Die tür­kische Hagia Sophia: “Es ist, als ob der Petersdom in eine Moschee ver­wandelt worden wäre”

“Die Stadt, die Kon­stantin mehr als tausend Jahre lang beschützt hatte… wurde nun, in diesem unglück­lichen Jahr, von den Türken zer­stört. Ich leide bei dem Gedanken, dass der Tempel der hei­ligen Sophia, der in der ganzen Welt berühmt ist, zer­stört oder geschändet wurde. Dies ist ein zweiter Tod für Homer, ein zweiter Tod für Platon”. Diese Worte des großen Huma­nisten Enea Silvio Pic­co­lomini, der Papst Pius II. wurde, wurden vor fünf Jahr­hun­derten geschrieben, nachdem die große christ­liche Stadt Kon­stan­ti­nopel an die Osmanen gefallen war.

Vor­letzte Woche erließ der tür­kische Prä­sident Recep Tayyip Erdogan ein bei­spiel­loses Dekret, mit dem die Hagia Sophia wieder in eine Moschee umge­wandelt wurde. Erdogans Dekret ist eine Geste von immenser Sym­bolik und his­to­ri­scher Bedeutung. “Eine Bedrohung gegen die Hagia Sophia”, sagte der rus­sisch-orthodoxe Patriarch Kirill, “ist eine Bedrohung für die gesamte christ­liche Zivilisation”.

US-Außen­mi­nister Mike Pompeo erklärte:

“Wir fordern die tür­kische Regierung dringend auf, die Hagia Sophia wei­terhin als Museum zu erhalten, als ein Bei­spiel für ihr Enga­gement, die Glau­bens­tra­di­tionen und die viel­fältige Geschichte, die zur Republik Türkei bei­getragen haben, zu respek­tieren und sicher­zu­stellen, dass sie für alle zugänglich bleibt.”

916 Jahre lang war die Hagia Sophia die “größte Basilika der Welt” und der Hauptsitz der östlich-ortho­doxen Kirche, in der über Jahr­hun­derte hinweg Kaiser gekrönt wurden.

Am 29. Mai 1453 kam Sultan Mehmet II. auf einem weißen Pferd zur Hagia Sophia, der Kathe­drale der “Gött­lichen Weisheit”, die ein­tausend Jahre zuvor vom byzan­ti­ni­schen Kaiser Jus­tinian I. erbaut worden war. Nachdem er das Ende des großen christlich-byzan­ti­ni­schen Reiches her­bei­ge­führt hatte, betete Sultan Mehmet II. in der größten Kirche des öst­lichen Chris­tentums zu Allah.

“Es ist, als wäre der Petersdom in eine Moschee ver­wandelt worden”, sagte Michael Talbot, Dozent für Geschichte an der Uni­ver­sität von Greenwich. “Es ist die Tat­sache, dass der Sitz dieser Kirche nicht mehr als Kirche funk­tio­niert und sich in den Händen einer riva­li­sie­renden Religion befindet”.

Unter den Osmanen wurde die Hagia Sophia in eine Moschee umge­wandelt und blieb es bis 1934, als der säku­la­ris­tische tür­kische Führer Mustafa Kemal Atatürk sie in ein Museum ver­wan­delte. Sie sollte das Emblem einer neuen Türkei werden, die in der Lage war, die Merkmale des Ostens und des Westens zu mischen.

In der ver­gan­genen Woche, nach Erdogans neuem Dekret, ver­sam­melten sich Isla­misten unter dem Ruf “Allahu Akbar” in der ehe­ma­ligen Kathe­drale. Der Ort wird am 24. Juli wieder als Moschee für mus­li­mische Gebete geöffnet. Es wird ange­nommen, dass während der mus­li­mi­schen Gebete die welt­be­rühmten byzan­ti­ni­schen Mosaiken der Hagia Sophia abge­deckt werden.

Die Türkei brauchte streng genommen keine weitere Moschee: In den letzten Jahren hat Erdogan im Land 17.000 Moscheen gebaut. So Ertugrul Özkök in der tür­ki­schen Zeitung Hur­riyet:

“Ein Land, in dem jeden Tag von seinen 80.000 Moscheen aus, in denen fünfmal am Tag gebetet wird, zum Gebet auf­ge­rufen wird, wird sich nun auf­machen und eines der größten Symbole der ortho­doxen Welt zurück­er­obern. Ist das so?.… Hätten Sie es so sehr genossen, wenn eine Moschee in der Mitte Europas in eine Kirche umge­wandelt worden wäre?”

Mit der Aneignung des Gebäudes scheinen die Ver­tei­diger des poli­ti­schen Islams zu ver­suchen, “die christ­liche Ver­gan­genheit der Türkei aus­zu­lö­schen”. Vor einem Jahr­hundert machten die Christen 20% der tür­ki­schen Bevöl­kerung aus, während es heute nur noch 0,2% sind. So berichten Benny Morris und Dror Ze’evi in ihrem Buch “Der drei­ßig­jährige Völ­kermord: Die Ver­nichtung der christ­lichen Min­der­heiten in der Türkei, 1894–1924″:

“Die arme­ni­schen, grie­chi­schen und assy­ri­schen (oder syri­schen) Gemein­schaften in der Türkei ver­schwanden als Ergebnis einer gestaf­felten Kam­pagne des Völ­ker­mords, die 1894 begann und gegen sie von ihren mus­li­mi­schen Nachbarn verübt wurde… Bis 1924 waren die christ­lichen Gemein­schaften in der Türkei und den angren­zenden Gebieten zer­stört worden.”

Die Türkei hat mehr biblische Stätten als jede andere Region im Nahen Osten außer Israel. Die Türken im seit 1974 besetzten Nord­zypern haben ihre christ­liche Ver­gan­genheit bereits aus­ge­löscht.

Innerhalb der Türkei hat Erdogan seinen Krieg gegen die Syrische Kirche in ähn­licher Weise eska­liert, indem er 50 Kirchen, Klöster und reli­giöse Güter beschlagnahmte.

Offen­sichtlich wollte er auch dem Westen Demü­tigung zufügen. Am Tag vor seiner Ankün­digung hat er christ­liche Mis­sionare aus­ge­wiesen. Indem er die Hagia Sophia in eine Moschee ver­wan­delte, gelang es Erdogan, Washington in Ver­le­genheit zu bringen, Brüssel zu ver­spotten und Moskau zu trotzen.

Für Erdogan und die Isla­misten ist die Hagia Sophia das wich­tigste Symbol für die Unter­werfung des Chris­tentums unter den Islam. “Die Hagia Sophia ist das Symbol der Eroberung”, sagte Yunus Genç, der den Istan­buler Zweig des Ana­to­li­schen Jugend­ver­bandes leitet. “Sie gehört uns”.

Vier Päpste haben die ehe­malige Kathe­drale besucht: Paul VI., Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franz I. Doch 24 Stunden nach ihrer Umwandlung in eine Moschee hat kein grö­ßerer christ­licher Führer oder Gelehrter den reli­giösen Angriff der Türkei auf die Hagia Sophia angeprangert.

Der gegen­wärtige Iden­ti­täts­wechsel scheint Teil eines langen, bewussten Pro­jekts der Re-Isla­mi­sierung zu sein. Im Jahr 2016 erhielt die Hagia Sophia zum ersten Mal seit 81 Jahren einen eigenen Imam. Zuvor, 2012, wurde in Iznik eine weitere Hagia Sophia in eine Moschee umge­wandelt. Der Standort war bedeutend: In Iznik, dem alten Nicäa, hatten sich 325 Bischöfe aus dem ganzen Römi­schen Reich ver­sammelt, um das christ­liche Glau­bens­be­kenntnis zu erar­beiten. Ein Jahr später wurde in Trabzon eine weitere berühmte Hagia Sophia, ein Museum seit 1961, eben­falls in eine Moschee umge­wandelt und ihre byzan­ti­ni­schen Mosaiken “mit Vor­hängen und Tep­pichen bedeckt”.

Als Erdogan sich 1994 um das Amt des Bür­ger­meisters von Istanbul warb, sprach er bereits von “der zweiten Eroberung Istanbuls” und hatte schon damals die Rück­eroberung der Hagia Sophia ins Auge gefasst.

“Eine Eroberung zu feiern, die vor mehr als fünf Jahr­hun­derten stattfand, mag den euro­päi­schen Führern ana­chro­nis­tisch, ich würde sogar sagen absurd erscheinen”, schrieb der tür­kische Schrift­steller Nedim Gürsel. “Für Erdogan ist die Ein­nahme von Kon­stan­ti­nopel ein wei­terer Vorwand, um den Westen herauszufordern.”

Nach Ansicht von Tugba Tanyeri Erdemir, wis­sen­schaft­licher Mit­ar­beiter an der Uni­ver­sität Pitts­burgh, könnte die Umge­staltung der Hagia Sophia auch “Extre­misten ermu­tigen, ihre Kam­pagne der erzwun­genen Kon­version und Zer­störung von Stätten des Kul­tur­erbes von Min­der­heiten zu intensivieren”.

“Sie wieder in eine Moschee umzu­wandeln”, sagte der tür­kische Nobel­preis­träger Orhan Pamuk, “bedeutet dem Rest der Welt zu sagen, dass wir leider nicht mehr säkular sind”.

Der poli­tische Islam ist an vielen Fronten in der Offensive. Seine Ver­fechter haben Europa mit Moscheen über­schwemmt. Die “größte Moschee in Europa” wird eine tür­kische Moschee in Straßburg sein. In Deutschland kon­trol­liert die Türkei 900 von ins­gesamt 2.400 Moscheen. Extre­misten haben Europa auch ein neues ideo­lo­gi­sches Ver­brechen auf­ge­zwungen, die “Isla­mo­phobie”, und sie haben die “Aus­lö­schung” all dessen finan­ziert und mit­erlebt, was vom Glanz des öst­lichen Chris­tentums übrig geblieben ist, das diese Länder sechs Jahr­hun­derte vor dem Islam zu ver­herr­lichen pflegte. Jetzt ver­wandeln Isla­misten die Hagia Sophia in eine Moschee. Sie tun dies nicht nur in ihren Ländern. In Frank­reich haben sie auch darum gebeten, dass Kirchen in Moscheen umge­wandelt werden.

In der Türkei weigert sich Erdogan unter­dessen immer wieder, die Erlaubnis zum Bau neuer Kirchen zu erteilen. Fai­rer­weise muss man sagen, dass die Türkei 2015 endlich einen Plan zum Bau ihrer ersten neuen Kirche seit 90 Jahren gebilligt hat.

Einem fran­zö­si­schen Reli­gi­ons­wis­sen­schaftler, Jean-Francois Colosimo, zufolge erwartet Erdogan “ein zivi­li­sa­to­ri­sches München” — ein Verweis auf den Pakt von 1938, in dem Frank­reich und Groß­bri­tannien die Tsche­cho­slo­wakei an Hitler über­gaben. Erdogan hätte keinen bes­seren Zeit­punkt wählen können. Seit Wochen reißen Poli­tiker und Eliten im Westen Denk­mäler nieder — ent­weder sie tun es selbst oder beob­achten schweigend die bar­ba­ri­schen Armeen des west­lichen Selbsthasses.

In der Türkei weigert sich Erdogan unter­dessen immer wieder, die Erlaubnis zum Bau neuer Kirchen zu erteilen. Fai­rer­weise muss man sagen, dass die Türkei 2015 endlich einen Plan zum Bau ihrer ersten neuen Kirche seit 90 Jahren gebilligt hat.

Einem fran­zö­si­schen Reli­gi­ons­wis­sen­schaftler, Jean-Francois Colosimo, zufolge erwartet Erdogan “ein zivi­li­sa­to­ri­sches München” – ein Verweis auf den Pakt von 1938, in dem Frank­reich und Groß­bri­tannien die Tsche­cho­slo­wakei an Hitler über­gaben. Erdogan hätte keinen bes­seren Zeit­punkt wählen können. Seit Wochen reißen Poli­tiker und Eliten im Westen Denk­mäler nieder – ent­weder sie tun es selbst oder beob­achten schweigend die bar­ba­ri­schen Armeen des west­lichen Selbsthasses.

Dop­pel­moral scheint nun auch die Norm zu sein. Als 2005 in däni­schen und fran­zö­si­schen Zei­tungen Kari­ka­turen Mohammeds erschienen, brach die mus­li­mische Welt in Gewalt aus. Im selben Jahr, als Newsweek über eine angeb­liche Schändung eines Korans in Guan­tanamo Bay berichtete, geriet die mus­li­mische Welt, bevor das Magazin den Artikel schnell zurückzog, in Rage. Als Papst Benedikt XVI. in Regensburg den Islam auf­for­derte, 2014 dem Fana­tismus und der Into­leranz abzu­schwören, brach die mus­li­mische Welt erneut in Gewalt aus. Als Israel im Jahr 2017 Metall­de­tek­toren auf einem Gelände instal­lierte, um für Muslime und Juden heilige Stätten zu schützen, beschul­digte Erdogan Israel, den isla­mi­schen Cha­rakter Jeru­salems zu zer­stören. Jetzt jedoch, da die Türkei ihr wich­tigstes ehemals christ­liches Denkmal in eine Moschee ver­wandelt, gibt es keinen Protest, nur Schweigen und Gemurmel, die nichts anderes als der Sound­track der Unter­werfung des Westens unter den Islam sind.

“Eine Apathie, die an den Mangel an Soli­da­rität erinnert, als die byzan­ti­nische christ­liche Zivi­li­sation mit dem Fall Kon­stan­ti­nopels im Mai 1453 unterging”, schrieb Ivan Rioufol in Le Figaro. “Weder Venedig, Frank­reich noch England sind diesem strah­lenden Teil ihrer Kultur zu Hilfe gekommen. Die Geschichte wie­derholt sich.”

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Giulio Meotti, Kul­tur­re­daktor für Il Foglio, ist ein ita­lie­ni­scher Jour­nalist und Autor.


Quelle: gatestoneinstitute.org