Freies Obst für alle Bürger! In Kopen­hagen werden Obst­bäume und ‑sträucher auf öffent­lichen Plätzen ange­pflanzt. Eine para­die­sische Idee

„Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt zugrunde geht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen.“

Einer mög­lichen Sintflut zum Trotz wollte Martin Luther ein Apfel­bäumchen pflanzen – als Symbol für das Leben und die Hoffnung. Der Satz des rebel­li­schen Refor­mators hat in Zeiten der PLAN­demie unge­ahnte Aktua­lität. Viele Men­schen sind hin- und her­ge­rissen zwi­schen Welt­un­ter­gangs­stimmung und der Hoffnung, dass sich doch alles noch zum Guten wenden möge. Wenn wir auf das Thema Ernährung schauen, scheint das Paradies Licht­jahre ent­fernt – ein Ort, wo Milch und Honig fließt und einem die Trauben in den Mund wachsen…. Das kennen wir nur noch aus der Bibel, und auch im Alten Tes­tament ist das Glück im Garten Eden nur von kurz Dauer: Die Schlange ver­führt Adam und Eva, die ver­botene Frucht vom Baum der Erkenntnis zu essen. Gott ver­treibt die beiden Unge­hor­samen aus dem Paradies. Zu Adam spricht er: „So ist ver­flucht der Acker­boden dei­net­wegen. Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. Dornen und Disteln lässt er dir wachsen und die Pflanzen des Feldes musst du essen. Im Schweiβe deines Ange­sichts sollst du dein Brot essen, bis du zurück­kehrst zum Ackerboden.“

Trotz der Ver­treibung unserer Ur-Ur-Urahnen: Ein wenig näher als heute waren wir dem Paradies – vor Jahr­zehnten, als wir noch wussten, von welchem Bauern das Obst und Gemüse kam, das wir kauften, und als Nah­rungs­mittel noch nicht tag­täglich zig­tau­sende von Kilo­metern rund um den Globus trans­por­tiert wurden. Wie im Paradies habe ich mich als Kind in won­nigen Som­mer­mo­naten gefühlt, wenn ich in unserem Garten Tomaten und Him­beeren vom Strauch pflücken und Radieschen und Karotten aus der Erde ziehen konnte. Und wenn die Kir­schen reif waren, saß ich, mit Ohr­ringen aus Kir­schen und rot ver­schmiertem Mund, glücklich im Baum, schlug mir den Magen mit den saf­tigen, aro­ma­ti­schen Früchten voll und übte Kirsch­stein-Weit­spucken. Und die Göt­ter­speise, die meine Mutter aus Kir­schen, Erd­beeren und Him­beeren zau­berte und mit Vanil­le­sauce ser­vierte, war wesentlich leckerer (und auch gesünder) als der aro­ma­ti­sierte, nach Chemie schme­ckende Wackel­pudding aus der Kühl­theke des Supermarktes.

Frucht suchen Sie ver­geblich in der indus­triell her­ge­stellten „Göt­ter­speise“: Sie besteht aus Zucker (laut Gerichts­urteil aus dem Jahr 1988 ein Schad­stoff) oder Süß­stoff (erhöht das Risiko von Krebs und Fett­sucht), Aroma, Farb­stoff und Gelatine. Die wird aus dem Bin­de­gewebe vor allem von Rindern und Schweinen her­ge­stellt. Lecker!

Ein Stück Kindheit hole ich mir (heute gar­tenlos) zurück, wenn ich mit Begeis­terung Brom­beeren pflücke, die am Stra­ßenrand wachsen. Mit­be­werber gibt es kaum, selbst pflücken ist hier­zu­lande offen­kundig aus der Mode gekommen. Ganz anders in Kopen­hagen. Wo die wenigsten einen eigenen Garten haben, sollen die Bürger bald draußen Obst pflücken und essen können, und das kos­tenlos. Kopen­hagen lässt Obst­bäume und Bee­ren­sträucher in der Stadt pflanzen. In Parks und auf Spiel­plätzen, an Schulen, Kin­der­gärten, Alten­heimen, Sport­an­lagen, Fried­höfen. In auto­freien Straßen sollen die Bürger die Mög­lichkeit bekommen, in Absprache mit der Stadt selbst Obst anzu­bauen. In grö­ßeren Nah­erho­lungs­ge­bieten sollen ein­hei­mische Sorten wie Wild­äpfel, Holunder, Him­beeren, Johan­nis­beeren angebaut werden, in Parks und auf Fried­höfen auch kul­ti­vierte Arten wie Äpfel, Birnen, Kir­schen, Sta­chel­beeren. Die Stadt will damit einem Trend ent­ge­gen­wirken: Viele Stadt­kinder kennen Obst und Gemüse nur noch aus dem Super­markt, haben noch nie einen Apfel vom Baum oder eine Him­beere vom Strauch gepflückt. Die Stadt­ver­ord­neten fanden die Idee, dass Kinder mit ihren Eltern Obst und Beeren direkt vor der Haustür pflücken können, wich­tiger als die Gefahr von Wes­pen­stichen. Und sie drücken auch ein Auge zu, wenn eine Familie mal einen ganzen Bee­ren­strauch plündert, um daraus Mar­melade zu kochen. Das Sammeln von Obst und Wild­kräutern hat in Dänemark Tra­dition. Über die App Vild Mad (wilde Lebens­mittel, https://vildmad.dk/dk) können sich die Bürger Infos über Wild­kräuter, Obst und Gemüse holen und finden dort auch Rezepte für die Zubereitung.

Es wäre groß­artig, wenn das dänische Bei­spiel Schule machen würde. Ähn­liche Initia­tiven gibt es schon: Gärten auf Groß­stadt­dä­chern oder „Frankfurt summt“. In der Ban­ken­stadt summen und brummen vom Frühjahr bis zum Herbst Bienen auf Blüten in Gärten und Parks, sammeln Pollen und Nektar und machen daraus in Bie­nen­stöcken, die auf Dächern ver­schie­dener Gebäude stehen, ihren Honig. Die Abgase seien für sie kein Problem, meint Sophie Him­mel­reich vom Institut für Bie­nen­kunde. Jeden­falls kein grö­ßeres als die Pes­tizide, die auf den Äckern ein­ge­setzt würden. Viel­leicht ist die Groß­stadt für die Bienen sogar gesünder. Denn längst wissen wir, dass die Pes­tizide, die in der indus­tri­ellen Land­wirt­schaft ein­ge­setzt werden, das Leben der Bienen gefährden und die Bie­nen­po­pu­lation dra­ma­tisch dezimieren.

Nach dem Vorbild von Kopen­hagen könnte eigentlich jede Stadt auch Obst­bäume und ‑sträucher für ihre Bürger pflanzen. Das würde die Städte grüner, die Luft reiner und die Men­schen glück­licher machen. Und es würde sie daran erinnern, woher die Früchte kommen, die sie meist nur noch aus dem Super­markt kennen. Ein klit­ze­kleiner Schritt zurück in den Garten Eden. Frei nach Luthers Motto: „Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt zugrunde geht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen.“ 

https://www.welt.de/regionales/frankfurt/article13557248/Auf-Grossstadt-Daechern-wird-Honig-produziert.html

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