Die Firmungsfeier in der katholischen Gemeinde Sankt Margareta in Düsseldorf-Gerresheim ist ein exemplarischer Fall für das Schwinden des Vertrauens der Menschen in die Kirche. Rainer Maria Kardinal Woelki vom Erzbistum Köln kündigte sich zur Firmung in der Gemeinde an. Die fühlte sich jedoch nicht geehrt, sondern reagierte brüskiert. Hintergrund sind Vorfälle, in denen zwei Priester der Gemeinde in der Vergangenheit Minderjährige missbraucht hatten. Kardinal Woelki habe die Aufklärung eher behindert, statt Aufarbeitung und Transparenz zu praktizieren.
Düsseldorf-Gerresheim wird gerade ein bekannter Ort. Zumindest in katholischen Kreisen. Hier kommt es zum ersten Mal zu einer klaren Konfrontation zwischen Gläubigen und der kirchlichen Obrigkeit. In dieser Gemeinde wirkten zwei Priester, denen sexuelle Übergriffe gegen Kinder vorgeworfen werden, ein Problem der katholischen Kirche allgemein, das in den letzten Jahren in seiner ganzen Hässlichkeit unter dem Mantel des Schweigens hervorgezerrt wurde.
So beispielsweise „Pfarrer D“. Dieser stand im Verdacht, Kinder sexuell zu belästigen. Tatsächlich gestand der Pfarrer später ein, Verkehr mit einem 17jährigen Prostituierten gehabt zu haben, mehr soll nicht passiert sein – oder es war nicht zu beweisen. Doch statt den Pfarrer aus Düsseldorf abzuziehen und in einer Aufgabe einzusetzen, wo er keinen Außenkontakt, insbesondere nicht zu Minderjährigen gehabt hätte, beförderte Kardinal Woelki den Pfarrer auch noch zum stellvertretenden Düsseldorfer Stadtdechanten. Dort blieb er allen Protesten zum Trotz im Amt und wurde erst vor kurzem beurlaubt, als die Rücktrittsforderungen gegen Kardinal Woelki immer lauter wurden.
Ein zweiter Geistlicher, „Pfarrer O“, soll einen schweren Missbrauch gegen ein Kind verübt haben. Der Pfarrer ist mittlerweile verstorben. Kardinal Woelki nahm bei seinem Amtsantritt in Köln 2015 diese Geschehnisse „zur Kenntnis“, mehr aber nicht. Weder veranlasste der Kardinal eine kirchenrechtliche Voruntersuchung, noch meldete er die Tat in Rom bei der zuständigen Stelle. Darauf von der Gemeinde angesprochen, rechtfertigte er seine Untätigkeit damit, dass der beschuldigte Pfarrer O. bereits unter fortgeschrittener Demenz leide, so dass eine Befragung unmöglich geworden sei.
Unter dem Druck der Gläubigen und der kritischen Medienberichte ließ Kardinal Woelki dann ein Missbrauchsgutachten erstellen. Das Aufarbeitungsgutachten ließ Kardinal Woelki nicht veröffentlichen. Er hielt es für „fehlerhaft und nicht rechtssicher“. In einem zweiten Gutachten, erstellt von den Strafrechtlern Björn Gercke und Kerstin Stirner, bescheinigen die Juristen hohen Amtsträgern im Erzbistum mehrfaches Fehlverhalten im Umgang und der Aufarbeitung der vorgefallenen Missbrauchsfälle. Insbesondere der Vorgänger Kardinal Woelkis, Alterzbischof Joachim Kardinal Meisner, ist für ein Drittel der Pflichtverletzungen verantwortlich.
“In 14 Aktenvorgängen habe es 24 Pflichtverletzungen gegeben, sechs Mal habe er seine Aufklärungs‑, neun Mal die Melde‑, zwei Mal die Sanktionierungs- und einmal die Verhinderungspflicht verletzt. Zudem sei er fünf Mal seiner Pflicht zur Opferfürsorge nicht nachgekommen. Zudem habe Meisner zusätzlich zu den Archiven des Erzbistums einen eigenen, ‚Brüder im Nebel‘ betitelten Ordner geführt, in dem er laut Gercke ‚geheimhaltungsbedürftige Unterlagen aufbewahrt‘ habe.“
Das ist dann schon eine bewusste und aktive Verschleierung und da in Köln „Karneval“ und „Kardinal“ eng zusammenliegen, hatte daraufhin ein Karnevalsverein, der Kardinal Meisner eine ehrende Auszeichnung verliehen hatte, dieselbe posthum wieder zurückgezogen.
Insgesamt 75 Pflichtverletzungen weist das Gercke-Gutachten acht hohen Amtsträgern des Bistums nach.
Rainer Maria Kardinal Woelki selbst, der unter Joachim Kardinal Meisner Geheimsekretär und später Weihbischof war, wird in dem Gutachten juristisch nicht mit einem Fehlverhalten belastet. Daher sieht er auch keinen Anlass, die Rücktrittforderungen ernst zu nehmen. Kirche sei „vom Selbstverständnis her keine demokratische Partei“ beschied er seine aufgebrachten Schäflein bündig.
Genau das ist es, was die Basis stört. Die Unterzeichner werfen Woelki vor, sich im Zuge der Missbrauchsaufarbeitung auf „rein juristisch verwertbare Tatbestände“ zu fixieren. Dies reiche nicht aus, schreiben sie weiter: „Wir brauchen auch eine systemische, moralische und theologische Aufarbeitung. Die Konsequenzen daraus müssen umgesetzt werden.“ Man könne nicht erkennen, dass Woelki diese Verantwortung wahrnehme. Viele Engagierte dächten „sehr ernsthaft“ über einen Kirchenaustritt nach: „Wir haben das Vertrauen verloren, dass mit Ihnen als Erzbischof ein Neuanfang gelingen kann.“
Das sehen nicht nur Gläubige so. Der Hamburger Historiker Thomas Großbölting, der zur Zeit eine unabhängige Missbrauchsstudie für das Bistum Münster erstellt, ist der Meinung, dass es für einen „Repräsentanten einer religiösen Gemeinschaft mit hohem Selbstanspruch indiskutabel“ sei, einfach nicht zurückzutreten. Kardinal Woelki aber denkt gar nicht daran. Im Gegenteil: „Die moralische Verantwortung einfach mitnehmen und gehen zum Schutz des Ansehens von Bischofsamt und Kirche — das ist mir zu einfach.“ Ein solcher Rücktritt „wäre nur ein Symbol, das nur für eine kurze Zeit hält“.
Stattdessen lud sich der Kardinal selbst in Düsseldorf-Gerresheim zur Firmungsfeier ein. Das hatte der Gemeinde gerade noch gefehlt. Man bat ihn höflich, von der Firmung abzusehen. Kardinal Woelki sah nicht ab. Daraufhin verfasste die Gemeinde den Offenen Brief, den die Rheinische Post veröffentlichte, allerdings leider hinter einer Bezahlschranke. In diesem heißt es, man habe durch die Gemeindeleitung und ‑mitglieder den Kardinal bereits früher gebeten, von der Firmung abzusehen. „Sie halten trotzdem an Ihrer Absicht fest. Wir fühlen uns dadurch ein weiteres Mal missachtet.“ Zu den Unterzeichnern zählt auch die frühere Düsseldorfer Bürgermeisterin und FDP-Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann.
Am kommenden Donnerstag ist nun ein Gespräch zwischen Woelki, Mitgliedern des Pfarrgemeinderats und weiteren Vertretern der Gemeinde geplant. Auch hier kommt Kritik im offenen Brief: „Medienvertreter sind dazu von Ihnen nicht gewünscht. Einen offenen Dialog auf Augenhöhe stellen wir uns anders vor!“
In dem Offenen Brief heißt es weiter, das Sakrament der Firmung könne nur jemand vollziehen, „der als Christ in seinem Amt und in seinem Handeln glaubwürdig ist. Sie sind das leider für uns nicht mehr“. Die Firmungsfeier dürfe nicht instrumentalisiert werden, um „den verlorenen Kontakt zur Basis“ zu suchen — und umgekehrt auch nicht für Protestaktionen.
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