Von "Lustig ist das Zigeunerleben" zur Diskriminierung in den Polizeiakten. Bild: Pixabay

Der „anti­zi­ga­nis­tische“ Blick der Polizei – „Zigeuner“ als Diskriminierung?

Das Zau­berwort „eth­nische Min­der­heiten“ signa­li­siert es schon: Sei bloß vor­sichtig, was du jetzt sagst und wie du dich aus­drückst, damit du keinen Ärger bekommst. Sicher ist es gut und richtig, Men­schen nicht nach Volks­zu­ge­hö­rigkeit zu be- bzw. ver­ur­teilen. Es ist heute schon fast „rechts“, das Wort „Volk“ über­haupt zu benutzen. Lieber den Begriff „Ethnie“ ver­wenden. Wer zu einer „Eth­ni­schen Min­derheit“ gehört, hat sofort Schutz­status. Auch bei der Polizei. Die darf die Zuge­hö­rigkeit zur  Ethnie XYZ nicht einmal erwähnen, auch dann nicht, wenn es Tat­sache ist. Das könnte Ärger geben.

Herder prägte einmal den Satz „Jedes Volk ist ein Gedanke Gottes“ und meinte damit die so wun­der­volle und ein­malige Kultur, die das Wesen eines jeden Volkes prägt. Seine Sprache, die Men­schen, die Kunst. Die Musik. Die spe­zielle Küche, die tra­di­tio­nelle Kleidung, die Lebens­weise. Ein schöner, lie­be­voller Blick auf alle Men­schen und die vielen ver­schie­denen Kul­turen, die sie im Laufe der Jahr­hun­derte oder Jahr­tau­sende her­vor­ge­bracht haben.

Aber auch eine sehr offene und bescheiden-wohl­wol­lende Haltung, denn es kann bei dieser Betrach­tungs­weise keine „min­der­wer­tigen“ oder „schlechten“ Völker geben – und die gibt es auch nicht. In der Zeit der Auf­klärung war die Welt hell und hoff­nungsfroh. Eine Familie brü­der­licher Völker — was für eine groß­artige Sache! Friedrich Schiller glühte dafür. Die jeweils indi­vi­duelle Aus­prägung ver­schie­dener Kul­turen war ein Ansporn, ja fast Ver­pflichtung, sie ken­nen­zu­lernen, wie es Goethe auf seinen Reisen tat und darüber dichtete. Seine Begeis­terung für Italien und Grie­chenland spricht aus seiner Dichtkunst.

Heute ist es poli­tisch schon nicht korrekt, Men­schen über­haupt mit ihrer Volks­zu­ge­hö­rigkeit zu beschreiben. Dem hängt sofort der Ruch des Ras­sismus an. Die Eier­tänze um die kor­rekte Bezeichnung, wenn man tat­sächlich aus objek­tiven Gründen einen Men­schen über seine eth­nische Zuge­hö­rigkeit cha­rak­te­ri­siert, werden immer absurder. Dabei bemerken die eif­rigen Tugend­wächter über­haupt nicht, dass es blanker Ras­sismus – gemäß ihrer eigenen Defi­nition – ist, wenn die Nennung einer Volks­zu­ge­hö­rigkeit einer Her­ab­wür­digung gleich­ge­stellt ist, bedeutet das doch, dass diese „Volks“-Zugehörigkeit ein Makel ist. Wie kann sie das denn über­haupt sein, wenn man NICHT ras­sis­tisch denkt? Warum muss man Men­schen davor beschützen, als Bulgare, Franzose, Araber, Chinese, Indianer oder Zigeuner bezeichnet zu werden, wenn das doch zutreffend ist und in keiner Weise etwas Her­ab­set­zendes sein kann?

So darf die Polizei nur dann die Ethnie nennen, wenn es aus sach­lichen Gründen erfor­derlich ist, zum Bei­spiel für eine Fahndung. Es wird halt schwierig, wenn man sich weder auf das Aus­sehen, noch auf das ver­mut­liche Gender/Geschlecht oder eth­nische Zuge­hö­rigkeit beziehen darf, aber eine Täter­be­schreibung liefern soll: „Gesucht wird eine Person mitt­leren Alters“. Das engt den Kreis mög­licher Täter*Innen kaum ein.

Die Ber­liner Lan­des­da­ten­schutz­be­auf­tragte Maja Smoltczyk monierte unlängst ungnä­digst, dass die Polizei in den Akten unge­bührlich oft die Begriffe „Roma“, „Sinti“ oder „Zigeuner“ benutzt. Das gehe gar nicht, das sei „racial pro­filing“ (was man in etwa mit „auf Rasse beru­hender Täter­ver­mutung“ über­setzen könnte). Oder anders gesagt: Wenn in einem Kaufhaus  durch Trick­dieb­stahl große Fehl­be­stände in der Schmuck­ab­teilung ent­stehen oder durch Betrü­ge­reien an Haus­türen Leute über‘s Ohr gehauen werden, oder unge­wöhnlich viele Frauen massiv belästigt werden, die Polizei davon ausgeht das der/die Täter in den Reihen der Zigeuner – oder „mobile eth­nische Min­der­heiten“ genannt, oder „Russen“  —  oder Zuwan­derer aus dem Nahen Osten als wahr­schein­liche Täter im Fokus der Fahndung stehen.

Die Süd­deutsche schreibt:

„So ver­merkte die Ber­liner Polizei nach SZ-Infor­ma­tionen allein 2017 in 31 Fällen Begriffe wie “Roma”, “Sinti” oder “Zigeuner”. Die Angaben fanden sich in Straf­an­zeigen, Durchsuchungs‑, Zwi­schen- oder Schluss­be­richten an die Staats­an­walt­schaft, oft waren es einfach nur Zitate aus Zeu­gen­ver­neh­mungen. Immer wieder aber wurden solche Bezeich­nungen auch anlasslos in Ver­bindung mit Trick­dieb­stählen benutzt. Und Letz­teres ist nach Ansicht der Ber­liner Lan­des­da­ten­schutz­be­auf­tragten Maja Smoltczyk rechtswidrig.“

Warum eigentlich? Wenn die Polizei auf­grund nach­voll­zieh­barer Indizien oder Zeu­gen­aus­sagen davon ausgeht, dass ein gesuchter Trick­be­trüger aus der Gruppe der Sinti oder Roma stammt, dann ist die Tat­sache, dass der Täter diese Volks­zu­ge­hö­rigkeit hat, ein Merkmal für die Beschreibung, wie „rote Haare“ oder „Som­mer­sprossen“ oder Afri­kaner. Es regt sich ja auch niemand auf, wenn ein Trick­be­trüger als „mit­tel­großer, blonder Deut­scher mit baye­ri­schem Akzent“ beschrieben wird. Ras­sismus wäre es allen­falls umge­kehrt, wenn man jemandem, nur weil er „Zigeuner“ ist, gleich mal flott und unbe­gründet unter­stellt, er sei Trickbetrüger.

All die immer wieder neu erfun­denen, scheinbar neu­tralen Kunst­be­griffe für bestimmte „Ethnien“ nutzen gar nichts gegen Dis­kri­mi­nierung. Nachdem man in den sieb­ziger Jahren als Ersatz für das angeblich her­ab­set­zende „Zigeuner“ die Bezeichnung „Sinti“ oder „Roma“ als Ersatz her­anzog, hatten diese Bezeich­nungen nach kür­zester Zeit den­selben, nega­tiven Bei­klang. Das ver­suchte man wie­derum durch den Begriff „Mobile eth­nische Min­der­heiten“ wieder auf­zu­hüb­schen, was nur dazu führte, dass sie in den Amts­stuben unter den Hand nur noch „Mems“ (Mobile Ethnische Minder­heiten) hießen und der negative Bei­klang erhalten blieb.

Nach dem ersten Welt­krieg ver­suchte die Sie­ger­macht Groß­bri­tannien, deutsche Pro­dukte auf der Welt schwer ver­käuflich zu machen, indem die Kenn­zeichnung „Made in Germany“ obli­ga­to­risch auf dem Produkt ange­bracht sein musste. Da die deut­schen Pro­dukte aber meistens besser waren, als die eng­li­schen, wurde „Made in Germany“ zum Qua­li­täts­merkmal, statt zum Makel. Der Schuss ging nach hinten los.

Frau Maja Smoltczyk wird fest­stellen, dass sie nichts weiter bewirken wird, als neue, ver­korkste Sprach­schöp­fungen für bestimmte Volks­gruppen. Die neue Bezeichnung mag von dich­te­ri­scher Schönheit sein, sie wird schnell die­selbe nach­teilige „Bewer­tungs-Meta­ebene“ haben, wie die von ihr inkri­mi­nierten Bäbäh-Wörter. Ob ich nun „Zigeuner“ (was immerhin ein gewach­senes und echtes Wort ist, was sich aus einer sehr alten Bezeichnung her­leitet) oder „Rota­ti­ons­eu­ropäer“ sage, das ändert nichts. Wiki­pedia schreibt:

„Die Her­kunft des Wortes Zigeuner (vgl. fran­zö­sisch Tzi­ganes) ist umstritten. Es ist mög­li­cher­weise eine kor­rum­pierte Form der Sekte der Athin­ganen (grie­chisch Ἀθίγγανοι, Athin­ganoi, „die Unbe­rühr­baren“), die im 9. Jahr­hundert im frü­heren Phrygien lebte. Im Jahre 803 wurden sie dort in Amorion erstmals als „Zau­berer, Wahr­sager und arge Ketzer“ beschrieben. (…) Ablei­tungen mit Her­kunft aus dem 19. Jahr­hundert beziehen sich auf eine „ver­stoßene“ Bevöl­ke­rungs­gruppe namens Cangar (Tschangar) im heu­tigen Punjab (Indien), die eine „sans­kri­tische Toch­ter­sprache Sindhi gesprochen habe. Diese Cangar nannte Rienzi 1832 ‘Cingari’ oder ‘Tzengari’.“ 

Daneben gibt es eine Her­leitung von alt­tür­kisch čïγay mit den Vari­anten čïγan und čïγany mit der Bedeutung ‘arm’, ‘elend’, ver­mittelt über das unga­rische Wort cigány. (…) Im Deut­schen stammt das Wort aus mit­tel­hoch­deutsch ‘Cigäwnär’, das erstmals 1422 als hand­schrift­liche Notiz im Tagebuch des Andreas von Regensburg auf­tauchte: ‘Ein gewisser Stamm der Cingari, gewöhnlich Cigäwnär genannt’.“

Das Wort „Zigeuner“ hatte im 19. Jahr­hundert sogar einen wild­ro­man­ti­schen Bei­klang:

„Zugleich mit einer dis­kri­mi­nie­renden kam eine eben­falls abgren­zende roman­ti­sie­rende Sicht­weise auf, die negative Ste­reotype positiv umwertete. In der Romantik wird die jahr­hun­der­telang an den Rand gedrängte Min­derheit der Roma zum fas­zi­nie­renden Gegenbild der eigenen Gesell­schaft: Die »Zigeuner« stehen für Freiheit, Arbeit ohne Zwang, ein umher­schwei­fendes Leben unter freiem Himmel, eine frei­zügige Sexua­lität, künst­le­rische Krea­ti­vität und eine über­schäu­mende Lebenslust, die in Musik und Tanz ihren Aus­druck findet.“ 

Johann Strauss‘ Oper „Der Zigeu­ner­baron“ schwelgt in diesem Lebens­gefühl und die George Bizets Oper „Carmen“ ist geradezu eine Hymne an eine wun­der­schöne, aber wilde und unge­zähmte Zigeu­nerin, deren Lei­den­schaft und Frei­heits­wille bis in den Tod unge­brochen ist.

Die soge­nannte „Zigeu­ner­ro­matik“ des 19. Jahr­hun­derts ent­sprang damals einer Sehn­sucht nach Unge­bun­denheit, Freiheit, dem ver­meintlich unbe­zähm­baren Aus­leben von Aben­teu­erlust und Gefühlen, Lager­feuer und das von Obrig­keiten nicht regle­men­tierte, selbst­be­stimmte Leben, das sich nicht um Repu­tation, Geld und Sitt­samkeit schert. Der Begriff „Zigeuner“ war eine Metapher für eine Freiheit, die dem braven Bürger, gefangen in gesell­schaft­lichen Kon­ven­tionen, ver­wehrt war. Wie es auch in einem Lied aus der Oper Carmen heißt: „Die Liebe vom Zigeuner stammt, sie fragt nach Rechten nicht, Gesetz und Macht, ach, Carmen …“

Wie schade, dass Frau Maja Smoltczyk diese Seite nicht kennt und auch nicht so wirklich mit­be­kommen hat, dass  — laut Wiki­pedia – die­je­nigen, denen sie ersparen will, „Zigeuner“ genannt zu werden, aber genau so heißen wollen:

Die Sinti Allianz Deutschland – einer der weniger bedeu­tenden Zusam­men­schlüsse, beschränkt auf einige Familien aus den Teil­gruppen der Sinti und der Lovara – akzep­tierte noch lange die Bezeichnung, wiewohl sie sie in ihrem Eigen­namen vermied. (…) so dass Sprecher es dann vor­ziehen, auf „Zigeuner“ aus­zu­weichen. Zwi­schen­zeitlich revi­dierte die Sinti-Allianz ihre Selbst­be­schreibung und sprach von sich statt als von einem „Zusam­men­schluss deut­scher Zigeuner“ nunmehr aus­schließlich von „Sinti“, „Lovara“, „Roma“ (2013). Eine erneute Revision machte das rück­gängig. 2020 heißt es nun wieder, “eine Zensur oder Ächtung des Begriffs Zigeuner, durch wen auch immer, sollte und darf es nicht geben“.