Wie der Staat die Familien schädigt

Die eigen­ar­tigen Folgen, die sich aus staat­lichen Ein­griffen ergeben, ähneln sich in allen Bereichen des wirt­schaft­lichen und gesell­schaft­lichen Lebens. In der Finanzwelt und in den Unter­nehmen werden Pro­bleme wie Gleich­gül­tigkeit, Ent­so­li­da­ri­sierung, Ver­ant­wor­tungs­lo­sigkeit und kurz­fris­tiges Denken nicht zuletzt durch – zuweilen durchaus gut­ge­meinte – staat­liche Ein­griffe her­vor­ge­rufen bzw. ver­stärkt. Nicht anders steht es auch mit der Fami­li­en­po­litik. Um dies deutlich zu machen, wollen wir zunächst einige Bemer­kungen zur Öko­nomie der Familie machen und anschließend erklären, wie der Staat die Familien zerstört.

(von Jörg Guido Hülsmann)

Ein wirt­schaft­liches Kraftwerk ohne gleichen

Der christ­lichen Defi­nition zufolge ist die Familie eine Lebens­ge­mein­schaft zwi­schen einem Mann und einer Frau, vor Gott, mit Gott und für Gott. Sie ist eine Art Got­tes­dienst. Das ist natürlich nicht die einzige Moti­vation, über­haupt eine Familie zu gründen, aber der Got­tes­dienst ist das, was die christ­liche Familie ausmacht.

Aus diesem Lebens­bündnis vor Gott, mit Gott und für Gott ergeben sich dann in logi­scher Not­wen­digkeit eine Reihe wei­terer Folgen, z.B. das formale und öffent­liche Bündnis der Gatten, die lebens­lange Treue, die Offenheit für viele Kinder, die Ablehnung der Abtreibung und das christ­liche Enga­gement auch außerhalb der eigenen Familie. Wo umge­kehrt der Got­tes­bezug fehlt, dort fehlt dann auch die logische Ver­bindung dieser Ele­mente. Sie erscheinen fortan als mehr oder weniger will­kür­liche Kon­ven­tionen. Sie werden optional bei der freien Gestaltung des indi­vi­du­ellen Mit­ein­anders. Sie werden mit­unter über­flüssig und sogar hinderlich.

In einer Gesell­schaft, die die Liebe zu Gott ver­liert, ver­liert daher auch die Familie ihre feste Gestalt. Die christ­liche Familie wird dann nach und nach ver­drängt durch einen Fli­cken­teppich anderer Formen des Zusam­men­seins, die je nach Gusto zusam­men­ge­stellt werden. Das ist unver­meidlich und kann durch kein mensch­liches Ein­greifen – auch nicht durch die Staats­gewalt – ver­hindert werden.

Aber die tra­di­tio­nelle Vor­herr­schaft der christ­lichen Familie ist nicht nur durch den weit­ver­brei­teten Abfall vom Glauben bedroht. Sie wird auch durch Ein­griffe des Staates in Frage gestellt, und zwar massiv. Um diese Zusam­men­hänge zu ver­stehen, müssen wir uns aller­dings zunächst die wirt­schaft­lichen Gründe vor Augen führen, aus denen Familien ent­stehen und wachsen. Der aller­erste dieser Gründe ist die Arbeitsteilung.

Die Theorie der Arbeits­teilung lehrt uns, dass die Arbeit von Spe­zia­listen, die ihre Über­schüsse tau­schen, ertrag­reicher ist als nicht-spe­zia­li­sierte Arbeit. Der Schuster erzeugt natürlich mehr Schuhe, der Bäcker mehr Brote als er per­sönlich und seine Familie brauchen würden. Aber der sprin­gende Punkt ist, dass durch ihre Spe­zia­li­sierung ins­gesamt mehr Schuhe und Brote her­ge­stellt werden als wenn jeder Ein­zelne einen Teil seiner Zeit der Schuh­ma­cherei und einen anderen Teil der Bäckerei gewidmet hätte.

Die wich­tigste Vor­aus­setzung dieses kleinen Wunders ist, dass die Spe­zia­listen ver­schiedene Talente haben. Die Pro­duk­ti­vität der Arbeits­teilung beruht auf der Ungleichheit der Tausch­partner. Und genau das ist der Grund, aus dem auch die christ­liche Familie so effi­zient ist. Männer und Frauen sind nämlich anders, und sie ergänzen sich auf glück­liche Weise. Sie ergänzen sich in ihren intel­lek­tu­ellen und kör­per­lichen Fähig­keiten, in ihren sozialen Kom­pe­tenzen, in ihren geist­lichen und ästhe­ti­schen Sen­si­bi­li­täten und im Gemüts­leben. Daher ist es ihnen möglich, in all diesen Dimen­sionen des Mensch­seins gemeinsam über das hin­aus­zu­wachsen, was ihnen jeweils alleine und auf sich gestellt möglich wäre.

Ähnlich wichtig ist die gene­ra­tio­nen­über­grei­fende Arbeits­teilung innerhalb der Familie. Auch die Gene­ra­tionen sind ver­schieden, auch sie ergänzen sich. Junge Leute haben typi­scher­weise große Arbeits­kraft und Krea­ti­vität, jedoch weniger Erfahrung und Geld. Die Zusam­men­arbeit zwi­schen den Gene­ra­tionen einer Familie wird zudem durch lang­jährig gewach­senes Ver­trauen und Zuneigung begünstigt, das im Ver­hältnis zu fami­li­en­fremden Leuten erst noch auf­gebaut werden muss.

Rein öko­no­misch besehen sind Familien wahr­scheinlich die effi­zi­en­teste mensch­liche Orga­ni­sa­ti­onsform über­haupt. Das wird leider kaum einmal richtig gewürdigt, auch nicht von den Öko­nomen. Wahr­scheinlich liegt das daran, dass die Leis­tungen der Familie viele Dimen­sionen haben, die zumeist gar nicht oder nur schwer zu messen sind, ganz anders als die Leis­tungen einer Firma oder eines Sportvereins.

Familien sind zwar außer­ge­wöhnlich effi­zient, aber nicht unfehlbar. Sie scheitern in der Regel auf einem der großen Kon­flikt­felder: Finanzen, Kin­der­er­ziehung, Sexua­lität. Wenn hier kein gemein­samer Nenner gefunden wird, wenn es an Hoffnung fehlt oder an Offenheit für die Got­tes­gaben, dann wird ein Scheitern wahrscheinlich.

Wie wird nun dieses Scheitern aber auch durch staat­liche Ein­griffe begünstigt?

Staat und Familie

Um diese Frage zu beant­worten, müssen wir uns zunächst das Wesen des Staates vor Augen führen. Max Weber bekannter Defi­nition zufolge ist der Staat ein Mono­polist legi­timer Gewalt. Dieser Staats­be­griff wurzelt in der juris­ti­schen Kon­zeption des modernen Staates – jenes Staates, der das Gesetz nach freiem Ermessen festlegt. Er ent­steht im 16. und 17. Jh. aus der Aus­ein­an­der­setzung mit der natur­recht­lichen Auf­fassung vom objek­tiven Recht, das der mensch­lichen Willkür ent­zogen ist. Als Folge ergibt sich, dass der Staat selber nicht nur besondere Rechte innehat, die seinen beson­deren Pflichten ent­sprechen. Vielmehr steht der moderne Staat im strengen Sinne über dem Gesetz. Er ent­scheidet völlig frei über das, was richtig und falsch ist.

Wenn dieser Rechts- und Staats­be­griff einmal Fuß gefasst hat, ergibt sich auf ganz natür­liche Weise eine Tendenz zum unbe­grenzten Staats­wachstum. Es gibt keine logische Bremse dieser Bewegung, denn die Befug­nisse und Auf­gaben des Staates sind nicht mehr grund­sätzlich ein­ge­grenzt, sondern grund­sätzlich offen und unbe­grenzt. Und es gibt auch kaum noch eine wirt­schaft­liche Bremse des Staats­wachstums, denn mit seinem Wachstum wachsen auch Ein­kommen und Macht der Staats­diener und aller anderen Interessierten.

Seit einigen Jahren ist die Fami­li­en­po­litik zu einem wich­tigen Feld des Staats­wachstums geworden. In der Ver­gan­genheit dienten ver­schiedene staat­liche Ein­griffe vor­geblich dem Familienschutz (steu­er­liche Pri­vi­legien, Kin­dergeld u.ä.), doch die heutige Politik ist fast aus­schließlich familienschä­digend.

Es sei vor­aus­ge­schickt, dass eine aus­drück­liche poli­tische Schä­digung der Familien eher selten ist. Kom­mu­nisten vom Schlag eines Friedrich Engels haben die Familie sehr richtig als Quelle der bür­ger­lichen Moral erkannt und sie aus diesem Grund auch bekämpft. Solche Fana­tiker gibt es auch heute noch, aber sie bestimmen nicht das Geschehen.

Sehr viel wich­tiger ist die still­schwei­gende Schä­digung der Familie. In der Tat wird die fami­li­en­schä­di­gende Wirkung eines staat­lichen Ein­griffs mit­unter über­haupt nicht in Erwägung gezogen. Ein wich­tiges Bei­spiel liefert die Geld­po­litik. Unser heu­tiges Wäh­rungs­system ist darauf angelegt, ständige Preis­in­flation zu erzeugen, und daraus ent­stehen wie­derum unwi­der­steh­liche Anreize zur Schul­den­wirt­schaft. Die Risiken liegen auf der Hand. Wie viele Familien sind nicht daran zer­brochen, dass sie die Schul­denlast nicht meistern konnten? Solche Folgen werden von den Geld­po­li­tikern kei­neswegs beab­sichtigt oder auch nur wissend hin­ge­nommen. Sie werden bei der poli­ti­schen Ent­schei­dungs­findung schlichtweg nicht berück­sichtigt. Und dennoch sind dies Folgen, die sich aus ihren Ent­schei­dungen ergeben.

In anderen Fällen wird die Schä­digung der Familie zwar nicht als eigen­stän­diges Ziel ver­folgt, aber als Neben­wirkung einer Politik bil­ligend im Kauf genommen. Das betrifft in abge­schwächter Form den klas­si­schen Wohl­fahrts­staat, ins­be­sondere jedoch die ver­meintlich liberale Sozi­al­po­litik à la John Stuart Mill, die nach dem Zweiten Welt­krieg in Groß­bri­tannien und den skan­di­na­vi­schen Ländern ton­an­gebend geworden ist und auch in Deutschland seit etwa zwanzig Jahren vorherrscht.

Mill zufolge soll der Staat die Wahl­freiheit der Indi­viduen fördern, indem er ihnen die Steine des Lebens aus dem Weg räumt. Er soll sie ins­be­sondere von den Zwängen ihres sozialen Umfelds befreien. Mills heutige Anhänger haben diesen Denk­ansatz auf die Spitze getrieben. Sie ver­stehen unter „Zwang“ letztlich alles, was die mensch­liche Willkür ein­schränkt – alles, was den Ein­zelnen daran hindern könnten, das zu tun, was er gerne täte, oder das zu sein, was er gerne wäre. Zwang ent­springt nicht nur aus Gesetzen, Steuern und den per­sön­lichen wirt­schaft­lichen Ver­hält­nissen. Er ent­springt auch Auto­ri­täten wie Kirche, Väter, Mütter, Unter­neh­mens­chefs. Er zeigt sich in Grenz­zäunen und Mauern. In extremer Form zeigt er sich in den Gege­ben­heiten der eigenen Iden­tität. Auch das eigene Geschlecht und der eigene Körper sollen frei wählbar sein, und auch zu dieser freien Wahl soll der Staat dem Ein­zelnen verhelfen.

Staats­ein­griffe, die darauf abzielen, solche „Befrei­ungen“ her­bei­zu­führen, beschä­digen das Fami­li­en­leben, da sie die Familien einer­seits finan­ziell belasten und ande­rer­seits über­flüssig machen. Das wich­tigste Bei­spiel ist die Eman­zi­pa­ti­ons­po­litik im Namen des Femi­nismus. Die Ganz­tags­schulen und Ganz­tags­kin­der­gärten, die von Ursula von der Leyen und von unserer jet­zigen Bun­des­kanz­lerin mit großer Ent­schlos­senheit ein­ge­führt worden sind, zielen aus­drücklich darauf hinab, die Lebens­zwänge der weib­lichen Existenz abzu­schwächen. Sie sollen den Frauen eine große Last von den Schultern nehmen, so dass sie sich frei ent­falten können. All dies reiht sich nahtlos ein in die femi­nis­tische Politik seit den 1970er Jahren: Abtrei­bungs­recht, Erstattung der Kosten von Emp­fäng­nis­ver­hütung und Abtrei­bungen aus der gesetz­lichen Kran­ken­kasse, Ehe­schei­dungs­recht, Sor­ge­recht usw.

Es liegt auf der Hand, dass diese Politik keine För­derung der christ­lichen Familie bedeutet. Aber sie beschädigt die Familie geradezu, indem sie das Ver­hältnis von Kosten und Nutzen des Fami­li­en­lebens ver­schlechtert. Sie ver­ringert die Anreize, eine Familie zu gründen und auch unter Wider­ständen am Leben zu halten. Ganz­tags­schulen und Ganz­tags­kin­der­gärten werden durch die Besteuerung der Familien finan­ziert, also sinken die Erträge des Fami­li­en­lebens, während gleich­zeitig die Not­wen­digkeit zusätz­licher Geld­ein­kommen zunimmt. Die größere wirt­schaft­liche Selb­stän­digkeit der Frauen ver­ringert dann die Aus­stiegs­kosten aus der Soli­dar­ge­mein­schaft der Familie. So kommt es zu ver­mehrten Ehe­schei­dungen und allein­er­zie­henden Müttern. Dieser Zusam­menhang wird in wei­terer Folge noch dadurch ver­stärkt, dass auch für die Männer die Anreize zur Fami­li­en­gründung sinken. Zum einen müssen sie ja nun von vor­ne­herein mit einer höheren Wahr­schein­lichkeit des Schei­terns rechnen. Zum anderen bedeutet das deutsche Schei­dungs­recht für den Mann sehr häufig den wirt­schaft­lichen Ruin.

Aus Sicht der öko­no­mi­schen Theorie ent­steht auf diese Weise eine zer­stö­re­rische „Ratio­na­li­täts­falle“. Aus der ein­zel­wirt­schaft­lichen Sicht der Frau wird die Familie infolge der staat­lichen Ein­griffe ent­behrlich und über­flüssig. Aber indem die Familie ver­welkt, wird auch die Leis­tungs­fä­higkeit der Gesamt­wirt­schaft geschwächt, und daher sinken letztlich auch die Steuern, ohne die die femi­nis­tische Politik nicht möglich ist.

Ange­sichts dieser Ver­rückt­heiten mag man sich nach dem klas­si­schen Wohl­fahrts­staat Bismarck’scher Prägung zurück­sehnen. Der gute alte Wohl­fahrts­staat – wir wollen hier in erster Linie an das umla­ge­fi­nan­zierte Ren­ten­system und Gesund­heits­system denken – zielt in der Tat kei­neswegs darauf ab, die indi­vi­duelle Selbst­ver­wirk­li­chung auf Kosten des Steu­er­zahlers zu ermög­lichen. Sein Ziel ist nicht die Befreiung von allen Zwängen, sondern lediglich eine gewisse Absi­cherung gegen wirt­schaft­liche Notlagen.

Aber auch eine solche Rück­be­sinnung wäre trü­ge­risch, zumindest in Rück­sicht auf die Familien. Denn auch der Wohl­fahrts­staat hat das Ver­hältnis von Kosten und Nutzen des Fami­li­en­lebens nach­haltig beein­trächtigt. Auch er hat daher die Soli­dar­ge­mein­schaft zwi­schen den Ehe­leuten – und zwi­schen Eltern und Kindern – geschwächt, wenn auch nicht ganz so schnell, brutal and zynisch wie die neuere Politik femi­nis­ti­scher Prägung. Er hat die Familie zwar nicht abge­schlachtet, aber er hat sie langsam zer­setzt. Besonders deutlich ist diese Tendenz im Ver­hältnis zwi­schen den Gene­ra­tionen abzu­lesen, denn es wird durch das staat­liche Ren­ten­system in wirt­schaft­licher Hin­sicht geradezu auf den Kopf gestellt. Die Familien müssen wei­terhin die Kosten der Kin­der­er­ziehung tragen, während sie die künf­tigen Steu­er­zah­lungen ihrer Kinder mit allen anderen Bürgern – also auch mit den Kin­der­losen – teilen müssen. Die Vor­teile der Kinder werden sozia­li­siert, während die Kosten der Kin­der­er­ziehung wei­terhin privat bleiben. Wer es darauf absehen wollte, die Familien schrumpfen zu lassen, könnte sich kaum etwas Bes­seres ein­fallen lassen.

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Jörg Guido Hülsmann ist Pro­fessor für Öko­nomie an der Uni­ver­sität Angers in Frank­reich und Senior Fellow des Ludwig von Mises Instituts in Auburn, Alabama. Er ist Mit­glied der Euro­päi­schen Aka­demie für Wis­sen­schaften und Künste sowie Mit­glied im wis­sen­schaft­lichen Beirat des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Zu seinen umfang­reichen Inter­essen- und For­schungs­ge­bieten zählen Geld‑, Kapital- und Wachs­tums­theorie. Er ist Autor von «Ethik der Geld­pro­duktion» (2007) und «Mises: The Last Knight of Libe­ralism» (2007). Zuletzt erschienen «Krise der Infla­ti­ons­kultur» (2013). Seine Website ist guidohulsmann.com

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Quelle: misesde.org