Erdogans Politik ist derzeit kaum zu verstehen. In Syrien hat er sich in eine Sackgasse manövriert und steht im Grunde völlig isoliert da. Was auch immer er erreichen will, es scheint weiter davon entfernt, denn je.
Erdogan hat es sich mit seiner Politik schon vor Jahren mit dem Westen verscherzt. Die Beitrittsgespräche zur EU finden nicht einmal mehr auf dem Papier statt und sowohl die EU, als auch die USA haben Sanktionen gegen die Türkei verhängt. Der Tiefpunkt war sicherlich der Putschversuch gegen Erdogan 2016, den kein westlicher Nato-Partner je kritisiert hat. Stattdessen haben die Nato-„Partner“ den Putschisten Asyl gewährt. Ob Deutschland nach einem Putschversuch beim Nato-Partner Frankreich den Putschisten Asyl gewähren würde? Wohl kaum.
Es spricht alles dafür, dass die USA hinter dem Putschversuch standen. Erdogan kann seinen Nato-„Partnern“ also kaum allzu viel Vertrauen entgegen bringen.
Hinzu kommt, dass es ausgerechnet Russland war, das Erdogan im letzten Moment vor dem Putsch gewarnt hat, sodass Erdogan einem Lynchversuch nur knapp mit dem Hubschrauber entkommen konnte. Zwischen Russland und der Türkei herrschte damals eine diplomatische Eiszeit, die aber nach dem Putsch schlagartig vorbei war. Die Details dazu finden Sie hier.
Mit seiner offenen Unterstützung für den syrischen Al-Qaida-Ableger in Syrien und seinem offenen Kampf gegen syrische Regierungstruppen hat Erdogan aber wohl den Bogen überspannt. Wenn er darauf gebaut hat, Putin würde dem tatenlos zusehen, hat Erdogan sich verrechnet. In Syrien setzt Erdogan alles auf eine Karte und riskiert, auch Russland gegen sich aufzubringen.
Während die Kämpfe zwischen türkischen und syrischen Truppen in Idlib immer heftiger werden, klopft Erdogan nun plötzlich wieder beim Westen an und will von der Nato Unterstützung in Syrien. Abgesehen davon, dass die Nato kaum wegen Erdogans Abenteuern einen Krieg mit Russland riskieren würde, macht Erdogan auch hier alles falsch, was er falsch machen kann. Er will die Europäer mit Gewalt dazu bringen, ihn zu unterstützen und setzt dabei auf die Flüchtlinge als Druckmittel.
Am Freitag hat Erdogan die Grenzen zu Griechenland geöffnet und die Flüchtlinge werden mit kostenlosen Bussen zur türkisch-griechischen Grenze gefahren. Dort gibt es nun massive Zusammenstöße mit der griechischen Polizei, die sie aufhalten soll.
Aber auch diese Rechnung ging nicht auf. Die Nato hat Erdogan die kalte Schulter gezeigt. Es kam nicht einmal eine gemeinsame Erklärung zu Stande, die der Türkei zumindest moralische Unterstützung hätte geben können. Nach Medienberichten hat Griechenland, das von der Türkei mit Flüchtlingen geflutet werden soll, eine fertige Erklärung mit seinem Veto gestoppt.
Am Freitag haben Erdogan und Putin telefoniert, aber dabei ist nichts herausgekommen. Die Pressemeldung des Kreml sagte nur, man habe über die Situation gesprochen. Am Samstag hat Erdogan bei einem Auftritt dazu gesagt:
„Gestern fragte ich Putin, was sind Ihre Ziele dort? Wenn Sie eine Militärbasis bauen wollen, tun Sie das, aber ziehen Sie Ihre Truppen von unseren weg. Ich habe ihm gesagt, er soll uns mit dem Regime allein lassen.“
Man muss Putin nicht mögen, aber es ist kaum denkbar, dass er so mit sich reden lässt und dass das Erfolg haben könnte. Für den fünften oder sechsten März ist ein Treffen zwischen Putin und Erdogan geplant. Es bleibt abzuwarten, ob es dabei zu einer Einigung kommt. Wenn ja, müsste einer der beiden im großen Stil nachgeben. Danach sieht es momentan nicht aus.
Die Türkei scheint sich derzeit komplett zu isolieren, ich wüsste kein Land, dass die derzeitige Politik Erdogans unterstützt. Sicher, die USA freuen sich, wenn Erdogan und Putin sich zerstreiten und daher dürften sich in Washington einige in stiller Schadenfreude die Hände reiben. Aber gleichzeitig machen die USA keine Anstalten, zum Beispiel die Sanktionen gegen die Türkei zu lockern. Die USA freuen sich, wenn die Türkei sich selbst isoliert, weil sie dann erfolgreicher Druck auf Erdogan ausüben können.
Entweder habe ich hier also irgendwas ganz und gar nicht verstanden, oder Erdogan macht tatsächlich derzeit eine unglaublich dumme Politik, mit der er in erster Linie sich selbst schadet.
Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“
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