Afghanische Frauen. Bild: pixnio, Bildlizenz: CC0

Die unsicht­baren Frauen von Afgha­nistan (+Video)

Die Taliban haben die Macht über­nommen, seit die USA und andere sich zurück­ge­zogen haben. Ent­gegen den Erwar­tungen erklärten die Taliban, dass trotz der Ein­führung der Scharia Mädchen und Frauen weiter zur Schule und auf Uni­ver­si­täten gehen dürfen, ja sogar Regie­rungs­posten bekleiden sollen. Doch das wird nur äußerst zurück­haltend ein­ge­halten. Ja, Frauen dürfen noch auf die Uni, aber nur im Niqab, einer Voll­ver­schleierung, bei der nur die Augen noch frei sind und unter Geschlech­ter­trennung. Die Berichte über Morde an Frauen reißen nicht ab. Eine Über­ra­schung ist das nicht.

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Weil sie angeblich ohne Burka auf die Straße gegangen waren, wurde gleich eine Gruppe Frauen in aller Öffent­lichkeit abge­schlachtet. Immer wieder ereignen sich Fälle, bei denen Frauen, die Uni­ver­si­täts­do­zenten sind, Ärzte oder Jour­na­listen, eine Nach­richt bekommen, dass sie zu einer bestimmten Adresse kommen sollen, es gebe eine Mög­lichkeit, außer Landes zu kommen. Frozan Safi war eine davon. Sie begab sich mit drei anderen Frauen zu der ange­ge­benen Adresse. Dort wurden dann später die Leichen der vier gefunden.

Das Ganze läuft recht orga­ni­siert und gut geplant ab. Eine afgha­nische Frau, eine von drei Quellen aus Masar-i-Sharif, die Infor­ma­tionen an die fran­zö­sische Nach­rich­ten­agentur AFP schmuggelt, berichtet, auch sie habe vor drei Wochen selbst einen Anruf von jemandem erhalten, der ihr scheinbar Hilfe dabei anbot, sich im Ausland in Sicherheit zu bringen:

“‘Er kannte alle Infor­ma­tionen über mich, bat mich, meine Doku­mente zu schicken, wollte, dass ich einen Fra­ge­bogen aus­fülle, und gab vor, ein Beamter meines Büros zu sein, der für die Wei­tergabe von Infor­ma­tionen an die USA für meine Eva­ku­ierung ver­ant­wortlich ist‘, sagte sie. Nachdem sie miss­trauisch geworden war, blo­ckierte sie den Anrufer und lebt nun in Angst. Sie war scho­ckiert, als sie von den Morden hörte. ‚Ich hatte schon Angst‘, sagte sie. ‚Meine psy­chische Ver­fassung ist heut­zutage nicht gut. Ich habe immer Angst, dass jemand an meine Tür kommt, mich irgend­wohin mit­nimmt und mich erschießt‘.”

Die Taliban hatten zwar ver­sprochen, jeden Mord an Frauen zu bestrafen und beharren darauf, dass kein Taliban befugt sei, Frau­en­ak­ti­visten zu töten. Doch es bestehen große Zweifel daran, dass das tat­sächlich umge­setzt und stringent ange­wandt wird. Die Taz schreibt: 

Binnen weniger Wochen schafften die Taliban etliche Frau­en­rechte ab. In einer ihrer ersten Amts­hand­lungen setzten sie die Geschlech­ter­trennung für die Uni­ver­si­täten in Kraft. In meh­reren Pro­vinzen schlossen sie Mäd­chen­schulen, in Kabul lösten sie das Frau­en­mi­nis­terium auf und quar­tierten in dessen Gebäude aus­ge­rechnet die berüch­tigte Moral­po­lizei ein. Frau­en­häuser schickten aus Angst vor Repres­salien ihre Bewoh­ne­rinnen zurück zu ihren Familien. Unter­neh­me­rinnen schließen oder ver­kaufen ihr Business, weib­liches Behör­den­per­sonal wurde auf­ge­fordert, zu Hause zu bleiben – oder zieht das von sich aus vor, weil Gerüchte über Zwangs­ver­hei­ra­tungen mit Tali­ban­kämpfern die Runde machen.

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Dort, wo sie vor 20 Jahren ange­fangen hatten, bevor der endlose Krieg im Land anfing, machen sie heute eben doch weiter. Damals schon wurden Frauen kon­se­quent aus der öffent­lichen Wahr­nehmung ver­bannt. Und nun haben die wieder regie­renden Taliban – genauer: das Minis­terium für die För­derung der Tugend und Ver­hütung des Lasters – sehr weit­rei­chende Ein­schrän­kungen für Film und Fern­sehen beschlossen und in Kraft gesetzt. Die Fern­seh­sender dürfen keine Serien oder TV-Filme mehr aus­strahlen, bei denen Frauen mitspielen.

Nichts in den Pro­duk­tionen darf im Wider­spruch zur isla­mi­schen Scharia stehen. Auch aus­län­dische Filme, die „fremde Kul­turen und Tra­di­tionen in der afgha­ni­schen Gesell­schaft ver­brei­teten und Sit­ten­lo­sigkeit ver­ur­sachen“ dürfen nicht mehr gezeigt werden. Ein Stein des Anstoßes sind auch Filme aus der Türkei, Indien und dem Iran, denn auch diese sind nicht unbe­dingt Scharia-konform, aber waren in Afgha­nistan sehr beliebt. Was aber gar nicht geht, dass dort ver­halten amouröse Szenen gezeigt werden, Frauen es wagen, mit einem Mann zu argu­men­tieren. Oder sich weigern den Mann zu hei­raten, den ihre Eltern für sie aus­ge­sucht haben, weil sie einen anderen lieben und am Ende das lie­bende Paar auch zusammenkommt.

Mode­ra­to­rinnen und Repor­te­rinnen dürfen aller­dings weiter auf der Bild­fläche erscheinen, sofern sie einen Hid­schab tragen. (Das ist eine Art Kopf­tuch­schleier, der nur das Gesicht frei­lässt und bis auf die Schultern fällt oder die Schultern mit verhüllt.)

Frauen haben in der Öffent­lichkeit auch keinen Namen. Sie werden nach ihren männ­lichen Ver­wandten iden­ti­fi­ziert. Also „Tochter von X“ oder „Mutter von Y“ oder „Ehefrau von Z“ oder „Mutter der Kinder“. Es wird immer irgendwie umschrieben. Nicht einmal auf dem Grab einer Frau steht ihr Name.

Auch dann, wenn sie im Leben eine Son­der­stellung innehat, etwas Bemer­kens­wertes geleistet hat, bleibt sie „Frau von X“ oder der ihres Vaters oder Sohnes wird genannt und das erhöht sein Ansehen. Aber auch, wenn sie etwas Ver­werf­liches tut, ist es der Name des Mannes, der dann beschmutzt wird. Das ist mit ein Grund, warum die Frauen prak­tisch daheim ein­ge­kerkert sind, dann können sie keinen Schaden anrichten und Schande auf ihre männ­lichen Ver­wandten laden.

Ein schwie­riges System: Die Ehre eines Mannes ist abhängig von der Ehre seiner Frau. Das stammt noch aus vor-isla­mi­scher Zeit und ist nicht nur in Afgha­nistan heute noch vor­handen. Diese kom­pli­zierte Ver­bindung wird in der wis­sen­schaft­lichen Arbeit „Manly Honor and Gen­dered Male in Afgha­nistan“ beschrieben. Hier spielen zwei Worte eine große Rolle: „Namus und Gheirat“

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„Namus“ umfasst alle Men­schen und besondere Dinge, deren Ehre und Unbe­flecktheit der Mann mit allen Mitteln ver­tei­digen muss. Bei Men­schen sind es die mit ihm eng ver­bun­denen Frauen (Mutter, Schwester, Tochter, Ehefrau) bei Dingen sein Land, sein Gewehr, sein Dorf.

„Gheirat“ ist ein Begriff, der den Mann selbst beschreibt und bedeutet gleich­zeitig etwa Männ­lichkeit, Ehre und Ver­pflichtung. Man könnte es viel­leicht „Mann von tadel­losem Ruf“ nennen. Und es geht letzt­endlich um Frauen, Gold und Land (Zan, Zar, Zamin)

Es ist naiv vom „Westen“ zu glauben, dass irgend­welche  gemachten Ver­spre­chungen der Taliban-Regierung noch lange Bestand haben werden. Auch hier funk­tio­nieren die alt­be­kannten Regie­rungs­me­thoden, wie bei uns „im Westen“ auch. Es wird viel ver­sprochen und dann in Sala­mi­technik einfach immer weiter unter­laufen, bis alles an dem Punkt ange­kommen ist, den sie sowieso erreichen wollten. Alles, was man vorher empört von sich gewiesen und als Ver­schwö­rungs­theorie gebrand­markt hat, ist jetzt Fakt und man hat sich damit abzu­finden. Warum sollten afgha­nische Tali­ban­re­gie­rungen sich anders ver­halten als unsere?

Die Vor­stel­lungswelt der Leute dort ist eine voll­kommen andere. Thomas Röper auf seiner aus­ge­zeich­neten Seite „Anti-Spiegel“ beschreibt die dortige Denkwelt in einer deut­schen Über­setzung aus dem Rus­si­schen recht eindrücklich:

Kaum hatten die Taliban eine Amnestie ange­kündigt und Frieden in ganz Afgha­nistan ver­sprochen, begannen sie mit der Jagd auf Göt­zen­bilder. Als erstes setzten sie einen Ver­gnü­gungspark in Brand, in dem sie sich kurz zuvor noch ver­gnügt hatten. Den Taliban gefielen wahr­scheinlich die Pferde auf einem Karussell nicht. Für sie sind das Götzen, was im Islam ver­boten ist.“

Thomas Röpers Meinung dazu:

„Aber man darf nicht ver­gessen, dass Afgha­nistan eine Stam­mes­ge­sell­schaft ist, die sich aus vielen ver­schie­denen Völ­ker­schaften zusam­men­setzt und dass Afgha­nistan kaum ein wirk­licher Zen­tral­staat wird, sondern dass sich die Rege­lungen regional in ihrer Strenge unter­scheiden dürften.“ 

Man kann wahr­scheinlich ziemlich sicher davon aus­gehen, dass die Taliban sehr bald wieder auf dem Stand von vor dem Krieg ange­kommen sind und ver­fahren, wie sie wollen. Und dass die Ame­ri­kaner mit Sicherheit nicht wirklich aus Afgha­nistan draußen sind, sondern sich eher aus einer aus­sichts­losen Lage heraus neu posi­tio­niert haben. Das Chaos soll gar nicht enden, und es gibt viel zu viele Inter­essen dort, deret­wegen die USA ihre Finger im Spiel halten will und muss – und dazu wird sie der Taliban-Regierung gegenüber eini­ger­maßen zurück­haltend agieren.

Da wäre zum Bei­spiel die Gas­pipeline (TAPI) von Turk­me­nistan durch Afgha­nistan über Pakistan nach Indien. Die USA bzw. der Gas­konzern Unocal (heute Chevron) wollte diese Gas­leitung bauen und Russ­lands aus­stechen. Man wollte sich auch an dieser afgha­nisch-rus­si­schen Grenze fest­setzen, um da als Stachel im Fleisch der rus­si­schen Vor­hofes zu agieren. In dem hoch­bri­santen Gebiet zwi­schen Russland oben im Nord­westen, dem Iran unten im Süd­westen, China im Osten und Afgha­nistan mit­tendrin muss man als Welt­macht USA vor Ort sein und agieren und Augen und Ohren offen­halten. Man kann auch mit False Flag Aktionen in einem solchen Gebiet recht hübsche Effekte erzielen und ein Maximum an Stö­rungen verursachen.

Und dazu brauchen die USA ein gewisses Mit­ein­ander mit der neuen alten Taliban-Regierung. Die braucht Geld, das sie durch eine Koope­ration bei TAPI sicher bekäme. Es handelt sich um Tran­sit­ge­bühren von etwa 400 Mil­lionen Dollar jährlich. Afgha­nistan ist noch chao­ti­scher und ärmer als zuvor. Das Volk erwartet nun Frieden und etwas mehr Wohl­stand und für jeden etwas Gold. Nicht alle Stämme sind von der pasch­tu­ni­schen Tali­ban­herr­schaft begeistert. Es gab auch Wider­stand. Wenn die jetzige Taliban-Regierung nicht liefert, könnte das unge­mütlich werden. Selbst die „taz“ titelt: „Angst und Armut in Afgha­nistan: Bru­talst­mög­liche Unfä­higkeit“:

„De facto kon­trol­lieren die Taliban inzwi­schen das gesamte Land. Der letzte bewaffnete Wider­stand gegen ihre Herr­schaft blieb im Pand­schirtal iso­liert und brach schnell zusammen, das Par­lament und zivil­ge­sell­schaft­liche Orga­ni­sa­ti­ons­struk­turen haben sich im Null­kom­ma­nichts auf­gelöst, und auch macht­gierige War­lords, die sich gegen die Taliban in Stellung bringen wollten, ent­puppten sich schnell als Kolosse auf tönernen Füßen. Wie die Regie­rungs­armee stieben auch die Truppen der War­lords vor dem Ansturm der Taliban aus­ein­ander, ihre Befehls­haber flohen ins Ausland. (…) Ein­wohner Kabuls sagten der taz, die Kri­mi­na­lität nehme wieder zu, nachdem eine anfäng­liche ‚Atem­pause aus Angst vor den Taliban‘ schnell wieder ver­flogen sei. Kri­mi­nelle oder inlän­dische Flücht­linge bewaff­neten sich, gäben sich mit­unter als Taliban aus und durch­suchten in deren Namen Häuser frü­herer Regie­rungs­mit­glieder oder kon­fis­zierten Autos. Private Rech­nungen aus 20 Jahren eines all­seits brutal geführten Krieges werden jetzt beglichen, obwohl die Tali­ban­führung ver­sprach, dies nicht zuzu­lassen. (…) Unter­dessen leidet die Bevöl­kerung in Folge von De-facto-Sank­tionen unter einem Wirt­schafts­kollaps, der sich von Tag zu Tag weiter ver­schärft. (…) Das UN-Ent­wick­lungs­pro­gramm UNDP warnte bereits: Bis Mitte nächsten Jahres könnten 97 Prozent der Afghan:innen in Armut leben.“

In einem solchen Hexen­kessel der Insta­bi­lität haben die dort immer noch agie­renden USA noch viele Karten auf der Hand. Die grau­en­hafte Situation der Frauen in Afgha­nistan ist ein Hebel, der die innere Sicherheit der Taliban-Regierung noch ein bisschen weiter desta­bi­li­siert. Das weiß diese auch.