Der Mann in der Kreuzberger Kneipe in Berlin nannte sich Thomas. Thomas hatte eine Geschichte zu erzählen, über Stasi, Wien, linken Terror und die Grünen. Es war kurz vor der Wende, so Thomas, als seine Schwester und er aus der DDR ausgewiesen wurden, weil sie zu kritischen Kirchenkreisen und alternativ-grüner Politik standen. Thomas war damals noch klein und folgte der Schwester, die tatsächlich nicht nur zu grün-alternativen Kreisen, sondern auch zu Linksterroristen Kontakte hatte. Die Schwester, die heute in Wien lebt und Bücher veröffentlicht, war wohl vom Staatssicherheitsdienst gen Westen geschickt worden, vermutet Thomas, um an Anschlägen teilzunehmen. Sie war der Kopf der „Dritten Generation“ der RAF, behauptet der Mann, der jetzt auf einer einsamen Insel lebt.
Seine Schwester, und nicht Birgit Hogefeld, sei für die Ermordung des US-Soldaten Edward Pimental mit verantwortlich. Sie sei es gewesen, die den jungen Soldaten in der Disko angesprochen und ein heißes Abenteuer versprochen habe. Und ganz nebenbei: Hogefeld war sicherlich nicht das, was sich ein junger Soldat für den späteren Abend vorstellt, doch die Schwester von Thomas schon eher. Der US-Soldat soll in einen Wald gelockt und dort von einem unbekannten Mann erschossen worden sein, um an den Truppenausweis des Soldaten zu kommen, mit dem die Terroristen später auf das Gelände der US-Streitkräfte gelangten, um einen Sprengstoffanschlag zu verüben. Insgesamt sollen bei dem Treffen im Wald drei Personen anwesend gewesen sein. Wer geschossen hat, sei nicht klar. Der Mann in Kreuzberg nannte seine Schwester „heimliche Chefin der Dritten RAF-Generation“ und meinte damit die letzten Nachfolger der Terroristen um Baader, Raspe und Ensslin, die in den 1970er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts mordend und raubend durch die Lande zogen.
Thomas plagten Gewissensbisse und er meldete sich nach eigener Darstellung beim deutschen Bundeskriminalamt, wo ihm zunächst niemand glaubte. Schließlich wurden die Beamten doch aufmerksam und „schöpften“ Thomas ab, d.h., sie verlangten Informationen von ihm. Er lieferte und man war offenbar zufrieden. Ob sein Verschwinden auf die einsame Insel damit im Zusammenhang steht, ist zu vermuten, aber nicht zu beweisen.
Wien war seit den 1970er-Jahren des vergangen Jahrhunderts ein Hotspot des deutschen und internationalen Terrorismus. So zum Beispiel bei der tödlich verlaufenden Geiselnahme in der Wiener OPEC-Zentrale am 21. Dezember 1975, bei der es mehrere Opfer gab. Der Terrorist Hans-Joachim Klein aus Frankfurt/M, enger Freund der späteren Grünen Cohn-Bendit und Joseph Fischer, war an der Geiselnahme beteiligt und wurde schwer verletzt. Seine Komplizen verlangten seinen Transport unter Begleitung eines Arztes und Pflegers per Flugzeug nach Arabien, wo Klein gesundgepflegt wurde. Der Laufbursche von Fischer und Cohn-Bendit setzte sich später nach Frankreich ab, wo er als Winzer arbeitete, bevor er aufgespürt, ausgeliefert und vor Gericht gestellt wurde. Wie die Stasi-Akten zu dem Überfall berichten, kamen die Täter mit der Straßenbahn zur OPEC, grüßten den Polizisten am Eingang und marschierten ins Gebäude. Dann brach die Hölle los.
Pistolenschüsse peitschten durch die Luft, Salven aus automatischen Waffen schlugen ein.
Ein erneuter Kristallisationspunkt im deutsch-internationalen Terrorismus war der September 1999 in Wien. Dort hielten sich die deutschen Linksterroristen Horst-Ludwig Meyer und Andrea Klump auf, trugen ständig Kappen und Sonnenbrillen, was Nachbarn auffiel. Sie riefen die Polizei, die mit einer Spezialeinheit (WEGA) ausrückte. Es fielen Schüsse, Meyer starb, Klump wurde festgenommen. Das Paar, so die Ermittlungen, war von 1995 an in Wien wohnhaft, 1998 löste sich die RAF offiziell auf. Die Begegnung zwischen der Polizei und dem Terror-Pärchen fand also ein Jahr danach statt. Spekulationen dahingehend, die beiden hätten sich so auffällig verhalten, um gefasst zu werden, wurden laut, aber nicht bestätigt.
Die Arbeit von Irene Brandhauer-Schöffmann „Deutsche Terroristinnen in Österreich“
Die Zusammenfassung „Deutsche Terroristinnen in Österreich“ zeigt einen guten Überblick zur Kooperation der linken Terroristen. Brandhauer-Schöffmann erzählt die Begegnung eines linken Wiener Studenten mit den RAF-Frauen Juliane Plambeck (später in einem Auto mit Pariser Kennzeichen auf einer Landstraße in Baden-Württemberg getötet, als das Auto in einen schweren Laster fuhr) und Inge Viett, die als Mutter der Kontakte zur Stasi gilt. Die Begegnung fand 1977, im „Jahr des deutschen Herbstes“, statt und der Student war von den Ansichten der beiden Frauen sehr angetan. Er teilte die These von der Ermordung der RAF-Gründer in Stuttgart-Stammheim. Reinhard Pietsch, so der Name des Studenten, hatte bereits Mitgliedschaften in verschiedenen linken Gruppen hinter sich. Jetzt war er am Ziel. Die Frauen gaben an, in Tübingen zu wohnen und sich in Wien erholen zu wollen. Auf die Frage, ob es sich um Inge Viett und Juliane Plambeck handele, bejahten sie nach Angaben des Studenten. Dem Mann fiel auf, dass Viett motorradtechnische Fragen stellte und sich blendend mit ihm darüber unterhielt. Bei weiteren Treffen war nach Angaben des Zeugen auch Gabriele Rollnik dabei. Das alles geschah in den 1970er-Jahren, weit vor dem Mord an Pimental.
Der junge Mann befasste sich ernsthaft mit dem Gedanken, in die Illegalität abzutauchen und selbst zum Terroristen zu werden. Zur Sprache kommt in der wissenschaftlichen Arbeit auch Gabriele Kröcher-Tiedemann, deutsche Terroristin, die am Überfall auf die Wiener OPEC-Konferenz teilnahm. Schließlich planten die Terroristen die Palmers-Entführung. Pietsch habe, so die Wissenschaftlerin, bei der Beschaffung von österreichischen Reisepässen geholfen. Nach der Lösegeldübergabe flüchteten die Täter nach Italien. Die Palmers-Sache sollte übrigens wie eine „normale“ kriminelle Aktion aussehen, damit der Staatsschutz nicht aktiv werde, was misslang. Dann wurde noch bekannt, dass Gratt und Keplinger Söhne von ÖVP-Mitgliedern waren, die sich als Bezirksbürgermeister, Volksschuldirektor und Feuerwehrkommandant betätigten. Im späteren Prozess stellte das Entführungsopfer Palmers den Terroristen in punkto Ernsthaftigkeit der Aktion ein schlechtes Zeugnis aus und sprach von „Trotteln“.
Die Entführung war eine direkte Gemeinschaftsaktion zwischen österreichischen und deutschen Linksterroristen, die von der „Bewegung 2. Juni“ ausgeführt wurde und die mit einer Lösegeldzahlung endete. Die daraufhin erfolgte Flucht nach Italien per Auto glückte. Bei der Voraufklärung der Aktion machte die Polizei einen entscheidenden Fehler und brach die Observation eines der Verdächtigen ab, sodass die Entführung erfolgen konnte. Die deutschen „Genossen“ von der „Bewegung 2. Juni“ hingegen ließen die dilettantischen Österreicher zurück und suchten das Weite.
Die grünen Unterstützer des Linksterrorismus sind inzwischen in Österreich und Deutschland „regierungsfähig“ geworden und erzählen sich bei teurem Wein im feinen Zwirn von den „Heldentaten“ ihrer politischen Elterngeneration.
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