Die Euro­päische Union: Vom Bin­nen­markt zur tra­gi­schen Farce

In Bezug auf die Euro­päische Union sind die Mei­nungen geteilt zwi­schen denen, die sie für nutzlos und kost­spielig halten, und denen, die sie für die Zukunft Europas und ein Vorbild für die Menschheit halten.

(von Drieu Godefridi)

Wie sieht die Rea­lität aus?

Bevor die heutige EU ent­stand, war der Aufbau einer Euro­päi­schen Union zunächst ein enormer Erfolg.

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Viele Linke haben ein kurzes Gedächtnis, aber die EU war nicht immer die große, unnahbare Maschine, zu der sie geworden ist. In der Zeit der beschei­de­neren “Euro­päi­schen Gemein­schaften” – zum Bei­spiel bei der Zusam­men­arbeit zwi­schen den Volks­wirt­schaften meh­rerer Länder; oder innerhalb ihrer Kohle‑, Stahl- und Nukle­ar­in­dustrie – hat Europa vier Frei­zü­gig­keiten erreicht: die von Men­schen, Kapital, Dienst­leis­tungen und Gütern. Trotz seiner Mängel und unzäh­ligen Unvoll­kom­men­heiten (nichts Mensch­liches ist perfekt) hat dieser gemeinsame Markt oder Bin­nen­markt einen mas­siven und wesent­lichen Beitrag zur Freiheit und zum Wohl­stand der Europäer geleistet.

Es ist unmöglich, nicht als Fort­schritt zu betrachten, dass sich ein fran­zö­si­scher Staats­bürger in Italien frei bewegen kann oder dass ein spa­ni­scher Unter­nehmer das Recht hat, nie­der­län­di­schen Bürgern Dienst­leis­tungen anzu­bieten. Der ursprüng­liche euro­päische Gemeinsame Markt ent­sprach in jeder Hin­sicht Jean Monnets kon­struk­tivem Konzept “Frieden durch Wohl­stand”.

Das Problem war, dass die Ideo­logen aller Arten mit diesem Europa als bloßem Werkzeug, das im Wesent­lichen wirt­schaft­licher Natur war, nicht zufrieden sein konnten. Nein, es war not­wendig, ein poli­ti­sches Europa, ein soziales Europa, ein Europa der Ver­tei­digung, eine euro­päische Außen­po­litik, ein öko­lo­gi­sches Europa und sogar ein geo­po­li­ti­sches Europa hinzuzufügen.

Diese Ent­wicklung bestand zual­lererst darin, die euro­päi­schen Insti­tu­tionen zu unter­graben, um sie zusätzlich zu ihren wirt­schaft­lichen Zielen dazu zu bringen, Mis­sionen zu erfüllen, die ihnen eigentlich fremd waren, wie etwa eine “gemeinsame Außen­po­litik”, die niemals etwas anderes als Worte war. Wie könnte es eine Außen­po­litik geben, die Groß­bri­tannien, Öster­reich und Por­tugal gemeinsam ist?

Als nächstes wurden und werden die Insti­tu­tionen und Ver­fahren ständig ange­passt, reno­viert und revo­lu­tio­niert, um extra-öko­no­mi­schen Zwecken zu dienen – wie zum Bei­spiel “Frieden”, “Bekämpfung der sozialen Aus­grenzung”, “För­derung des wis­sen­schaft­lichen und tech­no­lo­gi­schen Fort­schritts”, “Sicherheit und Gerech­tigkeit” – auch auf Kosten der Wirtschaft.

Heute wurde der wirt­schaft­liche Zweck des euro­päi­schen Aufbaus – durch Ver­träge – offi­ziell auf das Nötigste redu­ziert, um “eine nach­haltige Ent­wicklung auf der Grundlage eines aus­ge­wo­genen Wirt­schafts­wachstums und einer sta­bilen Preis­sta­bi­lität” zu erreichen und den Anfor­de­rungen des poli­ti­schen, sozialen und umwelt­be­wussten Europas gerecht zu werden. Solche For­de­rungen beginnen bei­spiels­weise mit dem Euro­päi­schen Green Deal, der darauf abzielt, Europa zum ersten “kli­ma­neu­tralen” Kon­tinent zu machen, indem die Treib­haus­gas­emis­sionen Europas bis 2050 auf “Netto-Null” gesenkt werden, auch wenn die wirt­schaft­lichen Folgen für die Europäer nicht nach­haltig sind. Laut Indus­triAll, dem Verband der euro­päi­schen Indus­trie­ge­werk­schaften, besteht ein großes Risiko, dass der Euro­päische Green Deal ganze Indus­trie­sek­toren in die Knie zwingt und Mil­lionen von Arbeits­plätzen in ener­gie­in­ten­siven Indus­trien abbaut, ohne die Zusi­cherung, dass Arbeit­nehmer in betrof­fenen Indus­trien eine Zukunft haben werden.

Somit ist die EU, die in der Ver­gan­genheit ein Gegen­ge­wicht zur anti­öko­no­mi­schen Raserei ihrer Mit­glied­staaten dar­stellte, nun die per­ma­nente Ver­stärkung dieser Raserei.

Keine vom deut­schen oder fran­zö­si­schen Par­lament ver­ab­schiedete Reso­lution zu Geschlecht oder Umwelt­schutz kann mit den zunehmend extre­meren Pro­kla­ma­tionen kon­kur­rieren, die die EU-Insti­tu­tionen zu diesen Themen sowie zu anderen Themen ver­ab­schiedet haben. Zum Bei­spiel ist das Main­streaming der extremsten Version der Gender-Theorie – die Idee, dass “männlich” und “weiblich” kul­tu­relle, nicht bio­lo­gische Kon­zepte sind – jetzt offi­zielle Politik der EU.

Was diesen euro­päi­schen Insti­tu­tionen ermög­licht, den Weg der Ideo­logie immer weiter zu beschreiten, ist, dass sie sich demo­kra­ti­schen Sank­tionen ent­ziehen, da die EU in erster Linie eine zwi­schen­staat­liche Orga­ni­sation bleibt. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat beim Aufbau der Euro­päi­schen Union ein “struk­tu­relles Demo­kra­tie­de­fizit” fest­ge­stellt, da die Ent­schei­dungs­pro­zesse in der EU weit­gehend die einer inter­na­tio­nalen Orga­ni­sation bleiben. Die Ent­schei­dungs­findung basiert auf dem Grundsatz der Gleichheit der Mit­glied­staaten. Der Grundsatz der Gleichheit der Staaten und der Grundsatz der Gleichheit der Bürger können in den der­zei­tigen Insti­tu­tionen der EU nicht in Ein­klang gebracht werden, sagte der Gerichtshof. Natürlich sind die EU-Insti­tu­tionen mit einer blu­migen Sprache aus­ge­kleidet – wie “die EU demo­kra­ti­scher machen” gemäß dem Vertrag von Lis­sabon – um die Men­schen glauben zu lassen, dass EU-Insti­tu­tionen, obwohl sie unvoll­kommen sind, zunehmend demo­kra­ti­scher werden und nur darauf warten, voll­ständig demo­kra­tisch zu sein.

Nichts ist weiter von der Wahrheit ent­fernt. Als zwi­schen­staat­liche Orga­ni­sation ist, war und wird die EU keine Demo­kratie sein. Eine inter­na­tionale Orga­ni­sation ist ein Pakt zwi­schen Regie­rungen; Die Auf­nahme eines gewählten “Euro­päi­schen Par­la­ments” in das System mit sehr begrenzten Fähig­keiten ändert nichts an den zwi­schen­staat­lichen Anliegen einer solchen Organisation.

Wie viel Prozent der euro­päi­schen Bürger können auch nur ein Mit­glied des Euro­päi­schen Par­la­ments, einen EU-Kom­missar oder einen Richter am Euro­päi­schen Gerichtshof benennen? Ame­ri­kaner fühlen sich ame­ri­ka­nisch, bevor sie aus Wyoming oder Arkansas kommen. Ita­liener, Spanier, Schweden, Polen und Slo­wenen iden­ti­fi­zieren sich mit ihrem Land, bevor sie sich euro­päisch fühlen (im all­ge­meinen Sinne des Wortes, ohne sich auf die EU zu beziehen).

Deutschland hält sich aus his­to­ri­schen Gründen so weit und so oft wie möglich an die EU-Vor­schriften und ‑Insti­tu­tionen. Wie Ulrich Speck notierte:

“Das Land hat seine poli­tische Iden­tität und sein poli­ti­sches System auf dem Konzept auf­gebaut, das Gegenteil des NS-Staates zu sein. Die Deut­schen sehen das NS-Regime heute unter anderem als radi­ka­li­sierte Form der klas­si­schen Macht­po­litik – etwas, bei dem sie sich glücklich schätzen, dass sie es hinter sich gelassen haben.”

Mit anderen Worten, viele Deutsche sehen in der EU das ulti­mative Gegen­mittel gegen die hege­mo­nialen Ten­denzen ihrer Ver­gan­genheit. Während sie den ersten Teil – die Abschwä­chung – der jüngsten Pan­demie relativ gut bewäl­tigten, beschlossen sie, sich beim Impf­stoff­ma­nagement auf die EU zu ver­lassen. Dieser Ansatz hat seine Logik: Erstens sind wir gemeinsam stärker in Ver­hand­lungen mit “Big Pharma”, und ist dies nicht auch eine Gele­genheit, den Euro­päern zu beweisen, dass diese EU, die sie nicht mögen, zumindest nützlich ist?

Die EU gibt sich nicht damit zufrieden, nutzlos und kost­spielig zu sein, wie im Fall von Imp­fungen gegen COVID-19, und hat sich als schrecklich, komisch und tra­gisch unwirksam erwiesen. Astra­Zeneca bei­spiels­weise “infor­mierte” den Block lediglich darüber, dass es nicht in der Lage sein werde, die Anzahl der Impf­stoffe zu liefern, die die EU bis Ende März erhofft – und bezahlt – hatte. Die Staats- und Regie­rungs­chefs der EU waren “wütend”, dass das Unter­nehmen seine Lie­fe­rungs­ver­pflich­tungen für den bri­ti­schen Markt und nicht für ihren zu erfüllen scheint. Das Ergebnis der Unfä­higkeit der EU, die von den Impf­stoff­her­stellern ein­ge­gan­genen Ver­pflich­tungen ein­zu­halten, ist ohne Berufung oder Rückgriff:

In fünf­hundert Jahren, wenn His­to­riker auf die COVID-Ära zurück­blicken, werden sie sagen, dass Ame­rikas “Ope­ration Warp Speed” unter Prä­sident Donald J. Trump ein Triumph der Wis­sen­schaft und Logistik war.

Während die Ent­wicklung eines Impf­stoffs gegen Ebola – der bis­herige Welt­rekord – fünf Jahre dauerte, dauerte es im Westen weniger als ein Jahr, um mehrere Impf­stoffe gegen COVID zu ent­wi­ckeln, haupt­sächlich unter Druck und mit Mitteln der US-Steu­er­zahler. Bald erkannte die US-Regierung, dass die Her­aus­for­derung auch logis­tisch war. Es ist schön und gut, einen Impf­stoff zu ent­wi­ckeln, aber er muss auch in großen Mengen her­ge­stellt und dann ver­teilt werden.

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Auf Ersuchen der US-Regierung wurden innerhalb weniger Monate ganze Fabriken gebaut, um den Impf­stoff (der zu diesem Zeit­punkt noch nicht ent­wi­ckelt worden war) her­zu­stellen, dessen Umfang und Massstab den US-ame­ri­ka­ni­schen Kriegs­in­dus­trie­be­mü­hungen von 1941 nicht unähnlich waren. Als es an der Zeit war, den Impf­stoff zu ver­teilen, ver­wendete die US-Regierung das beste Werkzeug, das ihr zur Ver­fügung stand: das US-Militär. Am Ende wird das US-ame­ri­ka­nische Mas­sen­impf­pro­gramm in einem bei­spiel­losen Zeit­rahmen durch­ge­führt. Prä­sident Biden sagte Anfang März, dass die USA bis Ende Mai über genügend Impf­stoffe ver­fügen werden, um jeden Ame­ri­kaner zu impfen – zwei Monate früher als erwartet.

Im Ver­gleich zu den USA ist das Scheitern der EU total. Während in Europa die Her­aus­for­derung nur darin bestand, den Impf­stoff her­zu­stellen und zu ver­treiben, schei­terte die EU bei beiden Punkten kläglich. Das euro­päische Impf­pro­gramm liegt jetzt weit hinter dem US-ame­ri­ka­ni­schen Pro­gramm und noch weiter hinter dem von Israel und Groß­bri­tannien nach dem Brexit zurück.

Nach aktu­ellen Daten wird die Nor­ma­li­sierung in Europa ein Jahr hinter der in Amerika und Groß­bri­tannien zurück­bleiben. Dieses Jahr ist eine grausame Vielzahl von Defi­ziten, Insol­venzen und per­sön­lichen Kata­strophen. Relativ gesehen deutet dies auf eine massive wirt­schaft­liche Regression hin, die die EU im Ver­gleich zum Rest der Welt erwartet.

Das Impf­stoff­ma­nagement der EU ist ein Metonym für die EU: eine tra­gische Farce in den Händen von Ideo­logen, die ebenso beschränkt wie inef­fi­zient sind. EU-Eliten sind schwach, feige und klein­mütig, weil sie wissen, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes nie­manden demo­kra­tisch ver­treten – sie werden nicht demo­kra­tisch gewählt, sie sind nicht trans­parent und sie sind nie­mandem gegenüber rechen­schafts­pflichtig. Sie sind letzt­endlich das Spielzeug von Regie­rungen, die sich nie einig sind – die aber die Legi­ti­mität haben, wirklich demo­kra­tisch zu sein: gewählt, trans­parent und rechen­schafts­pflichtig. Es gibt auch keinen Mecha­nismus für Bürger, um jemanden abzuwählen, falls sie dies wünschen.

Mensch­liche Ver­nunft wäre, die EU auf einen Bin­nen­markt, ein Gebiet ohne Bin­nen­grenzen oder andere regu­la­to­rische Hin­der­nisse für den freien Waren- und Dienst­leis­tungs­verkehr zurück­zu­führen. Die ideo­lo­gische Hybris, die den euro­päi­schen Insti­tu­tionen und ihren ideo­lo­gi­schen Spon­soren Leben ver­leiht, wird sie auf Kosten des euro­päi­schen Volkes und seiner vitalen Inter­essen in die ent­ge­gen­ge­setzte Richtung treiben – in die Richtung einer immer stär­keren Zentralisierung.

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Drieu Gode­fridi, ein klas­sisch-libe­raler bel­gi­scher Autor, ist der Gründer des Hayek-Instituts in Brüssel. Er hat einen Dok­tor­titel in Phi­lo­sophie von der Sor­bonne in Paris und leitet auch Inves­ti­tionen in euro­päische Unternehmen.


Quelle: gatestoneinstitute.org