Gast­beitrag des Instituts für Demo­graphie, All­ge­meinwohl und Familie e.V.: Die große Heu­chelei in der Abtreibungsfrage

In Brüssel unter­nimmt der Frau­en­aus­schuss des EU-Par­la­ments erneut den Versuch, mittels einer Par­la­ments­ent­schließung ein „Men­schen­recht auf Abtreibung“ ein­zu­führen. Schon in der Legis­la­tur­pe­riode zwi­schen 2009 und 2014 gab es einen Versuch unter der Feder­führung der por­tu­gie­si­schen Abge­ord­neten Edite Estrela.

Gleich­zeitig lief die Euro­päische Bür­ger­initiative „1‑von-uns“ zum Schutz des mensch­lichen Embryos in der EU-Politik. Anlass dieser Aus­ein­an­der­set­zungen um das natür­liche Recht auf Leben ab der Befruchtung und das poli­tisch her­bei­ge­redete „Men­schen­recht auf Abtreibung“ war ein Grund­satz­urteil des EuGHs zur jetzt uni­onsweit gel­tenden Defi­nition des Aus­drucks „mensch­licher Embryo“: „Der Mensch ist ab der Befruchtung ein Mensch“ (Urteil C‑34/10 vom 18. Oktober 2011, Oliver Brüstle gegen Gree­en­peace eV). Nach zwei Jahren inten­siver par­la­men­ta­ri­scher und öffent­licher Aus­ein­an­der­setzung, zwei Anläufen im Aus­schuss und im Plenum, schei­terte der „Estrela-Bericht“ schließlich. Frau Estrela wurde nicht mehr als Kan­di­datin zur EU-Wahl in Por­tugal auf­ge­stellt. Es herrschten fünf Jahre ver­hält­nis­mäßige Ruhe (2014–2019). Kaum war jedoch das neue EU-Par­lament nach den Wahlen 2019 kon­sti­tuiert, bean­tragte der Frau­en­aus­schuss erneut, einen „Initia­tiv­be­richt über die Lage im Hin­blick auf die sexuelle und repro­duktive Gesundheit und die die damit ver­bun­denen Rechte in der EU im Zusam­menhang mit der Gesundheit von Frauen“ zu erar­beiten. Bericht­erstatter ist heute der kroa­tische Sozi­al­de­mokrat Predrag Fred Matic. Von alledem haben Sie bis jetzt noch nichts gehört? Kein Wunder. Die coro­nabe­dingten Arbeits­be­din­gungen am Place Luxem­bourg im Brüs­seler Euro­pa­viertel führen schließlich zu einem Höchstmaß an demo­kra­ti­scher Verschlossenheit.

Aber jetzt kommt der Berichts­entwurf von Predrag Fred Matic an die Öffent­lichkeit. Er ist die Wie­der­vorlage des frü­heren Estrela-Berichts. Einzige sub­stan­tielle Änderung ist die par­la­ments­in­terne Ver­fah­rens­nummer, sie lautet nunmehr „2020/2215 (INI)“. Über die inhalt­liche Deckungs­gleichheit braucht man sich nicht zu wundern, weil die­je­nigen Abtrei­bungs­lob­by­isten, die bereits Frau Estrela die Feder hielten, auch bei Herrn Matic aktiv waren. Der Titel des Initia­tiv­be­richts ist erneut ein Bei­spiel dafür, wie eine Nicht­zu­stän­digkeit der EU (nämlich Abtreibung in den Mit­glieds­staaten) durch miss­ver­ständ­liche Euro­kraten-Schön­wort­rhe­torik zu einer EU-Zustän­digkeit umge­dichtet werden: „Lage im Hin­blick auf“ „Gesundheit“, „Rechte der Frauen“, „Gesundheit der Frauen“ — selbst­ver­ständlich hat auf den ersten Blick niemand etwas gegen einen Lage­be­richt über den Zustand der Frau­en­ge­sundheit in der EU. Doch darum geht es über­haupt nicht! Das EU-Par­lament soll mit ein­facher Mehrheit ent­scheiden, dass Abtreibung ein Men­schen­recht sei, in der EU und überall auf der Welt.

503 Ände­rungs­an­träge wurden ein­ge­reicht, bis heute wurden daraus 43 Kom­pro­misse zusam­men­ge­schustert. Die Truppen bringen sich in Stellung. Es bedarf einer erneu­erten, moti­vierten und effi­zi­enten Lebens­rechts­schutz­be­wegung in Deutschland und in den anderen Mit­glieds­staaten der Union, um diese Abstimmung zu ver­hindern. Zumal die per­so­nelle Auf­stellung bei den Christ­de­mo­kraten kein gutes Ende vor­aus­sehen lässt. Die Euro­pa­ab­ge­ord­neten von CDU, CSU und ÖVP lassen sich aus­ge­rechnet von Frau Francis Fitz­gerald aus Irland bei den Ver­hand­lungen ver­treten. Frau Fitz­gerald war Jus­tiz­mi­nis­terin in Dublin und eine der Gal­li­ons­fi­guren im Refe­rendum zur weit­ge­henden Libe­ra­li­sierung von Abtreibung in Irland. Klartext: die schärfste Abtrei­bungs­be­für­wor­terin bei den Christ­de­mo­kraten leitet die Ver­hand­lungen. Warum lassen CDU, CSU und ÖVP das zu?

Die Christ­de­mo­kraten von Manfred Weber (CSU) sind in Brüssel offenbar nicht mehr wirklich gegen ein „Men­schen­recht auf Abtreibung“. Sie waschen, Pilatus gleich, ihre Hände in Unschuld und schieben ihr „Mittun durch unter­las­senen Wider­stand“ auf die bestehenden Mehr­heits­ver­hält­nisse. Da kann Manfred Weber, Söders Vize-Chef im Münchner CSU-Par­tei­prä­sidium, noch so viele schöne Zei­tungs­ar­tikel in Auftrag geben, um seine Kindheit als katho­li­scher Ober­mi­nis­trant in Wahl­kampf­ar­gu­mente der Blau-Weißen umzu­münzen. In Brüssel täu­schen die rhe­to­risch-kos­me­ti­schen Ände­rungs­an­träge einen poli­ti­schen Wider­stand der Christ­de­mo­kraten nur vor. Sie ebnen so den Weg für die gemeinsame Sache mit den Grünen und den Sozi­al­de­mo­kraten. Es nützt also wenig, dass CDU und CSU nach dem Weggang der unga­ri­schen Fidesz-Abge­ord­neten in der EVP zah­len­mäßig noch mehr Ein­fluss haben. Sie nutzen ihn ja nicht. Wer die 274 Seiten Ände­rungs­an­träge zum Matic-Bericht auf­merksam durch­liest, stellt fest, dass die ein­zigen Strei­chungs­an­träge und sub­stan­ti­ellen inhalt­lichen Ände­rungen zugunsten des Schutzes des unge­bo­renen Lebens sowie von Ehe und Familie von Christine Anderson und Nikolaus Fest ein­ge­reicht wurden, die für die AfD im Frau­en­aus­schuss des Euro­pa­par­la­ments sitzen. Wer das nach­prüfen will, findet die Ände­rungs­an­trags­bücher jeweils unter den Kenn­ziffern PE662.044v01-00 und PE662.097v01-00 im Internet.

Doch auch die Abtrei­bungs­be­für­worter sind sich ihrer Sache noch nicht ganz sicher. Des­wegen ver­an­staltete der Frau­en­aus­schuss in Zusam­men­arbeit mit dem „Son­der­aus­schuss zur Ein­fluss­nahme aus dem Ausland auf alle demo­kra­ti­schen Pro­zesse in der Euro­päi­schen Union, ein­schließlich Des­in­for­mation“ eine öffent­liche Anhörung am 25. März zum Thema „Aus­län­dische Finan­zierung und Ein­fluss­nahme von Lebens­rechts­schutz­or­ga­ni­sa­tionen in der EU“. Eine fatale Pre­mière, die einmal mehr die Ehre des EU-Par­la­ments infrage stellt. Im Rahmen einer offi­zi­ellen Par­la­ments­ver­an­staltung wurden Lebens­rechts­schutz­or­ga­ni­sa­tionen von ihren Oppo­nenten öffentlich dif­fa­miert. Das kam seit 1999 nicht mehr vor. Aber es zeigt, wie sehr die Nerven blank liegen — und das auch die Abtrei­bungs­lob­by­isten nicht auf eine solide Mehrheit im EU-Par­lament rechnen können.

Beide Aus­schüsse werden von Sozi­al­de­mo­kraten geleitet. Das erweitert den Hand­lungs­spielraum der Abtrei­bungs­ak­ti­visten, zumal von der christ­lichen Volks­partei kein Wider­stand kommt. Es war die Frak­ti­onsvize der Grünen im EU-Par­lament, Alica Bah Kuhnke aus Schweden, die den Bezug zwi­schen der insti­tu­tio­nellen Dif­fa­mierung von Lebens­rechts­schutz­or­ga­ni­sa­tionen und dem neuen Versuch, ein Lebens­recht auf Abtreibung ein­zu­führen, her­stellte. Auf der Tages­ordnung standen vier „euro­päische Experten“, die jedoch nicht nur alle aus dem­selben poli­ti­schen Lager kamen, sondern auch aus­nahmslos von US-Stif­tungen und US-Kon­zernen für ihre Abtrei­bungs­lob­by­tä­tigkeit finan­ziert werden: Caroline Hickson (IPPF Europa), Véro­nique Sehier (IPPF Frank­reich), Neil Datta (Gene­ral­se­kretär der Arbeits­gruppe für Abtreibung und Bevöl­ke­rungs­planung des EU-Par­la­ments) und Claire Provost („Open­So­ciety“).

Diese „Experten“, die über die aus­län­dische Finan­zierung von euro­päi­schen Lebens­rechts­schutz­in­itia­tiven lamen­tierten, werden maß­geblich von US-ame­ri­ka­ni­schen Stif­tungen und Kon­zernen finan­ziert. An diesem 25. März wohnte man im EU-Par­lament einer dem euro­päi­schen Gedanken wirklich unwür­digen Insze­nierung alt­ba­ckener links­li­be­raler Politik-Akti­visten bei, die im Grunde nichts Anderes machen, als das, was sie von der hoch­of­fi­zi­ellen Tribüne des EU-Par­la­ments aus ihren poli­ti­schen Kon­kur­renten vor­werfen: nämlich ihre poli­ti­schen Ideen maxi­mal­ef­fi­zient zu ver­treten und in die demo­kra­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zesse der zustän­digen Insti­tu­tionen ein­fließen zu lassen. Sie beschwerten sich, dass sich Bürger, denen das Recht auf Leben der unge­bo­renen Kinder wichtig ist, sich in das demo­kra­tische Leben der Gesell­schaft ein­mi­schen. Dabei wird doch das genau immer wieder gefordert. Nun jedoch wird das Recht auf freie Mei­nungs­äu­ßerung stig­ma­ti­siert, wenn es dieses Recht zugunsten des unge­bo­renen Lebens wahr­ge­nommen wird. Auf gut deutsch: Das ist Heu­chelei hoch drei.

Viel­leicht erinnern wir kurz vor Ostern an ein Datum aus der Reli­gi­ons­ge­schichte. Die Staats­bürger katho­li­scher Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rigkeit fei­erten weltweit am 25. März das Hochfest der „Ver­kün­digung des Herrn“: neun Monate vor dem 24. Dezember sagt Maria gemäß der Über­lie­ferung „Fiat — mir geschehe nach Deinem Wort“ und seitdem trug sie das Leben ihres Sohnes Jesus in sich. Hätte es damals schon das Bevöl­ke­rungs­pro­gramm der Ver­einten Nationen, Ent­wick­lungs­hil­fe­mi­nis­terien und „Pro Familia“ gegeben, wäre die Welt­ge­schichte viel­leicht anders ver­laufen. Und so ist es viel­leicht kein Zufall, dass das argu­men­tative Elend der Abtrei­bungs­be­für­worter in einer öffent­lichen Anhörung des EU-Par­la­ments an einem 25. März offenbar wurde. Positiv gesehen: Es könnte der Weckruf sein, um die Bewe­gungen für den Schutz des Lebens­rechts in den Mit­glieds­staaten aus ihrem gemein­schaft­lichen Dorn­rös­chen­schlaf zu befreien, in den sie seit der erfolg­reichen Bür­ger­initiative „1‑von-uns“ gefallen sind, und jetzt die neue Her­aus­for­derung annehmen, den Matic-Bericht zum Scheitern zu bringen, so wie 2014 den Vor­läufer namens Estrela. Es wäre eine Art Auf­er­stehung für das Leben.


Quelle: freiewelt.net