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Faschis­toide Bru­t­al­kritik an #alles­dicht­machen – haben wir wieder „ent­artete Kunst“?

52 deutsch­spra­chige Künstler haben sich zusam­men­getan und mit iro­nisch-sati­ri­schen Videos die Corona-Politik der Merkel-Regierung kom­men­tiert. Die Videos sind sehr unter­schiedlich. Keines davon ist belei­digend, hass­erfüllt, behauptet Unhalt­bares oder ver­höhnt gar die Opfer der Pan­demie. Trotzdem geifern wütende Kri­tiker in einer unver­tret­baren Weise gegen die Künstler per­sönlich. Von For­de­rungen, Herrn Jan Liefers „raus­zu­schmeißen“ oder den Künstlern den Coro­natod an den Hals zu wün­schen ist alles dabei. Wie kann es sein, dass so viele Bürger vor Hass fast platzen? Und warum greift plötzlich hier nicht die Zens­ur­kralle der Hassrede?

Erinnern Sie sich noch an Herrn Jan Böh­mer­manns tolle „Satire“ auf den tür­ki­schen Prä­si­denten Recep Tayyip Erdogan? Er unter­stellte dem tür­ki­schen Staats­ober­haupt in seinem schlichtweg nur belei­di­genden Text, es mit Ziegen zu treiben. Was pas­sierte? Man fand es weit­gehend witzig, ver­tei­digte diese bodenlose Frechheit und Ehr­ver­letzung als „Kunst“ und Satire. Obwohl die Belei­digung eines aus­län­di­schen Staats­ober­hauptes sogar unter Strafe steht, bewahrte unsere all­seits geliebte/r Bundeskanzler*:In, Frau Dr. Angela Merkel, den ach­so­lus­tigen Spaß­vogel Böh­mermann vor allen juris­ti­schen Kon­se­quenzen. Satire sei eben so, dass sie auch mal wehtun könne und die Kunst ist frei.

Ahja. Aber offenbar nur, wenn man von der „rich­tigen und sakro­sankt guten“ Seite ätzt.

Manche der Videos sind auch gar nicht mein Geschmack. Teil­weise wird mancher auch nicht wirklich ver­stehen, worauf der jeweilige Vor­tra­gende hin­auswill. Aber Tatort-Regisseur Dietrich Brüg­gemann, der einer der Mit­in­itia­toren von #alles­dicht­machen ist, hat schon recht, wenn er diese schran­kenlose Wut „faschistoid“ nennt und sagt, es sei den Betei­ligten doch nur darum gegangen, „den ver­engten Dis­kus­si­onsraum in diesem Land aufzurütteln“.

Das scheint nicht wirklich gelungen zu sein. Sofort wurden die Akteure als „Quer­denker“, „Rechte“ oder mit „AfD“ in den sozialen Medien und Leser­zu­schriften nie­der­ge­brüllt. Dabei sind die inkri­mi­nierten Pas­sagen durchaus ganz offen­sichtlich iro­nisch gemeint:

Schließen Sie aus­nahmslos jede mensch­liche Wir­kungs­stätte und jeden Han­dels­platz“, fordert etwa Tukur die Bun­des­re­gierung auf. „Nicht nur Theater, Cafés, Schulen, Fabriken, Buch­hand­lungen, Knopf­läden, nein, auch alle Lebens­mit­tel­läden, Wochen­märkte und vor allem auch all die Super­märkte.“ Und er fügt hinzu: „Sind wir erst am Leibe und nicht nur an der Seele ver­hungert und allesamt mau­setot, ent­ziehen wir auch dem Virus und seiner hin­ter­häl­tigen Mutan­ten­bagage die Lebens­grundlage.“ 

Richy Müller atmet in seinem Clip abwech­selnd in zwei Tüten und kom­men­tiert iro­nisch: „Wenn jeder die Zwei-Tüten-Atmung benutzen würde, hätten wir schon längst keinen Lockdown mehr. Also bleiben Sie gesund und unter­stützen Sie die Corona-Maß­nahmen. Ich geh jetzt mal Luft holen.“ 

Auch „Tatort“-Schauspieler Martin Brambach spricht in einem Kurz­video. „Ich bin Schau­spieler und habe im letzten Jahr ange­fangen, soli­da­risch mit dem Finger auf andere Leute zu zeigen. Ich bin ein eher unsi­cherer Mensch und brauche klare Regeln, und es tut mir gut, wenn ich andere darauf hin­weisen kann, was sie falsch machen.“ 

Das Redak­ti­ons­netzwerk Deutschland (rnd) empört sich und zeichnet die Schau­spieler und Künstler als hart­herzige Monster: „Sie raunen Wirres. Sie machen sich lustig über Men­schen, die vor Erschöpfung am Git­terbett ihres Kindes hängen und weinen.“

Ein bisschen weniger Schein­hei­ligkeit und Fuß vom Gas täte der Sache gut.

Ich per­sönlich habe einen sehr nahen, sehr geliebten Ver­wandten, der im Kran­kenhaus nach einer Kno­chen­bruch­ope­ration mit Covid19 infi­ziert wurde. Es war ein schwerer Verlauf. Niemand durfte zu ihm. Es war herz­zer­reißend. Nur über Handy konnte man noch eini­ger­maßen Ver­bindung halten. Min­destens drei bis vier Tele­fonate am Tag, lange Tele­fonate, see­len­zer­flei­schende Gespräche, wochenlang. Ange­strengt und mit ange­hal­tenem Atem zuhören, den Finger im andren Ohr, dass ich über­haupt ver­stehen konnte, was er stoß­weise ins Telefon wis­perte, immer wieder Abbrüche, weil seine Lunge das Sprechen nicht mehr möglich machte. Schweigend seinem Kampf um Luft zuhören zu müssen, mit zu leiden, aber auch nicht auf­legen zu können. Die Ver­zweiflung und Angst kenne ich sehr wohl. Das Hoffen und Bangen, das gemeinsame Weinen am Telefon, die Macht­lo­sigkeit, die Atemnot, die Schmerzen im Kopf und im ganzen Körper, die Ein­samkeit im Iso­lier­zimmer. Dieser Jubel, als es über­standen war, wenn auch mit noch immer nach­wir­kenden Problemen.

Und genau der­jenige sagt: Es ist nicht richtig, dass ein ganzes Land vor die Wand gefahren wird, dass Mil­lionen ihre Existenz ver­lieren, dass unsinnige, stets wech­selnde Vor­schriften dra­ko­nisch durch­ge­peitscht werden. Dass Mil­lionen Kinder unter Iso­lation leiden. Dass das ganze Land zu einem Frei­luft­ge­fängnis wird.

Ver­höhnt er auch die „Opfer von Corona“?

Und woher wissen denn die wild­ge­wor­denen Bru­t­al­kri­tiker, dass sie berech­tig­ter­weise für „alle Corona-Opfer“ sprechen können?  Ich kenne drei, die Corona hatten und alle drei finden die gegen­wärtige Corona-Politik und den Mei­nungs­terror gegen deren Kri­tiker falsch. Ich kenne auch einige, die sofort steil gehen, wenn man die Corona-Lockdown-Politik anzweifelt und keiner von denen hatte Corona oder einen lieben Men­schen, der dar­unter gelitten hat oder gestorben ist.
Das ist nicht reprä­sen­tativ, schon klar.

Wer weiß denn schon so ganz genau, was richtig und was falsch ist? Der Ham­burger Virologe Jonas Schmidt-Cha­nasit stellte sich direkt am Freitag auf die Seite der betei­ligten Schau­spieler und bezeichnete die Aktion als “Meis­terwerk”. Virologe Hendrik Streeck sieht eine Mit­ver­ant­wortung für die Unzu­frie­denheit sehr vieler Bürger mit der Corona-Politik: “In meinen Augen hat die Politik es nicht geschafft, alle Men­schen mitzunehmen.“

Es ist auch kei­neswegs so, als dass die mit der Regie­rungs­po­litik unzu­frie­denen Bürger eine rechts­ra­dikale Aluhut-Min­derheit wären. Die CDU/CSU unter Frau Bundeskanzler*:In, Frau Dr. Angela Merkels Führung kracht gerade in den Umfragen haupt­sächlich wegen ihrer Coro­na­po­litik auf die schlimmsten Zustim­mungs­werte ihrer Geschichte. 

Überdies: Liest man in den Redak­ti­ons­stuben von rnd seine eigenen Texte auch einmal mit innerem Abstand?

Es sind nicht irgend­welche Ger­ne­große auf Ram­pen­licht­suche, die sich da in über­ra­schend schlecht geschrie­benen Texten am Corona-Alltag abar­beiten. Es sind Stars der Zunft dar­unter wie Jan Josef Liefers, Nadja Uhl, Wotan Wilke Möhring, Ulrich Tukur, Heike Makatsch, Meret Becker und Volker Bruch. Sie bedanken sich iro­nisch dafür, dass in dieser Zeit nur noch ‚ein­fache Wahr­heiten‘ gälten. Sie erzählen schlicht dummes Zeug (‚eine eigene Meinung zu haben ist gerade krass unso­li­da­risch‘). Sie ätzen gegen die Medien, sie unter­füttern munter den sau­blöden Irrtum, es sei unmöglich in diesem Land, eine eigene Meinung zu ent­wi­ckeln. Kurz: Sie bedienen voll­ständig und vor­sätzlich das Nar­rativ all der Schwurbler und Ver­schwö­rungs­theo­re­tiker, die die Tat­sache, dass sie ihren Ego­ismus kurz mal bei­sei­te­schieben sollen, mit einer Grund­rechts­ver­letzung von epi­schem Ausmaß verwechseln.“

Merkt man nicht, dass das ja gerade der Beweis ist für „eine eigene Meinung zu haben ist gerade krass unsolidarisch“?

Gerade der „kolossale Shit­storm“, wie Herr Brüg­gemann es in der FAZ nennt, beweist ja gerade, dass die Aktion not­wendig war. Ein Rund­funkrat for­derte ja sogar, Jan Liefers einfach raus­zu­schmeißen – weil er eine uner­wünschte Meinung ver­tritt? Der Rund­funkrat Garrelt Duin twitterte:

„Jan Josef Liefers und Tukur u.a. ver­dienen sehr viel Geld bei der ARD, sind deren Aus­hän­ge­schilder. Auch in der Pan­demie durften sie ihrer Arbeit z.B. für den Tatort unter bestem Schutz nach­gehen. Durch ihre undif­fe­ren­zierte Kritik an ‚den Medien‘ und demo­kra­tisch legi­ti­mierten Ent­schei­dungen von Par­lament und Regierung, leisten sie denen Vor­schub, die gerade auch den öffentlich-recht­lichen Sendern gerne den Garaus machen wollen.“ 

Sorg­fältig lesen bitte:
Mit anderen Worten, weil es Leute gibt, die angeblich den öffentlich-recht­lichen Sendern den Garaus machen wollen (- das wollen die, die er meint gar nicht. Sie wollen nur eine objektive Bericht­erstattung und eine gewisse Neu­tra­lität und nicht eine stets eil­fertige Hof­be­richt­erstattung für die Regierung samt Ein­prügeln auf jeg­liche Kritik. Eben das, was er gerade selber macht -) muss jemand, der bei einem öffentlich recht­lichen Sender arbeitet und eine andere, als die dort ver­ordnete Meinung äußert, gefeuert werden.

Das, lieber Leser, ist Mei­nungs­freiheit, Welt­of­fenheit und Toleranz. Diese Leute ent­larven sich selbst am aller­besten und merken es nicht einmal.

Selten kann ich‘s, hier muss ich‘s: Der FAZ Respekt zollen und danken für ihren Kom­mentar dazu:

„An dieser Stelle sollten wir erwähnen, wofür der Rund­funkrat des West­deut­schen Rund­funks dem Sen­der­gesetz und der Selbst­be­schreibung nach zuständig ist: ‚Der Rund­funkrat‘, heißt es da, ‚ver­tritt als Auf­sicht im WDR die Inter­essen der All­ge­meinheit. Ziel ist es, die Vielfalt der Mei­nungen und Bedürf­nisse der Bürger*innen in die Arbeit des Senders ein­zu­bringen‘. Er sei, so die Infor­mation des Landtags von NRW, der die gesetz­liche Grundlage, das WDR-Gesetz, beschließt, ‚die Instanz zur Wahrung der Infor­ma­ti­ons­freiheit und Mei­nungs­vielfalt und trägt dafür Sorge, dass der West­deutsche Rundfunk (WDR) seinen gesetz­lichen Auftrag erfüllt. Der Rund­funkrat Duin hat offenbar seine eigene Lesart, wie ‚Infor­ma­ti­ons­freiheit und Mei­nungs­vielfalt‘ im öffentlich-recht­lichen Rundfunk zu wahren sind – indem man sie abwürgt.‘“

Immerhin hat Herr Garrelt Duin nach­ge­dacht und dann getwittert:

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In Ordnung. Er soll und darf selbst­ver­ständlich seine Meinung äußern, auch wenn ich die selbst in dieser Form immer noch nicht richtig finde. Aber Mei­nungs­freiheit gilt und zwar ohne Wenn und Aber. Wenn es keine Mei­nungs­freiheit mehr gibt, dann ist es eben nicht so, dass, wie rnd daher­schreibt, „Ego­ismus mit einer Grund­rechts­ver­letzung mit epi­schem Ausmaß ver­wechselt wird.“