Großbritannien vs. Little Britain
DIE Punkplatte schlechthin — “Never mind the Bollocks” (Vergiss die Wixxer) — erschien zum Jubiläum der Queeen. Jeder hielt die Interpreten — die “SEX PISTOLS” (Verkehrs-Kanonen) — für Links, und das waren sie auch wohl. Damals jedenfalls. Heute, wo einmal mehr ein Jubiläum für die britische Königin ansteht, ließ sich der Sänger John Lydon (damals noch Jonny Rotten) vernehmen, Aufstand gegen “oben” bzw. “das System” gebe es nurmehr von Seiten der RECHTEN. Die Verschiebung ist dem Mann allerdings Wurst. Er bleibt nur sich selbst treu. Im übrigen auch seiner Frisur — die aussieht, als habe er seine frischgewaschenen Haare gerade auf einem Fischerboot, inmitten der Nordsee geföhnt.
(von Wolfgang Eggert)
Nicht nur darin ähnelt er dem anarchischen Premierminister seines Landes: Boris Johnson. Keine 24 Stunden ist es her, daß der sich einem Partei-internen Mißtrauenvotum stellen musste. “Partygate” soll der Auslöser gewesen sein: Über ein Dutzend Festivitäten, von Johnson lange Zeit als “Arbeitstreffen” verkauft, fanden in Downing Street 10 statt — während die politische Elite den Rest des Landes “Coronabedingt” ins klösterliche HomeOffice geschickt hatte. Aus der Hüfte geschossene Fotos machten die Runde, auf denen die Bürotische mit Konfettis und Luftschlangen ausstaffiert sind, darauf stehend Hochprozentiger, im Hintergrund der beschwipste Premier, beim Versuch sich die Krawatte zu binden.
Man darf sich hier nicht täuschen lassen. Dieser Vorgang, genauer diese VORGÄNGE, taugen auf der Insel keineswegs dazu, einen Keil zwischen Volk und Führung zu treiben. Ganz im Gegenteil. Jeder Engländer erkennt sich da wieder: Männer wie im übrigen — dies eine europäische Besonderheit — auch Frauen schlagen hier über die Stränge, wann immer man es ihnen erlaubt. Ist es verboten, dann umso besser: Von daher können die heimlich eingefangenen — und dann veröffentlichten — Bilder des britischen Gesundsheitsministers Matt HanCock, der, verheiratet und täglich neue Abstandsregeln verkündend, seiner Sekretärin im BüroFlur per ZungenKuss auf den Zahn fühlte, im Land des warmen Biers nichts als Bewunderung und Neid evoziert haben.
Trotzdem wurde der über allem schwebende Premier von Spassbremsen vors moralische Schaffott seiner Partei geführt, um dort “ermangels Moral und Glaubwürdigkeit” (als ob demokratische Politiker auch nur eine der beiden Eigenschaften jemals besessen hätten) geschasst, in die Wüste geschickt zu werden.
Es erfordert nicht viel Grips, um darauf zu stossen, wer die Antreiber des Theaters waren und worum es tatsächlich ging: Wirklicher Hintergrund ist — IMMER NOCH — der Brexit, der inzwischen merklich am Bestand der Königreichs sägt. Nordirland und Schottland sind drauf und dran UK zu verlassen. Mit Hilfe der EU, die auch etliche Darsteller der “britischen” Presstitution auf ihren Payrolls haben dürfte. Was wiederum erklärt, daß die Journallie über eben dieses Mißtrauensvotum lügt, so wie sie es eigentlich immer getan hat. So wie die Argumente zur Notwendigkeit der Abstimmung zurechtgebogen waren, so darf man die Analyse des Wahlausgangs gleichfalls als an-den-Haaren-herbeigezogen bezeichnen.
Ja, es ist wahr, daß bei einer Parlaments-Parteiinternen Befragung, ob man den Vorsitzenden denn nun gut finde, 40% Neinstimmen eine Abfuhr darstellen. Andererseits wäre es falsch, daraus — wie von den Medien geschlagzeilt- zu folgern, daß Johnson in den eigenen Reihen Vertrauen verloren habe. In Wirklichkeit ist eher das Gegenteil der Fall: Als Brexit-Boris zur Abstimmung als Parteivorsitzender stand, waren es sogar WENIGER “Konservative” MPs, die ihm die Stimme gaben — nicht weil er ihnen zu “konservativ” gewesen wäre, sondern schlicht, weil er den Wunsch seines Volks, aus der EU auszusteigen, erfüllen wollte. Von daher hat Johnson in den Reihen seines von Lobbyisten geschmierten Parteisumpfs (man denkt unwillkürlich an Trump und die US-Republikaner) sogar einige Stimmen gut machen können. Daß er, an der abgehobenen Schicht in Whitehall vorbei, den Tories an den Wahlurnen das beste Wahlergebnis seit Gedenken servierte, geschenkt!
Bleibt die Frage: was wünscht man diesem Mann, diesem Land… und, aus einer deutschen Perspektive, sich selbst?
Darauf gibt es — durchaus gegensätzliche — Antworten.
Zum einen sollte Johnson für seine Kriegsanheizende Position im Ukrainekonflikt weg; und zwar so schnell wie möglich, denn er riskiert den Atomkrieg, nach dem unser Kontinent (noch!) schlechter aussehen wird, als die Frisur des englischen PM heute schon. Sowohl Briten wie auch Kontinentaleuropäer können — ja müssen! — so denken, wenn sie noch halbwegs bei Verstand sind.
BEIDE Seiten sollten nun aber,
mit Blick auf die EU — geradewegs gegenläufig — Boris die Daumen drücken, daß er möglichst lang weiterwursteln kann. Briten mögen das tun, in der Hoffnung, die aus Brüsseler Schraubstockumarmungen befreite Insel werde beim Untergang des Kontinents nicht mit in den Abgrund gerissen, bzw. könne sich — bereits vorher — mehr nationale Freiheiten zurückerobern; EU-Europäer, gerade jene in Paris und Berlin, “sollten” ein weiteres Wegdriften “Old Britannias” ebenfalls für gut befinden, da eine Rückkehr Londons die Machtverlagerung Richtung Deutschland und Frankreich — und damit die geopolitische “Linie” — wieder komplizieren würde.
Nun erscheint das Mißtrauensvotum geradewegs wie vom Kontinent AUFERLEGT, sodaß man sich fragen darf: gibt es hier (bei “uns”) noch hoffnungslose Romantiker, welche die Briten zurück ins Boot holen wollen? Oder geht´s hier nur noch um eine Abstrafung-vor- aller-Augen, sodaß etwaig nachrückende Aussteiger sehen können, was da blühen mag, wenn sie dereinst der Bock auf Brüssel verlässt-.… und sie bockig werden?!
Gerade in letzterer Fraktion mögen sich etliche Great-Game-Vertreter wiederfinden, die den (nur in größeren Bündnissen bestreitbaren) Kampf um den Globus noch “historisch” sehen können. Die wissen, welch europafeindliche Rolle Britannia im ersten und zweiten Weltkrieg spielte. Und die aus einem gewissen territorialen Revanchedenken heraus den Lords und Ladies neben mässigem Essen und deftigen Sonnenbränden nun auch Boris Johnson weiter ans Bein wünschen. Denn: Er, nur er, kann den Brexit so beherzt fortsetzen, daß die aufkommende Förderalisierung in UK (d.h. die Souveränisierung Schottlands und Nordirlands unter europäischer Flagge) erfolgreich zu Ende geführt wird.
In den britischen Medien wird derweil von EU- und/oder NWO-begeisterten Journalisten und sogenannten Experten die Folgewirksamkeit der zurückliegenden Abstimmung diskutiert. Heute ist man sich darin einig, daß Boris “fertig hat”. Kaum jemand gibt ihm mehr als 1 politisches Überlebensjahr. Fast alle, Nigel Farage inklusive, gehen widrigenfalls von anstehenden konservativen Wahldebakeln aus.
Bleibt die Frage, wen die Tories, um ebendieses Desaster zu verhindern, als Ersatzkandidaten auf den Schild heben wollen.
Deutsche Patrioten, die bereit und in der Lage sind, ihre politischen Träume “englisch” zu denken — zugegebenermassen eine hohe Herausforderung — dürfen sich Lord Rees-Mogg wünschen, börsianisch bereicherter Brexitminister im Kabinett Johnson, in Auftritt und Aussehen eine Karikatur des vorgestrigen Englands. Der Effekt wäre ein sofortiges Abdriften der Insel hinaus auf den Atlantik, aus hiesiger Sicht keineswegs die schlechteste aller Lösungen.
Wahrscheinlicher ist jedoch die Inthronisierung eines “Kandidaten der Mitte”, dem das alte Partei-Establishment zutraut, die Lager wieder zu versöhnen; ein Kandidat, der die angelnden Sachsen wieder ihre Netze in Resteuropa auslegen lässt. Gott selbst möge uns davor bewahren!