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Vera Lengsfeld: Wir können den Lockdown nur selbst beenden!

Wie viele Level Candy Crash hat Minis­ter­prä­sident Ramelow eigentlich geschafft, als er mit seinen Minis­ter­prä­si­denten-Kol­legen mit der Kanz­lerin letzten Mittwoch um die neuen Lockdown-Ver­ord­nungen „rang“, wie es die Medien nennen? Oder waren die Lan­des­ober­häupter zu sehr mit Stricken, Sudoku und Schach spielen oder einfach mit dem Handy daddeln beschäftigt und haben das Ringen ihren Büro­kraten über­lassen?

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Außer ablen­kendem Getöse kann nicht viel Kampf gewesen sein, denn der poli­tische Trick ist uralt: Man lan­ciert mittels Medien eine Maxi­mal­for­derung, in diesem Fall eine Ver­län­gerung des harten Lock­downs bis zum 14. März und die Geknech­teten atmen auf, dass es „nur“ bis zum 7. März gehen soll.  Sie über­sehen vor lauter Hoff­nungs­glück, dass dieses Datum unter Vor­behalt der Ver­län­gerung ver­kündet wurde. Sie über­sehen auch, dass plötzlich der Inzi­denzwert von 50 auf 35 abge­sengt wurde und jeg­liche Öffnung davon abhängig gemacht werden soll. Um von all dem abzu­lenken, gibt es die perfide Ankün­digung, dass die Fri­seure schon ab dem 1. März wieder öffnen dürfen. Was diese Bot­schaft vor allem bezweckt, ist die Spaltung des Wider­standes unter den Unter­nehmern. Sie werden auf­ein­ander gehetzt mit der Frage, warum Fri­seure dürfen sollen, was Ein­zel­händlern, Gas­tro­nomen, Hote­liers, Fit­ness­studios ver­wehrt wird.

Wie weit sich die Arroganz der Macht schon von der Rea­lität und allem mensch­lichen Anstand ent­fernt hat, beweist das Argument von Minis­ter­prä­sident Söder, für den die „frische Frisur“ mit der „Würde der Men­schen“ zu tun hat. Damit gesteht er ein, dass die Corona-Maß­nahmen den Men­schen nicht nur ihre grund­ge­setzlich garan­tierten Frei­heiten, sondern auch ihre Würde nehmen. Besser gesagt, nehmen sollen, denn Würde ist nichts, was uns die Politik zuteilen oder ver­weigern können. Agieren können die Söders nur deshalb so, weil sie willige Medien zu ihren Füßen haben, die jedes noch so ver­quere Statement nicht kri­tisch hin­ter­fragen, sondern preisen. Im Falle Söders schleimen die Stutt­garter Nach­richten, sein Statement sei „eine unge­wohnt empa­thische Sicht der Politik“.

Noch erstaun­licher als das Ver­halten der Medien ist das der Ver­bände, die nicht etwa kri­ti­sieren, dass die Politik, deren Richt­linien die Kanz­lerin bestimmt, ohne jeg­liche schlüssige Begründung die Corona-Politik mit ihrer zer­stö­re­ri­schen Wirkung auf die Psyche der Men­schen, die Wirt­schaft, die Kultur, den gesell­schaft­lichen Zusam­menhalt, kurz auf unsere Lebens­weise fort­setzt. Nein, sie geben lediglich ihrer „tiefen Ent­täu­schung“ Aus­druck und fordern mehr Staats­hilfen, obwohl bisher nicht mal die „Novem­ber­hilfen“ voll­ständig aus­ge­zahlt sind.

Wenn ein Ver­bands­sprecher sagt, seine Mit­glieder wollten Geld ver­dienen, statt Staats­hilfe beziehen, dann klingt das schon fast radikal. Aller­dings fehlt die Erkenntnis, dass der Politik das Schicksal der Unter­nehmer herzlich egal ist. Wer wieder ver­dienen will, muss sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen und wieder öffnen. Wenn es genügend Mit­streiter gibt, wird der Politik ihre Grenze aufgezeigt.

Noch hoff­nungs­loser agiert der Bun­destag, vor dem Kanz­lerin Merkel gestern die Beschlüsse der Minis­ter­prä­si­den­ten­runde ver­teidigt hat. Dabei ent­sorgte sie umstandslos ihr Geschwätz von gestern.

„Bei einer sta­bilen 7‑Tage-Inzidenz von höchstens 35 Neu­in­fek­tionen pro 100.000 Ein­woh­ne­rinnen und Ein­wohner“ dürfen Ein­zel­handel, Museen und Galerien sowie weitere „kör­pernahe Dienst­leis­tungs­be­triebe“ wieder öffnen. Bisher hatte sich die Kanz­lerin an einer ange­strebten Ober­grenze von 50 orientiert.

Von der Oppo­sition wäre „scharfe Kritik“ gekommen, war in der Bericht­erstattung zu lesen.

Christian Lindner, Frak­tions- und Par­tei­vor­sit­zender der FDP, kri­ti­sierte die „poli­tische Setzung“ immer neuer Grenz­werte und ver­misste die „Bere­chen­barkeit“. Als wäre genau diese ständige Ver­schiebung von Grenz­werten nicht schon seit Beginn der Corona-Politik und lange mit Zustimmung, oder jeden­falls ohne Wider­spruch der FDP erfolgt. Dann gei­selte Lindner “die Ent­scheidung zugunsten der Coiffure“. Sie sei mit dem „Makel einer nicht­sys­te­ma­ti­schen Aus­nahme“ behaftet. Klingt gut, ist aber nicht mehr als eine hohle Phrase. Statt en passant zu bemerken, die Regierung habe am Schutz besonders vul­nerabler Gruppen kein Interesse, hätte er diesen Punkt als veri­tablen Angriff aus­bauen müssen.

Immerhin bemän­gelten AfD und Linke dass der Bun­destag wieder nicht ein­be­zogen wurde. Dabei hat der doch seine Betei­ligung mit der Novelle des Infek­ti­ons­schutz­ge­setztes im November ver­gan­genen Jahres selbst an die Exe­kutive abge­geben. Nun droht auch noch die Ver­län­gerung der „epi­de­mi­schen Lage natio­naler Trag­weite“, die am 31. März aus­läuft. Die Regierung will sie bis zum Juni und damit freie Hand für ihre Ver­ord­nungs-Politik behalten. Von dieser Gefahr war meines Wissens in der Bun­des­tags­de­batte nicht die Rede.

Wer geglaubt hat, ein Licht am Ende des Tunnels zu erblicken, den sollten die Nach­richten auf den Boden der Rea­lität zurück­geholt haben. Kanz­lerin Merkel kann keine noch so kleine Nie­derlage akzep­tieren. Gestern ist sie mit ihren Maxi­mal­for­de­rungen gescheitert, besonders was die Öffnung von Schulen und Kin­der­gärten angeht. Wahr­scheinlich wurmt die stets gut fri­sierte Dame, die sich vor der Gefahr, sich von der Fri­seurin anzu­stecken — oder umge­kehrt — nicht scheut, die Aus­sicht, diese Allein­stel­lungs­merkmal wieder zu verlieren.

Nur zwei Tage nach dem „Gipfel“ mit den Lan­des­chefs hat sie jeden­falls Gesund­heits­mi­nister Spahn und RKI-Chef Wieler in Marsch gesetzt, die auf einer Bun­des­pres­se­kon­ferenz über „neue“ Coro­na­ent­wick­lungen „infor­mieren“ mussten. Vor allem musste Spahn um Ver­ständnis für angeblich weiter nötige Beschrän­kungen werben. “Wenn wir jetzt öffnen, ver­spielen wir den bis­he­rigen Erfolg.“

Die Infek­ti­ons­zahlen sinken, räumte er ein, aber sie seien noch nicht stark genug gesunken. Das Infek­ti­ons­ge­schehen sei noch zu hoch, die Virus­mu­ta­tionen zu gefährlich. Nach wie vor müsse das Gesund­heits­system vor einem Kollaps bewahrt werden.

Zuvor war RKI-Chef Wieler zu Wort gekommen, der betonte, durch den Lockdown seien andere Infek­ti­ons­krank­heiten, wie die Grippe stark dezi­miert worden. Nor­ma­ler­weise würden pro Woche Tau­sende Fälle regis­triert, derzeit seien es höchstens 20 bis 30. Dies ent­laste Arzt­praxen und Krankenhäuser.

Wie soll man das ver­stehen? Die von Grippe und anderen Infek­ti­ons­krank­heiten ent­las­teten Kran­ken­häuser müssen vor dem Kollaps bewahrt werden? An diesen sich wider­spre­chenden Aus­sagen sieht man, wie wenig es um das tat­säch­liche Infek­ti­ons­ge­schehen geht, sondern dass der Lockdown, koste es, was es wolle, auf­recht erhalten werden soll. Noch wird die Frage, was die Regierung damit beab­sichtigt, nicht nach­drücklich und unüber­hörbar gestellt.

Die Deut­schen haben im berüch­tigten Kohl­rü­ben­winter tapfer gehungert, aber ihre Regierung nicht in Frage gestellt. Dazu bedurfte es erst der Nie­derlage im Ersten Weltkrieg.

Auf welche Nie­derlage warten die gedul­digen Mas­ken­träger unter uns, ehe sie merken, was mit ihnen gespielt wird? Eines ist sicher: Sweet wie Candy wird der unver­meid­liche Crash nicht.


Vera Lengsfeld — Erst­ver­öf­fent­li­chung auf dem Blog der Autorin www.vera-lengsfeld.de