screenshot youtube

Vera Lengsfeld: „Der Umgang mit den Demons­tranten ist eine unfassbare Arroganz der Macht“

Dieses Interview mit mir erschien zuerst auf Tichys Einblick:

Die breite Pro­test­be­wegung gegen die Corona-Maß­nahmen in hun­derten deut­schen Städten ist in dieser Breite ein Novum. Manche tun die Demons­tranten als Spinner ab, manche sehen das neue 1989 kommen. Vera Lengsfeld war eine der Köpfe der Bür­ger­rechts­be­wegung der DDR und beob­achtet die Pro­teste heute sehr genau.

Tichys Ein­blick: Wir erleben eine neue Pro­test­welle gegen die Corona-Maß­nahmen in ganz Deutschland. Oftmals setzen sich die Demons­tranten dabei selbst in die Tra­dition der Pro­teste vom Herbst 1989. Sie waren damals dabei – kann man die Situation wirklich vergleichen? 

Vera Lengsfeld: Erst einmal darf man alles mit allem ver­gleichen; es gibt auch kein Copy­right auf die Demons­tra­tionen von 1989. Natürlich ist die Situation heute eine andere als damals und die Repres­sionen waren andere.
Wir müssen uns aber darüber im Klaren werden, dass auch eine demo­kra­tisch gewählte Regierung und ein demo­kra­ti­scher Rechts­staat zum Maß­na­men­staat mutieren und auto­ritäre, sogar dik­ta­to­rische Züge annehmen kann.
Heute hört die Politik die Stimme der Bevöl­kerung nicht mehr oder will sie nicht hören. Auch 1989 sind die Men­schen auf die Straße gegangen, weil die Kom­mu­ni­kation zwi­schen Volk und Regierung gestört war.
Im Übrigen kann ich nichts Fal­sches daran erkennen sich auf eine his­to­rische, demo­kra­tische Bewegung zu beziehen.

Aber die Dimension ist doch eine andere. Haben diese Pro­teste heute wirklich das Potential etwas zu verändern?

Ich würde es so sagen: Die Bürger haben im Augen­blick kaum eine andere Mög­lichkeit, etwas zu ver­ändern, als Druck in der Öffent­lichkeit und vor allen Dingen auf der Straße zu ent­wi­ckeln. Das poli­tische Berlin hat den Kontakt zur Bevöl­kerung ver­loren oder ein­ge­stellt – und es gibt für viele keinen anderen Weg mehr, sich Gehör zu ver­schaffen, als auf die Straße zu gehen.

Aber was sicherlich noch fehlt, ist ein gemein­samer Aufruf, unter dem sich die Demons­tranten in den ver­schie­denen Städten ver­sammeln können. 1989 hat der Aufruf des Neuen Forums die vielen auf­flam­menden Demons­tra­tionen unter ein Dach gebracht und so erst einen enormen poli­ti­schen Druck auf­gebaut. Dafür ist die Bewegung heut­zutage noch zu zersplittert.

Liegt das auch an radi­kalen Kräften, die ver­suchen die Pro­teste zu kapern? 

Wir haben damals auch Pro­bleme gehabt, wie sie heute auf­treten, nämlich dass sich unter die fried­lichen Demons­tranten Pro­vo­ka­teure mischen. Und diese Pro­vo­ka­teure werden dann zum Vorwand genommen, zu behaupten, die Demons­tra­tionen wären gewalt­tätig oder rechts­extre­mis­tisch. Deshalb sollten sich die Demons­tranten heute angucken, wie es 1989 gemacht wurde. Damals sind die Men­schen  mit dem festen Vorsatz los­ge­gangen: egal was ihnen pas­siert, gewaltfrei zu bleiben, sie haben auch auf­ge­passt und Pro­vo­ka­teure in ihren Reihen recht­zeitig neu­tra­li­siert. Das klappt heute nicht immer: Ich weiß nicht, wer Demons­tranten geraten hat, Fackeln in die Hand zu nehmen. Das wurde von den Medien sofort in Bezug gesetzt mit den Fackel­trägern in der Nazi­dik­tatur. Und damit wird das Anliegen des­avouiert. Sie müssen Kerzen nehmen.

Sie sagten, es fehlt den Demons­tra­tionen an zen­traler Orga­ni­sation und einer zen­tralen Bot­schaft. Das ist ja aber gerade das Bemer­kens­werte, oder? Dass sich so viele Men­schen scheinbar ohne Führung und Anleitung friedlich, fast spontan versammeln.

Ja, das ist so. Das ist der Augen­blick, in dem die Bürger ihre Stimme erheben, und zwar völlig unab­hängig von­ein­ander. Das stimmt mich hoff­nungsvoll, dass es eben keine Aufrufe von irgendwem gibt, sondern einfach den mas­sen­haften Beschluss, endlich nicht mehr zu schweigen und seine Stimme öffentlich kenntlich zu machen. Das ist eine neue Bewegung, die nicht mehr nur ein­zelne Gruppen betrifft, sondern tat­sächlich rele­vante Teile der Bevöl­kerung, die sagen, dass sie mit dieser Art von Politik, wie sie betrieben wird, nicht mehr ein­ver­standen sind.

Bisher gibt sich die Politik von den Pro­testen wei­test­gehend unbeeindruckt…

Ganz offen­sichtlich ist die Politik krampfhaft bemüht, diese Demons­tra­tionen zu igno­rieren. Der Umgang mit den Demons­tranten ist eine unfassbare Arroganz der Macht, wie ich dachte, dass ich sie niemals wieder erleben würde. Die Regie­renden geben sich völlig unbe­ein­druckt und können das, weil sie von den staats­nahen Medien dabei unter­stützt werden. Die Bevöl­kerung soll über­haupt nicht erfahren, dass es diese Mas­sen­de­mons­tra­tionen in Hun­derten von Städten über­haupt gibt. Die Medien ver­fahren nach dem Prinzip: Was wir nicht berichten, das hat nicht statt­ge­funden. Das scheint ohnehin die neue Stra­tegie zu sein: Unliebsame Bewe­gungen einfach zu verschweigen.
Diese Mauer des Schweigens muss durch­brochen werden.

Welchen Umgang der Politik würden Sie sich denn wünschen?

Ich wünsche mir von dieser Politik gar nichts mehr. Ich fordere von ihr, dass diese Fragen, diese berech­tigten Fragen, die auf den Demons­tra­tionen for­mu­liert werden, endlich ernst genommen werden. Das betrifft die Wirk­samkeit des Impf­schutzes, die Eva­lu­ierung der Coruna-Maß­nahmen und das Zulassen anderer Mei­nungen, die Bekämpfung von Covid19 betreffend. Wir haben inzwi­schen nicht mehr in erster Linie eine medi­zi­nische Krise, sondern eine poli­tische, gesell­schaft­liche und auch eine veri­table Wirt­schafts- und Energiekrise.

Die Polizei geht immer härter gegen die Pro­teste vor. Wie sehen Sie das? 

Das muss man ganz kri­tisch sehen, denn noch gilt unser Grund­gesetz – dass alle Deut­schen das Recht haben, sich friedlich und ohne Waffen zu ver­sammeln und der Staat nicht das Recht hat, diese Ver­samm­lungen unter irgend­einem Vorwand zu ver­hindern. Das Vor­gehen der Polizei ist zum Teil wirklich schändlich. Bis vor wenigen Jahren, viel­leicht sogar bis vor Beginn dieser Krise, genoss die Polizei in der Bevöl­kerung noch ein ziemlich hohes Ansehen, im Gegensatz zur Politik. Nun ist sie dabei dieses Ansehen weg­zu­sprayen, weg­zu­knüppeln und weg­zu­sperren. Denn wenn Poli­zisten gegen fried­liche Demons­tranten, Eltern mit Kindern, mit Pfef­fer­spray vor­gehen, dann ist das einfach mit nichts mehr zu recht­fer­tigen. In nor­malen Zeiten hätte das auch einen Auf­schrei ver­ur­sacht. Es wäre sofort eine Unter­su­chungs­kom­mission ein­ge­setzt worden. Und diesmal? Wird einfach von den Medien, den Eltern die Schuld in die Schuhe geschoben. In Sachsen ist ja jetzt immerhin eine Unter­su­chung gegen Poli­zisten ange­setzt worden, die Demons­tranten in den Rücken getreten haben. Und die säch­sische Polizei hat gesagt, dass das nicht ihre Art ist und dass sie das in ihren Reihen nicht dulden werde. Das ist gut und richtig so. Aber ich wünsche mir eine solche Unter­su­chung auch in Bayern bezüglich der Vor­gänge in Schweinfurt.

Woher kommt diese Aggres­si­vität? Sind das wirklich die Polizisten?

Sie sind die Aus­füh­renden. Ich bin über­zeugt davon, dass dieser Druck aus der Politik kommt. Es ist eine Sache der Ein­satz­leitung, die ja immer vorgibt, wie reagiert werden soll. Und ich kann allen nur emp­fehlen, sich noch einmal anzu­gucken, wie die Polizei reagieren muss, wenn es links­ra­dikale Randale gibt in Leipzig-Con­newitz oder in Berlin-Kreuzberg oder in Hamburg, an der Flora. Da wird von der Polizei äußerste Zurück­haltung ver­langt, auch wenn sie mit Steinen, Fla­schen, Molo­tow­cock­tails und Böllern beworfen wird. Es finden anschließend bisher jeden­falls keine Schnell­ge­richte statt, wie sie es in Schweinfurt gab. Dieses mit zwei­erlei Maß messen ist zer­stö­re­risch, denn die Men­schen merken das und ver­lieren noch mehr das Ver­trauen in die Politik und die demo­kra­ti­schen Insti­tu­tionen, spe­ziell auch in die Polizei.

Man will keinen Wider­spruch mehr haben, man duldet keine Anders­den­kenden mehr. Das ist ein Sozi­al­ex­pe­riment mit vielen Unbe­kannten und großen Risiken.
Das poli­tische Berlin scheint aller­dings doch langsam Angst zu bekommen, dass man gegen das Volk auf die Dauer nicht regieren kann.

Vielen Dank für das Interview!


Vera Lengsfeld — Erst­ver­öf­fent­li­chung auf dem Blog der Autorin www.vera-lengsfeld.de