Wie ticken die Grünen? Heute: Pflücke den Morgen mit Anhanda und Robin

Dies ist der Anfang einer losen Serie zu den Lebens­welten der Grünen und Linken.

(von Maria Schneider)

Wie immer lässt sich Ana­handa im Stutt­garter Speck­gürtel von den Tönen indi­scher Klang­schalen wecken. Welch ein wun­der­barer Start in den Tag! Denn sofort fühlt sie sich in die beste Zeit ihres Lebens in Baghwans Ashram in Pune zurück­ver­setzt. Von dort stammt auch das wun­derbare Schmuck­kästchen, das einer ihrer zahl­losen Ver­ehrer aus ihrem Workshop zur Urschrei­the­rapie in stun­den­langer, medi­ta­tiver Arbeit sei­den­weich geschmirgelt hatte.

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Von ihm stammt (ver­mutlich) auch ihre Tochter, die in einem Augen­blick der kör­perlich-geistig-see­li­schen Erleuchtung während einer nackten Selbst­v­er­fah­rungs-Session nach der Dyna­mi­schen Medi­tation gezeugt worden war. Aber wer weiß das schon so genau? Und ist das wirklich wichtig?

Vor­sichtig richtet sich Ana­handa auf, damit ihr See­len­ge­fährte Robin nicht geweckt wird. Ana­handa ist glücklich. Sie ist 65 und ihr Leben ist genauso, wie sie es will. Als Heike Schmidt geboren, war sie seit jeher unzu­frieden mit den mate­ria­lis­ti­schen Geschenken, mit denen ihre Nach­kriegse­ltern sie über­häuft hatten. Macht der neueste Fern­seher wirklich glücklich? Ist der „Blaue Bock“ oder das „Lau­fende Band“ wirklich so erhebend? Besteht die Rolle der Frau wirklich darin, für ihr Kind zu sorgen, für es zu waschen und zu kochen und bei den Haus­auf­gaben zu helfen, wie das ihre Mutter tat? Nein, Ana­handa war zu Höherem berufen.

Wie sehr hatte sie die immer­gleichen, täg­lichen Rituale gehasst! Als ob es nichts wich­ti­geres im Leben gäbe als Essen auf dem Tisch, eine feste Arbeits­stelle und ein Dach über dem Kopf. Das Kränkendste über­haupt war jedoch, dass ihre Mutter finan­ziell von ihrem Vater abhängig war und — noch schlimmer — es ihr nichts aus­zu­machen schien!

Angefixt von der See­len­suche der Beatles in Indien und dem revo­lu­tio­nären Musical „Hair“ wollte Heike so früh wie möglich weg aus diesem Spieß­erleben und flog daher mit dem sauer ersparten Geld ihrer Oma, das eigentlich als Mitgift oder Stu­di­en­hilfe gedacht war, direkt nach dem Abitur nach Indien.

Dort wurde sie endlich respek­tiert, denn im Gegensatz zu den meisten Indern war sie stein­reich. Ana­handa (damals noch Heike) gab das Geld mit vollen Händen und weit offenem Herz an den Ashram und ihren geliebten Guru Baghwan weiter. Ja, Baghwan hatte es ver­dient, sich damit noch einen wei­teren Rolls Royce zu kaufen, war er doch ihr Meister und tröstete ihr inneres Kind, das so schäbig von ihren kalten, kriegs­trau­ma­ti­sierten Eltern igno­riert worden war.

Doch das ist lange her und Ana­handa weiß, wie wichtig Ver­söhnung — gerade für sie selbst — ist. Zudem lebt Ana­handa aus Prinzip in der Gegenwart und kümmert sich nun schon lange hin­ge­bungsvoll um ihr inneres Kind. Und so spürt sie wie jeden Morgen in sich hinein und fragt ihr inneres Kind, was es möchte. „Pfann­kuchen!“ Dann müssen es Pfann­kuchen sein, denn viel zu lange hat Ana­handa nach ihrer Rückkehr aus Indien (Omas Geld war ihr aus­ge­gangen) durch ihren Arbeit­geber, ihre Eltern und ihre Tochter fremd­be­stimmt leben müssen.

Ana­handa bindet ihre irre weib­lichen wilden, grauen Locken zusammen und duscht summend unter der Regen­wald­brause ihrer neuen Go-in-Dusche. Sie hat sich die Dusche als Belohnung gekauft, weil sie es endlich geschafft hatte, ihre Schuld­ge­fühle zu über­winden und ihre Mutter in ein Altersheim zu stecken. Ihre sicher­heits­lie­benden Eltern hatten gut in Ver­si­che­rungen inves­tiert und so muss Ana­handa nichts dazu­zahlen und bekam bei der Ein­lie­ferung ihrer Mutter in das Heim sogar zeit­gleich (gutes Karma!) die Lebens­ver­si­cherung aus­be­zahlt, die ihre Eltern bei ihrer Geburt für sie abge­schlossen hatten.

Wun­derbar so eine Dusche – fast wie ein milder tro­pi­scher Regen in Indien. Aner­kennend mustert sie ihre Brüste, die noch gut stehen und an denen die Was­ser­tropfen so schön abperlen. Ja, sie ist lebendig wie die Wilde Frau und sie schämt sich nicht mehr, ihre Weib­lichkeit zu leben.

Nun zieht Ananda das hand­ge­wobene, weiße Lei­nen­gewand (aus dem Öko­laden, ohne Kin­der­arbeit gefertigt) über, um ihre fort­ge­schrittene Erleuchtung und Abwendung von mate­ri­ellen Dingen zu betonen. Eine lange, scha­ma­nische Mala, an deren unteren Ende ein Lapis­lazuli baumelt, rundet das Bild der weisen, alten Frau ab, die trotzdem noch sexuell aktiv ist – ange­deutet durch den Lapis­lazuli, der zwi­schen ihren Brüsten ruht und diese wie zufällig perfekt betont.

Lächelnd und eins mit sich und der Welt bereitet sie achtsam und lie­bevoll glu­ten­freie Qui­no­apfann­kuchen vor und deckt den Tisch mit hand­ge­töp­fertem Geschirr.

Zeit, Robin zu wecken. Robin hieß früher Robert Meier und war wie sie — ange­widert von seinen für­sorg­lichen und vor­sor­genden Eltern, die den Krieg noch hautnah mit­erlebt hatten — nach Indien geflohen. Gemeinsam hatten sie dort ihre Kind­heits­traumata auf­ge­ar­beitet, Kissen mal­trä­tiert, hechelnd geatmet, zur Erlernung von Demut die Toi­letten für die anderen Ashram­be­wohner gereinigt und schließlich – eines Tages – vom Meister selbst die Ein­weihung und ihre neuen Namen erhalten. Beide hatte es wäh­rend­dessen geschüttelt vor Schluchzen, was ihre — wie sie auf See­len­reisen her­aus­ge­funden hatten — bereits Jahr­hun­derte wäh­rende See­len­ver­wandt­schaft noch weiter ver­tieft hatte.

Ana­handa gibt Robin einen Kuss auf sein Drittes Auge und flüs­terte in sein Ohr: „Früh­stück ist fertig, mein Schatz.“ Langsam richtet sich Robin auf, dreht seine Ras­ta­locken zu einem Dutt und schlurft zum gedeckten Tisch.

„Oh, wie schön das Leben doch ist!“, denkt Ana­handa und dankte innerlich ihrem Meister.

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Maria Schneider ist freie Autorin und Essay­istin. In ihren Essays beschreibt sie die deutsche Gesell­schaft, die sich seit der Grenz­öffnung 2015 in atem­be­rau­bendem Tempo ver­ändert. Darüber hinaus ver­fasst sie Rei­se­be­richte und führt neben ihrer Berufs­tä­tigkeit seit November 2020 den Blog Con­servo, der 2010 von Peter Helmes gegründet wurde. Kontakt: Maria_Schneider@mailbox.org