Da sind sie wieder, wie jedes Jahr: Die Pflicht-Presse-Artikel über die armen Rentner. Gibt man das Stichwort ein, erscheinen in Google die diesbezüglichen Meldungen untereinander, oft beginnen sie schon mit denselben Sätzen. Denn die Redaktionen pinseln oft schlicht die dpa-Pressemeldung ab, manchmal werden die Sätze noch leicht umgestellt, kann der Praktikant machen, gute Fingerübung. Das Sozialministerium hat ja eine Pressemeldung rausgegeben, die dpa reicht sie an die Redaktionen durch, ein bisschen umformulieren, fertig. Same procedure as last year? Same procedure as EVERY year, James.
Ein Zahlengewitter, hinter dem Elend steckt. Jede fünfte Altersrente reicht kaum zum Überleben, das weiß das Bundessozialministerium auch. Diesmal packte das Ministerium die Zahlen auf Anfrage des Bundestagsabgeordneten René Springer (AfD) aus. Dass das irgendetwas ändert, darf bezweifelt werden. Die Kassen sind leer, der Bund entnimmt dort immer wieder Gelder, für die die Rentenkassen nicht gedacht waren und im Übrigen werden Anträge und Vorschläge der AfD im Bundestag grundsätzlich verworfen oder ignoriert.
Es sind fast dreieinhalb Millionen Rentner, die — Stand Ende 2020 — eine Rente von unter 500 Euro beziehen. Da fragt man sich, wie das gehen soll. Genau sind das 19,8 Prozent der Rentner. Es gibt noch mehr Zahlen: 49,5 Prozent der Rentner, also die Hälfte, haben weniger als 1000 Euro im Monat. Der größte Teil davon sind Frauen im Westen Deutschlands.
Aber! — so sagt das Ministerium – das sage wenig über das Gesamteinkommen der Rentner aus. So kleine Renten ergäben sich meist aus kurzen Beitragszeiten, aus — Achtung! — „kurzen Erwerbsbiografien“, wie sie früher in den alten Bundesländern bei Frauen oft vorkamen. Mehr gibt es dazu nicht in der Presseerklärung.
„Kurze Erwerbsbiografien, wie sie früher in den alten Bundesländern bei Frauen oft vorkamen“ heißt übersetzt: Die Frauen haben den Haushalt und die Kinder versorgt, damit der Mann das Einkommen für die Familie erwirtschaftet und in die Rentenkasse einzahlt. Beide haben sich also gegenseitig unterstützt, um leben zu können und die Kinder anständig großzuziehen. Diese Kinder erarbeiten später als Erwachsene ebenfalls die Steuern und Rentenzahlungen für den Staat. Dass der Überlebende, meistens die langlebigere und jüngere Frau, davon kaum leben können würde, war damit von vorneherein klar. Die paar Euro Zulage pro Kind für die einsame, alte Frau sind nichts, als ein Feigenblatt, mit dem man diesen seit vielen Jahrzehnten bekannten Missstand, der mit einem kurzen Satz und Schulterzucken beiseite geschoben wird.
Da wird ein irres Gewese um die Frauenrechte, Binnen‑i und Gendersternchen gemacht. Aber die alten Frauen, die immerhin damals die heutigen Erwerbsgeneration großgezogen haben, wo kein Schwein nach der Selbstverwirklichung dieser Frauen gefragt hat, die lässt man nach wie vor und trotz jährlicher Berichterstattung in ihrem Elend weiter darben. Und auch die nächste Eltern.
Dafür gebt man aber ausführlichere Erklärungen, dass ein ganzer Teil der Mini-Renten „viel häufiger“ in Haushalten mit hohem Einkommen zu finden seien. Zitat:
«Rentnerinnen und Rentner haben in zahlreichen Fällen Alterseinkünfte aus weiteren Quellen, beispielsweise Betriebsrenten, Einkünfte eines Partners oder daraus abgeleiteten Ansprüchen auf Hinterbliebenenleistungen.»
Das ist sicher richtig, heißt aber nichts anderes, als dass diejenigen die es können, schon von vorneherein Auffangstrategien entwickeln, um mit der Rente später zu verhungern. Und wie wir einer weiteren Verlautbarung des Bundessozialministeriums entnehmen können, machen viele das sehr erfolgreich:
„Ein Sprecher der Rentenversicherung bezog sich ebenfalls auf den aktuellen Alterssicherungsbericht der Bundesregierung. «Danach erreichen Ehepaare in Deutschland ein durchschnittliches Netto-Gesamteinkommen aus Alterssicherungsleistungen und zusätzlichen Einkommen in Höhe von 2907 Euro im Monat.» Alleinstehende Männer ab 65 haben demnach im Schnitt 1816 Euro Gesamteinkommen pro Monat zur Verfügung, Frauen 1607 Euro.“
Die Bürger wissen also, dass sie sich schon selber um ihren Lebensabend kümmern müssen. Das kann wahrscheinlich jeder von uns aus eigener Anschauung und dem Verwandten- und Freundeskreis bestätigen. Man möchte weder den Kindern auf der Tasche liegen noch den Lebensabend ärmlich verbringen. Also wird eifrig vorbereitet und gespart und man freut sich darauf, dann noch einige schöne Jahre sich ein paar Wünsche zu erfüllen. Diese Vorbereitungen müssen natürlich auch aus dem erarbeiteten Einkommen geleistet werden, das nach Abzug der Steuern, Krankenkassen, Rentenkassen, Soli usw. usf. übrig bleibt. Spricht man darüber im privaten Kreis, wie man sich auf den Ruhestand vorbereitet, fällt sehr oft der Satz: „… muss man ja machen und gut planen, denn die Rente kann man so gut wie vergessen.“
Die Aussichten, dass es besser werden könnte, sind denkbar schlecht. Denn das Bundessozialministerium geht in seinen Berechnungen davon aus, dass die Arbeitnehmer im Prinzip Durchschnittsgehälter verdienen und Arbeitslosigkeit die Ausnahme ist. Das ist aber Nostalgie. Der Arbeitsmarkt heute verlagert sich immer mehr in befristete Anstellungen und schlecht bezahlte Arbeit, möglichst ohne Sozialkostenbeiträge. Obwohl die Lebenshaltungskosten immer weiter steigen (neben den rasant steigenden Wohnkosten kommen nun aufgrund der Lieferkettenproblematik noch deutlich steigende Lebensmittelpreise hinzu), gibt es immer mehr unterbezahlte Jobs. Schon ungefähr 20 Prozent der Vollzeitbeschäftigten fallen unter Geringverdiener.
Das Heer der in „prekären Arbeitsverhältnissen“ Arbeitenden ist darin noch nicht enthalten. Das wird sehr bald – und durch die vielen Geschäftsaufgaben aufgrund der Corona-Lockdowns noch schneller — dazu führen, dass die Abwanderung der ach-so-reichen Deutschen in das sogenannte Rentner-Hartz-IV (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) den Turbogang einlegt. In nicht einmal zehn Jahren hat sich die Zahl ja schon mehr als verdoppelt von 439.000 auf 1,1 Millionen seit 2003 und steigend. Dazu kommt noch, dass die jetzt in prekären Jobs nichts in die Renten- und Sozialkassen und die Vollzeit in befristeten Anstellungen Arbeitenden nur wenig in diese Kassen einzahlen. In Lücken zwischen den Jobs entnehmen sie sogar den Sozialkassen Gelder (Hartz IV). Die unter von Bismarck eingeführten und gefeierten sozialen Sicherheitsnetze zerbröseln vor unseren Augen.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.