­sames Ziel mit Russland ist es, die Unter­stützung der Ter­ro­risten durch die Türkei zu beenden.“

Auf die Frage, wie der Staat­lichkeit Syriens erhalten werden kann, ant­wortete Assad:

„Wir haben eine Ver­fassung. Und wir sind ein Staat, der seine Ver­fassung lebt. Wir unter­werfen uns nicht den Dro­hungen des Westens und folgen nicht den Wün­schen des Westens. Wir gehorchen nichts anderem, als der Ver­fassung. Wir wurden mehrfach auf­ge­fordert, die Anfor­de­rungen der Ver­fassung zu igno­rieren und Prä­si­dent­schafts­wahlen oder Par­la­ments­wahlen zu ver­schieben. Die Wahl der Abge­ord­neten wird in einigen Monaten statt­finden. Sie wird pünktlich statt­finden, komme was will.“

In Syrien ist schon vor Jahren eine weit­ge­hende Amnestie in Kraft getreten, damit Syrer, die gegen die Regierung gekämpft haben, die Waffen nie­der­legen und in ein ziviles Leben zurück­kehren können. Zu der Amnestie sagte Assad:

„Es gibt nur wenige Fälle, in denen wir keine Amnestie erklären können. Das gilt für Per­sonen, die Straf­taten, wie vor­sätz­lichen Mas­senmord begangen haben. Das betrifft in den meisten Fällen die Kom­man­deure der Terroristen.“

Er sagte weiter, dass in Kon­flikten wie Syrien „die Amnestie eines der wich­tigsten Ele­mente der Innen­po­litik sein“ sollte:

„Es ist unmöglich, die Sta­bi­lität wie­der­her­zu­stellen, ohne den­je­nigen, die Fehler gemacht haben, Amnestie zu gewähren. Wir tun das seit den ersten Jahren des Krieges. Als wir anfingen, Amnes­tie­de­krete zu erlassen, begannen wir, die­je­nigen von der Straf­ver­folgung aus­zu­nehmen, die mit ihren Hand­lungen den natio­nalen Inter­essen des Landes in Gebieten geschadet haben, die von Mili­tanten kon­trol­liert wurden. Wir nannten diese Amnestien „Ver­söh­nungen“. (…) Jeder, der eine Waffe in der Hand hielt, musste diese Waffen abgeben. Der Staat gewährte Amnestie unter der Bedingung, dass die Kämpfer in das normale Leben unter der Herr­schaft des Staates und unter den gel­tenden Gesetzen zurück­kehren. Dieser Prozess war sehr erfolg­reich. Das hat die Sta­bi­lität in vielen Bereichen wie­der­her­ge­stellt. Wir ver­folgen diese Politik weiterhin.“

Das syrische Staats­ober­haupt ist sich sicher, dass die Mehrheit der Kämpfer in ein nor­males Leben zurück­kehren will und dass viele von ihnen unter Zwang und unter Todes­angst auf der Seite der Ter­ro­risten zu den Waffen gegriffen haben:

„Sie hatten keine Wahl. Wir wissen das, daher bin ich davon über­zeugt, dass die Mehrheit der­je­nigen, die sich ent­schieden haben, auf die Seite der Regierung zurück­zu­kehren, bereit ist, zum Wohle des Staates zu arbeiten. Deshalb brauchen wir die Amnestie. Dieser Prozess muss fort­ge­setzt werden, weil wir neue Gebiete befreien und wir die Mehrheit der Syrer, die sich sowohl innerhalb als auch außerhalb der Heimat befinden, in ihre Heimat zurück­bringen wollen.“

Assad wurde auch auf den US-Plan für Israel, den „Jahr­hun­dertdeal“ von Trump ange­sprochen. Dazu sagte er:

„Wir haben mit den USA unter Prä­sident Nixon im Jahre 1974 diplo­ma­tische Bezie­hungen auf­ge­nommen. Seitdem haben wir uns mit vielen offi­zi­ellen Ver­tretern getroffen, mit Prä­si­denten, mit Sena­toren und Kon­gress­ab­ge­ord­neten. Und wir haben dabei eines fest­ge­stellt: Was sie antreibt, sind immer nur per­sön­liche Inter­essen, die mit der nächsten Wahl zusammen hängen. Sie denken nicht an die Inter­essen der USA, sie denken nicht an die Sta­bi­lität der Welt, sie denken nicht an das Völ­ker­recht. Diese Themen sind nicht Teil ihrer Politik. Sie denken nur an die nächsten Wahlen.
Was den „Jahr­hun­dertdeal“ betrifft, so ist er nur wegen der bevor­ste­henden Wahlen in den Ver­ei­nigten Staaten gemacht worden, die am Jah­resende statt­finden. Es ist also eine sinnlose Idee, völlig leer.
Wenn sie umge­setzt wird, ist das nicht nur eine Sack­gasse, es bedeutet das Ende des Nahen Osten, das Ende des Frie­dens­pro­zesses, der in den 1990er Jahren gestartet wurde.
Wovon abhängt, ob diese Idee umge­setzt wird oder nicht? Davon, ob die Men­schen in der Region damit ein­ver­standen sind. Aber wenn man sich die offi­zi­ellen Erklä­rungen und die Mei­nungen in den sozialen Netz­werken anschaut, sieht man, dass jeder diesen Plan ablehnt, ein­schließlich der US-Ver­bün­deten und der­je­nigen, die gute Bezie­hungen zu Israel unter­halten. Man kann also durchaus sagen, dass es ein tot­ge­bo­rener Plan ist. Trump wird ihn bei den bevor­ste­henden Wahlen nutzen können, um die israe­lische Lobby in den Ver­ei­nigten Staaten für sich zu gewinnen. Aber danach werden wir wohl nichts mehr von dem Jahr­hun­dertdeal hören. Bis zu den nächsten Wahlen. Und dann wird es einen wei­terer, noch schlim­merer Plan geben.“


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru

Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“