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Was der Westen aus Chinas Krieg gegen Indien lernen kann

Ein Jahr nachdem China einen Angriff auf die umstrittene Grenze zwi­schen Indien und China im Himalaya ange­ordnet hat – der sich zu einer Situation ver­schlim­merte, bei der 20 indische und mehrere chi­ne­sische Sol­daten getötet wurden – bleibt die Spannung entlang der Grenze hoch.

(von Judith Bergman)

“Chinas Besetzung umstrit­tener Grenz­ge­biete seit Mai 2020 ist die schwerste Eska­lation seit Jahr­zehnten und führte zum ersten töd­lichen Grenz­kon­flikt zwi­schen den beiden Ländern seit 1975”, heißt es im Bericht “2021 Annual Threat Assessment of the US Intel­li­gence Com­munity”, ver­öf­fent­licht am 9. April 2021 vom Büro des Direktors des Inlandgeheimdienstes.

Die mili­tä­ri­schen Span­nungen zwi­schen China und Indien reichen fast sechs Jahr­zehnte zurück bis zum chi­ne­sisch-indi­schen Krieg von 1962, als China begann, Indien anzu­greifen. Obwohl sich die Bezie­hungen später ver­bes­serten, bleibt der Schatten des Krieges teil­weise in Form von Unei­nigkeit zwi­schen den beiden Ländern über den genauen Verlauf der Grenze – oder der soge­nannten Line of Actual Control (LAC) – bestehen.

Im Januar hat China Berichten zufolge fast 10.000 Sol­daten aus umstrit­tenen Gebieten auf seiner Seite der LAC abge­zogen, während die Front­sol­daten an Ort und Stelle gehalten wurden. Trotz 11 Gesprächs­runden – die jüngste am 9. April – bleibt eine Dees­ka­lation schwer fassbar. China weigert sich, sich von zwei Rei­bungs­punkten in Hot Springs und Gogra zurückzuziehen.

Im Mai for­derte der indische Armeechef, MM Naravane, die indi­schen Truppen auf, die chi­ne­si­schen Akti­vi­täten entlang der LAC genau im Auge zu behalten. Chinas Volks­be­frei­ungs­armee (PLA) hat Berichten zufolge mit jähr­lichen Kriegs­übungen in “inten­siven Gebieten … 100 bis 250 km von der tat­säch­lichen Kon­troll­linie (LAC) ent­fernt” begonnen.

Chinas Grenz­ak­tionen gegen Indien wurden als Sala­mi­taktik bezeichnet. China scheint zu ver­suchen, sein Ter­ri­torium durch schritt­weise Ope­ra­tionen zu domi­nieren, die jede für sich zu klein sind, um inter­na­tionale Auf­merk­samkeit zu erregen, und nicht groß genug, um einen tat­säch­lichen Krieg mit Indien aus­zu­lösen – aber aus­rei­chend, um im Laufe der Zeit reale Resultate in Form von gewon­nenem Ter­ri­torium zu erzielen. Es ähnelt der Taktik, die China im Süd­chi­ne­si­schen Meer ein­ge­setzt hat.

China scheint in seiner offen­sicht­lichen Ambition, die domi­nie­rende Macht der Welt zu werden, darauf bedacht zu sein, das benach­barte Indien in Bereichen zu unter­werfen, in denen die beiden Länder nicht über­ein­stimmen. Zu diesem Zweck nutzt China den Krieg in der Grauzone, ein Manöver, bei dem das Land zum Experten geworden ist, ins­be­sondere gegen Taiwan. Das Konzept beinhaltet Hand­lungen, die knapp an Krieg her­an­reichen – andere haben es als “indi­rekten Krieg” bezeichnet – aber der Zweck ist der gleiche: Wider­stand – oder einen wahr­ge­nom­menen Feind – zu über­winden, indem Ermattung her­bei­ge­führt wird.

“Die Ele­mente des indi­rekten Krieges sind bei Chinas Aktionen gegen Indien auf­fällig”, schrieb Brahma Chel­laney, Autor von “Water, Peace and War”, kürzlich in Foreign Affairs.

“China hat den indi­schen Sicher­heits­ap­parat durch unkon­ven­tio­nelle Instru­mente, ein­schließlich Cyber­an­griffe, seine Neu­ge­staltung der grenz­über­schrei­tenden Fliess­richtung von Flüssen und sein Knabbern an umstrit­tenen Himalaya-Ter­ri­torien stetig unter Druck gesetzt. Es ver­sucht, alle ver­füg­baren Mittel, aber ohne offenen Krieg, ein­zu­setzen, um Indiens Ambi­tionen ein­zu­schränken und Schläge gegen die Kern­in­ter­essen Indiens auszuführen.”

Indien ist eines der Länder der Welt, das den hef­tigsten Cyber­an­griffen aus­ge­setzt ist und China ist einer der Haupt­an­greifer. Im ver­gan­genen Juni bei­spiels­weise führte der Grenz­kampf zwi­schen chi­ne­si­schen und indi­schen Streit­kräften Berichten zufolge zu einem Anstieg der Cyber­an­griffe aus China um 200 %, wobei Hacker auf Minis­terien, Medi­en­or­ga­ni­sa­tionen und große Unter­nehmen abzielten. Im Juni 2020 wurden laut Brahma Chel­laney “min­destens 40.300 Ver­suche, Malware in indische Netz­werke ein­zu­schleusen” beobachtet.

“Indische Funk­tionäre ver­standen diese Bemü­hungen als ernste Warnung des Xi-Regimes: Wenn Indien in der Grenz­kon­fron­tation nicht Ruhe gibt, würde China in weiten Teilen des Landes das Licht aus­machen. Indien schickte in den fol­genden Monaten Truppen an die Grenze, und im Oktober wurde es in Mumbai dunkel.”

Der Strom­ausfall im Oktober in Mumbai, hinter dem Berichten zufolge China steckte, dauerte mehrere Stunden und führte zur Schliessung von Kran­ken­häusern und zum Still­stand von Zügen.

“China ist in der Lage, Cyber­an­griffe auf uns zu starten, die einen Großteil unserer Systeme stören können”, sagte General Bipin Rawat, Indiens rang­höchster Funk­tionär der Streit­kräfte, am 7. April gegenüber Reportern. “Während wir ver­suchen, Fire­walls gegen Cyber­an­griffe auf­zu­bauen, sind wir ziemlich sicher, dass sie [chi­ne­sische Hacker] diese Fire­walls durch­brechen werden.” China hat auch Cyber­an­griffe auf die indische Phar­ma­in­dustrie durch­ge­führt, ins­be­sondere auf ihre Impfstoffanlagen.

Indien hat auf­grund der engen Allianz Chinas mit Pakistan zusätz­lichen Grund zur Sorge. Trotz der Waf­fen­still­stands­er­klärung von 2021, die die Feind­se­lig­keiten entlang der umstrit­tenen indisch-paki­sta­ni­schen Grenze in Kaschmir aus­ge­setzt hatte, war Pakistan seit langer Zeit ein feindlich gesinnter Nachbar. Pakistan ist seit jeher ein Ver­bün­deter Chinas; Im Dezember unter­zeich­neten die beiden Länder ein mili­tä­ri­sches Memo­randum of Under­standing, um ihre bereits engen mili­tä­ri­schen Bezie­hungen zu stärken. Laut dem chi­ne­si­schen Ver­tei­di­gungs­mi­nister General Wei Fenghe:

“Wir sollten die Mil-to-Mil-Beziehung auf ein höheres Niveau heben, um gemeinsam ver­schiedene Risiken und Her­aus­for­de­rungen zu bewäl­tigen, die Sou­ve­rä­nität und die Sicher­heits­in­ter­essen beider Länder fest zu schützen und den regio­nalen Frieden und die Sta­bi­lität zu wahren.”

China ist Paki­stans Haupt­lie­ferant von mili­tä­ri­scher Aus­rüstung – 73 % der Waf­fen­käufe Paki­stans in den Jahren 2015–19 kamen Berichten zufolge aus China. Laut einer aktu­ellen Analyse des Rates für Auslandbeziehungen:

“Jeder künftige Kon­flikt zwi­schen Indien und Pakistan wird höchst­wahr­scheinlich China mit hin­ein­ziehen, weil sich Pekings stra­te­gische Umarmung Islam­abads in den letzten Jahren ver­schärft hat. Der China-Pakistan-Wirt­schafts­kor­ridor liefert zig Mil­li­arden Dollar an chi­ne­si­schen Infra­struk­tur­in­ves­ti­tionen nach Pakistan, auch in Gebiete, die von Indien bean­sprucht werden. Anstatt sowohl Indien als auch Pakistan in ihrer Krise von 2019 zur Zurück­haltung auf­zu­fordern, akzep­tierte Peking die Position Islam­abads, dass es den Kon­flikt eska­lieren müsse, um zukünftige indische Aggres­sionen abzuschrecken.”

Chinas Belt and Road Initiative (BRI) – ein Weg für China, seinen glo­balen Ein­fluss aus­zu­weiten, indem es Länder wirt­schaftlich abhängig macht, oft durch “Schul­den­fallen-Diplo­matie” (Kre­dit­neh­mende Länder sind nicht in der Lage, zurück­zu­zahlen, ausser indem sie nationale Wert­sachen auf­geben, wie Land oder Häfen) – dient auch als Mög­lichkeit, Indien “zu umzingeln” und mehr Länder der Region auf Chinas Umlaufbahn zu bringen.

Fast alle Nach­bar­länder Indiens sind Teil von Chinas Belt and Road Initiative – einige mehr, andere weniger: Sri Lanka, Pakistan, Ban­gla­desch, Afgha­nistan, Nepal und Myanmar. Indien hin­gegen hat sich geweigert, die Belt and Road Initiative zu unter­stützen. Laut Hin­dustan Times:

“Indien hat wie­derholt gesagt, dass es BRI nicht bei­treten wird, weil es den Unter­nehmen des Landes keine gleichen Vor­aus­set­zungen bietet. Es hat sich auch gegen BRI aus­ge­sprochen, weil eine Schlüs­sel­kom­po­nente – der China-Pakistan-Wirt­schafts­kor­ridor (CPEC) – durch PoK [die umstrittene Region Kaschmir] führt.”

Schließlich ist China in den letzten zwei Jahr­zehnten in die Region des Indi­schen Ozeans (IOR) vor­ge­drungen. Ungefähr 80 % des impor­tierten Öls Chinas und 95 % des chi­ne­si­schen Handels mit dem Nahen Osten, Afrika und Europa pas­sieren den Indi­schen Ozean. “Aus Pekings Sicht ist es noch wich­tiger, dass diese Region von chi­ne­si­schen Rivalen kon­trol­liert wird: den Ver­ei­nigten Staaten und Indien”, schrieb Chris­topher Colley vom Washing­toner Wilson Center.

“Ins­gesamt haben sich Chinas zuneh­mende Ver­bin­dungen zum Indi­schen Ozean und darüber hinaus in den letzten zwei Jahr­zehnten enorm aus­ge­weitet … Chi­ne­sische Ana­lysten und Regie­rungs­be­hörden fordern zunehmend irgend eine Form von Flotte/Truppe im Indi­schen Ozean, die Chinas Inter­essen schützen und pro­ji­zieren kann. Basierend auf den ver­füg­baren Beweisen, bestehend aus Hafen­in­fra­struk­tur­pro­jekten, ver­schie­denen Aus­sagen der Regierung und in China ansäs­sigen Wissenschaftlern/Analysten sowie neuer Mari­ne­aus­rüstung, scheint es, dass China beab­sichtigt, eine Art Streit­kräfte im Indi­schen Ozean zu ent­wi­ckeln. Während Indien niemals eine voll­ständige See­kon­trolle im Indi­schen Ozean eta­blieren kann, wird es wahr­scheinlich die Fähigkeit besitzen, andere Staaten glaub­würdig abzu­schrecken, die chi­ne­si­schen See­ver­kehrs­linien oder ‑ein­heiten zu bedrohen. Während China jedoch zunehmend über die Boden­truppen verfügt, um bedeu­tende Macht­pro­jek­tionen im Indi­schen Ozean durch­führen zu können und sogar Live-Feuer-Übungen im nörd­lichen Indi­schen Ozean durch­ge­führt hat, fehlt dem PLAN jedoch kri­ti­scher­weise der erfor­der­liche Schutz durch die Luftwaffe.”

“Aus Sicher­heits­sicht”, schrieb Dr. Rajeswari Pillai Rajag­o­palan, Direktor des Center for Security, Strategy and Tech­nology (CSST) in Neu-Delhi im Januar, “war Indien seit der Unab­hän­gigkeit keiner nen­nens­werten mari­timen Bedrohung ausgesetzt.”

“Ein Großteil des indi­schen mari­timen Sicher­heits­fokus lag auf der relativ geringen See­be­drohung durch Pakistan und nicht-tra­di­tio­nellen Bedro­hungen wie Pira­terie und Ter­ro­rismus. Während diese Bedenken bestehen bleiben, wurden sie von Sorgen um China als auf­stre­bender IOR-Macht mit seiner wach­senden Präsenz in der Region überholt…

“Indien hat mehrere Bedenken hin­sichtlich Chinas im Indi­schen Ozean. Eine, die bereits lebendig ist, sind die chi­ne­si­schen Akti­vi­täten in Indiens aus­schließ­licher Wirt­schaftszone (AWZ). Anfang dieses Jahres sagte der Chef der indi­schen Marine, Admiral Karambir Singh, dass sowohl chi­ne­sische For­schungs­schiffe als auch Fischer­boote im Indi­schen Ozean gesehen wurden, ein­schließlich in der indi­schen AWZ.”

Die anhal­tenden mili­tä­ri­schen Span­nungen zwi­schen China und Indien sind zudem auch für die Ver­ei­nigten Staaten pro­ble­ma­tisch. Laut Daniel S. Markey vom Rat für Auslandsbeziehungen:

“Abge­sehen davon, dass die Ver­ei­nigten Staaten mög­li­cher­weise in eine solche Kon­fron­tation hin­ein­ge­zogen würden, würde der Kon­flikt zwi­schen China und Indien drohen, die Welt­wirt­schaft zu stören, die regionale Ent­wicklung zu unter­graben und je nach Ausmaß erheb­liche huma­nitäre Folgen zu zei­tigen. Falls Indien dabei mili­tä­risch und wirt­schaftlich geschwächt werden sollte, dann würde eben­falls sein Wert als Gegen­ge­wicht zu China und damit das umfas­sendere Ziel der USA, Chinas regio­nalem Ein­fluss ent­ge­gen­zu­wirken, untergraben.”

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Judith Bergman, eine Kolum­nistin, Anwältin und Poli­to­login, ist eine Distin­gu­ished Senior Fellow am Gatestone Institute.


Quelle: gatestoneinstitute.org