Schweiz und EU im Luftkampf

Ganz Europa ist von der Brüs­seler Büro­kratie besetzt. Ganz Europa? Ein von unbeug­samen Hel­ve­tiern bevöl­kertes Dorf hört nicht auf, dem Ein­dringling Wider­stand zu leisten. Oder, um es ganz ohne Asterix und Bezug auf die Römer zu sagen: die Schweiz geht den EU-Granden gerade mächtig aufs Brüs­seler Gebäck. Vor zwei Jahren klang Kom­mis­si­onschef Juncker noch zuver­sichtlich, was das Rah­men­ab­kommen mit der Schweiz anbe­langte. Man wolle das „Flickwerk aus mehr als 100 Ver­trägen“ endlich zusam­men­fassen und in die reni­tenten Alpen­täler EU-Recht ein­ziehen lassen. Als Dau­men­schraube hatte man sich die Bör­sen­equi­valenz aus­ge­sucht und drohte der Schweizer SIX mit dem Ende des Markt­zu­gangs zur EU. Der Ausgang dieses Arm­drü­ckens ist bekannt, die Schweiz stand vom Tisch auf und ging, weil sie sich nicht über sel­bigen ziehen lassen wollte.

Den Jün­geren und aus­schließlich unter der Sonne Brüssels (L’Europe, c’est moi!) sozia­li­sierten Men­schen muss man das meist erklären, aber die Schweiz ist in der Tat ein zwar kleines und mitten in der EU gele­genes, aber auch extrem erfolg­reiches und noch dazu unab­hän­giges Land mit eigenen Gesetzen, eigenen (und alten) basis­de­mo­kra­ti­schen Tra­di­tionen und einem dichten Haar­ansatz am Nacken, der sich zur Igel­pracht auf­stellen kann, wenn man ver­sucht, die Eid­ge­nossen beim Genick zu packen um ihnen zu sagen, was sie wirklich, wirklich wollen sollen.

Natürlich, ihr Geld nimmt man gern, wie auch jene Mil­li­arden, die Bern im Zuge der Ver­hand­lungen zum Rah­men­ab­kommen zur Unter­stützung der 2004 neu der EU bei­getre­tenen Ost­eu­ro­päi­schen Staaten zahlte. Nach dem Scheitern der Ver­hand­lungen 2021 wollte Brüssel die noch aus­ste­henden Gelder kur­zerhand in „Markt­zu­tritts­ge­bühren“ umwandeln, also in eine Art Strafzoll, der natürlich auch mal neu ver­handelt und somit zum Instrument der Ewigkeit werden könnte. Der Schweizer Bun­desrat wit­terte die Falle und lehnte die dis­kri­mi­nie­rende Umwidmung ab. Vorerst.

Zwei Ohr­feigen zum Preis einer

Doch 2021 scheint für die EU in der Schweiz „Happy Aua“ zu sein: es gibt zwei Ohr­feigen zum Preis von einer. Denn auch in einer wich­tigen und teuren Ent­scheidung zur Lan­des­ver­tei­digung ver­teilte Bern Körbe in der EU. Die Schweizer Luft­waffe wird weder die fran­zö­si­schen „Rafale“ noch die „Euro­fighter“ von Airbus anschaffen, sondern ins­gesamt 36 Stück der „F‑35A“ des ame­ri­ka­ni­schen Her­stellers Lockheed Martin kaufen.

Die NZZ duckt sich gleich weg und fürchtet, der große blaue Bruder mit den 27 Sternen könnte sauer werden, weil in den Alpen nun ame­ri­ka­nische Kampfjets durch die Wolken stoßen. Man wäre doch gerade jetzt „in Europa auf Goodwill ange­wiesen“. Das klingt so ehrlich und mutig wie die Klage eines Geschäfts­manns im Chicago der 1920er Jahre, die ita­lie­nische Mafia doch bitte nicht zu hart anzu­gehen, weil er Angst um seine Schau­fenster hat. Sind wir schon so weit, dass der­artige sou­veräne Ent­schei­dungen zu „Kon­se­quenzen“ führen?

Die Schweizer, prag­ma­tisch wie sie nun mal sind, hatten einen langen For­de­rungs­ka­talog auf­ge­stellt und die F‑35 erwies sich mit weitem Abstand als Punkt­sieger. Dass die Beschaffung am Ende sogar noch 2 Mil­li­arden Franken güns­tiger als bei der euro­päi­schen Kon­kurrenz ausfiel, darf als schönes Extra gebucht werden.

Frank­reich tobt

Stell­ver­tretend für Frank­reich und die ver­schmähte Braut „Rafale“ tobt Chris­tophe Grudler, EU-Abge­ord­neter aus dem Stall von Prä­sident Macron. Er gibt dem Tages­an­zeiger ein Interview und kocht dabei wie ein Topf fran­zö­sische Zwie­bel­suppe. Er dampft und zischt und lässt die empörten Phrasen wie heiße Tröpfchen auf den ver­nunft­kalten Schweizer Glet­schern nie­der­gehen. Worte, die bei kühler Betrachtung nicht von einem im Wett­bewerb unter­le­genen Bieter, sondern von einem belei­digten Kleinkind zu kommen scheinen, dem man das Sand­kas­ten­spielzeug ver­steckt hat.

„Die F‑35 ist ein Flugzeug, das enorme tech­nische Pro­bleme hat. […] Das Flugzeug ist nicht zuver­lässig und trifft nicht einmal richtig.“ 

Mit anderen Worten: die Schweizer sind dumm und kaufen Schrott, weil sie zu viel Geld haben. Außerdem würden die Ame­ri­kaner Druck ausüben – was die Europäer bekanntlich nie tun! Die ver­suchen stets nur „gute Partner zu sein“. Auch den Einwand des Tages­an­zeigers, die Schweiz sei ein sou­ve­ränes Land, wischt Grudler vom Tisch:

„Die Schweiz soll mir nicht mehr mit Unab­hän­gigkeit kommen. Wir haben jah­relang ver­sucht, beim Rah­men­ab­kommen zu Lösungen zu kommen. Dann hat uns die Schweiz beschieden, dass ein Abschluss mit der Sou­ve­rä­nität des Landes nicht zu ver­ein­baren sei. Zwei Wochen später beschliesst der Bun­desrat einen Infor­matik-Gross­auftrag mit dem chi­ne­si­schen Alibaba-Konzern und vier ame­ri­ka­ni­schen Unter­nehmen. Und jetzt kauft die Schweiz ame­ri­ka­nische Kampfflugzeuge…“

Merken Sie was, liebe Leser? Für Grudler begründet jeder Ver­trags­ab­schluss eine Abhän­gigkeit. Nach dem Scheitern des Rah­men­ab­kommens sollte die Schweiz auch keine anderen Ver­träge abschließen. Nie wieder!

„Ihre Regierung sagt uns damit, dass sie lieber von China und den USA abhängt, als gute Bezie­hungen zu den euro­päi­schen Nachbarn zu haben.“

Schon wieder: Abhän­gigkeit von USA und China böse, Bezie­hungen zur EU guuuut! Das sind ja keine Abhän­gig­keiten, das ist ja ganz was anderes:

„Das wäre […] ein Signal gewesen, dass die Schweiz ihre Beziehung nach dem Nein zum Rah­men­ab­kommen repa­rieren will. Dass die Schweiz wei­terhin eine gute Zusam­men­arbeit mit der Euro­päi­schen Union wünscht und deshalb ein euro­päi­sches Flugzeug kauft.“

Die Schweiz hat der EU das Popcorn ver­weigert und deshalb wollte man in Brüssel nun mit dem Kampfjet-Deal wenigstens die Cola haben. Als Wie­der­gut­ma­chung! Das steht der EU zu! Denn die Schweiz, das muss man wissen, ist in den Augen Frank­reichs, Brüssels oder Berlins offenbar gar kein rich­tiges Land, das seinen Bürgern auch einen äußeren Schutz schuldet, sondern ein gebir­giges Kas­per­le­theater, das keine echte Ver­tei­digung braucht, sondern durch den Kauf von euro­päi­schen Rüs­tungs­gütern seinen Nachbarn gefallen muss.

Deutschland ver­steht nicht

War das zu hart? Wohl kaum, denn auch die deutsche Bot­schaft in Bern bläst in fast das­selbe Horn. Nicht so offen­sichtlich in der Ehre ver­letzt wie der fran­zö­sische Abge­ordnete, sondern mit einer geradezu ent­waff­nenden intel­lek­tu­ellen Min­der­leistung. Offenbar habe die Schweiz „nur die mili­tär­tech­nische Bewertung berück­sichtig“, was man in Deutschland sehr bedaure. Die Ame­ri­kaner sollten sich über diese kos­tenlose Werbung für die F‑35A unbe­dingt bedanken.

Manchmal möchte ich manche meiner Lands­leute gern an den Ohren packen und kräftig schütteln und brüllen: „Nur mili­tär­tech­nische Bewertung bei der Anschaffung von Rüs­tungs­gütern? Ja was denn sonst?!“ Doch dann wird mir klar, dass diese fluide Auf­fassung von Sinn und Zweck von Rüs­tungs­aus­gaben auch den deso­laten Zustand unserer Bun­deswehr perfekt erklärt.

Airbus hatte ein Flugzeug ange­boten, dass „ideal für den Luft­po­li­zei­dienst geeignet“ sei, die Schweiz wollte aber wohl ernst­hafte Kampf­flug­zeuge haben für den Fall, dass man diese mal brauchen würde. Das heißt, wenn es gut läuft, nie. Auch das Bukett von Extras, mit der das Euro­fighter-Kon­sortium der Schweiz ihren Flieger schmackhaft machen wollte, kam den Eid­ge­nossen wohl eher wie eine Art „Brüs­seler Sei­den­straße“ vor, die man bei der Gele­genheit durch die Schweiz zu schlagen gedachte.

Die NZZ spricht von: „…zahl­reiche Koope­ra­tionen in den Bereichen mili­tä­rische Zusam­men­arbeit, Energie, Wirt­schaft, Wis­sen­schaft, Umwelt- und Ver­kehrs­po­litik, digitale Tech­no­logien, Cyber­si­cherheit und Infra­struk­tur­pro­jekte [wurden] im Paket mit ange­boten. Airbus reichte ein 700 Seiten starkes Dossier ein, in dem es einzig um Off­set­ge­schäfte ging.“ 

Aus sowas ergeben sich ja keine Abhän­gig­keiten, sondern nur große und immer­wäh­rende Freund­schaft. Fragen sie mal in Peking nach.Fazit

Um ehrlich zu sein: ich weiß auch nicht, welches der ange­bo­tenen Flug­zeuge das richtige für die Schweiz gewesen wäre. Viel­leicht ist es die F‑35, viel­leicht auch nicht. Ich kann die Frus­tration ver­stehen, in der die unter­le­genen Bieter Frank­reich und Deutschland nun stecken. Ihre Reak­tionen auf die Ent­scheidung der Schweiz gehört jedoch in die unterste Schublade, die man schnell schließen sollte. Es spielt nämlich unter dem Strich keine Rolle, was man in Brüssel, Berlin, Paris oder Washington über die Ent­scheidung des Bun­desrats in Bern denkt.

In dieser Sache hat die EU, haben Frank­reich und Deutschland schlicht kein Mit­spra­che­recht in der Schweiz und jetzt, da das Rah­men­ab­kommen Geschichte ist, wird es höchste Zeit, dies zu akzep­tieren und auf Grundlage von Freund­schaft und bila­te­ralen Ver­trägen endlich das zu sein, was man sich in der EU gern selbst aufs Revers schreibt: gute Nachbarn und gute Geschäfts­partner. Und wenn AKK nett fragt, kann die Schweizer Luft­waffe viel­leicht künftig auch den deut­schen Luftraum schützen. Geeig­netes Gerät wird gerade beschafft.


Quelle: unbesorgt.de