Ich habe mich verliebt. In einen Gockel! Und damit meine ich nicht den Mann an meiner Seite, der sich auch manchmal wie ein stolzer Gockel geriert. Den liebe ich ja schon ganz lange. Ich meine Copper, einen Hahn mit prächtigem Gefieder, das wie Kupfer glänzt.
Abb. 1 Copper, der Star von Schloss Alsbach
Copper bekommt vom Pächter der Alsbacher Burgschänke sein Gnadenbrot, besser gesagt, Gnadenkörner. Regenwürmer findet er nicht mehr, denn Copper ist fast blind. Das war seinem ehemaligen Besitzer, einem Bauern, lästig. Er wollte den sechsjährigen Gockel in der Güllegrube entsorgen. Statistisch gesehen hat Copper noch vier Jahre zu leben. Zum Glück gab es Menschen mit Herz, die Copper und seine beiden „Ehefrauen“ aufnahmen. Nun laufen die drei fröhlich gackernd auf dem malerischen Gelände rund um die Burgruine herum, lassen sich von Kindern bewundern und streicheln, und Schlossherr Copper begrüßt die begeisterten Gäste mit einem kräftigen Kikerikiii.
Abb 2. Schoßgockel Copper
Als ich Copper das erste Mal sah, war es um mich geschehen. Er war so zutraulich und ließ sich sogar auf den Arm nehmen. Jeder, der möchte, kann Copper auf den Arm nehmen. Inzwischen lege ich jedes Mal, wenn ich eine Wanderung zur Burg mache, eine Schmuserunde mit Copper ein. Der genießt das sichtlich, entspannt sich, senkt den Kopf, schließt die Augen und döst vor sich hin. Und das gleiche geschieht mit allen Menschen, die ihn auf dem Arm halten: strahlende Augen, ein glückseliges Lächeln, Freude und Entspannung pur – bei Erwachsenen ebenso wie bei Kindern. Es sind sogar schon Besucher aus dem 60 Kilometer entfernten Frankfurt angereist, nur, um die glücklichen Hühner von Schloss Alsbach zu füttern.
Ich habe darüber nachgedacht, warum das so ist. Und denke, es ist die Sehnsucht nach einer verlorenen Zeit – einer Zeit, da es noch Hühnerställe und Wiesen mit fröhlich gackernden Hühnern gab statt Legebatterien, vollgestopft mit auf Hochleistung getrimmten, geschundenen Turbohühnern. Das elende Leben dieser Legehennen hat mit dem entspannten Hühnerleben im Schlager von Peter Kreuder aus dem Jahr 1936 nichts mehr zu tun:
„Ich wollt’, ich wär’ ein Huhn,
Ich hätt’ nicht viel zu tun,
Ich legte vormittags ein Ei und abends wär’ ich frei.“
Glückliche Hühner, die nicht viel zu tun haben? Das ist die Ausnahme. Die Hühner von Schloss Alsbach müssen keine Eier legen. Tun es aber ab und zu. Neulich habe ich ein „Schloss-Ei“ gegessen. Es war ganz frisch und schmeckte lecker. Ich habe es mit allen Sinnen genossen, in dem Bewusstsein, dass es mir von einer glücklichen Henne geschenkt worden ist. Doch wer weiß noch, von welcher Henne das Ei ist, das er zum Frühstück isst? Im Zweifelsfall von einem zerzausten Tier aus Massenproduktion.
Wir brauchen Codes, um zu erkennen, ob ein Ei aus artgerechter Haltung kommt oder nicht. Seit 2005 dürfen auch auf Wochenmärkten keine ungestempelten Eier mehr verkauft werden. Die Regelung gilt ab 350 Legehennen. Selbst bei angeblich artgerechter Haltung liegt allerdings einiges im Argen. Nur 4 von 20 Bio-Eiern waren laut einer Untersuchung von Öko-Test empfehlenswert.
Und ist das Bio, wenn ein Betrieb 6.000, 15.000 oder 30.000 Legehennen hält? Die Branche sagt: Ja. Denn der Hunger nach Bio-Eiern ist groß nach den vielen Skandalen. Tierschützer machen immer wieder Aufnahmen, die zeigen, wie auch auf Bio-Bauernhöfen Hühner sich in engen Käfigen drängen, und oft sieht das zerzauste Federvieh alles andere als gesund und glücklich aus. „Aus Bio ist längst Massentierhaltung geworden, und so steckt hinter jedem Ei Tierquälerei.“, sagt Jan Pfeifer vom Deutschen Tierschutzbund. Ganz zu schweigen von den Unmengen an Eiern aus Käfighaltung in der Ukraine oder Lettland, die in Form von Flüssigei in unserem Kuchen, unseren Nudeln und vielem mehr landen, ohne deklariert werden zu müssen. Da hat selbst der tierschutzbewusste Verbraucher kaum eine Chance, sich politisch korrekt zu verhalten.
Und nun stolziert da so ein Gockel durch die idyllische Landschaft, und die fröhlich gackernden Hennen lassen sich aus der Hand der Besucher von Schloss Alsbach füttern. Kein Wunder, dass die Menschen sich zurückversetzt fühlen in eine Zeit, in der die Welt noch überschaubar war. In der nicht nur die Eier, sondern auch die Milch, das Gemüse, das Obst, die Kartoffeln, das Fleisch direkt vom Erzeuger kamen – ohne vorher in den High-Tech-Laboren der Nahrungsmittel-Industrie bestrahlt, pasteurisiert, konserviert, geschmacksverstärkt, künstlich aromatisiert worden zu sein und schließlich – oft in Zellophan oder Alufolie verpackt – in den Regalen und Kühltheken der Supermärkte zu landen.
Die Begeisterung für Copper offenbart die Sehnsucht vieler Menschen: nach unverfälschten, authentischen Lebensmitteln. LEBENSmitteln, für die kein Tier leiden musste. Die glücklichen Hühner von Alsbach symbolisieren den Traum von Lebensmitteln, die nicht nur unseren Körper, sondern auch unseren Geist und unsere Seele nähren.
Abb. 3 Glückliche Henne auf Schloss Alsbach
Mehr über glückliche und unglückliche Hühner und ihre Eier finden Sie in meinem neuen Buch „Iss richtig oder stirb“, das soeben beim Amadeus Verlag erschienen ist.
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