Beeinflusst die nichtionisierende Strahlung des Mobilfunks das Immunsystem? Diese Frage tritt aus aktuellem Anlass in den Vordergrund. Der Grund: die Coronakrise. Die nicht-ionisierende Strahlung des Mobilfunks ist seit ca. 20 Jahren ein flächendeckender Umweltfaktor.
Durch eine umfangreiche Forschung ist belegt: Sie schwächt das Immunsystem und trägt zur Anfälligkeit gegenüber Krankheiten bei, in Kombination mit anderen Umweltbelastungen. Dieser Artikel stellt den Stand der Forschung dar.
Die gesamttoxische Situation
Zur Coronakrise schreibt die Süddeutsche Zeitung: “Das Virus trifft nicht nur jene hart, deren Immunsystem zu schwach ist, ihm zu trotzen. Auch aus sozialer Sicht gibt es große Risikogruppen.”[1] Der Covid-19-Virus wirkt v.a. bei Menschen mit schwachem Immunsystem, Alten und Vorerkrankten. Aber auch bei denen, die jetzt in Ungewissheit, Arbeitslosigkeit und in Armut stürzen, wird das Immunsystem durch psychischen Stress und Verzweiflung geschwächt.
Die ganze Menschheit ist inzwischen eine Risikogruppe.
Die Zerstörung natürlicher Lebensräume, Umweltbelastungen, Vergiftungen von Luft, Wasser, Böden, der Nahrung und psychischer Stress führen in der Bevölkerung zu einer Erhöhung von Krebs‑, Herz‑, Kreislauf – und Atemwegserkrankungen (siehe Abb. Kühling aus umg).
Die Wechselwirkung der Noxen kann Wirkungen potenzieren, durch Kombinationswirkungen und das Kumulativrisiko ist 1+1 hier meist mehr als 2 (s.u. Schaubild). Die gesamttoxische Situation führt zu Immunschwächen, steigender Morbidität und begünstigt die Ausbreitung von übertragbaren Krankheiten.
Oxidativer Stress und Immunsystem
Viele Umweltgifte wirken über Oxidativen Zellstress, der ein genereller Auslöser entzündlicher Erkrankungen bis hin zu Krebs ist. Er entsteht durch eine Überproduktion von Freien Radikalen, ausgelöst z.B. durch Zigarettenrauch, Strahlenbelastung (z.B. Höhenstrahlung), Autoabgase, Ozon, Pflanzenschutzmittel u.a. Umweltgifte. Die Forschungslage zu Oxidativem Zellstress weist vielfältige Auswirkungen nach.
Der Review von Reuter et al. (2011): “Oxidative stress, inflammation, and cancer: How are they linked?”, eine Aufarbeitung von 313 Arbeiten, nennt als belegte Auswirkungen: Akutes Atemnotsyndrom, Altern, Alzheimer, Arteriosklerose, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Entzündungen, entzündliche Gelenkerkrankungen, neurologische Erkrankungen, Adipositas, Parkinson, Lungenfibrose , Rheumatische Arthritis, Gefäßkrankheit (S.37) und fasst zusammen:
(Anstieg Erkrankungen 2008–2017, W.Kühling, umg 1/2020.)
- “Insgesamt deuten die bisherigen Beobachtungen darauf hin, dass oxidativer Stress, chronische Entzündungen und Krebs eng miteinander verbunden sind” (Abstract).[2]
Das Springer Reference-Book “Systems Biology of Free Radicals and Antioxidants” dokumentiert auf über 4.000 Seiten Studien zu Oxidativem Stress und ROS (Reactive Oxygen Species, Reaktive Sauerstoffspezies).[3]
Studienlage: Mobilfunkstrahlung und Oxidativer Zellstress
Wenn nachgewiesen werden kann, dass die elektromagnetischen Felder (EMF) des Mobilfunks zu einer Überproduktion Freier Radikaler und damit zu Oxidativem Zellstress führen, wären sie beteiligt an der Auslösung vieler dieser entzündlichen Erkrankungen und der Schwächung der Immunabwehr.
(Darstellung des Wirkmechanismus Oxidativer Stress, aus umg.)
Zu Oxidativem Zellstress und elektromagnetischen Feldern (EMF) legten Yakymenko et al. (2016) einen Review über die komplette Literatur vor.[4] In dieser peer-reviewed veröffentlichten Arbeit “Oxidative Mechanismen der biologischen Aktivität bei schwachen hochfrequenten Feldern” haben Yakymenko et al. (2015) 100 Studien ausgewertet. Davon weisen 93 Studien eine EMF-bedingte Überproduktion von reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) nach:
- „Hochfrequenzstrahlung wird deshalb wegen des umfangreichen biologischen Potenzials von ROS und anderen freien Radikalen, wozu auch ihre mutagenen Auswirkungen und ihr regulatorisches Signalübertragungspotenzial gehören, zu einem potenziell gefährlichen Faktor für die menschliche Gesundheit” (Yakymenko et al. (2015).
Der EMF expositionsbedingte Anstieg der oxidativen Schädigungen tritt, so Yakymenko et al., schon tausendfach unterhalb der Grenzwerte im nicht-thermischen Bereich auf, bei einer Leistungsflussdichte von 0,1 μW/cm2 (= 1000 μW/m2) und bei einer Absorption von SAR = 3 μW/kg.[5] Dies liegt weit unter den Grenzwerten und Belastungen, denen Nutzer im Normalbetrieb von Endgeräten, Routern, Sendemasten und WLAN HotSpots ausgesetzt sind.
Auch die ATHEM-Reports (2012, 2016) der österreichischen Unfallversicherung AUVA bestätigen diesen Wirkmechanismus. Vor und nach dem Review von Yakymenko et al. sind Arbeiten und Studien erschienen, die ROS als Mechanismus identifizieren, u.a. die Reviews von Dasdag (2016), Desai (2009), Houston (2016), Kivrak (2017), Naziroglu (2014), Saliev (2018), Warnke/Hensinger (2013) und dutzende Einzelstudien, die laufend im ElektrosmogReport besprochen werden.[6]
Seit ca. 20 Jahren trägt ein neues Umweltgift, hochfrequente elektromagnetische Felder, zur Schädigung von Mensch und Natur bei. Inzwischen ist eine fast lückenlose Infrastruktur entstanden. Die Hauptquellen für die ständig und rasant gestiegenen Immissionen sind Handys, Smartphones, Mobilfunksendeanlagen und WLAN-Hotspots. Einer geschickten Strategie ist es zu verdanken, dass die Erkenntnisse über die Auswirkungen dieser weitgehend neuen Technologie unter der Decke gehalten werden.
Studienlage zu elektromagnetischen Feldern und Immunsystem
Speziell zur Wirkung nicht-ionisierender Strahlung auf das Immunsystem gibt es mehrere große Reviews und Studien, die den Befürwortern von 5G und recherchierenden Journalisten zur Lektüre empfohlen seien. Die Reports der Bioinitiative Gruppe von 2007 und 2012 enthalten jeweils einen Review zu EMF und Immunsystem, weitere Arbeiten dazu liegen vor von El-Gohary (2017), Johansson (2009), Szmigielski (2013).[7]
Auswirkungen auf das Immunsystem seit Jahrzehnten Stand der Forschung
Das “Russian National Committee on Non-Ionizing Radiation Protection” (RNCNIRP) erarbeitete 2012 für den BioInitiativeReport den Bericht “Evidence for Effects on the Immune System. Supplement 2012. Immune System and EMF RF”, verfasst von seinem Vorsitzenden Prof. Yury Grigoriev. Er führt detailliert aus, welche aufeinander abgestimmten Studien in den 70er und 80er Jahren in russischen Laboren zu den Wirkungen auf das Immunsystem durchgeführt wurden. Die Ergebnisse ergaben klare Auswirkungen. Im Bericht heißt es:
“Als die Normenausschüsse für öffentliche Gesundheit alle Studien analysierten, stimmten sie mit Vinogradov et al. (1987) (der einen Review der Ergebnisse erstellte, Anm. d:f) überein:
- 100–500 µW/cm2 chronische tägliche Exposition kann anhaltende pathologische biologische Reaktionen hervorrufen (basierend auf den obigen immunologischen Studien) …
- ~ 50 µW/cm2 ist die Expositionsschwelle für ungünstige biologische Wirkungen (basierend auf den obigen Immunologie-Studien). Diese Wirkungen waren nicht pathologisch, da der Organismus die Exposition kompensieren konnte, aber eine kontinuierliche Kompensation könnte zu langfristigen schädlichen Wirkungen führen und sollte daher geschützt werden.
- < 10–20 µW/cm2 chronische Exposition induziert keine merklichen biologischen Veränderungen bei kleinen Versuchstieren.
Daher zeigten Spezialisten des Kiewer Instituts in den 1970–1980er Jahren, dass es eine klare Dosisabhängigkeit der biologischen Wirkungen von HF auf das Immunsystem gibt” (S.9).
Auch identifizierten diese Studien Oxidativen Stress als Schädigungsmechanismus, unter anderem “die verminderte Produktion von Antioxidantien und das Versagen von DNA- und Protein-Reparatur-Prozessen führen zu zellulärem oxidativen Stress … Der ELISA-Test[8] unterstützte unsere Ansichten über das Auftreten intrazellulärer oxidativer Stressreaktionen durch HF-Exposition und zeigte die mögliche Entwicklung pathologischer Prozesse, wenn ein ungünstiger Einfluss bestehen bleibt” (S.15/16).
Die Feldstärken, mit denen die Experimente durchgeführt wurden, liegen unterhalb unserer Grenzwerte von 10.000.000 µWatt/m2 (500 µW/cm2 = 5.000.000 µWatt/m2 / 100 µW/cm2 = 1.000.000 µWatt/m2 / 50 µW/cm2 = 500.000 µWatt/m2 / 10 µW/cm2 = 100.000 µWatt/m2 ). Diese Ergebnisse waren Grundlage für Schutznormen in Russland. Im ehemaligen Ostblock lagen die Grenzwerte um ein Vielfaches unter denen im Westen, teilweise ist das bis heute so.
In einem WHO-Projekt von 2006–2009 wurden diese russischen Studienergebnisse überprüft und bestätigt, unter der Leitung von Dr. Mike Repacholi, der sich später zum Lobbyisten der Industrie entwickelte (ebda.S.10ff). Der russische Bericht für den BioInitiativeReport 2012 endet mit der Schlussfolgerung:
- “Die verfügbaren Daten lassen den Schluss zu, dass das Immunsystem ein kritisches System für die Bewertung der Wirkung von HF bei niedriger Intensität ist und das sollte bei der Entwicklung von Standards berücksichtigt werden.”(S.20)
Westliche Arroganz, wirtschaftliche Interessen und die Systemkonkurrenz verhindern es bis heute, dass die Ergebnisse der fortgeschrittenen Forschung aus Russland und die Arbeiten der RNCNIRP zur Kenntnis genommen werden. Der Beitrag von Prof.Olle Johansson “Evidence For Effects On The Immune System” für den BioinitiativeReport 2007 befasst sich auch mit der Entstehung von Elektrohypersensibilität und der Wechselwirkung mit dem Immunsystem.
Die beiden fundierten Reviews in den BioInitiativeReports weisen die Risiken der nicht-ionisierenden Strahlung und ihre Auswirkungen auf das Immunsystem nach. Dass nicht-ionisierende Strahlung ein Auslöser und Beschleuniger von Krankheiten ist, ist seit Jahrzehnten v.a. aus der Medizin (Becker (1993), Blank (2014), Schliephake (1932,1960), Steneck (1980), Varga (1995)) und der Militärforschung (z.B. Cook (1980), Hecht (1996), Wenzel (1967)) bekannt und wurde und wird in der Politik ignoriert.[9] 2011 gruppierte die IARC, die Krebsagentur der WHO, die nichtionisierende Strahlung in die Gruppe 2B “möglicherweise Krebs erregend” ein. Sowohl zur Krebs auslösenden als auch promovierenden Wirkungen hat sich in den letzten fünf Jahren die Studienlage geklärt, vor allem durch die Ergebnisse der NTP-Studie, der Ramazzini-Studie und der Studien der österreichischen Unfallversicherung AUVA, den ATHEM-Reports und Studien des Bundesamtes für Strahlenschutz selbst.[10]
Auch die Studienlage zu Spermienschädigungen ist gut dokumentiert ist, zuletzt in dem aktuellen Review von Kesari et al. “Radiations and male fertility (2018)”[11], auch pränatale Schädigungen von Embryos sind dokumentiert. Zur Fertilität liegen weitere 12 Reviews mit der Auswertung von über 130 Einzelstudien vor.[12]
Zusammenfassung
Die Dokumentation der Europäischen Umweltagentur “Späte Lehren aus frühen Warnungen: Wissenschaft, Vorsorge, Innovation” stufte den Mobilfunk bereits 2004 als Risikotechnologie ein. Die Elektrosmogbelastung ist seit ca.1995, dem Beginn des Handybooms, kontinuierlich gestiegen. Wir sind inzwischen einer Dauerstrahlenbelastung durch den Frequenzmix von GSM, UMTS, LTE und WLAN ausgesetzt, bereits ohne 5G. 5G wird die Strahlenbelastung erhöhen, das schreibt auch die Bundesregierung:
- “Die Digitalisierung der Gesellschaft schreitet rasant voran. Dies wird zu einer starken Zunahme der drahtlosen Kommunikation insgesamt, mit vermehrtem Einsatz elektromagnetischer Felder und damit auch zu einer insgesamt höheren Belastung der Bevölkerung führen.”[13]
Unsere Warnung, dass Mobilfunkstrahlung aller Frequenzen als neue, schädigende Noxe Menschen krank macht, und zur Anfälligkeit für Krankheiten beiträgt, ist gut belegt. Die derzeitigen Spekulationen über Zusammenhänge zwischen EMF, 5G und Viren sind kontraproduktiv, weil sie von gesichertem Wissen ablenken. diagnose:funk beteiligt sich nicht an diesen Spekulationen. Es wird z.B. das Kalzium-Ionen-Modell (Pall 2013) als Wirkmodell der Zellschädigung durch EMF angeführt.[14] Dies ist eine ernst zu nehmende Hypothese, zu der es Hinweise gibt, die aber noch für den HF-Bereich verifiziert werden müssen. Von dieser Hypothese ausgehend wird dann der Kurzschluss gezogen, dass auch Viren durch 5G beschleunigt würden. Dazu gibt es bisher keine Forschung. Solche Spekulationen tragen eher dazu bei, den Ruf der Mobilfunkkritiker zu beschädigen. Dies wird in der öffentlichen Berichterstattung bereits ausgenützt.
Martin Grassberger (Wien) schreibt in seinem Buch “Das leise Sterben”: “Dass seitens der Industrie, egal ob Nahrungsmittel‑, Pharma- oder Agroindustrie, Beweise für negative Gesundheitsauswirkungen ihrer Produkte unterdrückt werden, um rücksichtslos satte Profite auf Kosten der Bevölkerung zu machen, ist kein Phänomen des 21. Jahrunderts (S.62).” Das begleitet die Geschichte des Kapitalismus. Er ist ein krankes und krankmachendes System.
Er hat eine lebensfeindliche Umgebung geschaffen, für die der Mensch mit seinem Immunsystem nicht gerüstet ist. Als “neues” krankmachendes Produkt kam die Mobilfunktechnologie hinzu. Die Coronakrise kann dazu führen, dass die Bevölkerung sensibilisiert wird für die Umweltbelastungen und von der Politik ein Umsteuern fordert. Die Wiederherstellung einer gesunden Umwelt, leben und produzieren im Einklang mit der Natur, muss als Priorität durchgesetzt werden. Der Soziologe Heitmeyer warnt davor, dass nach der Krise “ein brutales Aufholrennen für die verpassten Renditen” einsetzt (5G: Über 50.000 Satelliten könnten die Erde bis 2027 in eine elektronische Strahlensuppe verwandeln).
Die Helden des Alltags, die derzeit – an DDR-Zeiten erinnernd- zu Recht gefeiert werden, werden bald wieder vergessen sein: “Vieles, was jetzt von führenden Personen als Lehre aus der Krise genannt wird, wird von den Mechanismen der Institutionen zermahlen werden … Ich fürchte, diese schwärmerische Gesellschaftromantik dürfte an den verhärteten Strukturen des Finanzkapitalismus und dem Kontrollzuwachs der politischen Institutionen zerschellen.” [15]
Die Menschen müssen verhindern, dass diese Logik, vor der Heitmeyer warnt, sich durchsetzt. Die Durchsetzung unserer Forderungen nach einer gesundheitsverträglichen Kommunikationstechnologie, der Minimierung der Strahlenbelastung und einem Moratorium für 5G bekommt eine noch größere Bedeutung.
Verweise als PDF.
Quellen: PublicDomain/diagnose-funk.org am 19.04.2020
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