Hagia Sophia-Ent­wür­digung: Eine Ver­nich­tungs­ansage an das Christentum

Der Sultan hat wieder zuge­schlagen – und eine alte Drohung wahr­ge­macht: die Rück­führung der alt­ehr­wür­digen Hagia Sophia in eine Moschee. Damit wurde eine auch christ­liche Tra­dition brutal mit Füßen getreten. Mit dieser Ent­scheidung ent­fernt sich Erdogan immer weiter von Ata­türks Ideal eines säku­laren Staates. Aber mit seiner selbst­herrlich getrof­fenen Ent­scheidung (ja, ja, ich weiß, „die Gremien“ – Par­lament und Richter – haben zuge­stimmt) hat Prä­sident Erdogan eine Grenze über­schritten: Er zwingt seinem Land – und der Welt – einen Rich­tungs­wandel auf, der die moderne Türkei ver­ändern wird.

Es gibt sicher unter­schied­liche Sicht­weisen auf diese „Umwandlung“. Und gewiss, auch andere Länder treffen eigene Ent­schei­dungen im Umgang mit ihren reli­giösen Gebäuden.

Aber keine hat eine solche Bedeutung wie die Umwandlung der Hagia Sophia, sie ist ein Fanal – eine Kampf‑, ja Ver­nich­tungs­ansage an das Christentum!

Die Hagia Sophia spielt in der Geschichte des Chris­tentums eine zen­trale Rolle. Die Kathe­drale aus dem 6. Jahr­hundert ist ein Meis­terwerk aus byzan­ti­ni­scher Zeit und UNESCO-Weltkulturerbe.

Dass Erdogan sie jetzt wieder in eine Moschee umwidmet, pro­vo­ziert seine säku­laren Lands­leute und reli­giöse Min­der­heiten im Land, aber vor allem orthodoxe Kir­chen­ver­treter in der ganzen Welt.

Die Hagia Sophia ist keine rein inner­tür­kische Ange­le­genheit. Als Museum hätte sie wei­terhin als Brücke zwi­schen unter­schied­lichen Glau­bens­rich­tungen und Kul­turen dienen können.

Isla­mische Republik Türkei

Erdogan verrät letztlich das Erbe des Gründers der modernen Türkei, Kemal Pascha Atatürk, der seinem Land eine lai­zis­tische Struktur ver­ordnet hatte und – als sicht­bares Zeichen dafür – die vor­malige Kirche und Moschee 1934 in ein Museum ver­wan­delte, das jedem Besucher offen­stand. Mit seinem Schritt hat Erdogan also nicht nur die Christen vor den Kopf gestoßen, sondern auch ein Zeichen gegen den Lai­zismus gesetzt – und damit ein deut­liches Zeichen für seine wahre Absicht gegeben, nämlich die Türkei in eine isla­mische Republik zu verwandeln.

Erdogan hat jetzt gezeigt, dass er keine andere Mög­lichkeit mehr sieht, als isla­mis­tische und natio­na­lis­tische Kreise zu bedienen. Mag sein, dass sich der Dik­tator vom Bos­porus von der für die Türkei nega­tiven poli­ti­schen und vor allem wirt­schaft­lichen Ent­wicklung in die Enge getrieben fühlte oder ob er dies aus stra­te­gi­scher Über­legung heraus getan hat, er wird einen hohen Preis für sein Ablen­kungs­ma­növer bezahlen müssen. Er musste wohl diese ver­meint­liche Trumpf­karte spielen, weil er sonst kaum noch etwas in der Hand hat.

Vier Jahre nach dem Putsch­versuch wachsen bei vielen Türken Zweifel, ob er der richtige Mann ist, um das Land aus der Krise zu führen. Da nützt auch nichts der schiefe Applaus, der ihm von seinen isla­mi­schen Brüdern aus „befreun­deten“ Staaten gezollt wird. Er ver­liert überall an Boden. Erdogan steht poli­tisch mit dem Rücken zur Wand. Im Laufe der Jahre hat er sich mit allen innen­po­li­ti­schen Partnern über­worfen – nur die Rechts­na­tio­na­listen sind ihm geblieben.

Erdogans Coup d´ Etat ist zugleich ein Spiel mit dem Feuer: Auf der einen Seite wird er dem die rus­sisch-orthodoxe Kirche hät­schelnden rus­si­schen Prä­si­denten Putin seine Moti­vation erläutern müssen, der den Akt wohl eher wie einen hin­ge­wor­fenen Feh­de­hand­schuh begreifen wird. Auf der anderen Seite dürfte das Ver­hältnis zum ortho­doxen Nato-Partner Grie­chenland jetzt voll­kommen zer­rüttet sein.

Dass er dabei die Bezie­hungen zur EU, zur Nato und zu den USA allzu leicht­fertig aufs Spiel gesetzt und zutiefst gefährdet hat, wird ihm erst später auf­gehen. Es bleibt abzu­warten, ob sich die Nato zu Sank­tionen ent­schließen wird. Wohl eher nicht, aber das Klima ist versaut.

Die Umwidmung der Hagia Sophia könnte sich noch als schwerer Fehler erweisen.


Dieser lesens­werte Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von Peter Helmes – www.conservo.wordpress.com