Koali­tions-Geschacher ein Spiegel Deutschlands

Pro­jekte brauchen Jahr­zehnte und sind schließlich überholt — Vor 40 Jahren eine Bahn geplant, die nach 2040 fertig wird 

(von Albrecht Künstle)

Es ist 50 Jahre her, als 15 km von mir ent­fernt Lan­gen­winkel bei Lahr/Schwarzwald dem Erd­boden gleich­ge­macht und an anderer Stelle auf­gebaut wurde. Nicht weil es Koh­le­baggern im Weg war. Nein, es lag in der Flug­schneise eines NATO-Flug­platzes. Nicht nur der Lärm der nur wenige Meter hoch vor­bei­don­nernden Jagd­flieger und Bomber war uner­träglich. Es war damals lebens­ge­fährlich. Nicht für die Russen, sondern die Einheimischen.

Alle paar Tage fiel ein Wit­wen­macher vom Himmel. So hießen haupt­sächlich die Star­figther, von denen 269 (!) dieser Don­ner­vögel nicht mehr lan­deten, sondern abstürzten – viele mit den Piloten. Was heute die Corona-Hys­terie ist, war damals die geschürte Angst vor den Russen. Sie waren nach dem Krieg so kaputt, dass sie froh waren, nicht ange­griffen zu werden. Die Rollback-Stra­tegie der West­mächte war, die Russen tot­zu­rüsten, der auch bei uns viel geopfert wurde. So auch das Platt­machen von Ort­schaften wie Ober­bolheim, Franzheim und dieses Lan­gen­winkel.

Kaum war das Dorf ein­ge­ebnet, zogen 1971 die Kanandier mit ihrem Flie­ger­horst um nach Söl­lingen bei Baden-Baden. Alles war „für die Katz“, wie es im Badi­schen heißt. Mil­li­arden D‑Mark waren hier und woanders in den Sand gesetzt. Eine vor­aus­schauende Politik gab es schon damals nicht, und heute ist es noch schlimmer. Pro­jekte brauchen Jahr­zehnte und ent­sprechen schon vor ihrer Fer­tig­stellung nicht mehr den künf­tigen Anfor­de­rungen. Ein Bei­spiel aus dem eigenen Umfeld.

Vor 40 Jahren wurde geplant, eine Haupt­ei­sen­bahn­strecke durch unsere Städte zu bauen. Hin­ter­grund: Die Mit­tel­meer­häfen waren für die Schiffe aus China zu klein, deshalb sollten die Con­tainer in Rot­terdam gelöscht und mit der Bahn an uns Anwohnern vorbei durch die Schweiz nach Genua gefahren werden. Doch die Rea­li­sierung fiel 15 Jahre lang der Deut­schen Einigung zum Opfer, weil das Geld dort gebraucht wurde. Die kleine Schweiz baute gemäß dem Vertrag von Lugano nicht nur den Gotthard-Tunnel fertig. Unsere Bür­ger­initia­tiven am Ober­rhein erreichten, dass die Planung geändert wurde und der Transit-Schienen-Güter­transport an der unweiten BAB 5 gebündelt wird.

Doch soll das letzte Teil­stück zwi­schen Offenburg und Freiburg erst 2035 fertig werden – 55 Jahre nach der ersten Planung! Doch zwi­schen­zeitlich rüsten die Chi­nesen die Mit­tel­meer­häfen auf, der Hafen Piräus gehört ihnen schon. Immer mehr Schiffe können nun an den Bestim­mungs­orten am Mit­telmeer umge­schlagen werden. Außerdem bauten sie eine Eisen­bahn­linie bis nach Düs­seldorf, was die Eisen­bahn­trans­versale Rot­terdam-Genua ent­lastet. Die Neue Sei­den­straße nimmt Formen an. Und jetzt ver­handelt die Schweiz mit Frank­reich über den Bau einer par­al­lelen Strecke durch das Elsass. Bis unsere Strecke fertig sein wird, sahnen die Fran­zosen die lukra­tiven Tras­sen­ent­gelte ab.

Die Politik pro­kla­miert neu­er­dings, den Schienen-Per­so­nen­verkehr zu ver­doppeln. Doch die jetzige Bahn­planung der Gleis­in­fra­struktur für das Fer­tig­stel­lungsjahr 2041/42 berück­sichtigt weder dieses Ziel, noch den 3. Entwurf des „Deutsch­land­takts“, vom end­gül­tigen Takt ganz zu schweigen. Die Planung richtet sich auch nur nach dem vom Land Baden-Würt­temberg bestellten Nah­verkehr bis höchstens 2035. Die ange­peilte Ver­dop­pelung auch des Per­so­nen­nah­ver­kehrs auf der Schiene fällt dem Zustän­dig­keits­ge­r­angel zwi­schen Land und Bund zum Opfer.

Die Posse des Monats: Die Bahn plant eine scharfe S‑Kurve für die Umbauzeit von immerhin 6–7 Jahren für eine kurze Strecke (Plan­fest­stel­lungs­ab­schnitt 8.0), die in dieser Zeit von 125 000 ICEs befahren werden muss. Die Hoch­ge­schwin­dig­keitszüge fahren dann von Offenburg kommend zuerst mit 160 km/h, müssen dann in der S‑Kurve auf 80 km/h abbremsen, um anschließend mit 160 oder 200 km/h nach Freiburg zu fahren. Der Zeit- und Ener­gie­verlust scheint keine Rolle zu spielen, aber mit uns wird um Sekunden gerungen die angeblich fehlen, um den Takt­knoten Basel zu erreichen. Wir pro­phe­zeien der Bahn und Politik, dass ange­sichts dieser chao­ti­schen Planung die Strecke erst 2045 fertig sein wird – 65 Jahre nach Projektbeginn.

Was zu beklagen ist: Das Desaster BER ist überall, was gelingt diesem Deutschland eigentlich noch? Solange es aus einem Berlin regiert wird, das nicht einmal ordent­liche Wahlen durch­führen kann, schwindet die Hoffnung zuse­hends. Aber immerhin, die Gorch Fock kann nun wieder schiffen – sie braucht ja sonst nichts zu können.

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